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The Jimi Hendrix Book (18) – Die orchestrale Gitarre

Jimi on Sunday 18: Was Jimi Hendrix anders machte

15. Januar 2023

JIMI HENDRIX Buch 18 Orchestrale Gitarre

Die orchestrale Gitarre: Jimi Hendrix‘ Gitarrenstil war anders als der seiner Zeitgenossen Jimmy Page, Jeff Beck, Eric Clapton oder Rory Gallagher. Sein Ansatz war es, einen großen Gitarren-Sound zu schaffen, der Rhythmus, Harmonien und Melodien kombinierte. Ganz schön orchestral, findet Amazona.de-Autor Lothar Trampert.

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Funktionen der E-Gitarre

Die Aufgaben der Gitarre in der Rock-Musik und ihren Vorläufern war meist über die Besetzung der jeweiligen Combo sowie die Anlage der zu spielenden Komposition definiert. Grundlegend getrennt wurden immer die Funktion der Rhythmus-Gitarre und die der Solo- oder Lead-Gitarre; war nur eine Gitarre vorhanden (neben Orgel oder Piano), wurden die Aufgaben im Arrangement unter den gleichen Gesichtspunkten (Solist, Begleiter) verteilt. In den Mitte der 60er-Jahre noch seltenen Trio-Besetzungen (Gitarre, Bass, Schlagzeug) wechselte die Gitarre als einziges Harmonieinstrument dann zwischen diesen beiden Funktionen ab. Die Kombination von melodischen Linien mit gleichzeitiger Bass- oder Akkordunterlegung, wie sie im Jazz-Trio, im Country Blues, oder auch in der klassischen Gitarrentechnik bekannt ist, war in der Rock-Musik damals kaum verbreitet. Die begrenzte Technik vieler Musiker dieser Zeit war bedingt durch das autodidaktische Lernen, oft ausgehend von nur wenigen Platten schwarzer Blues-Musiker. Man hörte zu, probierte aus, verglich und war zufrieden oder nicht. Dass dabei oft interessante Lagen-Irrtümer passierten, war kaum zu vermeiden. Breiter angelegte Lehr- und Lernkonzepte, die auch andere Musikstile berührten, standen nicht zur Verfügung, und YouTube bekanntlich auch noch nicht. Der Virtuosen-Boom in der heutigen Rock- und Popmusik ist mit Sicherheit auf die seit den 80ern wesentlich verbesserten Ausbildungsmöglichkeiten zurückzuführen.

Der Jimi Hendrix Stil

Hendrix hatte diese Ausbildung in der Praxis; er war seit Beginn der 60er-Jahre Profimusiker und hat sowohl R&R und Blues, als auch Twist und Soul gespielt und live erlebt. Diese stilistische Vielfalt mit der er konfrontiert war, hat sich natürlich in seinem Spiel niedergeschlagen. Seine Technik zeigt, dass er sich mit verschiedenen Musikrichtungen auseinandergesetzt hat. Insbesondere in den Balladen wird ein Hauptcharakteristikum seines Gitarrenstils deutlich. Er hat Akkord- und Solospiel wieder näher aneinander geführt, teilweise sogar integriert:

  • Das Arpeggio-orientierte und durch Hammer-on/Pull-off-Technik erweiterte Spiel, insbesondere mit klaren Sounds hat sowohl harmonisch begleitende Funktion, hat aber auch solistische Qualitäten.
  •  Die Kombination von meist in tiefer Lage gespielten Riffs mit Akkord-Akzentuierungen schafft eine Verbindung von rhythmischer Melodie mit harmonischen Einwürfen, die teilweise an reduzierte BigBand-Sätze erinnern.
  •  Die Verbindung von stehenden Basstönen, die durch Rückkopplung Klangfarbe und Tonhöhe verändern können, mit Solospiel in höheren Lagen (auch umgekehrt möglich), wird beim verzerrten Gitarren-Sound zusätzlich durch entstehende Schwebungen/Feedback etc. klanglich verdichtet.

