Band-Aufnahme: Gesang und der erste Mix
Inhaltsverzeichnis
In den ersten beiden Workshops zur Aufnahme einer Band im Proberaum ging es um die Vorbereitungen sowie die Aufnahmen von Drums, Bass und Gitarren. Auch das erste Editing des Mixes haben wir behandelt. Jetzt stehen die Gesangsaufnahmen und die Vorbereitungen für den Mix an.
Hier die Übersicht zur kompletten Serie des Workshops:
- Workshop: Band Recording 1 – Vorbereitungen, Schlagzeug und Bass
- Workshop: Band Recording 2 – Erstes Editing und Gitarren-Aufnahmen
- Workshop: Band-Recording 4 – Editing, Mix, Mastering
Vocal-Recording im Proberaum
Durch die in den ersten beiden Teilen bereits erläuterte „Verstärkerwand“ haben wir uns bereits im Ansatz eine nette kleine Kammer zwischen Wand und Cabinets gebaut, die wir nun unter Zuhilfenahme eines Lautsprecherstativs und Moltondecken in eine kleine Höhle für den Sänger umwandeln. So haben wir im Handumdrehen eine lediglich nach hinten offene, formidabel funktionierende Vocal-Booth gebastelt. Aus den vorherigen Sessions wissen wir, dass an unserem Sänger Christopher das Rode NT1 gut funktioniert, deswegen denken wir da überhaupt nicht nach, bauen dieses auf bzw. „ein“ und legen los.
Trotz der ungewohnten Aufnahmesituation verhält sich Christoph wie ein Routinier, lässt sich reinreden, nimmt Ratschläge von mir und der Band an und arbeitet damit – etwas, wodurch viele jüngere wie ältere Musiker sich leider beizeiten mal die Stimmung vermiesen lassen – worunter der generelle Vibe und somit auch die Aufnahme leidet.
Also eine weitere generelle Faustregel, wenn es darum geht, ergebnisorientiert zu arbeiten: „Steck dein Ego in die Schublade …
Abseits dessen sind auch abseits der Moral sämtliche Voraussetzungen gegeben: Christoph hat ein großartiges und wohltrainiertes Organ – und dieses stellt den wichtigsten Faktor einer jeden Produktion mit Gesang dar. Die Stimme steht über allem.
Zunächst nehmen wir die Gesangstimme des kompletten Songs in mehreren Takes und Abschnitten auf, bis alles im Kasten ist. Bereits während der Session kompiliere ich mir die besten Takes zusammen, das geht im Handumdrehen und spart später in der Postproduktion eine Menge Zeit. Danach nehmen wir noch einige Harmonie-Dopplungen mit diesem Setup auf und auch einen Shout, wie man ihn aus dem Metalbereich kennt, dient hier später noch als Dopplung für den fulminanten Schlussteil des Songs.
Um das ganze Konstrukt später etwas in die (Stereo-) Breite ziehen zu können – wir aber keine tollen Backing-Sänger zur Verfügung haben, tricksen wir etwas: Für die Background-Vocals drücke ich Chris ein SM57 in die Hand, mit dem er das ganze Stück ein paar Mal durchsingt. Mit dem Handmikro kann er auf Anhieb selber die wichtigen Stellen durch die Variation des Mikroabstands hervorheben – und hat auch noch eine Menge Spaß dabei. Aber warum mache ich das?
Das Wichtigste ist: Je unterschiedlicher das Material bei einer Dopplung klingt, desto wirkungsvoller merkt man es später auch im Mix. Deswegen kann hier schon die Wahl eines anderen Mikros den entscheidenden Unterschied machen. Aus meiner Perspektive als Produzent ist es jedoch am coolsten, wenn es jemand anderes singt.
