Yamaha DX7 auf Steroiden
Im April 2001 testete Holger Steinbrink für uns den Yamaha DX200. Zunächst hatte die kleine Yamaha Groovebox nicht allzu viele Freunde gewinnen können. In den letzten Monaten ist dieses über 20 Jahre alte Dance-Werkzeug ein kleiner Geheimtipp unter Live-Acts geworden.
Inhaltsverzeichnis
Ein bekannter Producer hat mich vor ein paar Wochen darauf aufmerksam gemacht, dass er dringend eine solche Unit sucht. FM ist wieder groß angesagt und die Idee, eine FM-Groovebox auf den Markt zu bringen, hat auch ELEKTRON mit dem Digitone vor einigen Jahren wieder aufgegriffen.
Ca. 450,- Euro werden heute für eine gute Yamaha DX200-Groovebox bei Versteigerungen erzielt – bei Vintage-Händlern kosten sie deutlich mehr. Ist das gerechtfertigt oder alles nur Vintage-Liebhaberei? Wir werden sehen.
Damit Sie sich selbst ein Bild vom Yamaha DX200 machen können, hier nochmals der leicht überarbeitete Test aus dem Jahr 2001 mit neuen Klangbeispielen und neuen Bildern.
Übrigens sollten Sie bei der Gelegenheit auch einen Blick auf die Yamaha Groovebox AN200 werfen, die äußerlich dem Yamaha DX200 wie ein Ei dem anderen gleicht, die Klangerzeugung allerdings vom Yamaha AN1X übernommen hat.
Eyes wide shut
Obwohl der Yamaha DX200 auf den ersten Blick wieder wie ein mit Reglern überfrachteter Synthesizer wirkt, läßt er sich erstaunlich gut bedienen. Schauen wir uns die Bedienoberfläche des DX200 mal näher an: Grob eingeteilt gibt es vier Abschnitte: Die Hauptgruppe mit dem Display und den Tastern zum Einstellen der Betriebszustände, die Sequenzersteuerung, die „Tastatur“ zur Eingabe von Notenschritten und weiteren Funktionen sowie der Klangparameterabschnitt zur Echtzeitsteuerung und änderung des Sounds. Den letzten Abschnitt, sicherlich der interessanteste des Yamaha DX200, werde ich im folgenden genauer beleuchten.
Das Schwarze Loch
Unglaublich aber wahr: Unter dem Groove-Outfit des Yamaha DX200 verbirgt sich ein ausgewachsener Yamaha DX7 mit 6-Operatoren FM, vollem Funktionsumfang und zusätzlichen Features, von denen DX7 Besitzer nur träumen dürfen. (wie z.B. Filter mit Echtzeitzugriff auf Cut Off und Resonanz, Sequenzer, Effekte etc.)
FM-Synthese funktioniert grundlegend anders als die hauptsächlich in Synthesizern enthaltene subtraktive Synthese (siehe Zusatzkapitel „Was ist FM?“). Trotzdem gibt es beim DX 200 viele „bekannte“ Parameter: ein resonanzfähiges Multimodefilter mit Tief-, Hoch- und Bandpass sowie einem Bandsperren-Typ. Das Filter klingt leider nicht aggressive genug, als Entschädigung tut dies aber die FM-Abteilung umso mehr. Für das Filter und die Lautstärke stehen jeweils eine ADSR-Hüllkurve zur Verfügung. Ein LFO mit wählbaren Wellenformen kann gleichzeitig verschieden Ziele wie Lautstärke, Filter oder Tonhöhe modulieren.
Ein Portamentoregler ermöglicht Glide-Effekte, wobei wahlweise zwischen polyphoner oder monophoner Klangerzeugung umgeschaltet werden kann. Für einen wuchtigeren Sound gibt es einen Unisono-Modus, der aber natürlich die 16-fache Polyphonie der DX-Abteilung entsprechend reduziert. Abschließend können die erzeugten Klänge noch mit Effekten angereichert werden, wobei ein dedizierter Distortion-Effekt-Taster (leider) nur ein- oder ausgeschaltet werden kann und ausschließlich für die FM-Abteilung zuständig ist. Wenigstens läßt sich die Intensität der Verzerrung regeln.
Geheimtipp: Die Editorsoftware ermöglicht einen gezielteren Zugriff auf die Distortion-Parameter. Die „normale“ Effektsektion stellt Standards wie Delay, Flanger, Phaser oder Reverb zur Verfügung und wirkt auf die komplette Klangerzeugung. Insgesamt gibt es 13 verschiedene Effekt-Typen.