In Verbindung mit diesen Spieltechniken hat Hendrix die Ausdrucksmöglichkeiten der Gitarre durch Hinzunahme folgender Elemente erweitert:

  • Durch den Einsatz von bisher im Rock/Pop unüblichen Harmonien, hat er vor allem die melodischen Möglichkeiten des Akkordspiels betont.
  • Durch eine Grifftechnik, bzw. Art des Akkordsatzes, die möglichst versucht, offene, nicht angegriffene Saiten ins Spiel zu integrieren, wird das Klangbild der E-Gitarre offener und irgendwie dem der akustischen Gitarre wieder angenähert.
  • Durch eine sehr individuelle Interpretation klassischer Blues-Techniken (Slide, Bending, Vibrato) hat er neue Gestaltungsmöglichkeiten des Gitarrentons geschaffen.
  • Durch unkonventionelle Klang- und Geräuscherzeugung (mit Hilfe von Instrumenten, Verstärkern und Effektgeräten, oder auch Mikrofonständern und Verstärkergehäusen, etc.), die er in den musikalischen Ablauf einbezog, hat er die instrumentale Sprache der Rock-Musik erweitert.

Zwei grundlegende Elemente, die Hendrix‘ „zweite Elektrifizierung“ der Gitarre entscheidend prägen, da sie fast durchgehend seinem Spiel zugrundeliegen, sind:

  • Die Verwendung großer Lautstärken, die neben der Möglichkeit des gezielten Einsatzes von Rückkopplungseffekten, grundsätzlich schon eine Tonverlängerung, sowie auch eine neue physische Dimension der Musik (für Musiker und Zuhörer) beinhalten, und
  • Der Einsatz der Verzerrung als klangliches Gestaltungsmittel, das neben der starken Veränderung der Charakteristik des Gitarrentons (Schwingungsverlauf, Tondauer, Klangfarbe, etc.), dem Instrument aufgrund des Verhaltens bei verschiedenen Arten der gesteuerten oder unerwünschten Rückkopplung eine gewisse Eigendynamik verleiht.

Hendrix war in der Lage alle diese Gestaltungselemente seines Spiels kontrolliert einzusetzen und in den musikalischen Ablauf zu integrieren. Aufbauend auf der anfangs genannten Verbindung von melodischen mit harmonisch/rhythmischen Funktionen, hat diese Vielzahl von eingesetzten Spieltechniken der elektrischen Gitarre in ihrem Ausdruckspotential vergleichsweise „orchestralen Charakter“ gegeben.

Hendrix hat die musikalischen Möglichkeiten des Instruments (und des obligatorischen Verstärkers) bis an die Grenzen der Zerstörung erforscht und es auf diese Art für die Rock-Musik neu definiert. Dieses neue Verständnis von Gitarrenspiel wurde nun kombiniert mit der modernen Studiotechnik, wie beschrieben, in Anlehnung an Konzepte bedeutender Produzenten, wie Les Paul, Phil Spector und George Martin.

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Jimi Hendrix und die Schubladen

„Es war Jimi Hendrix, der, mehr als jeder andere Gitarrist, das gesamte Klangspektrum aus allen Bereichen der ernsten elektronischen Musik – eine breitere Sound-Palette, als irgendein anderer Live-Instrumentalist der Musikgeschichte je in den Fingern hatte – plus die komplette Tradition der schwarzen Musik, von Charley Patton und Louis Armstrong bis hin zu John Coltrane und Sun Ra, in die Rock-Musik eingebracht hat. Niemand kann bezweifeln, dass Jimi Hendrix ein Rock-Musiker war, trotzdem war er für Jazz-Musiker und -Fans zugleich ein Jazz-Performer. Wenn Jimi Hendrix ein Solo spielte, steckte alles drin.“

Was der Rolling-Stone-Autor John Burks kurz nach Jimi Hendrix‘ Tod (1970) über den Gitarristen schrieb, setzt sich wohltuend ab von all den verklärenden und vereinnahmenden Statements der vergangenen fast fünf Jahrzehnte: Denn das Phänomen Hendrix ist ein durchaus erklärbares Produkt verschiedener musikalischer und außermusikalischer Einflüsse. Und Hendrix‘ Erfolg beruhte mit Sicherheit nicht nur auf seinen instrumentalen Fähigkeiten, sondern auch darauf, dass sie kommerziell verwertbar waren.

