Hall hören und einsetzen
Wer einmal in einem schalltoten Raum gestanden hat, weiß, wie wichtig die Rauminformation für das Wohlbefinden und das Orientierungsvermögen ist. Deshalb ist Reverb/Hall der wichtigste Effekt in jeder Art von Klangaufzeichnung. Er gibt Aufschluss über den Ort der Aufzeichnung und ermöglicht die Orientierung. Aber muss Hall immer natürlich sein?
In unserem Workshop „Kreativer Einsatz von Halleffekten“, den unser Autor Armin Bauer bereits vor einigen Jahren für uns geschrieben hatte und den wir vor allem im Hinblick auf unsere neuen Leser überarbeitet haben, soll es darum gehen, wie sich der Effekt auch abseits ausgetretener Pfade gewinnbringend einsetzen lässt.
Inhaltsverzeichnis
Was ist Hall?
Ich versuch’s mal kurz und unwissenschaftlich:
Der produzierte Schall, egal aus welcher Quelle, trifft beim Hörer ein. Aber damit nicht genug, der Schall ist ja kein Laserstrahl. Er breitet sich also aus, trifft auf Wände, Decken und Säulen, wird reflektiert und so treffen nach einer gewissen Zeit unzählige Antworten des Direktsignals beim Hörer ein. Die ersten Rückwürfe sind noch als einzelne Signale zu erkennen, die sogenannten Early Reflexions, im Grunde dicht aufeinander folgende Bouncing Delays. Die Zeit, die vergeht, bis nach dem Direktsignal die Early Reflexions eintreffen, ist das Early Reflexion Delay.
Ab einem gewissen Zeitpunkt sind diese Reflexionen aber nicht mehr einzeln auszumachen, sondern verschwimmen zu einem dichten Klangbrei, dem Nachhall. Über die Zeit, die der Nachhall braucht, um sich um 60 dB abzuschwächen, ist die Reverbtime definiert. Die Zeit zwischen dem Direktsignal und dem Nachhall ist das Predelay.
Weitere Faktoren sind für das Reverbsignal verantwortlich. Da wäre zunächst die Entfernung des Schallgebers zum Hörer. Ist der weiter entfernt, nimmt seine Intensität im Verhältnis zum Effektsignal ab. Ganz wichtig auch die Beschaffenheit der Wände und sonstige Einbauten. Je härter und glatter eine Fläche ist, umso höher ist die Reflexion, der Hall nimmt also zu. Gleichzeitig wird er höhenreicher, da hohe Frequenzen eine geringere Schwingung haben und daher bei porösen Stoffen stärker absorbiert werden. Auch die Raumstruktur ist wichtig, parallele Wände führen bei bestimmten Frequenzen zu störenden Flatterechos.
Das Schöne an all diesen Betrachtungen ist: Unsere heutige Aufgabe ist „Kreativer Hall“, d. h. wir dürfen die Naturgesetze also einfach mal außer Acht lassen!
Gleichzeitig zu diesem Special stand ein Test von fünf Meilensteinen der Hallsimulation an, die der Hersteller Universal Audio unter dem Namen Classic Reverbs für seine hauseigene Plattform emuliert hat. Was lag also näher, als zu überprüfen, ob und wie sich die von fast 35 bis über 50 Jahre alten Konzepte auch heute noch kreativ einsetzen lassen. Der Test der Classic Reverbs folgt in Kürze.
Historie zum Hall
Zu Beginn der Tonaufzeichnung war der Raumeindruck fest an die benutzte Örtlichkeit gekoppelt. Wenn es nach Kirche klingen sollte, wurde eben in der Kirche aufgezeichnet.
Dies hat solange gut funktioniert, wie vorwiegend mit Raummikrofonen aufgenommen wurde.
Mit dem Aufkommen der Mehrspurtechnik und dem entsprechenden Heranrücken der Mikrofonie an einzelne Schallquellen ging der Raumeindruck weitgehend verloren und musste nun entsprechend ersetzt werden.