Erinnert ihr euch an die sechsfach gedoppelte Metal-Gitarre aus dem vorherigen Workshop-Teil? Hier habe ich alle sechs Spuren mit dem Equalizer etwas gegeneinander gewichtet, damit sie sich nicht gegenseitig „aufessen“, sondern halbwegs miteinander funktionieren können – eben durch die dadurch erzeugten Unterschiede. Also ebenfalls wieder eine Faustregel, die sich verallgemeinern lässt und sich lohnt zu verinnerlichen. Eine Ausnahme, die die Regel bestätigt, sind beispielsweise Rapvocals, die exakt gleich aufgenommen und editiert sind und später einfach etwas im Stereofeld verteilt werden, so kann man sich eine „biggerthanlife“ Stimme basteln – klingt aber in diesem Genre- und Gesangskontext eher deplaziert und unnatürlich. Ein weiteres Beispiel sind selbstverständlich unsere Top-Gitarren, die nach diesem Prinzip per einfachem links-rechts Doppel aufgenommen wurden, damit wir sie an den Seiten des Mixes platzieren können.
Gesang im Mix platzieren
Dennoch, der Gesang ist so präsent, dass ich Angst bekomme, ihn später nicht vernünftig in den Mix integrieren zu können. Ich möchte nicht, dass er „auf“ dem Mix sitzt, sondern „in“ diesem. Kurzerhand schnappe ich mir noch mal ein Pärchen AKG C1000 und baue mir eine XY-Stereofonie – das heißt, ich packe beide Membranen der Mikrofone übereinander, sodass der Schall sie so gleichzeitig wie eben möglich erreicht – positioniere die beiden Mikros allerdings im 90 Grad Winkel zueinander.
Übrigens ist das C1000 ein Wahnsinns-Allrounder, eignet sich für fast jeden Anwendungsfall und nimmt viele Höhen in einem schönen Detailgrad mit. Kostenpunkt: keine 100,- Euro.
Um meine kleine Mikrofonbastelei scheuche ich sämtliche anderen anwesenden Mitglieder der Band – das sind Julius, Marcel und Tim – und befehle ihnen, gegen ihren Willen zu singen. So entstehen doch noch meine Backingvocals – und auch wenn lediglich Tim die Töne trifft, ergibt sich so eine geniale und energiereiche „Stimmenwand“, die sich im Mix unter der Hauptgesangsstimme positionieren lässt. Genau diese kleinen und einfachen Dinge sind es, die es später zu etwas Lebendigem machen. Ab dem zweiten Take haben die Jungs richtig Spaß und Sicherheit und enthusiastisch mitgegrölt, es passt wie die Faust aufs Auge und macht ordentlich Stimmung.
Damit geht ein entspannter und angenehmer Aufnahmetag zu Ende. Zuhause noch schnell durchkompiliert (je schneller man das macht, desto besser erinnert man sich noch an die Session und kann sich an die optimalen Takes erinnern), am nächsten Tag in derselben Session noch etwas rudimentär editiert – bevor es an das Anlegen einer neuen Session für den weiteren Mixdown und Synthesizer-Overdubbing geht.
Mix der Proberaum Aufnahmen in der DAW
Nun ist alles im Kasten und mein Typ ist gefragt. Es geht ein paar Tage später an die Mischung. Den kompletten Mix im Ganzen darzustellen, würde, wie ich beim ersten Brainstorming für diesen Workshop feststellen musste, den Rahmen etwas sprengen. Deswegen hier die interessantesten und meiner Meinung nach nützlichsten Schritte der Mischung.
Hört euch die Session an, an der fast noch überhaupt nichts gemischt wurde, das Schlagzeug noch nicht in der Summe bearbeitet wurde und das Editing noch lange nicht perfekt ist. Keine Hallräume, keine Automationen, rein gar nichts. Aufgenommen mit einem 200,- Euro Tascam Audiointerface und ein paar geliehenen Mikrofonen direkt in die DAW, koordiniert von jemandem wie mir, der so was vielleicht mal ab und zu macht. Was bis hierhin noch ansteht: Timing-Probleme an Schlagzeug und Klampfen korrigieren, die breite Gitarre weiterhin zähmen. Toms hübsch machen.