Was seine Musik betrifft, ist Jimi Hendrix durchaus analysierbar. Seine zwar nicht allzu früh entdeckte, doch von seinem Vater Al immerhin geförderte Musikalität konnte sich rasch und relativ ungehindert entfalten. Neben seinem Talent als Basis, haben auch seine spätere Arbeit als professioneller Musiker in verschiedenen Stilbereichen der Pop-, Soul, R&B- und Rock-Musik und sein Interesse an den traditionellen Spielweisen der afroamerikanischen Musik, insbesondere des Blues, dazu beigetragen, dass er sich zu einem unvergleichlich virtuosen und eigenständigen Gitarristen entwickelte. Hendrix‘ Experimentierfreudigkeit ist sehr eng mit seinem autodidaktischen Zugang zur Gitarre verbunden: Er musste seine Spieltechnik, ausgehend von spärlichen Grundkenntnissen, zunächst selbst entwickeln. Aber auch später hat er nie Techniken oder Konzepte anderer Musiker einfach übernommen, sondern ihnen stets – durch individuelle Interpretation und konsequentes Ausloten musikalischer und materialbedingter Grenzen (Stichwort: Vibratohebel, aka Whammyeeeeeeyaawwwzzzuauauawaahhhh ;-) – seinen Stempel aufgedrückt.

Jimi Hendrix im Studio

Hendrix‘ Kreativität im Studio war – über seine sehr kreativ produzierten Alben und die daraus resultierenden Plattenverkäufe – eine ganz wesentliche Säule seines Erfolgs. Denn ohne erfolgreiche Plattenveröffentlichung gab es auch damals kaum Radio-Airplay oder Presseberichte – und andere Medien waren noch nicht erfunden. Angesichts der kurzen Zeit, die ihm als erfolgreicher Profimusiker gegeben war, konnte er dieses Talent aber nur so weitgehend nutzen und entfalten, weil er das Glück hatte, auf kompetente Techniker wie Eddie Kramer und Roger Mayer zu treffen, die sein immenses Potenzial erkannten und förderten. Gerade was die Verbindung von Instrument und Elektronik betrifft, hätte sich Hendrix ohne den Einfluss von Effekt-Designer & Techniker Roger Mayer zumindest langsamer entwickelt; denn nicht zuletzt ihm ist es zu verdanken, dass Jimi Hendrix zu einem so innovativen Sound-Komponisten wurde.

Lässt sich sein Instrumentalstil, der deutlich durch die Verbindung von harmonisch-klanglichen Funktionen und melodisch-linearen Abläufen geprägt ist (gut zu hören in den Balladen ,Little Wing‘, ,The Wind Cries Mary‘ etc.), noch direkt aus seiner frühen, von verschiedenen R&B- und Soul-Einflüssen (u.a. Bobby Womack) bestimmten, musikalischen Entwicklung ableiten, so wurde sein mit Hilfe der modernen Studiotechnik entstandenes orchestrales Gitarren-Sound-Konzept begünstigt durch die optimalen technischen Produktionsbedingungen, die er, wie gesagt, einigen wenigen kreativen Mitarbeitern zu verdanken hatte.

