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The Jimi Hendrix Book (6) – Die Studio-Alben

Jimi on Sunday 06: Drei Hendrix-Alben, die die Rock-Welt veränderten

23. Oktober 2022

The Jimi Hendrix Book (6)

Mit seinen drei zu Lebzeiten erschienenen Studio-Alben ,Are You Experienced’, ,Axis: Bold As Love’ und ,Electric Ladyland’ hat Sänger & Gitarrist Jimi Hendrix (*1942 +1970) die Musikwelt verändert. Mehr zum Thema in Teil 6 von Lothar Tramperts Buch über Jimi Hendrix, das exklusiv bei AMAZONA.de als Serie erscheint.

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Das Debüt: Are You Experienced (1967)

Mit dem Debüt-Album der Experience bin ich früher nie so ganz warm geworden – es kam in meinem Ranking immer nach ,Axis: Bold As Love‘, nach ,Electric Ladyland‘ und ,Monterey‘. ,Are You Experienced‘ markierte mit ,Band Of Gypsys‘ für mich damals Anfang und Ende einer Geschichte, die in der Mitte am spannendsten war. Das sehe ich inzwischen nur noch bedingt so, denn bei genauerer Betrachtung ist vieles in Hendrix‘ Karriere organischer und verbundener, als man glaubt.

Jimi Hendrix war seit seiner Ankunft in London, am 24. September 1966, die musikalische Sensation der Stadt. Noch am selben Tag hatte er einen improvisierten Soloauftritt im Londoner Szene-Club „Scotch Of St. James“. Weitere Club-Gigs und Auditions folgten, irgendwann stand die Besetzung der Jimi Hendrix Experience. Gemeinsam mit Noel Redding (b) und Mitch Mitchell (dr) spielte er die ersten Songs ,Hey Joe‘ und ,Stone Free‘ ein, die Single wurde noch im Dezember 1966 veröffentlicht und landete bis zum Februar 1967 auf Platz 4 der UK-Pop-Charts. Es folgte ganz schnell ,Are You Experienced‘ – die Debüt-LP der Jimi Hendrix Experience wurde am 12. Mai 1967 veröffentlicht und erreichte Platz 2 der Charts.

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Das Album startet furios mit einem Gitarren-Feedback, das in den treibenden Groove von ,Foxey Lady‘ übergeht, es folgt mit ,Manic Depression‘ ein echter Rock-Kracher mit starken Riffs und einem virtuosen Gitarrensolo. Dann ,Red House‘, ein Slow Blues mit schnellen, flüssigen Licks, eindrucksvollen Bendings und individuellen Fingervibrati – inspiriert von Gitarristen wie B.B. King oder Buddy Guy. ,Can You See Me‘ reißt den Hörer zurück in die Rock-Welt, und dann folgt ein originärer Hendrix-Track auf den nächsten: Songs mit virtuosen Parts, mit bisher kaum gehörten Sound und einem Mix aus abgedrehten, psychedelischen Pop-Songs und bodenständigem Rhythm & Blues. ,Fire‘ rockt dann noch mal gewaltig, im balladesken ,May This Be Love‘ und in ,Remember‘ kommen Hendrix‘ Soul-Einflüsse durch, und mit ,3rd Stone From The Sun‘ liefert das Album auch noch eine sehr individuell swingende, psychedelische Jazz-Nummer, mit Geräuschen, etwas Sprechgesang und einem unglaublichen Groove. Das hat Hörspiel-Potenzial! Ähnlich abgefahren, aber noch vielschichtiger kommt ,Are You Experienced‘, der Titel-Track dieses Debüts rüber, der fast nahtlos überleitet zu den beiden folgenden Alben, die noch kommen sollten.

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Hört man ,Are You Experienced’, dann ,Axis: Bold As Love‘ und anschließend ,Electric Ladyland‘ direkt hintereinander, erlebt man sehr plastisch, was ein sich entwickelnder Personalstil ist. Ebenso deutlich wird aber: Die Handschrift war von Anfang an da, die Tinte wurde nur dunkler, der Strich fetter. Und das lag meiner Meinung nach vor allem daran, dass die Studiotechniker nach diesem Debüt sehr viel intensiver und kreativer daran arbeiteten, Hendrix‘ Ideen akustisch umzusetzen.