Schritt 1 dazu war der Hallraum. Das aufgenommene Signal wurde über Lautsprecher in einen dafür vorbereiteten Raum eingespielt und auf der Gegenseite über Mikros wieder abgegriffen. Das gewonnene Signal wurde der Originalspur zugemischt. Eine schöne, wenn auch kostenintensive Lösung, denn jeder Raum entsprach einem „Preset“, das nur marginal veränderbar war.
In den 50er-Jahren wurden dann Federhallgeräte entwickelt. Das Signal wurde durch eine oder mehrere Stahlfedern geschickt und wieder abgenommen.
Einfache Vertreter dieser Gattung verrichten auch heute noch in vielen Gitarrenamps ihren Dienst. Die erste professionelle Studiolösung brachte in den 60ern AKG mit der BX20 auf den Markt. In Format und Gewicht einer 2×15″ Bassbox war die Einheit als durchaus handlich anzusehen.
Wirklich natürlich war der Federhall nie, so fehlten ihm die Early Reflections und er klang recht metallisch und scheppernd. Für einige Signale war und ist er aber die Idealbesetzung, Gitarre und Orgel werden immer noch gern damit veredelt.
Die nächste Entwicklungsstufe folgte mit der Hallplatte. Hier wurde die Hallspirale durch eine dünne Metallplatte ersetzt. Durch eine Dämpfungsplatte konnte erstmals die Reverbtime beeinflusst werden. Der Klang geriet deutlich natürlicher als mit der Spirale, bot aber immer noch keine Early Reflections und war unnatürlich höhenreich. Die Firma Elektromesstechnik Wilhelm Franz aus dem Schwarzwald brachte 1957 das EMT 140 heraus.
Die Platte war 2 x 1 m groß, mit 170 kg wurde das Effektgerät als transportabel eingestuft. In späteren Entwicklungen wurde die Platte durch Metallfolie ersetzt, jetzt waren tatsächlich Reverbsysteme realisierbar, die auch im Ü-Wagen Verwendung finden konnten.
Ab 1976 hatten die mechanischen Reverbs weitgehend ausgedient. EMT kam mit dem ersten professionellen digitalen Hall, dem EMT 250, die legendäre Weltraum-Heizung auf den Markt. Dem folgte recht schnell aus den USA das Lexicon 224, bevor The British Empire 1981 mit dem AMS RMX16 zurückschlug.
Kreativer Einsatz von Hall-Effekten
Oft möchte man ja seinen Hall so natürlich als möglich haben, es soll sich echt anhören. Aber es lassen sich mit dem Effekt noch ein paar nette Spezialgeschichten basteln, von denen ich einige mal hier zusammengestellt habe.
Mono-Hall
Eindeutig ein Effekt, der in der Natur so nicht vorkommt, der Raumeindruck geht völlig verloren. Aber gerade deshalb ist der Mono-Hall da gut einsetzbar, wo zwar der Klang geschätzt wird, auf die Breite aber verzichtet werden möchte. Typisches Beispiel ist immer noch der E-Gitarren-Amp oder ein Snare-Hall.
Gated Reverb
Ein Effekt, den jeder, der wie ich schon in den 80ern Chartmusik gehört hat, zu Genüge kennt. Der Nachhall wird durch ein Gate abgeschnitten, d. h. er klingt nicht bis auf Null aus. Bekannt geworden vor allem durch die berühmte Phil Collins-Snare. Wenn das eigene Hallgerät diesen Effekt nicht anbietet, lässt er sich natürlich sehr einfach durch ein nachgeschaltetes Gate realisieren.
Reverse Hall
Hier wird die Hallfahne umgedreht, steigt also von Null zur Maximallautstärke an, um abrupt zu enden. Sicher kein Effekt, den man einen kompletten Song durch genießen kann, aber als einzelner Spannungspunkt ist der Reverse-Hall immer gut einsetzbar. Auch im Sounddesign wird der Effekt gerne verwendet.
