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The Jimi Hendrix Book (14) – Blues

Jimi on Sunday 14: Hendrix als Blues-Grenzgänger 

18. Dezember 2022

Jimi Hendrix Blues

Jimi Hendrix war nicht nur Pop-Star, Rock-Gitarrist und Psychedelic-Ikone sondern auch Blues-Musiker: Tracks wie ,Red House’, ,Hear My Train A Coming’ und sein Hit ;Voodoo Child‘ sind legendär. Und sie sind purer Blues.

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Jimi Hendrix und der Blues

In dieser Folge gibt’s zur Annäherung an das Thema mal ein paar Statements vorab. Jazz-Trompeter Miles Davis erzählte mal in einem Interview: „Jimi Hendrix kam vom Blues, wie ich. Und deshalb haben wir uns auch auf Anhieb gut verstanden. Er war ein Blues-Gitarrist.“ Und der amerikanische Blues-Rocker Johnny Winter analysierte: „Genau das war er in Wirklichkeit: ein großartiger Electric-Blues-Spieler! Er hat das ganze Ding einfach ausgeweitet: Jimi hatte mehr zu bieten, er klebte nicht bloß am Drei-Akkorde-Schema – seine ganze Spielweise war reiner Blues …“

Was Johnny Winter hier in wenige Worte fasst, ist die Essenz zahlreicher Stellungnahmen zur Musik von Jimi Hendrix. Deren Wurzeln liegen eindeutig im Blues-Bereich. In fast allen Hendrix-Kompositionen und improvisierten Aufnahmen tauchen Blues-Elemente auf, egal, ob es sich um Riff-orientierte Stücke wie ,Foxey Lady‘, formal Blues-untypische Cover-Versionen wie ,Like A Rolling Stone‘ oder am Jazz orientierte Aufnahmen wie die ,Nine To The Universe‘-Sessions handelt – Jimi lässt überall typische Blues-Licks und -Phrasierungen einfließen. Gleichzeitig ist er jedoch als individueller Interpret stets präsent, das heißt: Immer liegt der Musik seine persönliche Sprache, sein Stil zugrunde.

Ob Hendrix nun als progressiver Blues-Musiker, der das Vokabular dieses Genres entscheidend erweitert hat, zu sehen ist, oder ob er sich nur verschiedener Ausdrucksmittel des Blues bedient hat um seine eigenen Vorstellungen zu realisieren, ist zunächst zweitrangig. Blues ist nicht nur bei Hendrix weniger ein formalistisch stilbenennender als vielmehr ein qualitativer Terminus, der eine gewisse Art der Interpretation beschreibt. Alexis Korner: „Es gibt wirklich keine Grenze zwischen Pop und Blues. Es kommt nur auf das Gefühl an. Und wenn ein Stück dieses Gefühl hat, kann man es Blues nennen.“

Auch Muddy Waters, Howlin‘ Wolf, Elmore James und vor allem Bo Diddley behielten zwar die traditionellen Blues-Strukturen in ihren Songs mehr oder weniger bei, passten aber die Texte dem jungen, oft rebellischen Publikum an. Jimi Hendrix ging noch einen Schritt weiter, indem er auch die Musik selbst zeitgemäßer, erotischer, aggressiver und damit realistischer gestaltete. So wie in den 50er-Jahren, als die Jugendlichen keine Geschichten mehr über baumwollpflückende, gläubige schwarze Arbeiter hören wollten, war in den Sechzigern die reine Rock-&-Roll-Riff-Gitarre oder gar das Country-Picking zu zahm, um die aktuellen Gefühle zu beschreiben. Hendrix verlieh dem Gitarren-Sound das, was das Leben seines Publikums in zunehmendem Maße prägte: industrielle Lautstärke, Aggression, Protest und Sex. Eben die allgegenwärtigen Themen des täglichen Lebens.

Verglichen mit Bob Dylan, der durch seine Anlehnung an den akustischen Country- und Talking-Blues in Kombination mit politisch oft sehr direkten und aktuellen Texten, brandaktuelle musikalische Anachronismen produzierte, war Jimi Hendrix in Bezug auf seine musikalischen Mittel und deren künstlerische Ergebnisse ungleich konsequenter. Er spielte eine wesentlich freiere, härtere und elektrisierendere Variante des Blues als alle Musiker vor ihm.