Und Jimi Hendrix hat mit Begeisterung die Möglichkeiten der Studiotechnik genutzt, die sich seit Mitte der 60er-Jahre rasant entwickelte. Die Begegnung mit dem Toningenieur Eddie Kramer gehörte zu den glücklichsten seines Lebens. Kramer hat Hendrix einfach ermöglicht, Vorstellungen, die er theoretisch hatte, praktisch umzusetzen: blubbernde Unterwasser-Sounds, Phasing-Effekte oder die ersten WahWah-Versuche, noch ohne Fußpedal, mit Handarbeit am Klangfilter. Er hatte in dieser frühen Phase mit den richtigen Leuten zu tun. Und mit einem erfolgreichen ersten Album plus ein paar Singles hatte Hendrix‘ Stimme jetzt ganz sicher mehr Gewicht. Er, seine Ideen, seine Musik waren das Erfolgsrezept. Und weitere Erfolge wollten alles Beteiligten.

Auf der US-Veröffentlichung war das Tracklisting des Debüt-Albums etwas anders, weil man auch die erfolgreichen UK-Singles ,Hey Joe‘, ,Purple Haze‘ und noch ,The Wind Cries Mary‘ unterbringen wollte. Es fehlten demnach ,Can You See Me‘, ,Remember‘ und ,Red House‘ auf der amerikanischen Veröffentlichung von ,Are You Experienced‘. Diese Unterschiede wurden dann 1968 bei der Compilation ,Smash Hits‘, die wieder in zwei Versionen erschien, kompensiert.

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Keine falsche Entscheidung, vielleicht sogar ein wirklich gutes Konzept – wobei interessant ist, dass man in den USA ausgerechnet auf den Blues ,Red House‘ verzichtete. Keine Frage: Hendrix hätte in seiner Heimat mit dieser Musik nicht starten können. Und Popmusik war im Amerika der 1960er-Jahre schon noch sehr von der früheren Rassentrennung beeinflusst – sie ist es bis heute. In England hatte sich eine Musikszene entwickelt, eine Musiker-Szene muss man fast sagen, die sehr Blues-affin war, die sich intensiv mit der afroamerikanischen Musik beschäftigt hatte.

Die europäische Ausgabe des Hendrix-Debüts ,Are You Experienced‘ und eine später erschienene Doppel-LP mit allen Titeln der US- und der UK-Version.

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Und Hendrix brachte noch viel mehr mit: Soul, Jazz, Funk, Psychedelic Pop und eine Blues-Auffassung, die diese neueren Strömungen reflektierte. Außerdem war er kein Theoretiker, denn er wurde damals aus seinem Job als Backing-Musiker diverser Bands heraus verpflichtet. Er hatte gelebt und gelernt, was er jetzt in den Clubs von London den richtigen und wichtigen Leuten vorstellte. Das war im Grunde genommen „Social Media Promotion“ in Handarbeit. Und da gab es Leute, die wussten, wie man Musik vermarktet, auch wie man eigenwillige Künstler vermarktet. Hendrix-Entdecker und -Importeur Chas Chandler kannte das Business von der Musiker- wie von der Management-Seite. Neue Kunst an den Konsumenten zu bringen, auch das ist hohe Kunst, und ich würde mal behaupten, in diesem Business-Bereich gab es schon immer weit weniger kompetente Leute, als es gute Künstler gab.

Hendrix, der Mensch und seine vielschichtige, emotionale Musik, waren da natürlich eine Herausforderung. Blues, Rock, Soul, Funk, und wenn man ein Stück hört wie ,Third Stone From The Sun‘, hört man ein Jazz-Trio. Ja, die Experience war irgendwie ein Jazz-Trio! Ich hab’s mir immer so vorgestellt: Der eigentliche Mittelpunkt der Band war Noel Redding: Seine Basslinien bildeten die stabile Achse. Mitch Mitchell hat einfach ein unheimlich dichtes, swingendes Schlagzeug um diese Achse herum gespielt, und Hendrix hat mindestens zwei Gitarren auf einmal darübergelegt und auch noch dazu gesungen. Er hat die Räumlichkeit, die Plastizität und die Energie dieses Band-Sounds geprägt. Dazu kam die Interaktion, das spontane Reagieren der Musiker aufeinander, das ganz sicher nicht nur live ein Faktor war. So sind auch in Studio-Jams aus Skizzen und Ideen Songs entstanden. Kompositionen im ursprünglichen Sinn des Wortes.

Ein weiterer Aspekt, der diese Formation von anderen unterschieden hat, war ihr gewaltiger Sound, der ein physisches Erleben von Musik möglich gemacht hat. Durch die Lautstärke, den Schalldruck, das breite Frequenzspektrum zwischen wummerndem Bass und schrillen Feedbacks war der Hörer zumindest live auch körperlich gefordert.

