Hybrider Groove-Spezialist
2004, also vor über 20 Jahren, erschien die Groove-Workstation Radikal Technologies Spektralis I. Dürfen wir dieses Tool inzwischen als Vintage bezeichnen? Ich denke schon – wie seht ihr das? Mit seiner hybriden Klangerzeugung war dieses außergewöhnliche Tool von Entwickler Jörg Schaaf auf jeden Fall ein Synthesizer-Drumcomputer-Sequencer, der auch heute noch viele Fans hat. Besonders spannend dürfte daher der folgende Testbericht von 2004 sein (von Mic Irmer), den man im Kontext der damaligen Zeit betrachten muss – und genau das macht deutlich, wie grundlegend sich die Technikwelt der Musikbranche inzwischen verändert hat.
Viel Spaß, Euer Tyrell (Peter Grandl)
Inhaltsverzeichnis
Specki, wie er liebevoll von Usern (und dem Hersteller) genannt wird, ist bereits eine Weile auf dem Markt. Um dem User zu signalisieren, wo man steht, ist die aktuelle Software mit V 0.97 bezeichnet. Die kleine Gemeinde freute sich kürzlich über ein Update, welches Grundlage für diesen Test bildet.
Watt is n Dampfmaschin’
Was ist der Spectralis genau? Synthesizer? Groovebox? Genau! Das ist er! Er ist ein Sequencer mit drei DSP-Synthesizern, einem „Analogsynthesizer“, sowie einer Festfilterbank mit 10 Bändern. Der folgende Textschwall wird sich mit ihnen allen befassen.
Mit Speck fängt man Mäuse. Der Digitale Bereich …
Die drei DSP-Synthesizer sind ein 32-stimmiger Stereo-Sample-Player mit Multimode-Filter. Sie bieten 2-polige Tief-, Band- und Hochpassvarianten an. Jeweils zwei Hüllkurven und LFOs können als Modulationsquellen dienen. Sie und die Stereo-Eingänge können in den „analogen“ Teil des Synthesizers geleitet werden. Letzterer steht daher im Mittelpunkt des Tests, denn die digitalen Sektionen stellen eine Teilmenge dessen dar, was mit dem Hauptsynthesizer möglich ist:
Analogsynthesizer: Oszillatoren
Analog? Momeeeent! Es handelt sich technisch um einen Hybriden, denn es gibt analoge Filter, die Oszillatoren sind hingegen DSP-generiert. Viele digitale Oszillatoren haben immer noch ein Problem, klare und generell genug Obertöne produzieren zu können. Nach Ohrentests gibt der Spectralis vollständige Obertöne ab, was leider nicht für viele virtuell-analoge Synthesizer gilt. Die vier Oszillatoren sind generell freilaufend. Die nicht in Phase liegenden Oszillatoren sind nicht starr und haben ein entsprechendes „Analogfeeling“. Dazu gibt es auch eine Phasensteuerung. Besonders an ihnen ist ihre Unabhängigkeit voneinander, sie können im Routing als Modulator oder Klangquelle dienen oder auch komplett abgespalten werden. Somit kann man sich einen 4-OP-FM-Synthesizer oder zwei Synthesizer mit je zwei Oszillatoren „zusammenbauen“. Synchronisation und Ringmodulation ist ebenfalls mit an Bord.
Die Schwingungsformen werden in Form des Shape-Parameters eingestellt. So durchfährt man stufenlos alle Grundschwingungsformen in 255 Schritten, hübsch geordnet nach Obertongehalt (Sinus über Sägezahn bis Rechteck). Die sogenannte Time-Linearity Modulation und der Crush-Parameter dienen der Deformierung der Schwingungsformen bereits auf Oszillatoren-Ebene. Das Tuning ist bei FM-Klängen sehr sensibel, daher kann man „endlos“ am Tuning „kurbeln“ (à la EMS VCS3) oder den üblichen Weg über die Fein- und Grobstimmung gehen. Die Verschaltungsmöglichkeiten mit linearer und exponentieller FM (Frequenzmodulation) sind für eine „Groovebox“ extrem ungewöhnlich und die PM (Phasenmodulation) ist ebenfalls möglich. Wenn ich einen Hut hätte, würde ich ihn jetzt abnehmen.
