Endlich Notenlesen lernen!
Unser Chefredakteur wünschte sich einen Workshop zur Notenschrift, selbstverständlich einfach und logisch aufgebaut für Anfänger. Mach ich doch gerne! Vorkenntnisse sind keine notwendig, eine gesunde Neugierde reicht, wobei ich mich an Musiker aller Instrumente, Genres und Niveaus wende. Und ich verspreche, dass es nie kompliziert wird. Bestimmt nicht schwieriger als die subtraktive Klangsynthese oder ein Testbericht über ein Multi-Effektgerät, vorausgesetzt natürlich, dass man sich gleichermaßen dafür interessiert. Na, dann mal los!
Inhaltsverzeichnis
Wozu Noten?
Noten? O, nein, lieber nicht. Das sind doch diese seltsamen schwarzen Striche, die man „sowieso nie braucht“, und überhaupt: Gab es nicht auch berühmte Musiker, die keine Noten lesen konnten, z. B. John Lennon? Das mag sein, diese Gerüchte habe ich auch schon gelesen. Ob sie wirklich wahr sind oder er nicht ein bisschen damit kokettierte, ist eine andere Frage.
Zweifelslos sind Noten keine Bedingung, um ein guter Musiker zu werden, gleichzeitig können sie sehr praktisch sein, wenn man eine musikalische Idee kurz festhalten möchte und gerade kein Aufnahmegerät zur Verfügung steht.
Noten sind das akustische Pendant zur Zeichnung: Auch wenn wir heute dauernd Fotos machen können, sind (gute) Zeichnungen, Pläne und Skizzen oft geeigneter, um eine konkrete Idee festzuhalten und anderen zugänglich zu machen. Der Grund ist simpel: Man konzentriert sich auf das Wesentliche und lässt alles andere weg, wie bei einer Karte, die zum Navigieren einfacher ist als ein Satellitenbild. Ähnlich kann man sich den Sinn und Zweck von Noten vorstellen: Wer sich mit Noten auskennt, kommt häufig schneller ans Ziel. Dabei ist es wirklich keine Hexerei und folgt einer einfachen Logik.
Was zeigen Noten?
Noten stellen im Wesentlichen zwei Dinge dar: die Tonhöhe und die Tondauer. Ersteres erfolgt durch die vertikale Position: Je höher der Ton, desto höher wird er geschrieben, während die Dauer eines Tons durch die Form der Note definiert wird. Noten werden von links nach rechts geschrieben: Töne, die gleichzeitig erklingen, stehen übereinander. Ein Notensystem ist somit ähnlich aufgebaut wie die Timeline einer DAW.
Tonhöhe
Wie gesagt wird die Tonhöhe grafisch umgesetzt, wobei sich zur besseren Orientierung ein System mit fünf Linien etablierte. Dabei können Töne entweder auf einer Linie oder zwischen zwei Linien geschrieben werden. Andere Formen wie „die Note liegt zu einem Drittel über und zu zwei Dritteln unter der Linie“ haben sich zum Glück nicht durchgesetzt, da sie viel schwieriger zu lesen wären. Zusätzlich können Noten auch auf der obersten und unter der untersten Linie liegen, womit sich bei fünf Notenlinien bereits elf mögliche Töne ergeben.
Alles schön und gut, aber es sollte jedem klar sein, dass die Musik insgesamt einen größeren Tonumfang hat, der abgebildet werden soll. Was tun?
Natürlich könnte man einfach mehr Notenlinien ziehen, aber dies ginge zu Lasten der Übersichtlichkeit. Schon ab sechs oder sieben Linien würde man schnell die Orientierung verlieren. Hingegen kann man die Notenlinien unterschiedlichen Grundtonhöhen zuordnen, sozusagen eine Eichung. Dies geschieht durch Notenschlüssel: Dieses seltsam geschwungene Ding am Anfang des Notensystems dient nicht der Dekoration, sondern legt den Wirkungsbereich der Noten fest. Die beiden wichtigsten Schlüssel sind der Violin- und der Bass-Schlüssel:
Der Violinschlüssel wird auch G-Schlüssel genannt, weil sein grafisches Zentrum, die Spirale in der Mitte, die Lage des Tones g‘ definiert, auf der vierten Linie. Für die Klassiker: eingestrichenes g‘ . In MIDI-Sprache: G4. Auf dem Klavier wäre dies das G rechts des „Schlüsselloch-Cs“, also mittig auf der Klaviatur.
