Die Kleinsten der großen Floorboards im Vergleich
Multieffektgeräte und Amp-Modeler gibt es in allen Preisklassen. Ein Vergleichstest der beiden kleinen Multi-Effekt-Spezialisten Boss GX-10 und Headrush Flex Prime bietet sich an, denn beide sind in Größe und Leistung ähnlich gestrickt. Beide Multieffektboards und Amp-Modeler für die mittlere Preisklasse hier im Vergleich:
Inhaltsverzeichnis
Alle großen Hersteller bieten große Flaggschiffe ihrer Multi-Effekt-Boards an. Allerdings gibt es in letzter Zeit Tendenzen, den vollen Funktionsumfang auch auf kleinerem Raum anzubieten. Kemper hat den Player in den Ring geworfen, Neural DSP das Nano Cortex. Das von Hause aus schon recht kleine ToneX von Amplitube hat das ToneX One zur Seite bekommen und Line6 bietet gleich mehrere Zwerge an.
Da Boss GX-10 und Headrush Flex Prime, als Abkömmlinge der großen Boards GX-100 bzw. Prime, durchaus in vielerlei Hinsicht vergleichbar sind, schauen wir uns die beiden nun mal im klassischen Mehrkampf an. Wer kann was besser, wo liegen Unterschiede und Gemeinsamkeiten und, zu guter Letzt und wie immer höchst subjektiv, welches der beiden Boards klingt besser? Here we go.
Boss GX-10 und Headrush Flex Prime im Vergleich
Äußerlichkeiten und erste Gemeinsamkeiten
Beginnen wir mit den Äußerlichkeiten. Die sind zwar – und hier sind sich Mensch und Maschine recht ähnlich – völlig frei jedweder Aussage über die wahren, inneren Qualitäten, aber schließlich war der erste Eindruck, den ich von beiden Pedalen hatte, optischer Natur und auch die Idee, beide Geräte vergleichen zu können, entsprang dem äußerlichen Eindruck.
Zu den offensichtlichen Gemeinsamkeiten gehören, neben den fast identischen Abmessungen, das Vorhandensein eines farbigen Touch-Displays, ein Onboard-Expression-Pedal, sowie drei Fußtaster zur Bedienung während der Performance. Während das GX-10 Direktzugriff auf jeweils vier Parameter mittels der unterhalb des Displays angeordneten Endlos-Drehregler gestattet, verzichtet das Headrush Flex Prime auf jegliche weitere Bedienelemente auf der Oberfläche und verweist somit immer direkt ins Menü, das über das Display aufgerufen wird.
Gleiches gilt für das Aufrufen der Effektkette. Beim Boss GX-10 ist standardmäßig eine Art Live-Mode aktiv, der in großen, gut lesbaren Lettern Bank und Programmnummer anzeigt. Möchte ich die Effektkette sehen, erfolgt dies über den Button „Effects“ rechts neben dem Display. Das Headrush Flex Prime zeigt die Effektkette direkt an. Das heißt aber zunächst nichts, denn beide Geräte bieten mehrere Optionen an, das Display im Livebetrieb zu nutzen. Dazu später mehr, das geht sonst alles zu schnell hier. Beide Geräte verfügen über einen generellen Output-Volume-Regler und einen mit einer Push-Funktion ausgestatteten Multifunktionsregler.
Die Konnektivität von Boss GX-10 und Headrush Flex Prime
Auf der Frontseite von Boss GX-10 und Headrush Flex Prime finden sich zahlreiche Paralellen. Beide Geräte beschränken sich auf die Nutzung von Klinkenbuchsen, XLR- oder Kombibuchsen sucht man vergeblich. Beiden Geräten gemein sind jeweils ein Input, zwei Outputs, ein Effektweg und ein Anschluss für ein externes Expression-Pedal. Während Headrush hier ausschließlich den Anschluss eines Pedals mittels 6,35 mm TRS-Klinke ermöglicht, kann das GX-10 sowohl ein Pedal, als auch alternativ einen oder zwei externe Fußschalter vertragen.