Filter
Der Hybridsynthesizer bietet ein Multimode-Filter (MM) und ein „klassisches Kaskadentiefpassfilter (LP) mit 24 dB pro Oktave“ (Moog Kaskade). Das MM beherrscht die Betriebsarten Tief-, Hoch-, und Bandpass und hat generell 12 dB pro Oktave Flankensteilheit. Die Resonanz ist modulierbar. Den Klang zu beschreiben, fällt schwer, die Resonanzfärbung tritt schon recht früh ein, was eher an Waldorf oder SCI erinnert, jedoch im guten Sinne „cleaner“. Beide Filter sind in den Sounddemos zu hören.
Bediengerüchte
Diese Menge an Parametern hat natürlich auch einen Preis. Wer nicht „fit“ in Synthese ist, könnte sich bei 26 Subseiten im VCO-Wave-Bereich verirren, den Klangforschern unter uns wird genau dies gefallen. Allein die FM pro Oszillator hat weitere Subseiten, mit denen sich eine Beschäftigung auch lohnt. Die 10 LFOs und die vielen AHDSR-Hüllkurven wollen auch editiert werden, sie sind teilweise funktional, manche zweckgebunden organisiert. Ein Paradies für alle, die keine Angst im Parameterwald haben. Es gibt auch eine Random-Funktion zum Auswürfeln neuer Klänge.
LFOs und Hüllkurven
Wie schon erwähnt, gibt es nicht wenige Hüllkurven und LFOs, erstere sind schnell genug für moderne „klickende“ Sounds. Auch hier hat man sich klanglich offengehalten. Die beiden Entwickler (Andreas Tofahrn und Jörg Schaaf) haben sich auch nicht von dem kompletten Neuaufbau des Systems zurückwerfen lassen, wenn es klangliche Verbesserungen zu erreichen galt. Es gibt generell vier LFOs in der Mastersektion sowie weitere sechs in weiteren Bereichen (Filter, Verstärker). Sie sind im Gegensatz zu den Hüllkurven jedoch nur „normal schnell“.
Die Hüllkurven sind ähnlich organisiert wie die LFOs. Davon finden sich vier in der Filtersektion, vier bei den VCOs (Lautstärken), eine beim Rauschgenerator und je eine bei den Filterausgängen (Filterbank, MM, LP).
Filterbank
Alle Klangquellen können in die Filterbank eingespeist werden. Das System ist auch hier „modular“ aufgebaut. Acht Bandpassfilter sowie je ein Hoch- und ein Tiefpassfilter können sogar komplett in Resonanz und Bandbreite kollektiv reguliert werden. Es gehört auch eine Hüllkurve zur Filterbank. Allein mit einem einfachen Rauschen können Klanglandschaften entstehen (-> Klangbeispiel).
Sequencer
Ein weiterer Schwerpunkt ist der Sequencer. Es gibt einfache Realtime-Modi, der Fokus liegt jedoch deutlich auf der „Lauflicht“-Sektion. Letztere arbeitet im laufenden Betrieb, ganz im Stil der alten Roland TR-Drummachines. Entgegen den meisten anderen Maschinen, kann auch eine Dynamikvorwahl gemacht werden. Ändert man ihn, wird der nächste gesetzte Step entsprechend diesen Velocity-Wert annehmen. Das ist bedeutend besser als das „Accent“-System, in dem es nur zwei Dynamikwerte gibt. Die Roland MC909 bietet dynamische Pads, jedoch keine Echtzeit-Step-Setz/Lösch-Möglichkeit im laufenden Betrieb. Die Auflösung kann bis auf 192tel gesetzt werden. Auch das ist sonst kaum einem Lauflicht-System vergönnt, wenn man vom Genoqs Octopus absieht. Die 32 Tracks können beliebig oder zufällig und unabhängig in ihrer Richtung abgespielt werden und jeden Parameter steuern. Auch MIDI-Instrumente können vom Spectralis gesteuert werden (Controller, Aftertouch, Noten). Jeder Step kann eine Minihüllkurve triggern und nahezu jeden Parameter steuern. Dabei wird die Länge in musikalischen Werten eingegeben. Auch können die Hüllkurven direkt getriggert werden, dies gilt natürlich auch für die VCAs in der Filterbank. Allein dies ermöglicht enorme Feinarbeit für „Frickelmusik“ im besten Sinne. Auch können im laufenden Betrieb die Spuren „rotiert“ und ausgetauscht oder kopiert werden. Die Patterns sind in Songs organisiert und auf 32 pro Song begrenzt, jedoch kann ein Pattern oder eine Melodie von einem anderen Song einkopiert werden. Die Songanwahl löst jedoch (zur Zeit) das Stoppen der Maschine aus. Der Sequencer erledigt alles „während der Fahrt“. Bisher ist jedoch die Real-Time-Aufnahme oder ein Songwechsel mit einem Zwangs-Stopp verbunden, dies soll jedoch per Update behoben werden. Im Spectralis kann man zwischen dem Song und Pattern-Modus umschalten, was eine Performance im programmierten Track einfach macht.