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Die bekannteste Blues-Form, die zwölftaktige, findet sich bei Hendrix relativ selten. Fast immer jedoch tauchen in seiner Musik Blues-Intonation, Blues-typische melodische Wendungen, oft stark verkürzt bis verfremdet, auf, die den Stücken einen bluesigen Touch verleihen. Aber auch der Bezug zum archaischen Delta-Blues ist erkennbar, besonders in den wenigen Hendrix-Aufnahmen mit akustischer Gitarre wie etwa ,Hear My Train A-Coming‘ (auf dem Album ,Soundtrack From The Film Jimi Hendrix‘) oder der unbegleiteten Version des Titels ,Voodoo Chile‘ aus dem Jahr 1968 (auf der LP ,Live And Unreleased‘). Überhaupt sind Hendrix‘ akustische Gitarrenaufnahmen in diesem Zusammenhang ein sehr interessantes Untersuchungsobjekt. Hendrix-Fan und -Epigone Frank Marino meinte zu dem Thema: „Es gibt eine Menge schwarzer Gitarrenspieler, die, wenn ich ihre Verstärker aufdrehen und ein bisschen zum Verzerren bringen würde, mehr nach Hendrix klingen würden als ich.“

Interessanter Gedanke! Klar: Hendrix hat, nach den R&B-Erneuerern der 50er-Jahre, auch den Blues zum zweiten Mal elektrifiziert: diesmal nicht bloß im Sinne elektrischer Verstärkung, sondern zusätzlich durch elektronische Manipulation und psychedelische Klangbilder.

Was der New Yorker Kritiker Albert Goldman in seinem 1971 erschienenen Buch „Freakshow“ bei Albert King feststellte, die „Verwandlung des Country-Blues in einen städtischen Surrealismus“, das wurde bei Hendrix zu „futuristischen Symphonien des Industrielärms“. Vor allem tritt bei Hendrix die Musik selbst, die früher nur als instrumentale Begleitung des Blues-Gesangs fungierte, in den Vordergrund. Überspitzt wurde hier von einigen Kollegen auch schon mal von einer „non-verbalen Variante des Blues“ gesprochen – das ist etwas überzogen. Es handelt sich eher um eine durch die Emanzipation der Lead-Gitarre im R&B ausgelöste Tendenz zur Betonung des Instrumentalen, des klanglichen Ausdrucks, der eine eigene Qualität erreicht hat und auf diese Weise, wie der gesungene Text, eigene Inhalte transportiert. Dass trotzdem der innere Blues-Charakter der Musik erhalten bleibt, hat mit Hendrix‘ Respekt vor der Tradition und seiner Lust zu experimentieren zu tun: Auch wenn er manchmal in sehr fernen Sphären gelandet ist, er begann seinen Weg immer zu Hause.

Jimi Hendrix war in der Lage, die Essenz der Blues-Gitarre derart zu kultivieren, dass er sowohl (text-)inhaltlich wie strukturell-formal große Freiheiten genoss. Eric Clapton, dessen Ansatz sehr traditionell war, konnte, was derartige Experimente angeht, nie so weit gehen wie Hendrix; ein Grund dafür könnte sein, dass er den Blues nur über Schallplatten kennengelernt hatte, während Hendrix diese Musik dank seiner frühen Live-Erfahrungen mit R&B-Musikern erlebt und gelebt hatte, und daher viel besser in der Lage war, diese Musik „authentisch“ weiterzuentwickeln. Und das hieß für ihn eben vor allem, nicht an der klassischen Form zu kleben, sondern den Blues als Medium zu erkennen und mit Hilfe einer individuellen instrumentalen Gestaltung für die eigene Musik zu nutzen.

