So erzielst du den Shoegaze-Sound
Der Gitarrensound einer Shoegaze-Band ist etwas ganz Besonderes. Hier wird eine Wall of Sound erzeugt, die das Genre geprägt hat. Dieser Sound hat sich in viele Musikrichtungen verbreitet und kann in vielen Genres für ein ganz neues Klanggefühl sorgen. Wir zeigen euch, wie ihr den legendären Shoegaze-Sound erzeugt.
Inhaltsverzeichnis
Aber wie erzeugt man diesen Shoegaze-Sound? Welche Effektgeräte benötigt man und wie definiert man diesen Sound überhaupt? Ich habe mal auf meine Füße gestarrt und ein paar Effektgeräte kombiniert.
Was ist das Genre „Shoegaze“?
Shoegaze entwickelte sich in den 80er-Jahren in England und zählt zum Indie- und Alternative-Rock. Diese Musikrichtung wurde unüberhörbar von Bands wie Sonic Youth und Dinosaur Jr. beeinflusst. Die flächigen Gitarrensounds tragen den teils psychedelischen Gesang und die Musik hat trotz der enormen Lautstärke eine nahezu hypnotische und sehr emotionale Wirkung. Alles fließt ineinander und vereint sich zu einem großen Ganzen. Die Gitarre ist der Hauptbestandteil dieser Musikrichtung und der Gesang wird eher als nebensächlich betrachtet. Oft wird er sogar klanglichen in den Hintergrund gemischt und mit ähnlichen Effekten versehen wie die Gitarre. Aus einer Mischung aus Noise-Rock und Dream-Pop entstand ein flächiger Sound, den man Shoegaze nannte.
Die Energie der Songs wird durch die lauten Klangflächen erzeugt. Der Name Shoegaze kommt von der Tatsache, dass die Gitarristen die meiste Zeit auf ihre Füße und ihre Pedalboards starrten, weil sie viele Effekte nutzten und vollkommen in ihre Musik vertieft waren.
Die bekanntesten Shoegaze-Bands sind zweifelsfrei My Bloody Valentine, Slowdive, Ride und Lush. Später vermischte sich das Genre mit Grunge- und Britpop-Einflüssen und es entwickelten sich daraus Indie-Pop, Dream-Pop und Post-Punk.
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Das Geheimnis des Shoegaze-Sounds besteht darin, eine kleine Band mit wenigen Mitgliedern richtig groß, flächig und wuchtig klingen zu lassen. Dabei werden die Gitarre und der Gesang von ähnlichen Effekten unterstützt, um verwaschen zu klingen.
Die Effektgeräte für den Shoegaze-Sound
Das entscheidende Merkmal des Shoegaze-Sounds ist seine enorme klangliche Fläche, die mithilfe von Effektgeräten erzeugt wird. Die Gitarre klingt wie eine Mischung aus Gitarre und Synthesizer. Daher ist es enorm wichtig, dass man sich als Gitarrist gut mit den genutzten Pedalen auskennt, damit man auch während des Spielens immer wieder gezielt am Sound schrauben kann. Man behandelt die Effektpedale dann fast wie einen Synthesizer, der mit leichten Veränderungen im Sound und der Intensität durch den Song führen kann.
Das Gute ist, dass in dieser Musikrichtung keine komplexen Kompositionen erforderlich sind – ein paar wuchtige Akkorde, dazu passende Melodien und Töne reichen für die Sound-Fläche oft schon aus. Man möchte eine Atmosphäre erzeugen. Alles muss klanglich gut ineinandergreifen und den Klangteppich füllen. Viel Verzerrung ist gewünscht, aber Dissonanzen, die dann lange vom Delay und Reverb getragen werden, sollten vermieden werden.
Das Delay wird genutzt, um aus dem einen Gitarrensignal mehrere Ebenen und Flächen zu erzeugen. Bisweilen klingt es, als würden zahlreiche Gitarren und Synthesizer gleichzeitig spielen. Aber der Sound wird lediglich von einer Gitarre und vielen zeitbasierten Effekten erzeugt. Ein analoges Slapback mit vielen Wiederholungen, ein Tape-Echo mit etwas Modulation oder längere Delays – alles ist möglich. Alles, was loopt und räumlich klingt, ergibt Sinn. Generell darf gerne mit viel Feedback gespielt werden.
Egal, ob das Delay kurz vor der Selbstoszillation arbeitet oder der Verzerrer den Amp schon etwas in die Rückkopplung treibt – beides ist perfekt für Shoegazing.
Es gibt sogar bereits einige Effektgeräte, die einen Verzerrer mit einem Reverb-Effekt kombinieren. Hersteller wie Death by Audio haben sich auf diese Art der Klangeskapaden spezialisiert und auch der Keeley Loomer ist ein sehr gutes Shoegazing-Pedal. Man muss nicht unbedingt der beste Gitarrist sein, man sollte aber gut mit seinen klangformenden Geräten, also den Effektgeräten, richtig umgehen können.
