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Workshop: In-Ear statt Bühnenmonitore? (Wedges)

Knopf im Ohr oder volles Pfund ins Gesicht?

19. Februar 2018

Wir wagen den Vergleich im Workshop Bühnenmonitoring oder In-Ear

Was soll denn der Blödsinn“, wird sich der eine oder andere bereits im Vorfeld fragen. „Werden überhaupt noch Wedges (Fachbegriff für Floor-Monitore) eingesetzt?“ Ja, ja, ich weiß. Seitdem es auch für den Ultra-Low-Budget-Bereich Funkstrecken im nahezu zweistelligen Preisbereich gibt, möchte man behaupten, der endgültige Abgesang der Floor-Monitore habe nunmehr final eingesetzt und es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis die Abhörkontrolle im 45 – 60 Grad Winkel von unten links, rechts oder mittig aus der Wahrnehmung des Künstlers verschwunden ist.

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Bühnenmonitoring oder In-Ear

Dennoch gibt es nach wie vor keinen ernstzunehmenden Club, der nicht über einen Satz Wedges plus Drumfill verfügt und auch international anerkannte Festivals in Wacken Dimensionen sind immer noch mit den schwarzen Keilen „zugange“. Warum ist dem so, wenn Inear-Systeme doch angeblich in nahezu jeder Situation den Boliden vom Fußboden überlegen sind? Nun, die Praxis sieht etwas anders aus.

Bühnenmonitoring oder InEar

Bühnenmonitore in ihrem natürlichen Habitat

Konzeption

Schauen wir uns doch erst einmal die beiden Grundkonzepte aus der Nähe an oder besser gesagt, die Entwicklung des Monitorings. Bis heute kann man keinem Menschen, der nicht selber einmal auf einer Bühne gestanden hat, klar machen, wozu diese komischen Kisten auf dem Boden überhaupt gut sind. Wer in einem kleinen, ungedämpften Proberaum einmal den geradezu infernalischen Lärm gehört hat, den ein Schlagzeuger mit seinen Naturdrums erzeugen kann, kann sich nicht einmal im Traum vorstellen, dass man den gleichen Lärm auf einer Open-Air-Bühne aus knapp zehn Metern nur noch als dünnes Geklapper wahrnimmt, geschweige denn, man steht noch unmittelbar vor seinem eignen Amp.

Um eine bessere Kontrolle der ANDEREN Musiker zu gewährleisten, entwickelte man also eine Beschallungsanlage, die es ermöglicht, neben seinem eigenen Sound aus der persönlichen Backline auch noch die Töne der Kollegen zu hören und so MIT ihnen und nicht GEGEN sie zu spielen. So viel zum Prinzip der Wedges. Hat über Jahrzehnte gut funktioniert, allerdings auch mit einigen gravierenden Einschränkungen, die die Entwicklung des sogenannten Inear-Monitorings auf den Weg brachte, bei dem zwei Ohrhörer den Gehörgang mehr oder weniger stark verschließen und der Klang einem iPhone gleich drahtlos überall auf der Bühne mit hingenommen werden kann.

Die Grundfrage lautet also, für welchen Künstler in welcher Stilrichtung bei welcher Lautstärke und welcher Bühnengröße welches System vorzuziehen ist. Klar, im örtlichen Jugendheim oder bei Opas Geburtstagsparty im Garten mit Lautstärken im unteren Bereich geht es auch gerne mal ganz ohne Monitore, da man auf kleinstem Raum auch den Direktschall des Kollegen gut hört und man seinen Gesang über die Gesangsanlage einigermaßen wahrnehmen kann. Darüber hinaus ist dann aber auch schon Feierabend mit Direktschall.

Wedges auf dem Busan Festival, Süd-Korea

Spielbeginn

Nicht umsonst waren es die Sänger, die als erstes in den Genuss von Funkstrecken kamen. Anfangs mit Ladenpreisen in astronomischen Bereichen versehen, war es nur die erste Liga der Pop- und Rockstars, die sich Inear-Systeme leisten konnten. Der Vorteil liegt auf der Hand und kann in der Tat von keinem Wedge-System aufgefangen werden. Zum einen hat der Frontmann nun die völlige Bewegungsfreiheit in Sachen Monitoring. Läuft der Sänger bei Wedges ständig Gefahr aus dem Sweet-Spot der Lautsprecher heraus zu laufen, so hat er mit einem Inear-System losgelöst von Körperhaltung oder Bühnenposition immer seinen perfekten Gesangssound auf seinen Ohrhöhrern. Dies ist durch kein Lautsprechersystem zu ersetzen, daher:

Spielstand „Inear versus Wedges“: 1:0

Der nächste Punkt, mit dem das Inear-System die Wedges in die Schranken weist, ist die Feedback-Situation. Um bei großen Bühnen die hohen Bühnenlautstärken in Kombination mit den seitlichen und rückwärtigen PA-Abstrahlungen zu kompensieren, müssen die Monitorsysteme mit sehr großen Lautstärken dagegen halten. Gerade beim Gesang haben wir dadurch eine Art Spießrutenlauf durch die Peaks, die bei mangelnder Mikrofontechnik oder ungünstiger Spielposition den Sänger im Feedback ersaufen lassen. Hier kann man bei Inear-Systemen die Bühnenlautstärke gegen Null fahren, es gibt Bands, bei denen ist auf der Bühne nur noch das Schlagzeug in Naturlautstärke zu hören, sonst nichts mehr. Klingt grausig auf der Bühne, hingegen ein Traum für jeden FOH, sofern die gelieferten Sounds ein Minimum an Qualität besitzen.