Jimi Hendrix Blues Joe Satriani

Joe Satriani im Hotel Cristall, Köln © Lothar Trampert

Statement: Hendrix-Fan Joe Satriani

Joe Satriani (* 1956) ist neben Steve Vai der bekannteste amerikanische Rock-Gitarrist und Komponist von primär instrumentaler Musik. Angeblich begann Joe damit sich selbst das Gitarrespielen beizubringen, nachdem er am 18. September 1970 einen Artikel über Jimi Hendrix, anlässlich dessen Todestags gelesen hatte. Satriani, der u.a. auch mal von Cool-Jazz-Ikone und -Pianist Lennie Tristano unterrichtet wurde, gab später auch selbst Gitarrenunterricht: Das machte er anscheinend ganz ordentlich, denn zu seinen Schülern gehörten u.a. Kirk Hammett (später bei Metallica), Tom Morello (Rage Against The Machine, Audioslave), Larry LaLonde (Primus), Alex Skolnick (Testament) – und Steve Vai.

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„Ich habe ja viel unterrichtet und wollte dabei immer vermitteln, dass der Blues schon ein ganzes Jahrhundert lang unsere Musikkultur prägt. Meine wahren Blues-Wurzeln liegen allerdings bei Jimi Hendrix und seiner Version von ,Red House’, der Version auf dem ,Smash Hits’-Album. Diese Originalversion ist lyrischer als die Live-Versionen, der Groove ist besser und sie klingt einfach fantastisch. Die meisten Blues-Aufnahmen sind doch grauenhaft, oder etwa nicht? Aber dieser Song hat für mich etwas ganz Spezielles … Hendrix war so… – wow! Wenn du dir Stevie Ray Vaughan anhörst, und ich bin ein großer Fan von ihm, dann war Hendrix im Vergleich zu ihm ein absolut vielseitiger, weiter, offener Künstler, ein Musiker mit so vielen Einflüssen. Andere schaffen diese oder überhaupt keine Bandbreite nicht mal über 20 Alben, und er hat das alles in vier Jahren erreicht! Auf drei Studio-Alben und einer Live-Platte hat er uns so enorm viel an Musik gegeben, als Gitarrist, Sänger, Songwriter. Für mich ist er immer noch eine ständige Inspirationsquelle. Ich empfehle jede Jimi-Hendrix-Platte, bzw. seine ersten vier, die autorisierten: ,Are You Experienced’, ,Axis: Bold As Love’, ,Electric Ladyland‘ und ,Band Of Gypsys‘ haben einfach das Gitarrenspiel für dieses Jahrhundert definiert.“
Mehr über Joe Satrianis aktuelle Projekte erfährt man auf www.satriani.com

Kurze Episode: Joe Satriani mit Deep Purple in der Westfalenhalle Dortmund © Lothar Trampert

Die blaue Theorie

Sidney Finkelstein hat schon 1948 eine Blues-Theorie vertreten, die in ihrem Ansatz auch heute noch aktuell ist, da sie auch die Problematik des wissenschaftlichen Zugangs zur afroamerikanischen Musik berührt. In seinem Buch „Jazz: A People’s Music“ schreibt er: „Viele Bücher über Jazz… beschreiben den Blues im allgemeinen als eine Folge von Akkorden, wie z.B. Tonika, Subdominante und Dominant-Septakkord. Eine solche Definition geben, hieße jedoch, den Wagen vor das Pferd spannen. Es gibt bestimmte Arten von Akkorden, die als Unterstützung für den Blues entwickelt wurden, aber sie bestimmen ihn nicht, und er kann als vollständig erkennbare Melodie existieren, nämlich als Blues ohne diese Akkorde. Ebensowenig ist der Blues einfach eine Anwendung der Dur-Tonleiter, bei der die dritte und siebente Stufe leicht verzogen oder gesenkt wurden. In Wirklichkeit sind diese Erklärungen und die Akkord-Erklärung, Versuche, das eine Musiksystem mit Hilfe des anderen zu definieren; eine nichtdiatonische Musik mit diatonischen Termini zu beschreiben.“

„… natürlich sind diese Abweichungen, von der für Konzertmusik gewöhnlichen Tonhöhe, nicht das Ergebnis einer Unfähigkeit tonrein zu singen oder zu spielen. Sie bedeuten, dass der Blues eine nichtdiatonische Musik ist.“