Vor einer BBC-Session hatte sich Hendrix im Studio etwas eingespielt, und die Techniker im Regieraum konnten angeblich die Welt nicht mehr verstehen: Sie dachten, der ganze Signalweg des Pultes oder das Mikro wäre defekt, weil sie immer nur Verzerrung hörten. Verzerrte Gitarrenklänge? Es war für einige der Herren damals undenkbar, dass so etwas gewollt sein konnte. Selbst nicht von diesem schrillen jungen Mann vor ihrer Scheibe.

Hendrix‘ Kreativität, Individualität, seine virtuose Spielweise und seine ganze Erscheinung haben damals die britische Gitarren-Elite um Jimmy Page, Jeff Beck, Pete Townshend und George Harrison sprachlos gemacht. Wobei sich Jimi ganz sicher umgehört hatte, was die Kollegen so anstellten: Er kannte Claptons Band Cream, die Beatles, The Who, die Yardbirds und natürlich The Animals, die Hit-Band seines Entdeckers Chas Chandler. Manchmal hat man das Gefühl, er habe all diese Musik einmal ganz tief inhaliert, analysiert, ausgearbeitet und sie dann selbst auf der Gitarre umgesetzt. Und das klang bei ihm aber eben anders, denn aufgrund seiner Erfahrungen als Tour-Musiker war Hendrix‘ Gitarren-Rock mit all seinen Effekten, Verzerrungen und Feedbacks immer mit afroamerikanischer Musik aufgeladen.

Heute weiß ich: ,Are You Experienced‘ war Part One of this revolution – zwei weitere Teile sollten folgen.

Statement: Steve Lukather über Jimi Hendrix

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Steve Lukather at home! © Lothar Trampert

Toto-Gitarrist Steve Lukather gehört, wie auch sein Freund und Studiokumpel Michael Landau, seit ewigen Zeiten zu den größten Hendrix-Fans: „Meine erste Begegnung mit der Musik von Hendrix passierte so: Ein Typ, der in unserer Straße wohnte brachte mich drauf. Ich war damals zehn Jahre alt, und als er mir ,Purple Haze‘ vorspielte, dachte ich: Was ist das? Wer ist das?! Und: Wie lerne ich so Gitarre zu spielen? Das Intro von ,Purple Haze‘ war so unglaublich! Man muss sich immer vor Augen halten, dass Hendrix das Mitte der 60er-Jahre aufgenommen hat! Er war seiner Zeit so weit voraus …“

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Das Meisterwerk Axis: Bold As Love (1967)

„Angenommen, es gäbe so etwas wie eine Zeitmaschine, und du säßest in einem Raum mit Hendrix und hättest die Gelegenheit, dich mit ihm zu unterhalten. Wonach würdest du ihn fragen?“, fragte mich mein Kollege Michael Frank in seiner großartigen Radiosendung „Castles Made Of Sand – Eine Lange Nacht zum 75. Geburtstag von Jimi Hendrix„, die am 25. und 26. November 2017 im Deutschlandfunk ausgestrahlt wurde.

Spontan wollte ich antworten, „Are there, or are there not flying saucers or UFOs?“ Diese Frage wurde Mr. Paul Caruso in ,EXP‘, dem ersten Track des Hendrix-Albums ,Axis: Bold As Love‘ gestellt. Der erwiderte: „As you all know, you just can’t believe everything you see and hear, can you? Now, if you’ll excuse me, I must be on my way.“ Und dachte: Was hat sich dieses Album eingebrannt!

Jimi Hendrix und ,Axis: Bold As Love‘ haben mich auf ganz unterschiedliche Wege gebracht. Denn nach diesen knapp 40 Minuten Musik hatte ich gelernt, dass die Grenzen zwischen Rock, Jazz, Blues, Soul, Song, Sound und Experiment fließend sind, dass Musik auch Hörspiel sein kann, ergänzt von eigenen Bildern des Hörerhirns – die human-analoge Vorstufe des MTV-Clips. Heute weiß ich, dass damals auch das psychedelische Cover-Artwork von ,Axis: Bold As Love‘ geholfen hat, die Gedanken fliegen zu lassen. Die etwas langweiligere Verpackung des nur sechs Monate vorher erschienen Hendrix-Debüts ,Are You Experienced‘ hatte das schon ähnlich trippige Potenzial noch gut getarnt – vermutlich um den Musikmarkt nicht auch noch visuell in Schockstarre zu versetzen. Und Hendrix‘ Auftauchen in der Londoner Musikszene im Herbst 1966 war ein großer Knall, für manche ein Schock. Da stand plötzlich dieser 23-jährige, dunkelhäutige Typ auf der Bühne, und spielte weder Blues, noch Soul, noch Jazz, sondern rockte, wie man es von Eric Clapton, Jimmy Page, Jeff Beck, den Beatles und Stones bis dahin noch nicht gehört hatte. Hendrix rockte den Blues, den Jazz, den Soul, später noch ein paar Klassiker, Nationalhymnen und die Freiheit der Kunst.