Verwaltung
Der Spectralis hat sechs Einzelausgänge und zwei Eingänge zur Verwertung in der Spectralis-Klangengine. Per USB (2.0) können Sounds, Songs und OS-Updates eingeladen werden. Die Konvertiereung der Samples in das Spectralis eigene Format erfolgt über ein spezielles Programm, was zur Zeit nur für PC vorliegt – in Zeiten der Bootcamp-tauglichen Intel-Macs vielleicht nicht mehr so schlimm wie bisher, dennoch sollte das sicher nachgereicht werden. Generell gibt es (noch) keine Editorsoftware für die vielen Parameter. Auch an der Sequencer-Engine wird noch gefeilt, so laufen momentan Sequenzen des Spectralis synchron, bis der Spectralis einmal manuell gestoppt wurde. Ab da folgt der Spectralis leider nur seinem eigenen Tempo. Alle diese Sachen werden allerdings nach Informationen von Jörg Schaaf/Radikal in V1.00 spätestens implementiert sein. Man zog übrigens den Step-Bereich des Sequencers vor, da die bisherigen User dies recht eindeutig signalisierten. Der finale Realtime-Modus soll damit auch im laufenden Betrieb möglich sein. Somit gibt es viel Licht und etwas Schatten. Alles funktioniert auf Mac und PC, bis auf das Sample-Import-Programm (PC only, noch). Und der „Speckie“ mounted sich sofort nach ddem Einstecken des USB-Kabels, somit ist alles easy – es fehlt nur das bald avisierte Mac-Sample-Tool.
Erklärungen zu den Klangbeispielen:
Filterbank: Simples weißes Rauschen durch die Filterbank – es werden alle Parameter animiert.
Zeigt einen großen Vorteil: Volle Dynamik und schnelle Beats mit bis zu 192tel. [demo.mp3]. Weitere Demos mit FM Einsatz [demo2.mp3]. Eine Spur steuert mittels „Spurhüllkurve“ einen Parameter. (siehe Audionamen).
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Ach wie schön, der alte Speckie. Da freue ich mich sehr! Nutze meinen meistens um andere Synthesizer zu sequenzen. Die Dsynth Sektion ist schon ein bissel fummelig, weil man Soundfonts erstellen muss. Btw das letzte OS ist 1.71.
ein Top 3 Gerät. Habe über die Jahrzehnte mehrmals das Handbuch gelesen und, als Klangtüftler, beschlossen, die Kiste nicht anzuschaffen.
Bis heute wurmt es mich, das Ding nie ausprobiert zu haben.
Ein toller Synthesizer mit richtig fettem Sound.
Leider ist die Bedienung sowas von umständlich und das war daher für mich immer ein NoGo.
Herausragende , sehr vertrackte Maschine. Zum Glück existieren auf Youtube gute (!) Beispiele, die zeigen was das Gerät tatsächlich kann, und vor allen Dingen wie es klingt, grossartig.