Beim Bass-Schlüssel liegt das Zentrum auf der zweiten Linie, eingerahmt durch die beiden Punkte. Dort liegt das f („kleines f“). MIDI: F3 (das f links vom Schlüsselloch-C). Deshalb heißt der Bass-Schlüssel auch F-Schlüssel.
Daraus ergeben sich folgende Töne im Bass-Schlüssel:
Welcher Schlüssel nun zum Einsatz kommt, hängt vom Tonumfang eines Instrumentes ab: Trompeten, Geigen, Gitarren, Blockflöten werden im Violinschlüssel notiert, tiefe Instrumente wie Bass, Tuba und Cello im Bass-Schlüssel. Als Faustregel kann man auch sagen: Melodien? Violinschlüssel. Basslinien? Bass-Schlüssel.
Und das Klavier, das sowohl die Basslinie als auch die Melodie spielen kann? Hier kommen einfach beide Schlüssel zum Einsatz, wie auch bei anderen Instrumenten mit großem Tonumfang wie Harfen, Marimbas und Orgeln.
Wenn die fünf Linien nicht ausreichen, schreibt man die Note auf einer Hilfslinie, die nur ein bisschen länger ist, als die Note selbst. Die häufigste Note mit Hilfslinie ist das mittlere c: C4 in MIDI-Sprache, „eingstrichenes c“, geschrieben c‘ für die Klassiker und Jazzer. Im Violinschlüssel liegt dieser Ton unterhalb des Notensystems (auf der ersten Hilfslinie), im Bass-Schlüssel oberhalb.
Die Töne von C-Dur erhält man, indem man der Reihe nach Noten auf bzw. zwischen die Notenlinien schreibt.
So viel zu den Tonhöhen, wobei dies noch nicht ganz alles ist. Im zweiten Teil des Workshops gehen wir der Sache etwas tiefer auf den Grund. Jetzt möchten wir uns erstmal den Tonlängen widmen, sprich: dem Rhythmus.
Rhythmus
Die Dauer eines Tons wird durch seine Form definiert. Dabei folgen diese sogenannten Notenwerte einem simplen Schema: Es wird stets halbiert. Fangen wir mit der längsten Note an: die Ganze Note. Geschrieben wird sie als unausgefüllter Kreis, den man Notenkopf nennt.
Die nächste Note nennt sich Halbe, ist genau halb so lang wie eine Ganze und fügt dem Kreis einen vertikalen Strich („Notenhals“) hinzu, der übrigens nach oben oder unten zeigen kann, je nachdem, was grafisch einfacher und übersichtlicher ist. Ansonsten besteht kein Unterschied zwischen „Hals nach oben“ und „Hals nach unten“. Es ist schlicht egal.
Weiter geht es, man ahnt es bereits, mit der Viertel-Note, die wiederum halb so lange gespielt wird wie eine Halbe. Im Gegensatz zur Halben ist der Notenkopf jetzt ausgefüllt.
Danach folgt die Achtel-Note, die grafisch mit einem Fähnchen am Strich gekennzeichnet wird. Wenn mehrere Achtel nacheinander gespielt werden, verbindet man die Fähnchen auch gerne zu einem horizontalen Strich, da dies übersichtlicher wirkt. Viertel und Achtel sind im Rock/Pop/Jazz Bereich die häufigsten Notenwerte.
Für kürzere Noten lässt sich das Spiel beliebig fortsetzen. Sechzehntel-Noten haben zwei Fähnchen, 32tel drei, 64tel vier etc. Daraus ergibt sich die folgende Notenpyramide: Zuoberst steht die Ganze, die gleich lang ist wie zwei Halbe, die wiederum je zwei Vierteln entsprechen. Und so weiter.