Deep Impact des Yamaha DX200
Nun zu den FM-Parametern: Es lassen sich 32 verschiedene Algorithmen für die Oszillatorverschaltung von Carrier und Modulator auswählen rstaunlicherweise sind dies die gleichen Algorithmen wie im Urgroßvater Yamaha DX 7. Mit dem Modulator-Select-Taster lassen sich die Modulator-Gruppen anwählen, die editiert werden sollen. Ob diese verfügbar sind, hängt vom gewählten Algorithmus ab. In der Bedienungsanleitung findet sich ein überblick aller Algorithmen. Sind alle Modulatoren ausgewählt, ist die Klangänderung drastischer, wird nur eine bestimmte Modulator-Gruppe beeinflußt, wirken sich Editierungen „harmloser“ aus.
Der Harmonic-Regler ändert die Frequenz der Modulatoren, FM-Depth bestimmt den Pegel derselben und damit die Tiefe der Modulationswirkung. Decay schließlich regelt das Ausklingverhalten der Lautstärke der Modulatorgruppen. Beim Einsatz dieses Parameters findet jedoch keine Lautstärkeänderung, sondern eine Klangfärbung statt. Wichtig beim Einsatz der FM-Parameter ist immer die Tatsache, dass sie in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Aufgrund des verschiedenen Aufbaus der Algorithmen sind alleine mit der Hardware schon zahlreiche Klangänderungen möglich.
Unbegrenzte Möglichkeiten bietet die Verwendung der Editor-Software, da hier wirklich jeder Operator gezielt eingestellt werden kann. Schließlich gibt es noch einen Rauschgenerator, der nicht weniger als 17(!) verschiedene Rauschtypen zur Verfügung stellt. Das erweitert nochmals das Klangspektrum, gerade auch im Zusammenhang mit dem nachgeschalteten Filter.
Allerdings gibt es dabei einen Haken: Yamaha hat es versäumt die Software auf den neuesten Stand zu bringen und so läuft diese z.B. nicht mehr unter MAC AS X. Wirklich sehr bedauerlich!
Ticket für Zwei
Eine sehr interessante Funktion ist das Scene-Morphing. Pro Sound können zwei Variationen gespeichert werden, die sich in Echtzeit mittels eines Reglers ineinander überblenden lassen, wobei sich hier wirklich die Parameterwerte ändern und dadurch sehr interessante Zwischenstufen entstehen können. Das ermöglicht gerade im Livebetrieb sehr interessante Klangverläufe.
Die Blechtrommel
Neben der FM-Sektion beinhaltet der DX 200 noch einen 32-stimmigen Sample-Player, der hauptsächlich Drum- und Effektsounds sowie einige Bässe wiedergibt (insgesamt 120 Sounds). Diese Samples können zumindest gefiltert und mit den internen Effekten versehen werden (leider nicht mit dem Distortion). Die Drumsounds setzen sich hauptsächlich aus elektronischen Schlagzeugklängen zusammen und eignen sich gut für den Einsatz in moderneren Musikstilen. Die Qualität und der Druck entsprechen in etwa den Sounds des Yamaha RM1x, also durchaus brauchbar.
Interner Sequenzer des Yamaha DX200
Der interne Sequenzer des Yamaha DX200 ähnelt vom Aufbau her den gängigen Step-Sequenzern: Bis zu 16 Schritte können live oder über die interne „Tastatur“ eingegeben werden. Die Step-Sequenz für die DX-Klangerzeugung kann mittels den acht sich über den Schritt-Tastern befindlichen Reglern beeinflußt werden. Um alle 16 Schritte zu erreichen, muß man mit zwei Anwahltastern zwischen Step 1-8 und Step 9-16 umschalten. Das ist zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, aber das menschliche Gehirn lernt bekanntlich ja (meistens) schnell. Mit den Reglern können dann bequem Tonhöhe, Gate Time und Anschlagdynamik pro Schritt eingestellt werden. Weiterhin gibt es noch drei Step-Sequenzen für den Rhythmus-Track, wobei hier die Regler zusätzlich zu den oben genannten Parametern auch zur Auswahl der Drumsounds dienen.
Four Rooms
Der Yamaha DX200 kann vier Step-Sequenzen gleichzeitig abspielen, welche man bei Yamaha als Pattern bezeichnet. 256 Preset-Pattern befinden sich an Bord, 128 User-Pattern lassen sich selber programmieren. Unterschiedliche Pattern können sequentiell zu einem Song angeordnet werden, von denen 10 Stück innerhalb des DX 200 Platz haben. Für die schnell Erstellung eines solchen Songs stehen unterschiedliche Insert- und Kopierfunktionen zur Verfügung. Meines Erachtens macht es aber mehr Spaß, im Patternmodus zu arbeiten, da man einfach flexibler den Ablauf der Pattern bestimmen kann. Eine intelligente Hilfe ist hierbei auch das Triggern vorher definierter Pattern über die interne Tastatur.