Ich hüte meinen Spectralis seit über 15 Jahren. Hpts, weil der verbaute DSP Mono Synth zusammen mit den analogen Filtern jedes Haus zum Einsturz bringen kann und amtlich wie sahnig klingt.
Zum Thema Spectralis fällt mir noch der Musiker Lopazz ein. Der verwendet damals Live immer einen Spectralis.
https://youtu.be/YNoL7vNbLrs
Lieber moogulator, lieber Tyrell,
unabhängig vom Specki (der mir nicht bekannt war) hat mich dieses Statement interessiert:
„Viele digitale Oszillatoren haben immer noch ein Problem, klare und generell genug Obertöne produzieren zu können. Nach Ohrentests gibt der Spectralis vollständige Obertöne ab, was leider nicht für viele virtuell-analoge Synthesizer gilt“.
Könnte man dazu mal nen Artikel machen? Daß „viele“ „immer noch“ ein Problem haben „klare“ Obertöne zu produzieren, war mir schlichtweg nicht bekannt (aber meine Obertonohren sind auch nicht mehr so jung). Klingen die ganzen neuen alten Waldorfs, Nords und Viren (um ein paar zu nennen) alle unklar?
Die technischen Basics dazu ebenso wie eine (unvollständige) Übersicht der guten/schlechten würde mich brennend interessieren.
@moinho hat mich auch sehr gewundert..
hab ich noch nie gehört
und schätze mic irmer (moogulator)
@moinho 😁
@moinho Interessant zu hören, dass es beim Spectralis angeblich nicht so wäre, aber ja, VAs (vor allem ältere) haben alle ein wohlbekanntes Defizit im Obertonbereich, was ja allein schon auf die sonst benötigte Rechenleistung zurückzuführen ist. Korrigiert mich, wenn ich falsch liege.
2004 und schon Vintage… Man, jetzt komme ich mir aber richtig alt vor…😳
@liquid orange stimmt…
😃
ich auch 😎
Der Spectralis wurde wegen seiner Bedienung und dem Updatehype zu der Zeit oft kritisiert. Manches auch zurecht. In irgendeiner Ecke des Delays konnt man den zum abstürzen bringen.
Leider hat die Diskussion einen wenig differenzierten Blick auf die Kiste geworfen. Klanglich ist er absolut ein Highlight. Eine echte Profi-Tüftlerbox. Wahrscheinlich zu billig(1998 Euro als Neupreis) so dass Einsteiger, die sich auch auf einem Virus TI oder MC 909 zurechtfanden leicht überfordert waren.
Wer das überstand konnte ein echtes Routing und Sequencermonster beherschen. 8 Ausgänge. Mitunter liessen sich 3 Parts auf einer Oberfläche bedienen. Klanglich, ich wiederhole mich, ein echter Hörgenuss. Die Hardware mit ihren Endlospotis ein Traum.
Jörg hat mir aber auch mal ein Charge schlechter Endlospotis ausgetauscht.
EIn Ding mit Kanten und Ecken auf höchstem Niveau. Für ein 1Mann oder 2Mann Projekt eine tolle Leistung.
2004. Das waren noch Zeiten. Ebbe und Flut, Spectralis, Virus TI,
@Mattvank Endlospotis gibt es nicht, nur Rotary Encoder, falls du das meinst.
Ich habe den Spectralis 2 seit über 10 Jahren (gebraucht gekauft) und machen fast ausschließlich alle Drumsounds damit!!
Hatte ihn mal wegen eines Austauschs des Kick- Buttons zu Hr. Schaaf geschickt, der mir bei dieser Gelegenheit auch 2 Potis erneuerte, das teuerste an der Sache war der Versand!
Tolles Gerät!!!
Persönlich hab ich mit dem 1. Teil mal geliebäugelt – auch weil das Gerät meineserachtens einfach nur stylisch aussieht (schaut euch mal die beleuchteten Taster an) und natürlich dazu auch wahnsinnig gut klingt. Ich hatte Jörg Schaaf mal spielen gesehen auf der Superbooth am Stand vor Jahren. War der Knaller… Kraftwerk rulez!