Reparaturarbeiten der Band-Aufnahmen
Beim erneuten Reinhören in die Pro Tools Session macht sich auf Anhieb ein Problemkind bemerkbar: Die breite Gitarre, die das Hauptriff spielt und sechsfach gedoppelt wurde. Durch die vielfache Dopplung und das Aufnehmen dieser über Amp und Cab (nicht über DI und Amp-Plugin) ist sie ziemlich muffig geworden. Gerade im Grundtonbereich und auch ganz oben erfolgt die eine oder andere unleugbare Phasenauslöschung. Hier hilft nur noch verschlimmbessern des Busses.
Wenn ein Stereo-Signal einmal matschig klingen sollte, ist es sehr wahrscheinlich, dass das etwas mit dessen Phase zutun hat. Phasenauslöschung ist dann gegeben, wenn einander zwei Wellen (mit gleicher Frequenz, gleicher Wellenlänge und gleicher Amplitude) mit einem Phasenunterschied von 180° bzw. Pi überlagern. Falls ihr selber eure Phasen überprüfen möchtet, euch aber nicht auf euer Gehör verlassen könnt oder wollt, gibt es hierzu sogenannte Korrelationsmesser.
Ein großartiger Freeware-Analyzer ist der SPAN von Voxengo, dieser beinhaltet neben einer Vielzahl an Metering-Optionen (auch LUFS) auch einen solchen. Hierin unserem Beispiel haben wir sechs Mal denselben Gitarrensound übereinander gelegt und offenkundig nicht hinreichend editiert/sauber genug aufgenommen, deswegen klingt es muffig und aufgrund der amateurhaften Aufnahme sind in dem Material auch stehende Wellen zu finden.
Es geht an die Rettung. Mit dem Pro-Q von FabFilter lässt sich eine MS-Matrizierung vornehmen, sprich: Man arbeitet mit Mitten- und Seitensignal, nicht mehr mit dem linken und rechten Signal. Ich nehme Hi- und Locut für das Seitensignal vor und ziehe die Frequenzbereiche des Stereoanteils, die störend auf mich wirken, heraus.
Davor in der Signalkette liegt wieder Soothe von Oeksound, das mir die inharmonischen Obertöne und etwaige stehende Wellen schon einmal etwas herauszieht. Bei ca. 5-7 kHz liegt bei diesen Hi-Gain-Gitarren der Bereich, der gemeinhin als „Buzz“ betitelt wird, hier hört man die Zerre und die Obertöne. Leider gefällt mir das Klangbild dieser überhaupt nicht mehr, weshalb ich weiter trickse und „kaputt“ mische: Ich cutte alle Höhen der Gitarre bis ca. 4-5 kHz mit einem Tiefpassfilter heraus und dupliziere die Gitarrenspur. Das Duplikat der Spur cutte ich ab ca. 4-5 kHz mit einem Hochpassfilter, sodass hier lediglich der „Buzz“ übrig bleibt. Auf diesen packe ich eine Verstärkersimulation aus dem Rechner, die den Anschlag etwas präsenter und überschaubarer macht.
Ein Vorteil, der sich dadurch ergibt: Ich kann nun im Verhältnis zum Mix einmal den „Bauch“ der Gitarre, aber auch deren Präsenzanteil separat voneinander im Lautstärkeverhältnis anpassen. Alle anderen Gitarren klingen völlig in Ordnung, hier müssen wir lediglich schauen, dass wir Marcels sehr höhenlastige und angezerrte Gitarre gut in den Mix integrieren – dafür reicht allerdings ein herkömmlicher EQ.
Reparaturarbeiten des Band-Recordings Teil 2
Nach weiterem mehrmaligem Hören und dem Vornehmen eines Rough-Mixes, dem groben Anpassen der Pegelverhältnisse, fällt mir auf, dass leider auch die Overheads des Schlagzeugs etwas „out of phase“ sind.