Blues-Forscher Alfons Michael Dauer geht davon aus, dass die afroamerikanische Tonalität im Gegensatz zu unserer Dur-Tonleiter, die auf zwei Quart-Intervallen basiert, keine Unterscheidung in Ganz- und Halbtöne kennt. Die Oktav ist in sieben gleichmäßige Tonschritte unterteilt, deren Einzelintervalle etwa 7/8 eines europäischen Ganztons entsprechen. Diese Blues-Intervalle stimmen somit weder mit einer großen, noch einer kleinen Terz, bzw. Septim unseres Systems überein; hierfür wurde der Begriff ’neutrale Intervalle‘ eingeführt. Vereinfachend könnte man sagen, dass die Blue Notes einer natürlichen Intonierung aufgrund des afroamerikanischen Tongefühls und der afroamerikanischen Tonvorstellungen entsprechen.

Von Abweichungen oder Ableitungen von der abendländischen Dur-Tonleiter oder „Intonations-Unsicherheiten“, kann hier in keinem Fall gesprochen werden. Dass im Laufe der Entwicklung der afroamerikanischen Musik eine Annäherung an die europäische Musikkultur stattgefunden hat, die sich z.B. in der Übernahme weiter Teile der Harmonik zeigt, ist klar. Die Basis für diese Annäherung war jedoch ein eigenes ursprünglich unabhängiges Tonsystem. Dass aus dem Zusammentreffen dieser beiden Musikkulturen etwas Neues entstanden ist und nicht etwa ein schlecht intoniertes „epigonales“ Produkt, ist besonders deutlich zu sehen, wenn man die Auswirkungen des Blues betrachtet, der ja in seiner Urform (Shouts, Hollers) eigentlich die erste afroamerikanische Musikform überhaupt ist. Entwickelte er sich einerseits über verschiedene akustische Formen hin zum elektrischen, urbanen R&B, so war er auch im Jazz immer als Grundkonsens verschiedenster Stilrichtungen spürbar. Während Ragtime und weißer Dixieland im Grunde genommen extreme Akkulturations-Produkte bis -Alibis sind, so wurden in der Riff-Technik der Swing-BigBands sowie in vielen Bebop- und Hardbop-Kompositionen Blues-Strukturen übernommen. Selbst im Electric Jazz der 1970er- und 80er-Jahre ist diese abstrahierte Blues-Essenz klar vorhanden. Miles Davis hat z.B. den Blues als modale Musik stärker betont als irgend jemand vor ihm; während er auf der LP ,Kind Of Blue‘ aus dem Jahre 1958 noch das Tonika/Subdominante/Dominante-

Gerüst als Anhaltspunkt, oft erweitert, beibehält, hat er die Blues-Charakteristika spätestens seit dem legendären, 1969 aufgenommenen Album ,Bitches Brew‘ eindeutig auf die Melodie verlagert, die sich oft über einem einzigen tonalen Zentrum entwickelt. Das ist der „Blues, ohne diese Akkorde“, den Finkelstein beschrieben hat.

Als „Blue Notes“ bezeichnet man im Blues- und Jazz-Zusammenhang also die kleine Terz, die kleine Sept und seit der BeBop-Zeit auch die verminderte Quint, die jedoch nicht der temperierten Stimmung entsprechend intoniert werden. Woher diese „abweichende“ Intonation kommt, wird auch heute noch sehr unterschiedlich interpretiert: Einmal könnte es sich um bloße Erniedrigungen der großen Terz, bzw. Sept des Dur-Zusammenhangs handelt, also einer Anpassung der ungewohnten dritten und siebten Stufen des temperierten Systems an die afrikanische, überwiegend von Pentatonik-Skalen geprägte musikalische Auffassung.

Alfons Dauers Sichtweise, der gleichmäßig in sieben Stufen unterteilten Oktav, wurde schon genannt. Eine weitere Theorie leitet, die Blue Notes von den Naturtönen, also aus den Intervallen einer Partial-Tonreihe ab. Aufgrund dieser gleich wie begründeten Abweichungen von der temperierten Skala, haben die Blue Notes in der afroamerikanisch geprägten Musik auch nicht die harmonische und melodische Funktion, die eine Analyse nach europäischen Gesichtspunkten ergeben würde:

+ Blue Notes sind keine Durchgangs- oder Leittöne und unterliegen demnach auch nicht deren Stimmführungsregeln.

