Analoger Kult-Polysynth aus Berlin
Vorwort
Der Jomox SunSyn ist zwar nicht wirklich vintage – aber irgendwie ja doch – und seit er offiziell auch nicht mehr hergestellt wird, hat er sich den Platz in der BLUE BOX redlich verdient. Im Anschluss an die Lektüre dieses Reports, empfehlen wir Ihnen noch den Beitrag Blue Box: Analog-Vintage vs. Analog-New, in dem der Jomox Sunsyn ebenfalls ausführlich erwähnt und beschrieben wird.
AMAZONA.de Redaktion / Oktober 2011
Inhaltsverzeichnis
Jomox SunSyn Poly-Synthesizer
Fast 14 Jahre ist es nun her, dass Jomox auf der Frankfurter Messe 1998 einen in eine Glasvitrine gestellten Holz-Dummy vorstellte. 8-stimmig ECHT Analog und ECHT teuer hieß es, mit analogen Features, die sonst nur extrem teure Wunschkandidaten der vergangenen 80er Jahre Synth-Ära vorzuweisen hatten. Zur Frankfurter Messe 2000 wurden die ersten Seriengeräte produziert. Bis heute wurden ca. 220 Jomox Sunsyn gebaut und restlos ausverkauft. Man darf damit dieses kleine Analogmonster gerne auch als Rarität bezeichnen.
Hybrid-Synthesizer:
Der SunSyn ist eine Kombination aus analogen und digitalen Komponenten, was sich hauptsächlich in der Oszillatorsektion manifestiert. Jomox hatte großen Wert darauf gelegt, die entscheidenden klangbeeinflussenden Komponenten durchgängig analog aufzubauen und trotzdem die Vorzüge digitaler Technik (Speicherbarkeit, MIDI-Steuerbarkeit, Sample-Waveforms) in das Gerät zu integrieren. Jomox selbst nannte dies das hybride Konzept, in dem die Vorzüge beider Welten in einem Gerät vereint werden. Im folgenden werden die einzelnen Funktionsgruppen etwas präziser erläutert.
Überblick
Der SunSyn ist auf seiner Frontplatte in übersichtliche Funktionsgruppen gegliedert: Oszillatoren, Filter, Envelopes, LFOs, Modulationsmatrix (Routing Elements), Programmauswahl und LCD-Screen mit Menu-Buttons.
Über zahlreiche Drehregler können die wesentlichen Parameter des Gerätes unmittelbar geschraubt werden. Jomox orientiert sich hier an dem ungebrochenen Trend der vielen Regler, hat aber eine sinnvolle Auswahl getroffen, die nicht überladen ist.
Die 48 Potis sind stabil und leichtgängig und in großzügigem Abstand angeordnet. Wie einst schon in der Xbase 09, senden und empfangen alle Regler am SunSyn MIDI-Controller. Das gesamte Gerät ist in einem stabilen 19” 6HE Gehäuse untergebracht, dessen Rackohren umgedreht und mit den mitgelieferten Holzseitenteilen zu einem Desktop-Modell umfunktioniert werden können, da das SunSyn Gehäuse symmetrisch aufgebaut ist.
Das Anschlussfeld des Sunsyn zeigt nach hinten bzw. nach oben (im Rack gesehen). Es muss also beim Einbau mindestens ein 1 HE Platz für die Stecker gelassen werden – oder noch mehr, wenn der Card-Slot ebenfalls benutzt werden soll. Ab OS-Version 2.0 haben die Slots allerdings keine Funktion mehr. Wellenformen werden ab 2.0 per MIDI-Dump direkt in das Gerät geladen.
Jeder der beiden Slots nimmt bis zu 16MB PCMCIA Flash-Karten auf, um den gesteigerten Hunger nach Wellenformen und Sounds zu stillen. Schon hier ist zu sehen, dass Jomox kein exotisches Analog-Schätzchen gebaut hat, sondern sich durchaus auch den modernen Anforderungen der Synth-Welt zu stellen weiß.
