Das digitale Mellotron
Obwohl das 360 Systems Digital Keyboard nicht jedem bekannt sein dürfte, ist die Firma zum Zeitpunkt dessen Veröffentlichung dennoch im Musikelektronikbereich nicht unbekannt. Die 360 Systems Polyphonic Controller wurde z. B. Mitte der 1970er im Verbund mit 6 Minimoogs als Guitar Synthesizer von John Mc Laughlin verwendet. Aber auch das erste 360 Systems Produkt überhaupt, der Frequency Stifter (1976) wurde von ihm genutzt (höre „On the Way Home Earth“ auf dem Mahavishnu Orchestra Album „Visions of the Emerald Beyond“)
Inhaltsverzeichnis
- 360 Systems Digital Keyboard – Set und Setting in 1983
- Hardware des 360 Systems Digital Keyboard
- Sounds im 360 Systems Digital Keyboard
- Spielhilfen und Anpassbarkeit der Sounds im 360 Systems Digital Keyboard
- Der Klang des 360 Systems Digital Keyboard
- Gebrauchtmarktsituation des 360 Systems Digital Keyboard
- 360 Systems Digital Keyboard auf YouTube
Das 360 Systems Digital Keyboard ist ein digitaler Klangerzeuger und baute auf den schon vorhandenen Technologien der von Robert Easton (1945 – 2021), einem musikalisch versierten Entrepreneur, gegründeten Firma 360 Systems auf und kann wohl als erster vollständiger ROMpler verstanden werden. Denn im Gegensatz zu dem bereits 1981 erhältlichen Emulator I konnten keine eigenen Samples hergestellt oder geladen werden.
Was es genau mit diesem Keyboard mit nur unter zweihundert verkauften Exemplaren auf sich hat und warum es trotz des für damalige Verhältnisse beeindruckendem Klangs kein Verkaufserfolg wurde, wollen wir hier erkunden.
Inhaltsverzeichnis
- 360 Systems Digital Keyboard – Set und Setting in 1983
- Hardware des 360 Systems Digital Keyboard
- Sounds im 360 Systems Digital Keyboard
- Spielhilfen und Anpassbarkeit der Sounds im 360 Systems Digital Keyboard
- Der Klang des 360 Systems Digital Keyboard
- Gebrauchtmarktsituation des 360 Systems Digital Keyboard
- 360 Systems Digital Keyboard auf YouTube
360 Systems Digital Keyboard – Set und Setting in 1983
Der erste vollfunktionsfähige Prototyp des 360 Systems Digital Keyboard wurde 1983 vorgestellt, wobei die ersten Seriengeräte 1984 ausgeliefert wurden. Zu dieser Zeit gab es bereits kommerzielle Sampler, wie den Fairlight, den Emulator I oder das Synclavier. Und obwohl das Gerät keine Sampling-Funktion hatte, musste es sich doch mit diesen Mitbewerbern messen, da es sich schlussendlich ja auch um gesampelte Instrumente handelte. Ohne zu weit vorzugreifen zu wollen, kann man sagen, wäre das 360 Systems Digital Keyboard nur 2 oder drei Jahre vorher erschienen, hätte es vermutlich einen größeren Erfolg gehabt.
Schauen wir und kurz die Preise in 1984 und deren heutige Äquivalente an:
- 360 Systems Digital Keyboard: 3680 Pfund (heute 11886,4 Pfund = 13879,89 Euro)
- Voice Boards zwischen 700 und 1200 Pfund (heute 2324 – 3876 Pfund = 2713,76 – 4526,05 Euro)
Hardware des 360 Systems Digital Keyboard
Kommen wir aber zunächst einmal zu den harten Fakten, die gar nicht so leicht herauszufinden sind. Denn im weltweiten Netz findet sich keine Bedienungsanleitung und erst recht kein Service-Manual, so dass exakte Aussagen über die Technik des 360 Systems Digital Keyboard nicht zu machen sind. Der einzige „Hinweis“ zu einem Manual findet sich auf einem Mod-Wiggler-Forums-Post von 2013 mit einer Frage nach eben diesem Manual – der nie eine Antwort bekam.
Und obwohl die eigentliche Firma 360 Systems immer noch existiert, findet sich auch auf deren Website leider keine Dokumentation zu früheren Audio-Geräten. Heutzutage stellt die Firma ausschließlich digitales Broadcast-Equipment her.
Glücklicherweise ist für die Bedienung des 4-Oktaven-Keyboards auch keine Anleitung notwendig. Das Keyboard mit den Maßen von 13,4 cm x 81,3 cm x 55,9 cm und einem Gewicht von 20 kg wird im Prinzip wie eine Orgel mit Preset-Schaltern bedient. Es stehen maximal 32 verschiedene Instrumente zur Auswahl, von denen 16 direkt mit den Tastern auf dem Panel ausgewählt werden können und einer Shift-Funktion für die anderen 16.