Vorgestellter Hall
Hier wird ein Reverse Hall vor das eigentliche Originalsignal gesetzt. Das ist so direkt mit keinem Hallgerät zu realisieren, es müsste ja voraus denken können. Für einzelne Samples kann man hier in der DAW einfach das Hallsignal separieren und zeitlich passend anordnen. Bei längeren Passagen ist es einfacher, die Originalspur zu kopieren und diese zeitlich vorgezogen ohne Direktausgang in den Reverse-Hall zu führen. Eignet sich sehr schön für Songübergänge und für absolute Psychedelic-Produktionen.
Ducking Reverb
Meines Wissens nach bietet diesen Effekt kein Hallgerät an, er lässt sich aber in der DAW ganz einfach basteln. Hinter dem in einem Aux-Weg liegenden Hallgerät wird ein Kompressor geschaltet. In dessen Side-Chain wird die zu bearbeitende Audiospur ausgewählt. Nun lässt sich mit Threshold und Ratio einstellen, wie weit das Hallsignal unterdrückt werden soll, solange ein Nutzsignal anliegt. Ein schöner Effekt, um in den Spielpausen den vollen Effekt zur Verfügung zu haben und das Originalsignal trockener und durchsetzungsfähig zu erhalten.
Frequenz bearbeiteter Hall
In der Natur werden die hohen Frequenzen schneller geschluckt, weshalb das Hallsignal immer dumpfer erscheint wie das Ausgangssignal. Dadurch erscheinen höhenlastige Instrumente in der Tiefenstaffelung auch immer weiter vorne. Hier lässt sich durch die Klangbearbeitung des Halls eine gute Abstufung erzielen. Ein recht höhenreicher Effekt holt das Signal weiter nach vorn (auch deshalb ist Plate Reverb auf Stimmen und Soloinstrumenten immer noch so beliebt), ein extrem dumpfer Hall rückt zu spitze Signale nach hinten.
Falsche Zuordnung im Panorama
Das geschieht oft unabsichtlich, da oft nicht mit einem True-Stereo-Hall, sondern mit einem Mono-to-Stereo-Gerät gearbeitet wird. So wird die Anordnung des Instruments in der Stereobreite nicht mit übernommen, das Hallsignal erscheint immer mittig. Das kann natürlich auch bewusst genutzt werden bzw. kann in einer True-Stereo-Anordnung das Hallsignal absichtlich räumlich vom Originalsignal getrennt werden.
Unnatürliche Hallräume
Ein Hallsignal ist, wie wir wissen, folgendermaßen aufgebaut. Auf den direkten Schall, der den Hörer erreicht, folgen die Early Reflexions, die noch nicht als diffuse Hallfahne auftreten, sondern im Prinzip einzelne Echos sind. Darauf folgt nach einer bestimmten Zeit, die als Pre Delay bezeichnet wird, der Nachhall. Diese drei Komponenten sind abhängig von der Raumstruktur und -größe. Hier kann man nun manipulieren, um unnatürliche Räume zu erzielen. Wie wäre es z.B. mit einem riesigen Pre Delay und danach mit einer ultrakurzen Hallfahne? Oder die Early Reflexions in der Lautstärke ansteigend, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Kein Hall
Hört sich vielleicht etwas seltsam an, aber es muss nicht immer Reverb sein. Viele Geräte bieten auch die ganze Palette der Modulationseffekte an, Chorus, Flanging, Ensemble usw. Hier ist Ausprobieren angesagt. Ein Ensemble-Effekt lässt z.B. die Stimme sehr schön breit und groß werden, ohne sie vom Zuhörer zu entfernen.