Twister
Während der Wiedergabe können neben den Soundparametern noch viele Abspielparameter eines Pattern in Echtzeit verändert werden. Zum Beispiel läßt sich ein Pattern stummschalten oder mittels des Top-Tasters erneut rhythmisch einstarten. Die Retrigger-Funktion wiederholt einzelne Noten der FM-Sequenz und erzeugt so neue Variationen, während Reverse die Noten eines Patterns komplett durcheinanderwirbelt. Die Schrittlänge läßt sich global verkürzen oder verlängern. Tonhöhen-Transponierung ist in Echtzeit möglich und auch der Swing-Faktor eines Pattern kann geändert werden. Die Anwendung dieser „Tools“ macht richtig Spaß, innerhalb weniger Augenblicke hatte ich ein Preset-Pattern komplett modifiziert.
Free Willy
Eine weitere Funktion wird der ein oder andere schon aus existierenden Yamaha-Gerätschaften kennen: die Free-EG, eine etwas merkwürdige Bezeichnung für eine sehr leistungstarke Funktion. Hinter ihr verbirgt sich eine Echtzeit-Automation von bis zu vier Parametern gleichzeitig. Wer aus Ermangelung an Händen gerne mehr als zwei Parameter gleichzeitig editieren möchte, sollte die Free-EG einsetzen, die eine kontinuierliche Param
eteränderung für jedes Pattern speichert und so die Lebendigkeit der Klänge erhöht. Zusätzlich kann die Abspielreihenfolge der aufgenommenen Free-EG-Werte variiert werden.
Total Recall
Von der MIDI-Seite her ist der DX 200 sehr flexibel. Sei es als Master oder Slave in einem Live-Setup oder als reiner Klangerzeuger in einem Studioverbund. Alle Regler senden und empfangen MIDI-Controller-Daten. In Verbindung mit einem Groove-Sampler wie dem SU 700 läßt sich schon ein sehr aufwändiger Live-Act realisieren, der sowohl den Zuhörern als auch dem Musiker selbst Spaß macht.
Fight Club
Die Yamaha DX200 Grovebox ähnelt vom Konzept her der ersten Generation der Electribe-Geräten von Korg. Meiner Meinung nach schlägt er diese aber auf der ganzen Linie. Mal von der Verarbeitung und Bedienung abgesehen sind es vor allem die klanglichen Möglichkeiten, die den DX 200 klar an der Konkurrenz vorbeiziehen lassen. Die wenigen Detailverbesserungen, die man sich wünscht (MIDI-Thru, Einzelausgänge) relativieren sich aufgrund des günstigen Preis-Leistungsverhältnisses.
Nachtrag Peter Grandl
Mit den Electribes der zweiten Generation EMX und ESX sieht das schon wieder ganz anders aus. Vor allem deren Sequencer ist sind von der Bedienung dem AN200 und DX200 deutlich überlegen. Sehr viele Recording Bedienschritte erfordert es, die Yamaha-Sequencer zu stoppen und wieder zu starten. Das ist nicht wirklich das, was man sich so heute unter „für den Live-Einsatz geeignet“ vorstellt.
Kleiner Nachtrag in Sachen FM
Vorab: Einen ausführlichen Workshop zur FM-Synthese findet ihr HIER: (KLICKEN)
FM ist die Abkürzung für Frequenzmodulation. Dabei wird die Frequenz eines Oszillators („Carrier“) durch einen weiteren Oszillator („Modulator“) gesteuert, wobei sowohl Frequenz, Pegel und Schwingungsform des Modulators Einfluss auf Tonhöhe und Klangfarbe nehmen. Ein Algorithmus innerhalb eines Yamaha-FM-Synthesizers definiert die Anordnung und Verschaltung von sechs Oszillatoren („Operatoren“), wobei es hier jeweils mehere Carrier und Modulatoren geben kann. So lassen sich nahezu unbegrenzte viele verschiedene Klänge erzeugen.
Zu den Klangbeispielen
Die Klangbeispiele wurden ausschließlich mit einem DX200 eingespielt. Auch Effekte und Drums kommen vom Yamaha DX200.
Der Yamaha DX200 on YouTube
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Wäre super, wenn es eine neue fmgroovebox von Yamaha geben wûrde.
Für kleines Geld auf dem Gebrauchtmarkt ok, mehr nicht. Model:Cycles und Digitone sind moderne Alternativen.