Rock, Blues, Jazz & Free Feeling

Streng historisch betrachtet, war Hendrix natürlich ein Rock-Musiker – nicht zuletzt deshalb, weil er als Rock-Musiker vermarktet wurde. Im Hinblick auf die Tradition, aus der er einen großen Teil seines Materials bezog, war er ein Blues-Musiker. Die meisten Bestandteile seiner Spieltechnik, aber auch einige Elemente seiner Live-Präsentation sind Weiterentwicklungen beziehungsweise individuelle Interpretationen alter Blues-Klischees, u.a. von Legenden wie T-Bone Walker oder Little Richard. Die zentrale Rolle der Improvisation in seiner Musik, die Bevorzugung modaler Konzepte gegenüber der europäischen harmonischen Funktionalität sowie die von ihm in der Live-Praxis favorisierte Trio-Besetzung zeigen seine Nähe zum Jazz. Und Hendrix‘ Studioproduktionen waren, zumindest was die radikale Nutzung neuer technischer Möglichkeiten betrifft, wegweisend für alle nachfolgenden Pop- und Rock-Produktionen. Seine musikhistorische Bedeutung besteht in der Verbindung verschiedener Stile der afroamerikanischen Musik wie Soul, Blues und Jazz mit Elementen der weißen Pop-Musik. Sein Statement zum Thema: „Wir wollen nicht in irgendeine Schublade gesteckt werden. Wenn schon ein Etikett sein muss, hätte ich gerne, dass es ,Free Feeling‘ heißt – eine Mischung aus ausgeflipptem Rock, Blues und freier Musik.“

Der britische Journalist Keith Altharn notierte über einen der ersten Hendrix-Auftritte in England: „Ich dachte die ganze Zeit, dass diese Musik vielleicht schon zu clever war, und dass dieser Bursche in einer Avantgarde-Jazz-Gruppe oder etwas Ähnlichem spielen sollte. Obwohl die Art wie er spielte umwerfend und ganz offensichtlich Rock-orientiert war.“

Im Hinblick auf seine Position in der Musikgeschichte scheint es demnach das Dilemma von Jimi Hendrix zu sein, dass er die verschiedensten Einflüsse zu einer eigentlich stilistisch homogenen Musik zusammengeführt hat, die weiterzuentwickeln nach seinem Tod niemand in der Lage war – das Dilemma jeder Avantgarde schlechthin. Jimi Hendrix, Charles Ives, John Coltrane, James Blood Ulmer, Arnold Schönberg, Can … Originale bleiben Originale, Nachahmer enden peinlich – und Free Feeling bleibt daher Free Feeling – Punkt. Bis heute.

Wer ist Jimi Hendrix‘ Nachfolger?

Hartnäckige Versuche der Plattenindustrie, potenzielle Nachfolger (gemeint waren extrem viele Platten verkaufende Gitarristen) zu kreieren, bewegten sich – abgesehen von der Tatsache, dass das gleiche Instrument gespielt wurde – meist im Rahmen epigonaler Peinlichkeiten. Wirklich eigenständige Typen und Musiker, wie der großartige Trio-Rocker Robin Trower oder der Ex-Scorpions-Gitarrist Uli Jon Roth, der sich zeitweise die Interpretation und Verarbeitung von Hendrix‘ Musik zur Aufgabe gemacht hat, oder auch Randy Hansen, dem es um die Live Reproduktion von Hendrix-Musik geht, sind in diesem Zusammenhang die positiven Ausnahmen. Auch der wirklich beeindruckende Gitarren-Newcomer des Jahres 1991, Eric Gales, verdient, in diesem Zusammenhang mal wieder genannt zu werden, wobei sich seine kommerziellen Erfolge in Grenzen hielten; Gary Clark Jr. hat es in der Hinsicht in den vergangenen Jahren weiter nach vorne gebracht. Busine$$-erfolgreich waren und sind auch sie, echte Popstars allerdings nicht.

Eine Art Popstar und megaerfolgreich ist interessanterweise der Gitarrist Joe Bonamassa geworden; wobei seine Musik eigentlich aber so klingt, als hätte es Hendrix für den Blues und Rock nie gegeben. Denn er spielt eher die noch domestizierte Gitarre der frühen 60er- plus die angepasste Blues-Rock-Musik der späten 70er-Jahre. Dass die wilde Katze E-Gitarre mal zwischendurch ein paar Jahre lang gemacht hat, was sie wollte, reflektiert der 1977 geborene Bonamassa kaum. Muss er ja auch nicht. Denn er ist auch so ein ganz Großer der Gitarren-Szene – wenn auch kein Original. So weit nach vorne kamen Individualisten wie Johnny Winter, Vernon Reid und Sonny Sharrock verständlicherweise nie.