Ich hoffe, ich habe mit dem Workshop ein wenig Interesse geweckt, sich nicht nur durch die Presets der verfügbaren Reverbs zu klicken, sondern auch mal Eigenkreationen in Angriff zu nehmen. Sicher ist es mir hier auch nicht geglückt, sämtliche Möglichkeiten aufzuzeigen. Wer also noch Ideen beisteuern möchte, immer her damit.
Men lernt nie aus. Ich dachte bisher, das Predelay wäre die Verzögerung, bis die allererste Reflexion kommt.
@bluebell Jein. So eindeutig ist das nicht, bzw es hängt sehr von der jeweiligen Implementierung des Hallgerätes/plugins ab. Bei den Quantec-Algorithmen, die ja nicht early und late reflections getrennt berechnen, ist das pre-delay die Zeit zwischen signal und Effektsignal, geht ja nicht anders. Bei anderen Algorithmen ist es anders. Beim Liquidsonics Illusion kann man zB beide Zeiten auf Wunsch separat einstellen.
Ein sehr wichtiges Thema und ich habe tatsächlich bei jedem einzelnen Song andere halleinstellungen und bin immer noch auf der Suche nach dem „richtigen“ Hall. Also man sieht: Ein Thema was mich sehr beschäftigt. Zuerst ein paar kurze Geschichten darüber: Interessant zum Beispiel, dass beim recording von John Lennons Imagine er unzufrieden war mit dem Raum (bezüglich des Halls), also schnappte man sich das Klavier und schleppte es extra in einen anderen Raum für eine erneute Aufnahme. Ich, besitzer einer Transistoren-Hammond-Orgel, die lange Zeit defekt war und was noch nie ging, war der integrierte Federhall. Wir fanden einen Profi der diese wieder zum laufen brachte inklusive des Federhalls und ja: Es ist schön zu sehen wie die Spirale aussieht und auch klingt. Etwas metallisch, aber interessant. Meine ersten Halleinsätze in der DAW waren die Steinberg Stock-Plugins wie RoomWorks. Ich fand’s schrecklich aber man muss erwähnen, dass es sich um einen Faltungshall handelt, also möglichst realitätsnahe Raumabbildung. Aktuell benutze ich Raum und bin damit relativ zufrieden. Aber an Ende bin ich noch nicht! Irgendwie hören sich meine Referenzen klanglich „offener“ an und ich weiß nicht warum das so ist. Inzwischen bin ich davon überzeugt es nie herauszufinden. Das whole life eines Hobbyenthusiasten. 😆
Wow, richtig toller Beitrag, Armin. 👍
Da hat das Lesen und Hören Spaß gemacht.
Es gibt ja noch -zig andere Möglichkeiten, mit verschiedenen Effektkombinationen kreativ zu werden. Ich würde mich freuen, wenn du noch weitere Überraschungen aus dem Hut zauberst.
Moralische und ethische Grenzen existieren ja hier zum Glück nicht.😀
Man merkt am Text, dass der Artikel schon etwas älter ist.
So wird die Ducking Funktion in Reverb PlugIns inzwischen angeboten z.B. Fabfilter R2.
Wer den AKG BX20 Federhall mag, wird z.B. bei Klanghelm fündig.
Interessantes Thema und mitunter auch nicht so einfach umzusetzen.
Ich hatte allerdings bisher gedacht, dass das PreDelay vor dem Einsetzen der ersten Reflexionen sitzt.
Gerade vor kurzem wieder festgestellt, wie toll ein Hall klingen kann, der durch einen Distortion-effekt geschickt wird. Dann zB ein paar einfache Synthlinien dadurch spielen, und schon klingt es nach Hollywood und Hans Zimmer 😉
Anstatt des integrierten Predelays kann man zB auch ein Tape-Delay davor packen, das zB in eine Hallplatte bzw eine Simulation derselben für “authentischen vintage Sound” :)
Oder: zwei sends mit je einem Hall, aber unterschiedliche bzw unterschiedliche Einstellungen, die dann jeweils links/rechts pannen nach Geschmack.