Kopfhörer sind selbstverständlich gern gesehene Gäste an den Buchsen der Geräte, hier möchte Boss gern eine 6,35 mm Klinke sehen, Headrush begnügt sich mit der kleinen 3,5 mm Ausführung. Beim Thema MIDI geht man getrennte Wege. Während Headrush hier Miniklinken anbietet, möchte Boss sein System mit MIDI-Daten via USB-C gefüttert wissen. Der USB-C-Anschluss des Boss GX-10 dient zugleich als Kommunikationsschnittstelle zum heimischen PC oder Laptop. Das Headrush Flex Prime Board nutzt hierzu die USB-B-Variante.
Das Einspielen externer Soundquellen, die man zum Üben, Jammen und für die Pausenmusik nutzen könnte, erfolgt bei Headrush per 3,5-mm-Klinke über den AUX-Eingang oder per Bluetooth. Möchte man das Boss GX-10 mit der eigenen Backing-Track-Liste beglücken, erfolgt dies ausschließlich über Bluetooth, wobei hier ein optionaler Adapter erworben werden muss, der mit zusätzlichen 49 € zu Buche schlägt. Letzteres ist wirklich schade und nicht mehr Up to date. Trotzdem wäre man, vergleicht man die Preise akribisch, mit dem Boss GX-10 plus Bluetooth-Adapter, noch immer rund 100 € günstiger unterwegs.
Um sich mit der Headrush Cloud zu verbinden, kann das Flex Prime per Wi-Fi direkt mit dem Internet verbunden werden, bei Boss und der Roland Cloud geht das nur einen Rechner. Hier also leichte Vorteile für Headrush.
Boss GX-10 und Headrush Flex Prime – Die Bedienung im Vergleich
Die grundlegende Bedienung beider Geräte ist sich gar nicht so unähnlich, kann aber natürlich aufgrund unterschiedlicher Menüstrukturen nicht direkt verglichen werden. Nur eins sei gesagt: Wer sich mit den Geräten beschäftigt, wird innerhalb kürzester Zeit mit beiden schnell zu guten Ergebnissen kommen. Mir gefällt der Workflow des Boss GX-10 etwas besser, aber ich bin da auch vorbelastet, weil ich schon mit dem GT-100 gearbeitet habe, als Headrush noch Wäschetrockner (?) hergestellt hat. Hier ist einfach die Erfahrung entscheidend.
Viel interessanter ist der Vergleich der unterschiedlichen Modi für den Praxisbetrieb. Hier gibt es unterschiedliche Herangehensweisen. Wer ein Headrush Board zur Verfügung hat, wird sich im Livebetrieb über die Möglichkeit der Setlists freuen. Hier können Rigs in beliebiger Reihenfolge unter einem Set gespeichert werden. Das ist ein wirklich sinnvolles, praxisnahes Tool für Gigs, primär im Top-40-Bereich.
Das Boss GX-10 bietet eine solche Möglichkeit nicht. Hier gibt es drei Betriebsmodi. Im Up/Down-Modus schalten zwei Fußtaster durch die Presets, der dritte Taster kann frei belegt werden und zum Beispiel einen Boost oder ein Delay schalten. Nutzt man den Bank/Number-Modus wählen die drei Taster direkt einen der drei Sounds einer Bank, die Bänke selbst werden durch gleichzeitiges Drücken von je zwei Tastern gewechselt. Der Manual-Mode schließlich entspricht dem „Stomp Mode“ des Headrush.
Dieser Stomp-Mode ist interessant für die etwas klassischer gestrickten Gitarristen, hier werden innerhalb eines Rigs ausgewählte, einzelne Komponenten geschaltet, so, als hätte man ein Pedalboard vor sich. Möchte man das Preset wechseln, darf man beim Headrush Flex Prime beherzt auf zwei Taster gleichzeitig treten, beim GX-10 verlässt man den Manual Mode kurz über Taster 2 und 3, sucht den Sound und wiederholt dann den Vorgang mit Taster 2 und 3. Das ist beim Headrush Board etwas eleganter gelöst, beim Boss GX-10 ist da eben ein minimaler Umweg nötig.