Die Aufnahmen für das zweite Album fanden im Mai, Juni und Oktober 1967 statt, im Dezember 1967 erschien dann Jimi Hendrix Experience: ,Axis: Bold As Love‘. Nach dem bereits erwähnten Minihörspiel ,EXP‘, in dem übrigens Drummer Mitch Mitchell den Radiomoderator spricht, hebt Jimi mit seinem Raumschiff Fender Stratocaster ab, um in ein Universum von Feedbacks, Hallräumen, extremem Vibratohebel-Einsatz und unglaublichen Geräuschen zu entschwinden. Zurück am Boden, geht’s weiter mit dem jazzig swingende ,Up From The Skies‘: Hendrix kombinierte hier den Einsatz des WahWah-Pedal mit einem klaren, unverzerrten Gitarrenton – das kommt sehr cool jazzig und zugleich funky rüber.

Und dann kommen die Rocker: ,Spanish Castle Magic‘ erinnert vom Drive fast an ,Purple Haze‘, ,Little Miss Lover‘ hätte auch zu Led Zeppelin gepasst, und ,She’s So Fine‘ zu The Who. Wie bereits erwähnt: James Marshall Hendrix hatte sein neues Wirkungsfeld genauestens studiert. Er wusste, wo er was ernten konnte.

Sehr viel origineller und einfach mehr Experience war ,If 6 Was 9‘, ein Track, der sich über einen bluesigen wie hypnotischen Riff-Part zu einem Jimi-Jam entwickelt, in dem Hendrix mit Hilfe der damals noch rudimentären Mehrspurtechnik verschiedene Gitarrenspuren ineinander fließen und miteinander spielen lässt, und das mit deftigem Einsatz von WahWah, Verzerrung und Echo-Effekten.

The Jimi Hendrix Book (6)

Rarität: Auch von diesem Hendrix-Album gab es mal eine Deluxe-Vinyl-Ausgabe mit eingelegtem Foto-Booklet.

Das Kontrastprogramm hierzu bildeten die heute klassischen, zeitlosen Rock-Balladen ,Castles Made Of Sand‘ und ,Little Wing‘. Letzteres wurde bekanntlich extrem oft gecovert, und ab dem 05. Oktober 1987, dem Tag der Veröffentlichung des Sting-Albums ,… Nothing Like the Sun‘, war mein am häufigsten gesprochener Satz gerichtet an verklärte Fans des Ex-Polizisten: „Nein, ,Little Wing‘ ist nicht von Sting!“

Wie bereits erwähnt, klang das kaum ältere Debüt ,Are You Experienced‘ noch etwas rustikaler, erdiger – bei ,Axis: Bold As Love‘ kam nun immer stärker die Studiotechnik ins Spiel, bzw. der kreative Umgang mit den damals noch überschaubaren Möglichkeiten der Aufnahmemöglichkeiten. Wichtigster Mann neben Hendrix war Techniker Eddie Kramer, der Jimis Sound-Ideen, die er angeblich häufig mit Hilfe von Farben umschrieb, technisch umsetzte.

,Axis: Bold As Love‘ erschien in Großbritannien am 1. Dezember 1967, in den USA erst im Januar 1968, weil man dort noch mit dem Verkauf des Debüts beschäftigt war. Angeblich hatte man in UK beinahe das lukrative Weihnachtsgeschäft verpasst. Laut der Liner-Notes der 1997er-Reissue von ,Axis: Bold As Love‘, hatte Hendrix die fertigen Master-Bänder für LP-Seite 1 verlegt, und man war daher gezwungen diese Songs innerhalb einer Nacht komplett neu abzumischen. Für ,If 6 was 9‘ musste aus Zeitgründen angeblich ein älterer Rough Mix herhalten. Ob das nun eine nette Geschichte oder eine wahre Begebenheit ist, lassen wir mal offen. Das Resultat klingt jedenfalls hervorragend – vom ersten bis zum letzten Ton. Und das bis heute. Jimi Hendrix, Noel Redding, Mitch Mitchell und Eddie Kramer waren hier einige Riesenschritte weiter gegangen. Sie waren mit diesem Album Pop-Avantgarde, das sowohl in künstlerischer, als auch in aufnahmetechnischer Hinsicht.