+ Der vierstimmige Akkord mit kleiner Septime hat in diesem Zusammenhang nicht zwingend dominantische Funktion; er kann auf jeder Stufe stehen und unterliegt auch nicht den Auflösungsregeln des Dominant-Septakkords. Die Sept hat hier, wie auch die Terz eher klang(farb)liche Funktion.

Hier muss man also bei der musikalischen Untersuchung die funktionalen Zusammenhänge europäischer Harmonik vergessen. Aufbau und Funktion eines Akkordes müssen in erster Linie in Hinblick auf dessen Verwendungszusammenhang betrachtet werden. So ist im Extremfall z.B. ein aus den Tönen c, es und ges bestehender Dreiklang im ersten Takt eines Blues-Schemas, rein funktional betrachtet die ‚Tonika‘, auch wenn er von seiner Struktur her ein verminderter Dreiklang ist. Blues-harmonisch gesehen handelt es sich hierbei um eine typische Blue-Note-Alterierung. Entscheidend ist jedoch die grundlegende musikalische Funktion, d.h. in diesem Fall, dass es sich um eine alterierte Variante der ersten Blues-Stufe, die im wesentlichen der Tonika entspricht, handelt.

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Jimi Hendrix Blues-Klassiker: Red House

Als Beispiel für Jimi Hendrix‘ Blues-Auffassung hier trotzdem ein kurzer Blick auf eines seiner wenigen Stücke in der klassischen 12-Takte-Form, in der seine charakteristische Spielweise sich am deutlichsten zeigt. ,Red House‘ erschien 1967 auf der Debüt-LP ,Are You Experienced?‘ und wurde für den Solisten Hendrix zweifellos zur Feature-Nummer schlechthin. Es handelt sich hier, formal betrachtet, um einen klassischen 12-bar-Blues, der im 4/4-Takt steht; das mittlere Tempo (70 Viertelschläge pro Minute) sowie die triolische Spielweise des Gitarristen schaffen eine swingende Grundstimmung. Im wesentlichen basiert ,Red House‘ auf der H-Blues-Skala, in Teilen auch auf der H-Dur-Tonleiter. Das Stück wurde in Trio-Besetzung aufgenommen (Bass, Gitarre, Schlagzeug); die Gitarre zeichnet sich durch einen relativ konventionellen verzerrten Blues-Sound aus.

Bereits im Intro spielt Hendrix eine Reihe typischer Blues-Licks.

Das oben genannte Tonmaterial der zwei verwendeten Skalen ermöglicht eine teilweise chromatische Bewegung über den Grundfunktionen. Die Blue-Notes werden durch Vibrato auf der Moll-Terz beziehungsweise durch den Einsatz der großen und kleinen Septim der jeweiligen Stufe erzeugt, die ebenfalls häufig mit Vibratoeffekt gespielt werden. Slides und Bending werden kombiniert eingesetzt; so entsteht Klangfülle im Sinne eines lebendigen, flächigen Sounds. Sowohl in Bezug auf die klangliche als auch im Hinblick auf die formale und harmonische Behandlung entspricht ,Red House‘ einem traditionellen Blues, die Gitarre spielt das melodische Material aber auf rhythmisch extrem virtuose Weise aus.

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Vergleicht man andere Blues-Interpretationen von Hendrix mit ,Red House‘, so wird seine Virtuosität im Detail noch deutlicher. Im ,Catfish Blues‘ von Muddy Waters (vom Album ,Radio One‘) zeigt sich Hendrix als Traditionalist. Der sehr Fill-orientierten unberechenbaren ,Red House‘-Gitarre stehen strenge Riff-Muster gegenüber, deren Wirkung noch dadurch betont wird, dass das gesamte Stück auf einer Tonstufe (Tonika) stehenbleibt. Lediglich in seiner Slide-Imitation, die er mit der Greifhand statt mit einem Bottleneck durchführt, sowie in seinen Unisono-Effekten von Gitarrenmelodie und Gesangsstimme bricht Hendrix aus der authentischen Interpretation aus.