Auch hier kann man leider nicht die perfekte Reparatur vornehmen, die im Nachhinein alle Phasenprobleme löst. Einen Trick zum groben Begleichen von Laufzeitunterschieden bei Stereospuren gibt es allerdings: In Pro Tools lässt sich ein L/R-Split vornehmen, sodass man aus der Stereo-Spur zwei Mono-Spuren machen kann. Anhand der Wellenform lässt sich erkennen, ob alles miteinander arbeitet oder ob die beiden jeweiligen Amplituden der Wellen gegeneinander schwingen. So kann ich nun eine der beiden Spuren leicht nach links oder rechts verschieben, bis die Wellen jeweils übereinander liegen.
Erster Eingriff und „Schlagzeugtausch“
Nun können wir loslegen: Auf alle Spuren gleichzeitig packe ich meinen derzeitigen Lieblings-Channelstrip: Die SSL G Emulation von Plugin Alliance, die ich fortan noch gegen ein paar Channelstrips für die Gitarrenspuren austausche. Nun habe ich mein kleines virtuelles Mischpult mit EQ, Dynamikbearbeitung und Aussteuerung vor mir – allem, was man für die erste Mischung braucht. Auch den digitalen Mixdown kann man auf diese Art und Weise intuitiv gestalten.
Beim Ankomprimieren von Kick und Snare fällt mir auf: Hier sind wir lange nicht zuhause. Gerade aufgrund der Tatsache, dass wir in der letzten Editing-Session alles recht stark quantisiert haben, klingen Kick und Snare recht dumpf und eher nicht nach Metal-Maschinengewehr – ein Kompromiss muss her, irgendwo zwischen Indie-Rock und Metal. Außerdem passt mir die Stimmung der Snare nicht mehr im Verhältnis zum Grundton.
Also exportiere ich mir die beiden Spuren aus Pro Tools und lasse sie von Ableton analysieren – sodass mir das Programm an den Anschlagspunkten der Drums MIDI-Noten ausspuckt. Die MIDI-Files hole ich mir zurück in Pro Tools und packe ein Schlagzeug-Plugin auf diese. Hierfür gibt es auch Plugins wie DrumXChanger oder Drumagog, die die Anschläge in Echtzeit als Trigger betätigen können. Ableton macht das aber genauso gut und berücksichtigt auch die Velocity der jeweiligen Anschläge.
Ich mische etwas herum, bis ich mich dazu entscheide, den Bauch von den ausgetauschten Kick- und Snare-Sounds zu verwenden und die Höhen des Teppichs und die „Air“ der aufgenommenen Drumsounds hervorzuheben – so mache ich mir neue Busse für Kick und Snare und packe auf diese wieder die Channelstrip-Plugins. Ich fahre Kick und Snare ordentlich in den Kompressor, auch die Overheads komprimiere ich schon leicht an und nehme einen relativ starken LowCut vor, da ich den Bauch der Snare auch von diesen verbannen möchte.
Die Kick bekommt einen leichten „Kompromiss“-Peak irgendwo zwischen 4-8 kHz und die Mitten räume ich per starker Filterung auf. Die Toms bekommen ein lächelndes Gesicht aufgesetzt indem ich Höhen und Tiefen etwas fördere und die Mitten etwas herausziehe, auf diesen nehme ich zusätzlich noch einen HiCut vor, sodass die allerhöchsten Störfrequenzen wegfallen.
Mit Fabfilters Pro-Q nehme ich fortan weitere Locuts auf den Spuren vor und finde einiges an Peaks aufgrund stehender Wellen auf den Overheads, die ich mit schmalen Bändern herausziehe, außerdem komprimiere ich sie auch recht stark an.
Unangenehme Peaks lassen sich am besten durch einen EQ-Sweep auf dem jeweiligen Material herausfinden – die Signalanteile, die gleichlaut bleiben oder hervorstehen, obwohl sich Klang und Tonhöhe des Materials verändern, sind meistens die, die unerwünscht sind.
Alle Aufnahmen sind im Kasten, die wichtigsten Teile repariert bzw. aufgebessert, im vierten und letzten Teil unseres Band Recording Workshops steht unweigerlich der Mix und das Mastering an.
top danke für den aufwand, sind ein paar schöne tips drin :)