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Neue Wege: Electric Ladyland (1968)

Es kracht und du hast Angst um deine Boxen. Jetzt blubbert dir eine verfremdete Alien-Stimme entgegen, spitze, scharfe Geräuschfetzen fliegen dir rechts und links um die Ohren … und dann: „Have you ever been, to Electric Ladyland?“ fragt Jimi Hendrix. „Nein“, antworte ich. „Aber jetzt bin ich angekommen …“ Ich höre diese coole Begleitgitarre mit wunderbaren Curtis-Mayfield-Licks, dahinter ein paar singende Melodielinien, die sich langsam nach vorne schwingen. Diese Nummer ist auch ein halbes Jahrhundert später noch ein genialer, zeitloser Neo-Soul-Track, den man auch von Prince oder José James für eine Sensation gehalten hätte.

Und dann: ,Crosstown Traffic‘, die beste Rock/Rap/Funk-Crossover-Nummer der 60er-Jahre. Das konnte Hendrix mindestens so gut wie ein verzerrtes WahWah-Solo mit Feedback- und Whammy-Traktierung, Stilmittel über die er oft ausschließlich definiert wird. Nach dem Applaus kommt der Blues – aber der Hendrix-Blues: avantgardistisch, virtuos, jazzig, formal absolut ungewöhnlich, extrem im Ausdruck … was für eine Musik! Heute wissen wir: ,Voodoo Chile‘ hat die Rock-Welt verändert – und die Jazz-Welt über den Hendrix-Fan Miles Davis absolut revolutioniert.

Wir sprechen über The Jimi Hendrix Experience, eine Band, die mit einer Cover-Nummer einen Single-Hit hatte, danach mit ,Are You Experienced‘ (1967) einen modernen, psychedelischen Blues-Rocker geschaffen hatte, um mit dem Nachfolger ,Axis: Bold As Love‘ noch im selben Jahr die durch den Debüt-Erfolg gewonnene künstlerische Bewegungsfreiheit für wunderbare Klangexperimente und Spielereien zu nutzen, die weit über ,Hey Joe‘ hinausgingen – und um dann mit ,Electric Ladyland‘ (1968) komplett zu explodieren: Ja, diese Musik und dieses Album, mit dem noch heute jeder Künstler zum Genie erhoben werden würde, egal ob Jazzer, Rocker, Progger oder Alternativer, ist mittlerweile über 50 Jahre alt. Die, je nach Quelle, am 16. oder am 25. Oktober 1968 veröffentlichten Aufnahmen entstanden allerdings schon früher in mehreren Produktionsphasen im Juli und Dezember 1967, weiter ging’s im Januar ’68 und von April bis August 1968 wurde das Werk dann fertiggestellt.

Aufgenommen wurde ,Electric Ladyland‘ in den Olympic Studios und den Mayfair Studios in London, außerdem im New Yorker Record Plant. Und verantwortlich für diese Produktion war erstmals der Künstler selbst: Jimi Hendrix hatte anscheinend in den wenigen Monaten seiner erfolgreichen Karriere extrem viel gelernt. Er konnte umsetzen was ihm im Kopf umherschwirrte, ganz sicher aber auch, weil er sich auf die Hilfe der Ton-Ingenieure Garry Kellgren und Eddie Kramer verlassen konnte.

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Ob die Auswahl der Singles – ,Burning Of The Midnight Lamp‘, das Dylan-Cover ,All Along The Watchtower‘, das bereits erwähnte ,Crosstown Traffic‘ und zuletzt ,Voodoo Child (Slight Return)‘ Hendrix‘ erste Wahl war, könnte man bezweifeln; dass er sich die Cover-Gestaltung komplett anders vorgestellt hatte, ist belegt und wird u.a. im Booklet der empfehlenswerten ,40th Anniversary Collector’s Edition‘ dieses Albums dokumentiert, das ursprünglich, also 1968, als Vinyl-Doppel-LP im Klapp-Cover erschien. Hendrix wollte auf dem Cover weder den nackten Damen-Fan-Club der britischen Veröffentlichung, noch die pseudopsychedelische Porträt-Alternative aus dem brüstefeindlichen Amerika; er hatte sich eine hippieeske Idylle mit Musiker-Kollegen und spielenden Kindern gewünscht … In den USA landete ,Electric Ladyland‘ auf Platz 1 der US-Billboard-Charts, in England immerhin auf Position 6 der Verkaufslisten.