An der Gehäuserückseite finden wir neben dem schon erwähnten Card-Slot noch 2 Eingänge für Audio- und CV-Signale, das MIDI-Trio, 8 Einzelausgänge, Headphone- und Stereo-Out. Alle (!) Audioausgänge sind als elektronisch symmetrierte +4dB Stereoklinkenbuchsen ausgeführt, ein Feature, das nicht jeder Synthesizerhersteller zu berichten weiß. Im übrigen hat man bei der Outputsektion offensichtlich keine Kompromisse machen wollen: Alle 8 Einzelausgänge sind frei zuzuordnen und können im Multimode jeweils sowohl einen als auch mehrere Parts (Jomox nennt sie Single) aufnehmen. Der Stereo-Out ist mit einem Panning versehen, das auch nach alter Oberheim Matrix-Tradition mit einem Pan-LFO die Stimmen im Stereobild verteilen kann.
Effekte sucht man im SunSyn vergeblich, schade, zumindest ein analoger Chorus wäre eine feine Sache gewesen.
Dafür entwickelt der SunSyn mit der Zeit eine Betriebstemperatur, die einer mittleren Endstufe entspricht, doch ein geregelte Lüfter sorgt für Kühlung – und, großes Lob an Jomox, dieser ist wirklich kaum zu hören.
Oszillatoren
Der SunSyn hat sage und schreibe 4 Oszillatoren pro Stimme, was man ihm auch deutlich anhört.
Allerdings sind nur 2 davon analog aufgebaut, 2 davon sind digitale Oszillatoren, die aber im Zusammenspiel mit den analogen Oszillatoren das Klangspektrum des Sunsyn nochmals enorm erweitern.
Die Oszillatoren teilen sich auf in 2 VCOs und 2 sogenannte RCOs (Ramp Controlled Oscillator – dazu später mehr). Die VCOs sind laut Herstellerangaben vollständig diskret aufgebaute klassische Oszillatoren mit den Schwingungsformen Sägezahn und Rechteck/Puls. Die recht magere Ausstattung mit Schwingungsformen ist gerechtfertigt durch das zusätzliche Vorhandensein von digitalen Oszillatoren mit beliebigen Schwingungsformen. In meinem 6-stündigen Test haben sich die Oszillatoren nach einer 15-minütigen Aufheizzeit als sehr stabil erwiesen, ich musste nur einmal mit der Autotune-Funktion die Oszillatoren nachstimmen.
Der pure Oszillator klingt präsent und druckvoll, doch nie unangenehm, penetrant oder „brüchig”. Die warmen und natürlichen Schwebungen, die die analoge Bauweise mit sich bringt, können wirklich überzeugen.
Die RCO-Sektion wartet nun mit noch weiteren Features auf: Jeder RCO kann innerhalb einer Bank aus 256 Schwingungsformen eine auswählen. Die digitalen Oszillatoren klingen gut, aber man kann auch den direkten Unterschied bei einfachen Schwingungsformen zu den analogen hören. Das erste Gerät, in dem man analoge/digitale Oszillatoren direkt im A/B-Vergleich umschalten kann!
Das Ergebnis ist verblüffend: Die analogen Oszillatoren klingen klarer und schärfer und in der Gesamtheit etwas organischer als ihre digitalen Kollegen.
Aber im Mix ergänzen sie sich perfekt. Wenn man die im jetzigen Auslieferzustand befindlichen digitalen Schwingungsformen durchfährt, bekommt man eine Ahnung von der unglaublichen Fülle von Sounds, die in dieser Kiste stecken. Über die rein digitalen Schwingungsformen hinaus gibt es noch das Feature, das den RCOs ihren Namen gegeben hat: Sie können tatsächlich zu den analogen Oszillatoren synchronisiert werden. Bei einem Threshold, der vom Benutzer definiert werden kann, wird die digitale Wave abhängig von der analogen Rampe des Sägezahn (daher Ramp Controlled Oscillator) ähnlich wie beim klassischen Oszillator-Sync neu gestartet. Demzufolge macht der digitale Oszillator exakt die gleichen Schwebungs- oder Modulationsbewegungen mit wie die analogen Oszillatoren. Die Ergebnisse, die bei krassen Oszillator-Modulationen dabei herauskommen, sind beeindruckend!