Sounds im 360 Systems Digital Keyboard
Das 360 Systems Digital Keyboard beherrscht Spilt- und Stack-Modi mit denen zwei Sounds überlagert oder auf der Tastatur verteilt werden können. Eine zusätzliche Transpose-Funktion verschiebt die Lage eines Instrumentes, nicht jedoch die Tonhöhe, so dass diese immer natürlich klingen, was ein Hauptaspekt beim Design des Keyboards war. Deswegen füllte auch nicht jedes Instrument die gesamten 4 Oktaven des Keyboards.
Jedes Instrument einzeln war 8-fach polyphon spielbar, wobei sich diese auf 4 Stimmen im Spilt- und Layer-Modus reduzierte. Sehr fortschrittlich war aber auf jeden Fall die Ausführung aller Instrumente in Stereo, so dass sich der Eindruck des Pianos z. B. sehr natürlich über das Stereobild verteilte.
Gehen wir auf die eigentliche Klangerzeugung ein. Die Samples wurden laut Robert Easton in einem proprietären Format gespeichert, um so mehr Daten auf die EPROMs zu bekommen. Zum Einsatz kamen 64 kB EPROMS (Modell 2764), von denen sich bis zu 48 Stück (!) auf einem Voice-Board befinden konnten. Das Piano-Voice-Board hatte z. B. so viele Chips bestückt und somit einen Gesamt-Sample-Umfang von revultionären 3 MB, der aufgrund des proprietären Sample-Formats besser ausgenutzt wurde.
Es konnten insgesamt vier Voice-Board installiert werden und ein Voice-Board konnte auch mehrere Instrumente enthalten. Das 360 Systems Digital Keyboard wusste dabei immer automatisch, welcher Sound wo zu finden ist und ordnete diese entsprechend den Schaltern zu.
Es gab mit insgesamt 53 Instrumenten eine recht große Auswahl an Instrumenten:
- Alto Flute
- Alto Sax
- Banjo
- Baritone Sax
- Bass Trombone
- Bass Viol, arco
- Caliope, out of tune
- Celeste
- Clarinet
- Clavinet
- Double Bass, pizzicato
- Electric Bass, finger picked
- Electric Bass, slapped
- Electric Guitar, fuzz
- Electric Guitar, lead
- Electric Piano, DMP
- Electric Piano, Rhodes
- Electric Piano, Wurlitzer
- English Horn
- Female singer, soprano
- Fiddle, country
- Flugelhorn
- Flute
- French Horn
- Grand Piano
- Guitar, nylon string
- Guitar, steel string acoustic
- Harmonica
- Harpsichord
- Male singers
- Marimba
- Oboe
- Oboe, staccato
- Organ, HB3
- Percussion, assorted
- Piccolo
- Piccolo Trumpet
- Soprano Sax
- Steel Drums
- String section, large
- Tack Piano
- Tenor Sax
- Trombone
- Trombone, punches
- Trumpet, bright solo
- Trumpet, muted
- Trumpet, soft & warm
- Tuba
- Tympani, fff
- Vibes
- Viola, solo
- Violin, solo
- Xylophone
- Tympani, mf
Das eigentliche Verkaufsargument war das durchgehend genutzte Multisampling. So hatten manche Sounds bis zu 24 verschiedene Samples in verschiedenen Tonhöhen und klangen eben deswegen sehr natürlich. Manche Instrumente kamen auch mit 4 Samples aus, wurden dann aber auch nicht über die ganzen vier Oktaven verteilt.
Spielhilfen und Anpassbarkeit der Sounds im 360 Systems Digital Keyboard
Der Klang der Instrumente konnte lediglich durch ein CEM 3320 Filter ohne Resonanz verändert werden, wobei in einem Double-Modus beide Instrumente unabhängig eingestellt werden konnten. Als Spielhilfen gab es zusätzlich noch ein Pitchbend- und ein Vibeato-Wheel. Das Vibrato konnte zudem in der Geschwindigkeit verstellt werden und auch das Tuning war direkt von der Oberfläche aus anpassbar.
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Da wir schon das Multisampling in der Horizontalen, also der Tonhöhe angesprochen haben, bleibt die Frage nach der vertikalen Tiefe, also der Dynamik. Und hier steckt meiner Meinung nach ein ganz gewichtiger Punkt für den beschränkten Erfolg des 360 Systems Digital Keyboard. Erstens gab es nur ein Velocity-Layer, zweitens konnte die Tastatur keine Anschlagsdynamik ausgeben.