Der Rig Mode des Flex Prime entspricht dem Bank/Number-Modus des GX-10, genauso wie der Hybrid Mode dem Up7Down Mode entspricht. Hier hat also im Vergleich von Boss GX-10 und Headrush Flex Prime letzteres die Nase durch den Setlist-Mode und die etwas geschicktere Preset-Wahl im Stomp Mode die Nase ein Stückchen näher an der Ziellinie.
Boss GX-10 und Headrush Flex Prime – Die Signal Chain
Ein entscheidendes Werkzeug ist die Signal Chain. Also die Kette an Effekten, Amps und Cabinets, die das Signal durchläuft. Normalerweise würde ich euch hier keine technischen Details und Werte um die Ohren hauen, weil es in der Praxis aller Regel überhaupt keinen Unterschied macht, mit welcher Samplerate ein Gerät ausgestattet ist und sogar die Qualität der AD und DA-Wandler ist nur interessant für Leute, die Flöhe husten und Gras wachsen hören.
Aber da das Boss GX-10 nun einen Schritt nach vorn geht und mit 32-Bit-Fließkomma im Bereich der Signalverarbeitung und der DA-Wandlung arbeitet, ist schon erfreulich. Was 32-Bit Float für die Signalverarbeitung bedeutet, könnt ihr hier nachlesen. Für uns jetzt bedeutet das, dass es innerhalb der Signalkette im Gerät nicht wirklich zu digitalen Übersteuerungen kommen kann, weil der Dynamikumfang beim 32-Bit-Verfahren deutlich größer ist.
Wünschenswert wäre das allerdings auch schon im Eingang bei der A/D-Wandlung, dann sind Fehler, etwa verursacht durch einen etwas zu laut aufgedrehten Booster, kein Thema mehr. Oder, wie der Gitarrist beim Soundcheck zu fragen neigt: „Bin ich schon zu laut genug?“
Was das Editieren der Signalkette angeht, ist man bei der Auswahl der einzelnen Komponenten beim GX-10 ein wenig auf seine Fantasie angewiesen. Ist man schon länger im Boss-Universum unterwegs, fällt das alles etwas leichter. Gelbe Waben stehen für Overdrive, Ornage für Distortion. Grün und Blau sind im Modulationsgeschäft unterwegs, Delays und Reverbs sind weiß bzw. lila. Da orientiert man sich im Groben an der Farbpalette der Bodentreter. Das passt nicht immer, aber das ist Okay.
Beim Flex Prime sehen wir, wie bei Headrush üblich, komplex gestaltete Pedale. Das ist vermeintlich übersichtlicher, aber in der Praxis auch gern verwirrend. Klar, wenn ich einen Tube Screamer suche, finde ich den sofort und kann ihn auch bedienen. Bei aufwändigeren Effekttypen, wie zum Beispiel einem Ambient Reverb, wird es auf dem Display schnell opernglaspflichtig und die vermeintliche Übersichtlichkeit löst sich auf.
Parallele Signalpfade sind bei beiden Geräten möglich, und zwar einmal je Rig. Beim GX-10 kann der Splitter mit der Bezeichnung „Div“ einfach wie ein Effekt eingeschoben werden, beim Flex Prime muss man sich für eine vorprogrammierte Signalkette entscheiden. Ansonsten sind die Möglichkeiten identisch. Boss bietet maximal 15 Slots, Headrush 14. Unentschieden.
Wie ihr also seht, sind sich Boss GX-10 und Headrush Flex Prime in Bedienung und Features recht ähnlich, Headrush bietet allerdings deutlich mehr „Komfort“ durch ein paar Features, die bei Boss so in der Form nicht zu finden sind. Dazu gehören, neben Wi-Fi und dem erwähnten Setlist-Mode, ein umfangreiches Practice Tool, das es erlaubt, Songs zu importieren, Parts zu loopen und die Geschwindigkeit anzupassen.