Aber Jimi Hendrix! Dieser Musiker war als kommerziell erfolgreicher Künstler ein unverdienter Glückstreffer der Musikindustrie; selten hat das Publikum eine so weit vom Mainstream abweichende Musik so bereitwillig akzeptiert. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass Hendrix‘ Single-Hits auch nur für einen Randbereich seines künstlerischen Spektrums stehen. Spätestens live fuhr der Zug in ganz andere Richtungen – und meist ohne zuverlässigen Fahrplan. Vielleicht sollte die Deutsche Bahn mal mit Hendrix werben? ,Hear My Train A‘ Comin‘, Hey! Wait around the train station, Waitin‘ for that train …‘ Millionen wartende Bahnfahrer hätten eine gute Zeit!

JIMI HENDRIX Buch 18 Orchestrale Gitarre

Statement: Tobias Hoffmann

„Auf einen Nachfolger, oder Erben würde ich mich nicht festlegen wollen. Jimis Einfluss auf die Entwicklung der elektrischen Gitarre war so enorm, dass es vermutlich heutzutage niemanden gibt, der nicht in irgendeiner Form von ihm beeinflusst wäre. In sofern tragen wir alle etwas von seinem Erbe in uns. Er hat Musik und die Gitarre an so vielen Stellen weiter entwickelt.“
www.tobias-hoffmann.com

Hendrix als Avantgardist

In den 80er- und 90er-Jahren waren unzählige Alben im Handel, auf denen der Name Jimi Hendrix stand, die aber alles andere als ,Hey Joe‘ und ,All Along The Watchtower‘ beinhalteten. Stattdessen gab es entweder drittklassige Sideman-Ware aus den frühen und mittleren 60ern, oder aber jazzige Improvisationen, heftigste Noise-Attacken und freestylige Gitarrengeräusche wie im Fall der bekannten Sessions aus der Zeit kurz vor dem Woodstock-Festival, mit den Musikern von Gypsy Sun & Rainbows, zu hören in der 3LP-Box ,The Jimi Hendrix Story‘.

Ex-Roxy-Music-Weirdo und Klangkunst-Ikone Brian Eno hat mal die Frage gestellt, warum Jimi Hendrix heute nicht längst als einer der größten Komponisten dieses Jahrhunderts, vom Rang eines John Cage, anerkannt ist? Und der finnische Musiker und Komponist Otto Donner hat ihn schon 1967 mit (damals noch) lebenden E-musikalischen Institutionen wie Karlheinz Stockhausen verglichen. Warum also fand Jimi Hendrix so lange nicht die Anerkennung des etablierten Musikbetriebs? Diese Frage ist ebenso leicht oder schwer zu beantworten wie die, weshalb Karlheinz Stockhausen nicht 400.000 Zuhörer in seine Konzerte zog oder regelmäßig Goldene Schallplatten in Empfang nehmen konnte. Immerhin war eine Stockhausen-Show – insbesondere dann, wenn der Meister höchstpersönlich die Ansagen zu seinen Kompositionen lieferte – nicht weniger originell als die von Hendrix: really outtasight! Und seit 1990, als ich mir diese Frage erstmals stellte, hat sich eine Menge getan, und verschiedenste Pop- & Rock-Musiker (Sting, Prince, Gary Moore, Yngwie Malmsteen) und auch Jazzer (Hiram Bullock & WDR BigBand, Lonnie Smith, Charlie Hunter, Marc Ribot, Tuck & Patti, Nguyên Lê) und In-Between-Größen wie Bootsy Collins/Axiom Funk oder Buckethead das Thema be- und verarbeitet. Nicht zu vergessen das großartige Electro-Groove-Pop-Projekt Beautiful People mit ,If 60’s Were 90’s‘ von 1994, und seitdem noch jede Menge toller Tribute-Alben und Cover-Versionen …