In-Ear erhöht auf 2:0

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Kann der Wedge dagegen halten? Ja, er kann! Je nach Ausführung und Qualität der Ohrhörer reicht der gelieferte Sound von quäkendem Krach mit hoher Einstreuung bis hin zum Hi-Fi-Sound mit absoluter Abschirmung zu jeglichem Bühnenklang. Was sich auf den ersten Blick sehr gut anhört, stellt auf den zweiten Blick eine psychologische Problematik dar. Durch die Abkapselung der Inear-Systeme verlieren gerade Sänger komplett den Draht zum Publikum und die Orientierung auf der Bühne. Auf Zwischenrufe kann nicht mehr eingegangen werden und der Applaus wird nur optisch, nicht mehr akustisch wahrgenommen, was in Sachen Entertainment eine Katastrophe darstellt.

Um dem entgegen zu wirken, müssen im Optimalfall mindestens zwei Ambience Mikrofone zum Publikum hin platziert werden, die im Spielbetrieb abgeschaltet und in den Pausen angeschaltet und zum Gesamtklang hinzugemischt werden müssen. Dies bedeutet nicht nur einen technischen Mehraufwand, sondern vor allem einen engagierten und mitdenkenden Monitormann, der bezahlt und transportiert werden will.

Überhaupt stellt das Wegfallen jeglicher Rauminformationen eine Herausforderung für das Gehirn dar. Die Tatsache, dass sich der Gitarrist zum Beispiel auf der linken Seite im Monitor Mix befindet und dort auch bleibt, wenn man sich um 180 Grad dreht, mag von außen betrachtet kein Problem darstellen. Wenn man sich allerdings das erste Mal mit Inear auf der Bühne bewegt, bereitet dies dem Gehirn einige Probleme und sorgt für Unsicherheit.

Wedges erzielen den Anschlusstreffer zum 2:1

Bühnenmonitoring oder InEar

Inear-Monitoring auf dem Bang Your Head Festival

Ein weiterer Nachteil von In-Ear-Systemen ist die totale Abhängigkeit vom Monitormann. Macht dieser einen Fehler oder ereignet sich ein Systemabsturz, bist du als Künstler gelinde gesagt völlig im Arsch. Dir bleibt nichts anderes übrig, als sich den Kopfhörer herauszureißen und zu hoffen, dass man noch irgendetwas von der Bühne mitbekommt. Bei Wedges kann dich der Monitormann natürlich auch ins offenen Messer laufen lassen, allerdings kannst du durch die Veränderung der Spielposition einem schlechten Sound „ausweichen“, was bei Inear nicht mehr möglich ist.

Spielstand „In-Ear versus Wedges“: Wedges gleichen aus zum 2:2

Vom technischen Aufwand her hingegen können beide Systeme einen Punkt für sich verbuchen bzw. verlieren jeweils einen. Vom Transport her haben wir es bei Wedges (und natürlich auch Drumfills) immer mit schweren Klötzen zu tun, die sowohl transportiert als auch gelagert werden wollen. Beides kostet Zeit, Geld und Muskelkraft, was gerne vermieden wird. Eine Funkstrecke dagegen kommt zumeist im 19-Zoll Rack daher, wird eventuell noch in Sachen Stromeinspeisung stabilisiert und das war es dann.

Was Funkstrecken hingegen im Live-Betrieb einschränkt, ist zum einen die Anzahl der freien Kanäle bzw. die freien Frequenzen, auf denen man senden kann oder darf. Bei großen Produktionen können sich gerne einmal bis zu 100 Funkstrecken um die freien Kanäle kloppen, was im Vorfeld und während der Show eines besonderen Abgleichs bedarf. Außerdem hat das Ausland neben verschieden Betriebsspannungen auch andere Frequenzen im Angebot. Was in Deutschland noch gut funktioniert, liefert dir unter Umständen in den USA ein astreines Signal des Funkverkehrs des örtlichen Sicherheitsdienstes. Alles Probleme, über die Wedges nur müde lächeln können.

Bühnenmonitoring oder InEar

Wedges mit Schutzhüllen, Sao Paulo, Brasilien

Neuer Spielstand „In-Ear versus Wedges“: 3:3

Zu guter Letzt kann man beiden Systemen noch einen persönlichen Pluspunkt verabreichen. Da wäre zum einen die „Belästigung“ der Kollegen mit der persönlichen Bühnenlautstärke. Wir alle kennen das Problem, dass jeder Musiker (zu Recht) sein Instrument für das Wichtigste in der Band hält. So weit, so gut. Das führt aber gerne dazu, dass losgelöst von den mahnenden Worten des FOH der Künstler an sich dazu neigt, seine Backline entsprechend seinen Neigungen aufzureißen.