Wo „Experience“ draufstand, war mit diesem Album nicht mehr nur Experience drin: Denn die Credits verraten neben Jimi Hendrix („lead vocals, guitar, piano, percussion, comb and tissue paper kazoo, electric harpsichord, bass on ,Have You Ever Been …‘, ,Long Hot Summer Night‘, ,Gypsy Eyes‘, ,1983‘, ,House Burning Down‘, and ,All Along The Watchtower‘“) und seinen beiden Mitmusikern Noel Redding („backing vocals, bass, acoustic guitar and lead vocals on ,Little Miss Strange‘“) und Mitch Mitchell („backing vocals, drums, percussion, lead vocals on ,Little Miss Strange‘“) noch Kollegennamen wie Jack Casady (er spielt den Bass auf ,Voodoo Chile‘), Brian Jones, Al Kooper, Dave Mason, The Sweet Inspirations, Steve Winwood, Buddy Miles u.v.a. Das klingt nach erster Liga, und vor allem hatte der im britischen Exil zum Star gewordene Amerikaner Hendrix hier auch mal wieder ein paar Kollegen aus der alten Heimat im Studio.

Und was für eine Musik ist da entstanden! Der frisierte Rock & Roller ,Come On‘, das hyperexotische ,Gypsy Eyes‘, das klassisch inspirierte ,Burning Of The Midnight Lamp‘, und dann ,Hot Summer Night‘, eine extrem funky rockende Pop-Nummer, Hippie-kompatibel und für Gitarristen ein einziger Vergnügungspark dank der erstmals wirklich exzessiv genutzten Mehrspur-Aufnahmetechnik plus regelmäßig auftauchender Stereo-Spielereien. Die Kinder hatten Spaß!

Noch einen Schritt weiter ging das jazzige Hörspiel ,Rainy Day, Dream Away‘, das im Grunde genommen manchen HipHop-Track der 80er-Jahre skizziert hat, nur in Hand- und Saitenarbeit. Gegen Ende wird das Album immer abgedrehter, trippiger, fantasievoller – solche Sounds hatte man zumindest in der Popmusik noch nie gehört. Und so virtuose, bluesige und trotzdem extrem moderne, soulful & funky gespielte Gitarren, die kannte zumindest der weiße Mitteleuropäer überhaupt nicht.

Beendet wird der Trip durchs Electric Ladyland dann mit dem Bob-Dylan-Song ,All Along The Watchtower‘, einem Meisterwerk im Single-Format – da stimmte einfach alles. Aber Hendrix wäre nicht Hendrix, wenn er nach der Pop-Single nicht noch mal als Soundscaper & Improvisator auf die Bühne käme, als der Mann den wir, solange es noch laute Musik gibt, immer mit einer Wand aus Marshall-Stacks, einer Stratocaster und zwei, drei Effekt-Sounds in Verbindung bringen – plus noch viel, viel mehr, wie dieses geniale Album belegt: ,Voodoo Chile (Slight Return)‘ ist nämlich nicht von Stevie Ray Vaughan (und auch nicht von Sting). Nein, auch dieser Song stammt vom genialen Sänger, Gitarristen, Songwriter, Produzenten, Performer Jimi Hendrix. Und nach nur zwei Jahren im Pop-Geschäft ein solches drittes Album abzuliefern, das kann man nur auf Genialität zurückführen.

In einem Interview mit Gero Probst für das Fachmagazin Gitarre & Bass (Ausgabe 10/2005) erzählt Toningenieur Eddie Kramer (*1942) über die Aufnahmen der ,Electric Ladyland‘-Songs ,Crosstown Traffic‘ und ,Voodoo Chile‘: „Die Basis des Songs, d.h. die grundlegenden vier Spuren wurden bereits in London im Jahr 1967 aufgenommen, kurz bevor Jimi in die USA ging. Dann haben wir das Vierspur-Tape auf ein 12-Spur-Tape überspielt und die restlichen Spuren genutzt, um weitere Instrumente und Vocals aufzunehmen. Am Ende hatten wir dann ein 16-Spur Master.“