Hendrix‘ wahre Bedeutung hat sich erst ab den späten 80er-Jahren wieder gezeigt, nachdem sich die meisten Vertreter der Rock-Musik längst auf technokratische und an vermeintlichem Schönklang orientierte Art-Rock-Konzepte eingestellt oder sich in das auf eine harmlose Flower-Power-Idylle reduzierte Sixties-Revival geflüchtet hatten. Nach zehn Jahren voller Fusion-Belanglosigkeiten setzte sich z.B. im Jazz-Bereich wieder ein offenerer Blick auf die Errungenschaften afroamerikanischer und anderer Musikkulturen durch. Gitarristen wie Mike Stern, Sonny Sharrock, Bill Frisell oder der stärker Rock-orientierte Vernon Reid mit seiner Band Living Colour erkannten schon damals Hendrix als einen der wichtigsten Vorläufer ihrer Musik und verarbeiten seither seine technischen Innovationen und seine Art des Umgangs mit der afroamerikanischen Tradition auf eine Weise, die in der heutigen Rock-Musik kaum eine Parallele hat. Das lange Jahre isolierte Rock-Phänomen Jimi Hendrix hatte damit endlich den Anschluss an die Musikgeschichte gefunden – und zwar innerhalb jener Kultur, aus der es ursprünglich entstanden war. Hendrix ist afroamerikanische Musik pur: Blues, Soul, Funk, Jazz-Improvisation und Rock-Energie. Hendrix‘ Musik enthält gleichermaßen die Wurzeln und die Auswirkungen dieser Kultur; in ihr zeigen sich sowohl die Errungenschaften als auch das Potenzial der afroamerikanischen und jeder anderen Musikkultur, deren Vertreter begriffen haben, dass eine freiwillige und auf der Gleichberechtigung der Kulturen beruhende künstlerische Annäherung und/oder Fusion nicht automatisch den eigenen Identitäts- oder Traditionsverlust bedeuten muss.

Als Musiker wollte sich Hendrix, wie er selbst betont hat, in keine Schublade stecken lassen: Eine wie auch immer geartete stilistische Festlegung auf der Grundlage irgendwelcher musikalischer Normen erschien ihm ebenso unsinnig wie die Selbstbeschränkung aufgrund ideologischer, politischer, religiöser oder rassistischer Schranken. Wichtig waren ihm Freiheit und Unabhängigkeit, als Musiker und als Mensch. In England gab man ihm ab Ende 1966 künstlerische Freiheiten, die in den USA damals unmöglich gewesen wären; und das nicht nur aufgrund der weißen Politik und Musikindustrie – denn vielen Schwarzen war Hendrix ebenfalls nicht geheuer, weil er entweder als zu rockig, zu unpolitisch, zu sexistisch oder einfach zu weiß empfunden wurde. That’s life … Es geht immer um Offenheit, Toleranz, Freiheit, Respekt, Liebe – immer noch und immer wieder ein ganz großes Thema.

„l’d like it to be called Free Feeling.“

JIMI HENDRIX Buch 18 Orchestrale Gitarre

Statement Andreas Willers

„Jimi Hendrix hat keinen Nachfolger. Jenseits von bestimmten Sounds und Licks, die im besten Sinne Standards gesetzt haben, steht Jimi für einen bestimmten Spirit … und seine Fußstapfen sind groß.“  www.andreaswillers.de

Nächsten Sonntag, 17 Uhr …

geht es weiter mit JIMI ON SUNDAY 19 und dem Thema KREATIVITÄT: JIMI HENDRIX UND DIE IMPROVISATION, KOMPOSITION & STUDIO-PRODUKTION

Danke fürs Lesen und bis demnächst!

 

 

 

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Forum
  1. Profilbild
    MidiDino AHU

    Mich irritiert das Beharren auf der Frage nach einem Nachfolger von Hendrix. Würde es einen Nachfolger geben können, wäre es vermutlich auch mit der Kreativität jenes Nachfolgers nicht weit her. Ohne Neuerungen gäbe es keine Kreativität.