Filter
Die Filter des SunSyn weisen einige Besonderheiten auf: Sie bestehen aus 4 Stufen oder Polen, die aber im Gegensatz zum klassischen 4-Pol Filter individuell geregelt werden können. Damit kann die Filtercharakteristik des Gesamtfilters stufenlos von z.B. einem typischen Moog-Filter bis zu einem Oberheim-typischen Filter oder anderen Charaktistika gedreht werden. Pro Filterpol kann zudem auch noch Tiefpaß/Hochpaß-Charkteristik umgeschaltet werden, so dass Bandpass- und Hochpass-Sounds möglich werden. Klanglich ist das SunSyn Filter eines der vielfältigsten, die ich je gehört habe. Das Spektrum reicht von fett eigenresonant über offen und druckvoll bis hin zu extrem dünn klingenden Bandpassfiltern. Damit nicht genug: Es können je 2 völlig verschiedene Filtereinstellungen – und dazu gehören auch die Filterenvelopes – in sogenannten Scenes abgespeichert und danach mit dem Regler Morph durchfahren werden. Ein für die Liveperformance ganz und gar geiles Feature!
Klanglich gehört das Jomox-Filter eher in die Richtung punchy and rough. Da liegen auch die klanglichen Stärken des Sunsyn. Näheres dazu am besten in unserem Analogsynth-Vergleich nachlesen. Zwar ist die Konfiguration mit den Polen zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, doch hat man sich erst einmal auf die neue „Freiheit” eingeschossen, dann bereitet einem dieses Filter sehr viel Freude.
Envelopes
Die Envelopes im SunSyn sind ebenfalls analog und diskret aufgebaut. Daher sind sie in der Tat druckvoll und schnell. Offensichtlich wurde hier höchstes Augenmerk auf Kompromisslosigkeit gelegt, denn die Envelopes haben eine wunderschöne klassische Slope (Anstieg) und Verlauf, wie man es sonst halt eben nur von sehr alten Geräten der Synth-Urzeit her kennt. Kurze Attack/Decay-Verläufe bilden regelrecht akustisch anmutende Einschwingverläufe, die eine ungeahnte Direktheit besitzen. Anders herum braucht man bei den Envelopes nicht lange zaubern, hier ist Einfachheit Prinzip: Hauptsache, es klingt.
LFOs
Die LFOs sind einfach erklärt: 2 pro Stimme mit den Schwingungsformen Sägezahn auf/ab, Dreieck, Rechteck und Random. Hier wäre ein Sinus auch schön gewesen, was nach Rücksprache mit Jomox eventuell auch noch softwaremäßig nachgerüstet werden kann. Die LFOs können mit der Taste Trigger bei jedem Tastenanschlag nach einer Delayzeit neu getriggert werden. Wegen der Multitimbralität hat jede Stimme ihre eigenen LFOs, und so können ganz lustige polyphone LFO-Sequenzen erzeugt werden. Die Geschwindigkeit der LFOs soll bis etwa 500 Hz reichen, ist im Moment aber durch Software bis etwa 90 Hz begrenzt. Bedenkt man aber die Tatsache, dass man 4 Audio-Oszillatoren zu Verfügung hat, die alle als Modulationsquelle dienen können, hat man eigentlich gar nichts mehr hinzuzufügen.
Routing Elements
Kommen wir zu einer der interessantesten Innovationen an diesem Gerät: der Modulationsmatrix. An sich ja keine neue Sache, aber im Sunsyn kann praktisch jedes Signal über eine Schaltmatrix (mit verstellbarem Amount versteht sich) auf ein Modulationsziel gelegt werden. 4 solche freien Verknüpfungsstränge sind machbar.