Tja, mit diesem Patch“namen“ im Aufmacherbild wundert mich das von wegen „nicht allzu viele Freunde gewinnen können“ nicht ;-)
Heißt der nächste Patch dann etwa noch „OFF“? Wäre mit intuitiv-kreativer Hexadezimal-Nummerierung ja möglich.
Nix für ungut!
lol
@NDA … der war gut! XD
@NDA 👍🏼
@NDA Danke! Ich dachte schon, das wäre meiner Samstag morgendlichen Müdigkeit geschuldet gewesen…
Ein schöner „Artikel V.2“ sozusagen, der zeigt, dass es im Musik / Kunst / Kreativbereich mehr „auf die Verpackung als auf den Inhalt“ ankommt. War bestimmt schon immer so, aber die DX200 war den Trends der Neunziger eben um 15-20 Jahre voraus (?) Ich hatte meine 2013 in Tokyo für umgerechnet 180 € gekauft (gebraucht natürlich!) und 2018 in D-Land schon die erwähnten 450 bekommen. Warum verkauft? Wie ein Vorkommentator schon anklingen ließ, gibt es eben doch modernere Alternativen und für mich sind der FS1R und der FM8 besser, wenn es um FM Synthese geht. Meine subjektive Meinung auch wie oben – für 250,300 OK, für mehr zu teuer aber ohne Frage eine extrem interessante Box!
Ein Bekannter, der damals bei einem der Musikversender arbeitete, erzählte mir so vor 7 oder 8 Jaren, Yamaha würde gerade bei den Musikgeschäften anfragen, welche features bei einer neuen Groovebox angesagt wären. Passiert ist dann aber nie was, außer dass in Foren immer nach einer neuen RS7000 gerufen wurde. Wenn Amazonas die beiden „vintage“ Kisten auspackt, dürfen wir dann Hoffnung haben, dass es doch so weit ist? Auf der anderen Seite, wenn ich an Yamahas verkopfte und komplizierte UIs denke…
Eine aufgebohrte RS7000 wäre soooooo klasse. Mir würde schon reichen, wenn das Ding nen usb-Anschluss hätte und ne bessere Tonqualität. Sonst können sie alles so lassen. 😍
Ich glaube einem Weltkonzern wie Yamaha ist es wumpe, was in einem kleinen, unbedeutenden deutschen Onlinemagazin gepostet wird.
@Sven Blau Wenn ich Welkonzern wäre, dann würde ich mir schon angucken, was in Foren oder online-Magazinen gepostet wird. Bzw. würde ich Leute bezahlen, die mir diesbezüglich Infos zutragen 😘
Nun gibt es ja ein paar fm synth wieder neu zu kaufen.
Es wurde ja auch vom digitone gesprochen.
Leider wurde zum sound nichts gesagt. Oft ist das bei synth ein eigener Punkt. Wie klingt er im Vergleich zum Digitone oder dx7.?
Wo kann man den Editor denn heutzutage noch bekommen.
@Synchead Die gibts bei Yamaha selbst noch zum Download
muss aber zusammen mit XGworks benutzt werden.
Lief zuletzt auch auf neueren Systemen.
Habe meinen damals aus Geldmangel verkaufen müssen.
Sollte er mir mal wieder günstig übern Weg laufen , würde ich auch zugreifen.
Der AN200 steht hier noch. Mag beide Maschienen sehr, auch wenn ich mit der Software nie warm wurde. Aber das Meditative fummeln und „sonst wo landen“ .. herrlich !! Die Software gibts übrigens bei Yamaha selber noch zum Download !! Respekt Yamaha
Als aktuellen Editor kann ich patch base für mac oder iPad empfehlen. Haben zwar ein spezielles Bezahlsystem, aber so kommt man an alle Parameter erst wirklich ran.
In den 2000 er hatte ich schon schweres Gas nach der Kiste. Da war die um 200 Euro, leider war ich Student.
Jetzt geht es wieder.
Den Yamaha DX200 habe ich um die 2000 rum mal neu gekauft. Die letzten Jahre aber liegt der verpackt in seiner Originalverpackung. hab den mal vor einem Jahr mal wieder raus geholt und mal etwas an dem rum geschraubt. Finde klanglich ist der voll in Ordnung. Ich hätte mir nur gewünscht, Yamaha hätte das Konzept mal weiter geschraubt. Der Sequencer selbst erlaubt nur eine Eingabe von einer Note pro Step. und die 16 Steps sind auch zu wenig. Extern angesteuert macht der aber immer noch viel Spass.
Apropos Programmierung :
https://coffeeshopped.com/patch-base/editor/yamaha/dx200
Einer meiner allerliebsten Synths, der häufig Ausgangspunkt einer Session ist…