    Beim Lesen hatte ich stets das Gefühl, Dass du Hendrix beweihräucherst, obwohl du gerade dies nicht machen wolltest.

    Es gibt durchaus eine kleine Reihe von Komponisten / Bands, die ich ebenfalls schätze: King Crimson, Frank Zappa. Mein Hauptkriterium ist die eingebrachte Kreativität …

    Dein Vergleich mit einem Komonisten wie Stockhausen irritiert mich ebenfalls. Stockhausens serielle Musik ist schematisch, absehbar – Improvisation wäre das Gegenteil. Du hättest einen Musiker der Improvisierten Musik wählen sollen, aber nicht Stockhausen, Improvisierte Musik ist allerdings stark von der Neuen Musik geprägt und ihren Tabus.

    Ich war auf vielen Konzerten der Improvisierten Musik, speziell in Duisburg war ich nicht selten der einzige Gastzuhörer …. Soviel zum Kommerz!

    • Profilbild
      LOTHAR TRAMPERT AHU

      @MidiDino Hallo Helge,

      danke für deine Anmerkungen! Ich beharre ganz und gar nicht auf der Frage nach einem Nachfolger – ich setze mich vielmehr nachdenklich mit der Frage selbst auseinander, die seit 1970 ständig gestellt und auch gerne instrumentalisiert wird, um neue Künstler zu etablieren. Und beweihräuchern möchte ich Hendrix wirklich nicht – Gallagher, van Halen, Holdsworth, McLaughlin, Scofield, Trower, Alvin Lee, Jim Hall, Attila Zoller, James Blood Ulmer und Frank Zappa sind/waren genau so großartig und einzigartig.

      Und natürlich habe ich Hendrix und Stockhausen nicht wertend verglichen, gleichgestellt oder sonst etwas. Ich habe ja eigentlich nur Otto Donner zitiert und dann ein bisschen weiter gedacht. „Und der finnische Musiker und Komponist Otto Donner hat ihn schon 1967 mit (damals noch) lebenden E-musikalischen Institutionen wie Karlheinz Stockhausen verglichen. Warum also fand Jimi Hendrix so lange nicht die Anerkennung des etablierten Musikbetriebs? Diese Frage ist ebenso leicht oder schwer zu beantworten wie die, weshalb Karlheinz Stockhausen nicht 400.000 Zuhörer in seine Konzerte zog oder regelmäßig Goldene Schallplatten in Empfang nehmen konnte. Immerhin war eine Stockhausen-Show – insbesondere dann, wenn der Meister höchstpersönlich die Ansagen zu seinen Kompositionen lieferte – nicht weniger originell als die von Hendrix: really outtasight! “

    • Profilbild
      LOTHAR TRAMPERT AHU

      @MidiDino ….

      Als ich mit der Arbeit an diesem Thema begann, war ich noch nicht mal richtiger Fan, besaß vielleicht fünf LPs, ein paar wenige Zeitschriftenartikel und keines der wenigen amerikanischen Bücher, die damals existierten. Dann ging es los … und ich entdeckte einen faszinierenden Künstler. That’s it.

      Ich beweiräuchere aber ohne Frage gute Musik, die mir gefällt, ständig und überall – das ist mein Leben.

      Viele Grüße & einen schönen Tag
      Lothar

  2. Profilbild
    Fredi

    Hallo MidiDino, hallo Lothar,

    man muss da schon mit der Relativierung ein bisschen aufpassen.

    Wenn man dabei Leute wie Alvin Lee, Allan Holdsworth oder Attila Zoller im gleichen Kontext wie Hendrix aufzählt, dann waren die sicher auch „großartig“, unbestritten, aber Jimi Hendrix war eben wohl ein Jahrhunderttalent.

    Alle wesentlichen Rankings über die besten E-Gitarristen aller Zeiten setzen ihn auf Platz eins und die Aussagen von vielen Zeitzeugen bestätigen diese Bewertung. Man denke nur an den Spruch von Jack Bruce von Cream, der meinte dass Clapton ein hervorragender Gitarrist sei, Jimi sei aber eine Naturgewalt.