Die Besonderheit liegt darin, dass die Signale tatsächlich analoge Signale wie VCO1 Rechteck, ENV1 usw. sind und keine Steuerungen in der internen CV-Ansteuerungen wie z.B. damals beim Oberheim Matrix-12. Hiermit werden schnelle FM Modulationen und Modulationen der Modulationen möglich, denn das Amount ist ein VCA (=Modifier), der wiederum von einem analogen Signal gesteuert werden kann.
JOMOX SUNSYN MK2 (Limited Edition)
2010 kam es für kurze Zeit zu einer Neuauflage des Sunsyn in den zwei folgenden Farbvarianten, die in diversen Foren kritisch diskutiert wurden. Von diesen Variationen, die technisch mit der Urversion allerdings identisch sind, wurden aber nur wenige Exemplare gebaut. Ob Jomox eines Tages den Sunsyn ein weiteres mal auflegen wird ist nicht bekannt. Erwähnenswert wäre noch der stolze Preis von 5.000,– € den man für den MKII berappen musste.
Hammer Synth…hat viel drauf und noch einiges mehr…:-)
Abgefahrene Soundmöglichkeiten für einen festverdrahteten Poly-Synth aber auch einen Haufen Geräusche und andere Schwierigkeiten je nach Seriennummer und Update-Historie. Wer analoge polyphone Klänge haben möchte die zuverlässig funktionieren sollte sich zum Vergleich auch den Studio electronics Omega bzw. Code reinziehen. Das ist in gleicher Sache der amerikanische Standard: Glatter, weniger verrückt aber zuverlässig und auf seine Art mindestens genausogeil !
…unter dem Anschlußfeld befinden sich doch noch die Lüftungsschlitze- man hätte im Rack also in jedem Fall Platz darüber lassen müssen.
Und so muß man auch nicht hinters Rack kriechen, um Kabel zu stecken.
Also, ich finde die Lösung recht praktisch…wo hätte man die Buchsen denn auch sonst hinbauen sollen?
@mort77 Korrekt, habe den Absatz geändert und die Kritik rausgenommen. Grüße, Peter.
so viel ich weiss funktioniert das teil nicht wirklich im multimode (für multitimbralität), weder bei version 1.22, noch in der neuen version 2. hätte man erwähnen können! ebenso die vielen kleineren jomox typischen bugs, wo es bspw. mit midi cc oft auch probleme zu geben scheint… schlussendlich ein gerät, welches nur mit ähnlichem midi und multtimbralität wie bei einem rund 30 jährigen jupiter 6 problemlos laufen kann. also monotimbral und midi eingeschränkt auf note on und off, ev. noch velocity?!
alles sachen die in foren zigfach erwähnt wurden, aber in reviews gerne mal vernachlässigt werden. ein notiz am rande oder bei den minuspunkten wäre angebracht gewesen. das instrument ist alles andere technisch „perfekt“, aber für einige (nicht alle) macht der sound diese flausen weg.
daß der Sunyn warm wird und einen Lüfter braucht, wundert mich nicht, da das Gerät nicht nur im Analogbereich diskret aufgebaut ist, sondern im Digitalteil ein regelrechtes Chipgrab darstellt, was einfach nicht zeitgemäß ist. Der Prozessor ist da das höchst integrierte Bauteil. Da verstehe ich Herrn Michaelis nicht: die ganzen einzelnen Logikbausteine ließen sich prima in FPGAs packen, das spart nicht nur Bauteile, sondern auch Layoutaufwand, Wärmeentwicklung und Geld. Zudem wären Schaltungsänderungen durch Software machbar, das Ganze weniger fehleranfällig und der Sunsyn könnte zu einem besseren Preis angeboten werden.
Analog diskret verstehe ich voll und ganz, aber digital diskret tut nimmer not.