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„Fast immer gibt es bei Jimis Aufnahmen versteckte Dinge, die man zunächst nicht hört“, berichtete Eddie Kramer weiter. „Im Fall von ,Crosstown Traffic‘ ging es z.B. mit einigen Jazz-Akkorden los, die ich auf einem Piano vor mich hin klimperte und die Jimi sehr gefielen. Dann kam er auf die Idee ein Kazoo für die prägnante Intro-Melodie zu verwenden. Am Ende sang er sogar durch eine Art Butterbrotpapier, was einen noch krasseren Sound erzielte! Schlussendlich hatten wir so viele Ideen und so wenig Spuren, dass wir sogar den Bass und die Lead-Gitarre auf eine Spur zusammenlegen mussten! Das war dann einer der Songs auf diesem Album, die sich nicht ohne Weiteres live umsetzen ließen.“

Man hat sich oft die Frage gestellt, warum die geniale, kurze ,Voodoo Chile‘-Version auf ,Electric Ladyland‘ so abrupt endete. „Wahrscheinlich weil sie danach nicht mehr gut genug war, oder aber weil uns das Tape-Material ausging“, meinte Kramer lachend. Zu ,Voodoo Chile (Slight Return)‘ erzählt Kramer weiter: „Die Situation war so, dass Jimi in einem nahegelegenen Club namens The Scene jammte und nach guten Musikern Ausschau hielt. Die Idee war, einige beeindruckende, ihm ebenbürtige Musiker zu finden und ins Record-Plant-Studio zu bringen, um an den Aufnahmen mitzuwirken. Wir hatten uns darum gekümmert, dass zu diesen Zeitpunkten immer alles vorbereitet war, sodass Jimi nur seine Gitarre einstöpseln musste. Das bedeutete, alle Amps waren warm und ready, alles war perfekt mikrofoniert, etc. Es wurde ein, zwei Mal geprobt und dann ließ ich das Band rollen. Nach zwei, drei Takes hatten wir alles im Kasten. Warum? Na, weil Jimi vorher alles pedantisch geplant und komponiert hatte! Und was er jetzt nur noch von seinen Mitstreitern brauchte, war der perfekte Vibe, also die Inspiration und die Dynamik. Es passierte spontan und doch stand alles unter absoluter Kontrolle von Jimi – das ist in diesem Falle überhaupt kein Widerspruch. Auch die Vocals hat Jimi live eingesungen – hier gab es keinerlei Overdubs!“

,Electric Ladyland‘ ist eines der seltenen Beispiele eines klar konzipierten Albums, das vor Freiheiten und Farben nur so strotzt. Konzept und Kreativität, Planung und Improvisation, schließen sich nicht aus. Insbesondere, wenn geniale Ideen den Künstler an die Grenzen des technisch Machbaren bringen, und trotzdem niemand aufgibt. Keine Frage, dass der Co-Produzent und kreative Möglichmacher dieses Meisterwerks, Eddie Kramer (*1941), mit Hendrix auf dem Sockel stehen darf. Kramer war übrigens auch später noch an jeder Menge Großtaten von Acts wie Kiss, Mott The Hoople, den Rolling Stones, Curtis Mayfield, Led Zeppelin, Derek & The Dominoes, Cactus, Joe Cocker und Santana beteiligt. Er erhielt mehrere Grammy-Awards, u.a. für die Mitarbeit am Soundtrack der Dokumentation „Martin Scorcese Presents The Blues: Jimi Hendrix“. Beteiligt war er auch am Album ,Stone Free:” A Tribute To Jimi Hendrix‘, mit Tracks von Jeff Beck, Eric Clapton, The Cure, Buddy Guy, Spin Doctors u.a. Ein weiteres Projekt, an dem Eddie Kramer seit einiger Zeit arbeitet, ist ,Acoustic Experience’, mit Hendrix-Songs interpretiert von Künstlerinnen und Künstlern wie Jason Mraz, Crosby & Nash, Mike McCready, Brandi Carlile, Grace Potter, Raphael Saadiq, Heart, Shinedown u.a.. Thank you, Eddie Kramer. ■