    Man kann auch prima verhandeln, was aus Hendrix in den 70er Jahren geworden wäre. Vielleicht wäre er am Ruhm zerbrochen und abgestürzt wie EvH, vielleicht hätte er sich komplett neu erfunden.

    Ich teile nicht alle Einschätzungen oder Bewertungen von Lothar, aber ihm vorzuwerfen, er würde Hendrix beweihräuchern, legt nahe, dass er einen drittklassigen Musiker in den Olymp heben wolle.

    Das geht komplett an der Sache vorbei: Hendrix war ein _außerordentlicher_ Musiker.

    Gruß
    Fredi

    • Profilbild
      LOTHAR TRAMPERT AHU

      @Fredi Hallo Fredi,

      bei dem bisschen geniale Konkurrenz, die Hendrix 1966 bis ’70 hatte, war er ohne Frage ein Jahrhunderttalent – und das bleibt er ja auch, neben den anderen, die diese Kategorie vielleicht noch erreicht haben. Die anderen Namen habe ich genannt, weil sie für mich persönlich auch zu den ganz großen Gitarristen gehören, natürlich aber nie diese Wirkung hatten.
      Da spielt eben auch ganz viel subjektives Empfinden mit, alleine schon mit der Auswahl dieses Themas. Nach Hendrix, Santana, Duane Allman und John Scofield hat mich kein Gitarrist mehr so berührt wie Derek Trucks – andere Menschen kannst du mit seiner Musik jagen … Für mich gehört er, alleine wegen seines Solo-Albums ,The Derek Trucks Band‘ (1997) auch ganz weit vorne auf die Jahrhundert-Talentliste.

      Viele Grüße
      Lothar

  3. Profilbild
    MidiDino AHU

    Es gibt etwas, das mich an Hendrix stört: sein Eklektizismus. Die Bedienung aus verschiedenen Pop-/Rockbereichen, die wenig musikalisch Neues erbrachte, sich ledigich kommerziell lohnten …

    • Profilbild
      Fredi

      @MidiDino Hallo MidiDino,

      es gilt halt wie immer „lesser artist borrow, greater artists steal“.

      Ich glaube, es wäre unfair, Hendrix seine Sozialisierung im Soul und
      Rhythm and Blues vorzuhalten; man bedient sich halt als Künstler in
      der Regel immer erst einmal aus dem Umfeld, in dem man aufgewachsen
      ist.

      Du wirst doch nicht ernsthaft behaupten wollen, dass beispielsweise
      Stockhausen alles aus sich heraus erfunden hat.

      In einer ähnlichen Form muss man so etwas wie „Electric Ladyland“
      sehen. Damit Hendrix überhaupt in die privilegierte Position kommen
      konnte, ein etwas abgedrehtes Werk zu produzieren, musste er halt (als
      Dropout-Fallschirmjäger und Tingeltangel-Begleitmusiker) erst etwas
      machen, was kommerziell erfolgreich war. Ich würde jetzt nicht
      unterstellen, dass das sein Karriereplan war, aber sonst hätte man
      wahrscheinlich überhaupt nie etwas von ihm gehört.

      Nicht alles, was Hendrix gemacht hat, war genial. Aber ihm
      Eklektizismus zu unterstellen, finde ich extrem. In diese Kategorie
      würde ich eher jemanden wie Lenny Kravitz reintun…

      Gruß
      Fredi

  4. Profilbild
    MidiDino AHU

    Wir lassen Stockhausen besser mal außen vor. Die erste serielle Komposition stammte von Olivier Messiaen, weswegen Stockhausen bei ihm studierte … Stockhausen wird maßloß überschätzt!

    Bei Hendrix sprach ich über die musikalische Form: über Pop-/Rock inkl. Blues, Soul usw.

    Erweiterungen bei Hendrix kamen nur durch Improvisation … für die damaligen Blumenkinder ;-)

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