Ein Metronom ist ebenfalls nur im Headrush Flex Prime zu finden. Dieses verfügt über fünf verschiedene Klopfgeister und beherrscht unterschiedliche Time Signatures vom 2⁄4 bis zum 15⁄8-Takt. Was den Looper angeht, liegt Headrush deutlich vorn. Auch wenn die Technik der Looper von Boss durchaus geschichtlich weit oben mitspielt, ist hier eine recht rudimentäre Version an Bord. Headrush hat, was die Looper angeht, spätestens mit dem Looperboard an allen vorbeigezogen und zeigt diese Überlegenheit hier auch deutlich. Hier ist umfangreiches Loopen und Editieren und Speichern der Loops möglich. And now for something completely different…
Boss GX-10 und Headrush Flex Prime – Der Sound
Jetzt geht’s ans Eingetupperte. Ach nein, Tupper ist doch pleite. Also kochen wir wie früher im Glas ein, dann könnt ihr auch genauer zugucken. Ihr hört jeweils ein Ursprungs-File, das ich direkt in der DAW mit Hilfe der genialen Scuffham Amps S-Gear Software eingespielt habe. Warum das? Nun, es gibt dieses ominöse Ding namens „Spielgefühl“. Um das in der Bewertung der Sounds ausschließen zu können, möchte ich ein neutrales File auf beide Geräte schicken. Ich nutze dazu die Möglichkeit des Reampings.
Dabei wird das unbearbeitete Signal zurückgeschickt an das jeweilige Gerät und kann dort bearbeitet werden. Dabei versuche ich, auf beiden Geräten eine möglichst identische Signalkette und mindestens ähnliche Komponenten zu nutzen, denn es ergibt wenig Sinn, das Model eines Peavey 6550 Amps mit dem Capture eines Twin Reverbs zu vergleichen. Hier übrigens ein Vergleich für alle, die sich diese Sounds ausschließlich aus Plugins holen möchten:
Trotzdem habe ich die verschiedenen Sounds aber nicht direkt miteinander verglichen, das ist mir besonders wichtig. Es geht mir nicht darum herauszubekommen, welcher Hersteller jetzt den besseren Twin-Reverb-Klon herstellt, sondern ich habe, mit zeitlichem Abstand, „meinen“ Sound gesucht. Deshalb tragen die Audiofiles auch nur Nummern, keine Namen.
![Boss GX-10 und Headrush Flex Prime LogicX](https://www.amazona.de/wp-content/uploads/2029/01/boss-gx-10-und-headrush-flex-prime-logicx.jpeg)
Das Chaos im Blick: Der Vergleich Boss GX-10 und Headrush Flex Prime erfordert höggschte Konzentration!
Erstaunlicherweise ist dabei der cleane Sound offenbar am schwierigsten vergleichbar. Ich merke, und das ist jetzt ein hoch subjektives Selbsteingeständnis, dass meine Präferenzen und meine Ohren mir da einen Streich spielen. Wobei ich jetzt keinen der Sounds wirklich schlecht finde, aber sie klingen eben anders. Was mir wieder zeigt, dass oftmals mehrere Wege zum Ziel führen. Und dass ich meine Lizenz für S-Gear niemals mehr hergebe.
Ganz klar muss ich feststellen, dass für meinen Geschmack die Sounds des Headrush Flex Prime steriler, irgendwie seelenloser klingen, auch wenn ich mich länger mit dem Gerät beschäftige. Mit dem Boss GX-10 dagegen komme ich ohne lange Umwege schneller zum Ziel. Aber hört selbst:
Lieber Jan,
als Bandkeyboarder sind die Treter wohl für mich kein Thema, aber ich höre aufmerksam den Audiobeispielen in deinen Tests zu und spüre immer den groove, den du herüberbringst.
Dabei ist es egal, welche Effektgeräte du letztendlich einsetzt. Ich spüre sofort die Idee dahinter.
Vielen, vielen Dank dafür.
@herw Wow, vielen Dank!
Es ist wirklich schön zu lesen, dass meine Intention tatsächlich so ankommt.
Hallo Jan!
Vielen Dank für den Vergleich. Müsste man aber um die Soundmöglichkeiten des Headrush zu bewerten nicht auch die Möglichkeit, Clones – insbesondere die neuen Super Clones – zu laden, mit einbeziehen? Ich liebäugle mit einem Headrush und habe die Hoffnung, dass diese Sounds mehr Seele haben. Haben andere User diesbezüglich vielleicht Erfahrungen gemacht?
Vielen Dank!