Besonders wichtig für einen ordentlichen Shoegaze-Gitarren-Sound ist natürlich ein – oder besser mehrere – Reverb-Pedale. Idealerweise sollte es große Räume erzeugen können; ein Plate-, Hall- oder Cathedral-Algorithmus ist hierfür ein guter Start. Aber auch ein Reverb mit einer Reverse-Funktion ist für einen echten Shoegaze-Sound unerlässlich. Gerne dürfen mehrere Reverb-Pedale kombiniert werden, denn je verwaschener der Sound ist, umso realistischer klingt er. Es geht letztlich darum, große Flächen zu erzeugen. Wenn man dies ausprobiert, merkt man bereits, wie die Töne getragen werden und ineinanderfließen.
Bei der Wahl der Verzerrer, die natürlich ebenfalls sehr wichtig für den Sound sind, gibt es fast keine Grenzen. Vom traditionellen Overdrive-Pedal, über Distortion-Effektgeräte, bis zum wolligen Fuzz-Effekt ist hier alles erlaubt und alles erwünscht. Wichtige Verzerrer, die immer wieder für Shoegaze-Gitarren-Sounds verwendet wurden, sind beispielsweise der Colorsound Tone Bender. Diese Fuzz-Pedale erzeugen diesen verwaschenen Gainsound, der aber auch mit einem Big Muff gut erzeugt werden kann.
Der Fender Blender, der zu Ehren von Kevin Shields als Shield Blender neu aufgelegt wurde, gehört wohl zu den besten Shoegaze-Verzerrern inklusive Octaver, die es zurzeit gibt. Aber auch gated Fuzz-Pedale können generell eine gute Wahl sein. Es dürfen gerne mehrere Verzerrer gleichzeitig aktiviert werden, um das Attack der Gitarrensaiten komplett zu verwaschen und diesen typischen Sound zu erzeugen.
Einige Hersteller haben ihren Verzerrern gleich den entsprechenden Namen gegeben und so gibt es von Devi Ever ein Shoegazer Twin Fuzz-Pedal. Und das Violet Oscillation – Shoegaze Fuzz von Life is Unfair (ich finde übrigens, dass dies ein wirklich gelungener Herstellername ist) wirbt ebenfalls damit. Aber generell darf man hier jedes Fuzz wählen, das ordentlich „over the top“ klingt. Das Zvex Woolly Mammoth kommt mir da ebenfalls in den Sinn.
Und zu guter Letzt darf ein Modulationspedal nicht fehlen. Chorus, Phaser oder Flanger, aber eventuell auch ein Delay mit Modulation erzeugen die gewünschte Modulation im Klang. Alles, was „eiert“ und „wabert“, darf hier ausgiebig genutzt werden. Aber auch pulsierende Tremolo-Effekte können einen klasse Shoegaze-Sound verfeinern.
Die Effektanordnung für Shoegaze-Musik
Wichtig für einen guten Shoegaze-Sound ist die Reihenfolge der Effekte. Während man normalerweise Overdrive- und Fuzz-Effektgeräte am Anfang der Effektkette platziert, ist dies beim Shoegaze-Sound meist anders. Um diesen einzigartigen, flächigen Sound zu erzeugen, ist es sinnvoll, zumindest ein Reverb-Pedal weit vorne im Signalweg zu platzieren. Dahinter sorgen die Verzerrer für den verwaschenen Gainsound.
Aber hier darf fleißig experimentiert werden. Man sollte sich hier ein Beispiel am modularen Synthesizer nehmen und die Effekte nach Bedarf platzieren. So kann ein Overdrive eine Grundverzerrung liefern und ein Reverb-Pedal die erste Fläche erzeugen. Anschließende Fuzz-Pedale können den Sound dann weiter glätten und die Mitten herausnehmen. Zusätzliche Reverbs und Delays sorgen für die endlose Fläche. Die Modulation kann vor oder nach dem ersten Reverb platziert werden, damit sie noch gut in das Geschehen eingreifen kann, aber von nachfolgenden Effekten wieder etwas in den Gesamt-Sound integriert wird.
Kein Effekt sollte zu stark herausstechen, sondern eher als Teil eines Ganzen gesehen werden. Man darf hier alle Regeln der Effektanordnung über Bord werfen und ganz naiv an die Klanggestaltung herangehen. Wichtig ist, dass am Schluss kaum noch ein Attack zu hören ist und es kaum Spielpausen gibt.
Als Gitarrist merkt man schnell, wann und wie man die perfekte Grundfläche erzeugt. Die Akkorde stehen im Raum und wabern zum Drum-Groove. Dazu können nun einzelne Töne gespielt, vielleicht auch per Volume-Poti eingefadet werden, um ein paar oktavierte Akzente zu setzen. Der Sound trägt und inspiriert, und da es musikalisch keine richtigen Übergänge gibt, hört man mehr auf den Schlagzeuger und Sänger, um Steigerungen einzubauen.