Als Kompensation dafür gab es auf der Rückseite einen Pedalanschluss, mit dem eine Mischung aus Lautstärke und Filter-Cutoff verstellt werden konnte. Der Pedal-Mix-Regler auf dem Frontpanel stellte dann das Mischungsverhältnis ein – das mag zwar gut für Streich- und Blasinstrumente sein, ein Piano lässt sich so aber natürlich nicht gut spielen.
Hätte 360 Systems ein anschlagsdynamisches Keyboard eingebaut, das bei leiseren Spielweisen Lautstärke und Filter-Cutoff anpasst, wie es z. B. die Soundfonts ein Jahrzehnt später gemacht haben, hätte das 360 Systems Digital Keyboard sicherlich größeren Anklang gefunden.
Apropos Anklang – alle Samples wurden mit dem natürlichen Ausklingverhalten aufgenommen. Dieser erste ROMpler hatte keine Loops in den Samples. Was bei Piano und Akustikgitarre noch angeht, fällt dann spätestens bei den Streichern zusammen. Besitzer konnten die im Prinzip sehr guten Streicher-Samples also nur begrenzt einsetzen – begrenzt durch die Sample-Länge. Das erinnert stark an ein Mellotron.
Der Klang des 360 Systems Digital Keyboard
In einem Interview beschriebt Erfinder und Gründer Robert Easton, dass die Natürlichkeit vor allem vom aufwendigen Multisampling herrührte. So gab er an, allein für die Streicher Samples einen Betrag von damals 5000 Pfund Sterling (ca. 18800 Euro heute) ausgegeben zu haben – und dass das auch einer der Vorteile zu bestehenden Sampling-Lösungen wie dem EMU Emulator war.
Die Unmöglichkeit des Samplens vom 360 Systems Digital Keyboard war gleichzeitig größter Nachteil wie Vorteil. Es konnten zwar keine eigene Samples erstellt oder geladen werden, dafür mussten auch keine Unsummen für erstklassige Klänge ausgegeben werden. Allerdings waren auch die angebotenen Instrumente nicht ganz ohne Fehler, sodass z. B. bei der Posaune zu viel tiefe Frequenzen im Attack-Sound lagen.
Die Länge der Samples variiert stark, so hat der E-Bass (Fender Precision) eine Ausklingzeit von 17 Sekunden, das Clavinet 12 und die Piccolo Trompete z. B. nur 1,5 Sekunden. Zusammenfassend müssen die Instrumente als herausragend für damalige Verhältnisse gegolten haben, die kleinen Fehler hier und da bei Voice-Board-Samples, stoßen bei den aufgerufenen Preisen dennoch sauer auf.
Persönlich finde ich die Klänge und Instrumente des 360 Systems Digital Keyboard aus heutiger Sicht angestaubt und etwas „cheesy“. Das Piano klingt jedoch sehr gut, fällt aber dennoch in sich zusammen beim Spielen, da es eben keine Dynamik gibt; auch das Volume-Pedal hilft hier wenig.
Gebrauchtmarktsituation des 360 Systems Digital Keyboard
Die Preise für ein 360 Systems Digital Keyboard im guten Zustand variieren heftig. So habe ich Angebote um die 2000 US-Dollar gesehen, aber auch welche für 10000 US-Dollar. Meistens sind diese zudem aus den USA und somit kommen für hiesige Interessenten noch Versand- und evtl. Zollkosten hinzu. Ich halte zumindest das letztere Angebot für unrealistisch, da im Vergleich zu einem antiken Analogen der Klang des 360 Systems Digital Keyboard heutzutage keinen Hit mehr hinter dem Ofen hervorholt.
360 Systems Digital Keyboard auf YouTube
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Du bringst es auf den Punkt. Ein Instrument, das nur hitorisch gesehen eine Rolle spielen kann.
Meine Firma Synthesizerstudio Bonn hatte den Alleinverkauf für Deutschland inne.
Hier die Preisliste vom 1. Oktober 1984: https://elektropolis.de/360_Systems.png
@Dirk Matten Wow. Das war ja schon ein kleines Ökosystem um das Teil. Allerdings gab es ein paar Jahre später diese Leistung quasi überall, dann auch editierbar etc.
Nachdem mich Günter Zierenberg, Inhaber der Firma Musik Produktiv, auf die Linn LM-1 aufmerksam gemacht hatte (ihr habt doch so reiche Kunden wie Zahnärzte und Rechtsanwälte, das ist nicht unsere Kundschaft, ruf den doch mal an), habe ich Bob Easton kontaktiert und er kam kurze Zeit später zu mir nach Bonn, die LM-1 im Gepäck. Er war wohl für den Vertrieb zuständig. Es ist mir in Erinnerung, dass er mehrmals vormittags anrief und mich mit „Good morning, Dirk“ begrüßte, eine Einschätzung der Situation seines Gesprächspartners. Vergesse ich nie.