https://youtu.be/Q-NTJrkZi4o

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Formal noch geschlossener wirkt der Blues ,Hoochie Koochie Man‘ von Willie Dixon, eine Hendrix-Aufnahme, in der Alexis Korner die zweite Gitarre spielt (auch auf dem Album ,Radio One‘). Die erweiterten Möglichkeiten zur Steigerung, die dieser 16-taktige Riff-Blues bietet, nutzt Hendrix in keiner Weise aus. Sein Solo basiert wieder allein auf dem traditionellen 12-Takte-Schema. Man könnte meinen, dass ihn bei seinen Neuinterpretationen von Stücken bekannter Blues-Musiker womöglich eine falsch verstandene Ehrfurcht am Experimentieren gehindert hat. Hört man sich nämlich zum Vergleich die Live-Aufnahme des Titels ,Bleeding Heart‘ aus der Royal Albert Hall in London an (auf der LP ,Experience‘), so stößt man zwar auch hier wieder auf traditionelle Blues-Licks; diese sind jedoch eingebunden in eine stark von Bending und Vibrato durchsetzte Spielweise, die besonders in den Fills zwischen den Gesangspassagen zum Tragen kommt.

https://youtu.be/LjpSQ7REGEM

Ein wirkliches Ausspielen der Möglichkeiten des traditionellen Blues findet sich hingegen in der ,Red House‘-Version des San-Diego-Konzerts vom 24. Mai 1969 (vom Album ,In The West‘). Dort spielt Hendrix wesentlich dynamischer als in allen anderen Stücken. Dadurch, dass er den Lautstärkeregler der Gitarre immer weiter aufdreht, steigert sich sein Gitarren-Sound ganz allmählich von einem klaren durchsichtigen Ton hin zu heftigen Verzerrungen. Im ersten Teil von ,Red House‘ setzt er extremes Bending und einige der bereits beschriebenen Geräuscheffekte ein. Alle Gitarrenpassagen sind hier wesentlich modaler konzipiert als in der Ur-Version. Hendrix umspielt den quasi funktionalen Zusammenhang der drei Blues-Stufen. Das Gitarrensolo, das sich an die Gesangsstrophen anschließt, steigert sich im Hinblick auf den Sound durch zunehmende Verzerrung und in Bezug auf den Rhythmus durch ein Double-Time-Spiel bis zu extremer Verdichtung. Es endet in langgezogenen Feedback-Effekten, die in eine von Geräuscheffekten überlagerte, jazzig klingende Akkordfolge münden. Darauf folgt eine unbegleitete WahWah-Sequenz, die schließlich zum begleiteten Gitarrensolo zurückführt. Dieses wiederum leitet über zu den abschließenden Gesangsstrophen, die von den anfangs vorgestellten VibratoVibrato-Effekteneffekten durchsetzt sind. Das Stück endet mit einer kurzen, unbegleiteten Sequenz von Gitarrenakkorden.

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Hier zur Verdeutlichung noch einmal die Aufeinanderfolge der einzelnen Teile dieser ,Red House‘-Version:

  • Intro (Solo)
  • Gesangsstrophe (Thema)
  • Solo
  • unbegleitetes Solo
  • Solo
  • Gesangsstrophe (Thema)
  • Outro (Akkorde, Feedback-Effekte)

Der Aufbau gerade dieser Version zeigt natürlich, welche Bedeutung der Lead-Gitarre in Hendrix‘ Musik zukommt. Und sie ist hier ganz offensichtlich das eigentliche Hauptinstrument, zumindest spielt sie aber auf Augenhöhe mit dem Gesang. Der Blues ist hier Medium für den durch Gesang vermittelten Text, aber auch sehr deutlich für die instrumentale Virtuosität des Gitarristen. Vom Arrangement her erinnert ,Red House‘ hier deutlich an die Konzepte von Jazz-Trios bei der Neuinterpretation von Standard-Kompositionen. Wirklich traditionell Blues-typisch, etwa im Sinne der Ur-Version von ,Red House‘, ist diese Fassung nicht mehr. Der oben beschriebene, immanente Blues-Charakter ist aber auch hier ganz offenkundig.