Mehrere Pedale einer Kategorie ergeben in dieser Musikrichtung absolut Sinn. Sie werden kombiniert und nach und nach aktiviert, um die Intensität zu steigern. Ideal wäre eigentlich ein modularer Switcher, der die Reihenfolge beliebig ändern kann. So könnte man mit verschiedenen Kombinationen experimentieren. Auch ein Matrix-Mixer, der die Signale zusammenmischt, ist geeignet. Aber das wäre vielleicht schon wieder zu kompliziert gedacht.
Es müssen keine Boutique-Effekte sein, sondern einfach eine große Anzahl extrem klingender Lieblingseffekte. Auch mit einer Kombination von EHX Reverb und Boss Distortion kann man bereits gute Resultate erzielen.
Interessanter Artikel für mich als Shoegaze Fan. Hab mich schon immer gefragt, wie die das selbst Anfang Mitte der 90er so hinkriegten, dass es anstatt einfach nur nach „zuviel von allem und unverkennbar verwaschen“ so dicht und (klangvoll dis-)harmonisch klingt. Ist ja ne hohe Kunst find ich. Das zeigt sich auch bei Noise und Postrock. Apropos: Einen ähnlichen Artikel zum Postrock fänd ich schön.
@zirkuskind Nicht erst 1990er :-) Wenn ich mir „Garlands“ anhöre, das Debüt (und IMHO beste Album) von Cocteau Twins – die drei haben das Anfang 1980er hingekriegt, frag mich nicht, mit welchen Mitteln, doch viel Ressourcen hatten sie anfangs nicht. Aber der Effekt ist der Hammer. Das war nicht nur der Spaten-, pardon: Stratostich für Shoegazing; auch Triphop wäre ohne diese frühen Erfahrungen kaum denkbar.
Schon wenig später in den 1980er kam ein Ivo Watts-Russell auf den Plan und schmiss mit This Mortal Coil zwei absolute „jawdropper“-Alben (zwei, denn das dritte Album „Blood“ war schon sehr angepasst bis langweilig), bei dem ich wirklich nur da sitzen konnte, quasi in einer Achterbahn zwischen höchster Begeisterung und etwas hilf-/sprachlosem „hä!?“.
Das war die all-in Technik der späten 1980er, mit all den Harmonizern und was es so alles gab, dirigiert von dem Producer-Genie Ivo. Ich kam erst viel später drauf, dass die Musik vorwiegend mit Gitarren, nicht etwa mit Synthesizern gemacht worden war. „Filigree and Shadow“ kann ich bis heute jederzeit hören, hat sich nicht ein Stück abgenutzt.
@Aljen Interessante Infos, danke!
Interessante Ansätze. Ähnliches hatte mir damals auch im Gespräch der Gitarrist von Principe Valiente (wohl eine der besten Bands aus dieser Ecke, die noch aktiv ist – Anspieltipp: „In My Arms“) verraten.
Selbst habe ich an solch einem Sound noch nicht rumgebastelt (ich höre es zwar gerne, spiele dann aber doch lieber mit mehr Attack), aber ich werde es wohl mal austesten. Schön ist auch, dass es in dem Genre sehr schwer ist, den Sound einer anderen Band 1:1 zu kopieren und sich daher weit mehr Vielfalt bildet.
Ich bin Keyboarder und habe den Artikel aus Neugier angeklickt. Wall of Sound mit Gitarren klang schon mal interessant. Ich mag es selbst gerne bombastisch. Beim Lesen der Beschreibung was Shoegaze ausmacht, mußte ich als allererstes an einen Musiker denken, der meiner bescheidenen Meinung nach den Wall of Sound auf die Spitze getrieben hat: Devin Townsend.
Kleines Beispiel: https://www.youtube.com/watch?v=tJz-L3SbrLE
Allerdings glaube ich gelesen zu haben, das Devin Townsend im Studio gerne mal ein Dutzend oder mehr Gitarrenspuren übereinander legt um seinen speziellen Sound zu kreieren. Ich kann mich jedenfalls seiner Musik nicht mehr entziehen. Am Ende des Artikels wurde mir dann doch klar, das ich mich mit Devin Townsend und Shoegaze wohl doch geirrt hatte. 😉
@MadMac Cool. Devin Townsend kannte ich noch nicht. Wenn du auf Rockiges stehst, magst du vielleicht die Mezcal Head von Swervedriver.
Entspricht nicht ganz dem Shoegazer-Image, aber die Band hatten die Musikredakteure irgendwann mit in die Schublade gepackt. Wahrscheinlich, weil sie wie MBV, Ride und Slowdive auf Creation waren.
@svebur Danke für den Tip.👍
einfach nach belieben Effekte draufknallen bis der Arzt kommt.
der einzige sound der nicht so offensichtlich ist reverb>overdrive/distortion …
damit das alle nicht zu schrill & kreischig wird Roland jazz chorus oder ne IR davon + Chorus am ende wirken wunder … ;)
Vielen Dank für den Artikel. Wirklich klasse. Jetzt kann ich den Sound einfach so nachbauen :)