Statement: Richie Sambora über Electric Ladyland

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„Als ich zum ersten Mal ,All Along The Watchtower‘ hörte, dachte ich: „Welcher Außerirdische hat denn dieses Solo gespielt?“ Der Sound war unerhört. Und viele Leute wissen auch nicht, dass Jimi ein ausgezeichneter Sänger war. Er hielt sich selbst zwar für schlecht, aber wenn man genau hinhört, war er schlichtweg großartig … Ausprobiert hätte Jimi bestimmt noch vieles. Aber er wäre garantiert ein Purist geblieben. Wenn du ,Crosstown Traffic‘ hörst, oder ,Fire‘, denkst du zwar: Was für eine aufregende Musik! Aber du hörst auch, dass er einfach nur direkt durch den Verstärker geht. Es sind seine Finger. Mit Jeff Beck ist es dasselbe: Du kannst zwar seine Anlage und seine Gitarre benutzen, aber du wirst nie klingen wie er. Es sind die Finger.“ ■

Statement: Innes Sibun über Electric Ladyland

The Jimi Hendrix Book (6)

Der britische Gitarrist Innes Sibun beim Mostar Blues & Rock Festival 2022 (© www.innessibun.org.uk)

Innes Sibun  (* 1968), der großartige Blues-Rock-Gitarrist aus Bath, ist Fan von B.B. King, Rory Gallagher und Jimi Hendrix: „Mein Lieblingsalbum von Hendrix ist ,Electric Ladyland’, alleine schon wegen der Vielfalt der Songs, des Gitarrenspiels und der musikalischen Ideen. Es ist so ähnlich, wie wenn man heute ,Sgt. Pepper‘ von den Beatles hört: Auch ,Electric Ladyland‘ klingt immer noch futuristisch, obwohl diese Musik vor so langer Zeit produziert wurde. Es klingt immer noch alles frisch und überraschend. Einen Lieblings-Song zu nennen ist schwierig, aber ich würde sagen, ,Castles Made Of Sand‘ ist musikalisch und lyrisch einzigartig. Ein Meisterwerk des Songwritings, das sonst niemand so hinbekommen hätte.

Als offensichtlichen Nachfolger müsste man Stevie Ray Vaughan nennen, nicht nur, weil er einige von Jimis Songs gespielt hat, sondern auch wegen seiner Leidenschaft. Ein anderer Gitarrist, von dem ich denke, dass er sein Erbe weiterführt, wäre John Frusciante – eben weil er seinem ganz eigenen Weg folgt und auch ein leidenschaftlicher Spieler ist. Gary Clark Jr ist ebenfalls stark von Jimi beeinflusst, nicht nur direkt musikalisch, sondern von seiner ganzen Ausstrahlung her. Und ich liebe Jonny Greenwood von Radiohead, der meiner Meinung nach ebenfalls Jimis Erfindungsreichtum und Fantasie in sein Spiel einbezogen hat. Auch Dan Auerbach von den Black Keys erinnert mich sehr an Jimi Hendrix, wenn er Blues spielte.“

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Nächsten Sonntag, 17 Uhr …

geht es weiter mit JIMI ON SUNDAY 07 und vielen Infos über die Gitarren des Jimi Hendrix. Danke fürs Lesen und bis demnächst!

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Forum
  1. Profilbild
    chardt

    Danke! Danke! Danke!

    Zwei kleine Anmerkungen: Das Geburtsjahr von Eddie Kramer wird einmal mit 1942 und einmal mit 1941 angegeben. Und „Großtaten von Acts wie Kiss“? Wo? ;)

    • Profilbild
      LOTHAR TRAMPERT AHU

      @chardt Hallo chardt,

      danke für deine Danke! und deinen Hinweis: Eddie Kramers Geburtsjahr wird im deutschen wikipedia mit 1941, im englischen mit 1942 angegeben – auf Kramers Website wurde er gar nicht geboren. Da bin ich wohl in mindestens eine Falle gelaufen. 1942 müsste stimmen.

      Und Kiss waren schon immer, sind und bleiben Geschmackisssache, richtig? ;-)

      Grüße, Lothar

  2. Profilbild
    mcclaneonfire

    Danke für all die tollen Artikel zu Hendrix!!!
    Unter anderem finde ich das live Album bei der BBC genial. Müsste BBC Sessions heißen und wurde wohl 1998 erst rausgebracht. Hab ich früher rauf und runter gehört. Da gibt es teils verschiedene Versionen von einem Lied und die sind der Knaller. Manche von denen finde ich live sogar besser, als auf dem Studio-Album 🔥🎸
    In modern fällt mir dazu Gary Clarke Jr. ein. Deeer hat auch ein live Album, was in genau die Kerbe schlägt: Live von 2014 (heißt einfach nur Live). Was ein Druck und Feuer.
    Kann hier auch bei NPR Music die Session als Video empfehlen von ihm!

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