Jimi Hendrix Blues

Statement: Hendrix-Fan Peter Wölpl

Gitarrist Peter Wölpl (* 1962) ist seit den 1980er-Jahren als Fusion-Jazz-Musiker bekannt. Er spielte u.a. in Formationen um den Passport-Bassisten Wolfgang Schmid, von 1989 bis 2013 auch in der Band des legendären Drummers Billy Cobham, außerdem mit Klaus Lage, Christoph Spendel, Michael Sagmeister, Carola Grey, Barbara Dennerlein, Thad Jones, Joy Fleming, Falco u.v.a.
Außerdem hat Wölpl fünf Solo-Alben veröffentlicht, zuletzt 2017 als Luminos W das großartige ,Punkt‘ mit Drummer Oli Rubow.

„Ich habe das ,Red House‘-Solo von meinem Hendrix-Lieblings-Album ,Are You Experienced‘ vor langer Zeit für mich transkribiert. Es fasziniert mich bis heute und ist auch ein fester Bestandteil in meinem Unterricht. Hendrix‘ Kreativität bei der Improvisation in Verbindung mit seiner Kraft, Ton und rhythmischer Finesse ist immer noch ein Erlebnis.“ Eine Hendrix-Cover-Version gefällt Peter besonders gut: „,Little Wing‘ von Sting, mit dem wunderschönen Hiram-Bullock-Solo, zu finden auf dem Album ,Nothing Like The Sun‘. Großartig!“

Einen klaren Hendrix-Nachfolger hat Wölpl aber noch nicht ausgemacht: „Das Komplettpaket ist kaum zu bekommen! Was Details angeht schon: innovativer Gitarrist, Sänger, Songwriter, Popstar? Für mich wahrscheinlich am ehesten Stevie Ray Vaughan. Und Eric Clapton hat den großen Vorteil dass es alt geworden ist und jetzt alles entspannt angeht. Das war aber früher auch anders. Dann mit Abzügen in der B-Note: Jeff Beck (er singt und komponiert nicht), Wayne Krantz (er ist stark vom Jazz geprägt und definitiv kein Popstar, aber für mich einer der innovativsten Musiker und Gitarristen). Und Matthias IA Eklundh!“

Jimi Hendrix Blues

Weitere Blues-Kompositionen von Hendrix, die in rein formaler Hinsicht eher untypisch für das Genre sind, weisen andere Merkmale auf, so zum Beispiel der Titel ,Hear My Train A-Coming‘ (auf der LP ,The Jimi Hendrix Concerts‘), aufgenommen im Oktober 1968 in San Francisco. Das 16-taktige Thema enthält jedoch auch wieder typische afroamerikanische Gesangs- und Instrumentaltechniken wie etwa ein Gitarre/Gesang-Unisono oder Riff-Akkorde, die nur durch die solistischen Fills unterbrochen werden.

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,Voodoo Chile‘ vom Album ,Electric Ladyland‘ ist zweifellos eines der bekanntesten Hendrix-Stücke und in unserem Zusammenhang wahrscheinlich das Standardbeispiel – der Prototyp eines Hendrix-Blues. In harmonischer Hinsicht handelt es sich um einen Blues in E mit starker Blue-Note-Betonung; dadurch wird eine für europäische Ohren eigenwillige Tonalität zwischen Dur und Moll geschaffen. Formal ist hier – gegenüber dem traditionellen Blues – eine Unterteilung in Strophe und Refrain zu erkennen. Die Strophe besteht aus zwölf Takten, die harmonisch jedoch nur auf der ersten Stufe basieren, während der Gesang in den Takten 9 und 10 die klassische Dominant- und Subdominant-Stufe anklingen lässt. Nach einer Wiederholung der Strophe wird einfach der Refrain, der aus vier Takten besteht, angehängt. Alles geht!