Gerade Bassisten, deren Basistöne sich aufgrund der physikalischen Gegebenheiten ohnehin ungefragt auf der gesamten Bühne verteilen, neigen dazu, eine gewisse Körperlichkeit für ihr persönliches Wohlgefühl zu benötigen, um dem Publikum einen Unterhaltungswert zuteil werden zu lassen. Hier bewirkt ein Inear-System wahre Wunder. Der Künstler kann bei Bedarf faktisch in seinem Instrument in Motörhead-Lautstärke baden, ohne die Kollegen zu Tode zu nerven. Unbezahlbar, sofern sich der Kollege darauf einlässt.

Allerdings zeigt besagte „Körperlichkeit“ schnell seine Grenzen, denn eine Inear-Lautstärke ist nicht die gleiche bewegte Luft wie bei einem Wedge. Die Interaktion mit dem Instrument in Sachen Kompression, gewolltem Feedback (verzerrte Gitarre) und „Bauchgefühl“ verleihen der persönlichen Performance eine andere Ausstrahlung als der „klinisch saubere“ Mix eines Inear Systems.

Endstand nach Elfmeterschießen „In-Ear versus Wedges“: 4:4

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Fazit

Einen echten Gewinner kann es nicht geben, war aber auch nie Bestandteil dieses Vergleichs. Jeder Musiker muss seinen persönlichen Weg finden, um auf der Bühne die bestmögliche Performance für den Fan zu finden. Ausprobieren ist angesagt, vorurteilsfrei und mit einem Hang zum Experimentieren. Warum nicht eine Kombination von beiden im Stil von „Best-Of-Both-Worlds“?

Ich persönlich übrigens habe meine besten Erfahrungen in der Kombination von Inear mit persönlichen Monitormix plus einem kräftigen Schub von der Backline gemacht. Wann immer es geht, lege ich unsere eigenen Mikrofone auf einen kleinen Rack-Mischer (z.B. Mackie 16-4) nebst Splitter und schicke die Signale weiter zum FOH, der damit dann machen kann, was er will. Möchte ich meinen Monitorsound ändern, reicht der Gang zum Drummer und eine manuelle Drehung am jeweiligen AUX-Regler. Autark sein ist einfach unbezahlbar.

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Forum
  1. Profilbild
    Franz Walsch AHU

    In den goldenen Zeiten des Rock war man was Lautstärke angeht sehr kindlich unbekümmert. Inear war noch nicht erfunden und laut war einfach gut. Das hat nicht nur das Gehör der Zuschauer geschadet, sondern auch den Musikern. John Entwistle, der THE WHO Bassist, hat dadurch sogar einen guten Teil seines Darms eingebüßt. Das kam vom Anlehnen an die Bassbox. Heute empfinde ich Inear als notwendig. Profies sollten damit spielen können. Außerdem ermöglicht es den freien Blick auf die Bühne.
    Ich kann mich an kein großes Konzert ohne »Inear on Stage« erinnern. Außer den genannten Vor- und Nachteilen gibt es noch einen Aspekt: Über die Inears können Regieanweisungen etc. an die Musiker gegeben werden. Das ist wichtig bei weitläufigen Bühnen und Videoaufzeichnungen. Ich gehe als Zuschauer immer mit Gehörschutz zum Konzert – weiss man doch nie wie laut das wird.

  2. Profilbild
    lena

    Für mich gibts nur noch Inear. Ich komm zwar auch mit Monitoren klar, aber hat man sich erst mal an die Inears gewöhnt, wiegen die Vorteile schon gewaltig auf.

  3. Profilbild
    Organist007 AHU

    Auf einer großen Bühne mit einem guten Monitoring (ohne Inear !) zu spielen, ist schon geil. Man wird vom Sound „getragen“ und je nach Standort oder Bewegung (ich bin Keyboarder!) verändert sich auch der Sound ein wenig ! Geil !
    Der Keyboarder von THE CURE, Roger O`Donell lässt sich für sein InEar System overheadmikros für die Bühne aufstellen, um eine besseres Gefühl zu bekommen und „ambiance“ zu haben. So geht’s auch !
    Ich persönlich mag InEar höchstens nur im Studio, und nicht mal da (das war ein Scherz)! Die Abhöre ist mir in jedem Fall lieber. ich bin eben oldschool.

  4. Profilbild
    vssmnn AHU

    InEar benutze ich auch seit Jahren, einfach weil ich keinen Bock mehr auf die Schlepperei habe.
    Trotzdem ist mir der akkustisch eingebettete Sound einer „fetten“ Box eigentlich lieber.
    Hatte früher eine EON 15″ dafür missbraucht, einfach herrlich, was da an Druck rauskam.
    InEar ist wie Teamarbeit im Homeoffice.
    Jeder macht seins. Nerds finden das gut, aber die Empathie für die Gruppe leidet darunter.

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