Es lassen sich bei Jimi Hendrix für den Blues-Bereich also zwei verschiedene Interpretationsansätze feststellen:

  •  In den genannten Cover-Versionen, aber auch in den R&R-Songs, die er gelegentlich gespielt hat (,Blue Suede Shoes‘, ,Hound Dog‘, ,Johnny B. Goode‘ u.a.), versuchte er, die Authentizität zu wahren, also die Musik seiner Vorbilder aus R&B und R&R möglichst stilgetreu zu interpretieren. Grundlegende Strukturmerkmale wie Intro, Riff und Stops behielt er bei, wobei er manchmal die Akkorde erweiterte; was jedoch die obligatorischen Gitarrensoli angeht, so setzte er sie von jenen der klassischen Interpretationen ab und näherte sie mit Hilfe stehender Feedback-Töne und anderer typischer Effekte seinem eigenen Stil an. Hendrix verlieh also gewissermaßen dem verblassten Gemälde im alten Rahmen mit frischen Farben neue Leuchtkraft.
  •  In seinen eigenen Blues-orientierten Stücken ignorierte Hendrix weitgehend die klassische Form sowie die altbekannten Abläufe und Klischees und erzeugte Blues-Atmosphäre in diesem neuen Rahmen allein durch Verarbeitung, Variation und Erweiterung der traditionellen Blues-Farben wie Blue-Notes, Phrasierung, Sounds etc.

Und genau das ist das Besondere am Blues-Gitarristen Jimi Hendrix! Denn: Hört man sich die Blues-Helden der 80er-Jahre wie zum Beispiel Robert Cray oder den früh verstorbenen Stevie Ray Vaughan an und untersucht man ihre Musik im Kontext der Entwicklungsgeschichte des Genres, so wird schnell klar, dass sie im Grunde noch vor Hendrix ansetzen. Die von ihm eingeführten Innovationen – und sei es nur die radikale Elektrifizierung des Blues – streifen sie allenfalls am Rande; weiterentwickelt haben sie sie bisher in keinem Fall. Cray hat mit seinen Soul-Einflüssen die traditionelle afroamerikanische Musik für das weiße Pop-Publikum genießbar gemacht. Vaughan hat mit einigen seiner Cover-Versionen manch alten Hendrix-Fan noch einmal mit der Illusion der Wiederauferstehung des Meisters beglückt. Und er hat dem Gitarren-Blues eine unglaubliche Kraft und Intensität gegeben – seine eigene Handschrift eben. Die Verdienste dieser beiden, beispielhaft aufgeführten Musiker sollen hier nicht klein geredet werden. Andererseits wirken sie als (Pop-)Traditionalisten – im besten Sinne! – neben der geradezu avantgardistischen Blues-Auffassung von Hendrix etwas harmlos.

Die noch immer aktuellen Themen der späten 60er-Jahre, beziehungsweise der gesamten zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts – Auflehnung, Freiheit, Sex, Aggression, Protest, industrielle Klang-Umwelt – spielten im gängigen Entertainment-Blues der 80er- und 90er-Jahre kaum noch eine Rolle, vor allem nicht in der Musik selbst. Statt dessen galt das Motto: Kompensation statt Provokation. Vernon Reid und Living Colour ließen eine Zeit lang zu Recht hoffen, dass traditionsbezogene afroamerikanische Rock-Musik mit Blues-Roots auflebt. In den vergangenen Jahren war es aber vielleicht noch stärker ein Musiker wie Derek Trucks, der uns für die Roots-Musik und die Roots-Musik für uns öffnen konnte. Seine Offenheit in der Verarbeitung der Musik dieser Welt, ausgehend von der afroamerikanischen Basis, macht Derek Trucks für mich zum spannendsten Blues-&-more-Gitarristen der vergangenen Dekaden. Seine Solo-Alben, insbesondere die frühen, gingen musikalisch einen ganz großen Schritt. Ein ähnlicher, wie ihn Jimi Hendrix von 1966 bis 1970 gehen konnte.

Nächsten Sonntag, 17 Uhr …

geht es weiter mit JIMI ON SUNDAY 15 und  dem Thema: JIMI SOUNDS. ÜBER FEEDBACK & VERZERRUNG
Danke fürs Lesen und bis demnächst!

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