Pausen: Die notierte Stille
Eine Besonderheit unserer Notenschrift ist, dass es auch Zeichen für das „Nicht-Spielen“ gibt: die Pausen, sozusagen das musikalische Pendant zur Zahl Null. Auch Pausen können unterschiedlich lang sein, die Namen richten sich nach den entsprechenden Notenwerten.
Taktmaß und Taktstrich
Am Anfang des Notensystems notiert man, wieviele Grundschläge pro Takt vorkommen. Heute ist gefühlt 99,9 % der Pop- und Rockmusik im Vier-Viertel-Takt, was man mit zwei Ziffern übereinander darstellt: oben und unten die Ziffer 4.
Wieso „Vier-Viertel“ und nicht „Zwei-Halbe“, was ja mathematisch dasselbe wäre? Kurze Antwort: Weil man die vier Viertel als vier Schläge empfindet. Gezählt wird 1, 2, 3, 4 und danach wieder von vorne, was durch den Taktstrich markiert wird. In einem 2/2-Takt, der zumindest in der klassischen Musik durchaus üblich ist, würde man 1, 2 zählen und dies relativ langsam und getragen (oder schnell wie beim Deutschen Marsch, Anmerkung der Redaktion). Andere, relativ häufige Taktmaße sind 6/8 und 3/4. Rhythmen wie 5/4, 7/8 oder 11/8 klingen alle sehr spannend (und grooven auch schön, sofern sie gut gespielt werden), kommen aber leider viel zu selten vor.
Taktstriche sind ein zeitliches Raster und ordnen die Musik in gleich lange Teile. Sie dienen in erster Linie der Übersichtlichkeit. Ohne Taktstriche wäre es viel schwieriger, sich auf dem Notenblatt zu orientieren.
Ein erstes Stück
Mit allem, was wir heute lernten, können wir das folgende, ziemlich bekannte Stück notieren und spielen. Ich denke, dass jeder diese Melodie kennt …
Apps zum Notenlesen lernen
Mittlerweile finden sich einige spezialisierte Apps, um das Notenlesen zu lernen und üben. Hier einige der wichtigsten Namen:
Solfa, LASIDO, Note Trainer Lite, Notes Teacher sind alle eher nüchtern gehalten, während Simply Piano etwas bunter daherkommt und sich an Kinder richtet. Alle Apps richten sich auch an Anfänger und kennen verschiedene Schwierigkeitsstufen. Finanziert werden sie meistens durch In-App-Käufe.
Anmerkung der Redaktion: Eine wunderbare App für Kinder (und Erwachsene) ist die iOS-App Flashnote Derby von Luke Bartolomeo. Da das Notenlesen lernen von Wiederholung geprägt ist und Übung bekanntlich den Meister macht, ist diese App perfekt für das Festigen der hier erlangten Kenntnisse. Die App ist als Spiel aufgemacht und ähnelt dem bekannten Kamelreiten oder Pferdereiten auf der Kirmes. Je schneller man die angezeigte Note richtig erkannt hat, desto schneller reitet der Spieler auf seinem Pferd.
Zur Eingabe kann der Touchscreen, aber auch ein Instrument genutzt werden. Die gespielten Töne werden über das Mikrofon des iPhones oder iPads erkannt.
Die App lässt sich vielfältig konfigurieren, Tonumfänge und Notenschlüssel einstellen. Es macht einfach Spaß, gegen andere anzutreten oder immer wieder zu versuchen, den persönlichen Highscore zu knacken. Am meisten Spaß macht die App auf einem iPad wegen des größeren Bildschirms. Doch auch auf einem iPhone lässt sich wunderbar zwischendurch das Notenlesen spielerisch festigen.
Sowas habe ich schon vor ca. zehn Jahren in Excel gebastelt. Eine Note wird angezeigt, man muss dann auf die richtige Taste klicken. Dafür würde ich niemals Geld ausgeben, geschweigedenn verlangen.
Eine Sache am Artikel stört mich. Es wird immer von „Noteschrift“ geschrieben. Es gibt hunderte Notenschriften, hier wird sich aber ausschließlich auf die sog. Westliche Notenschrift bezogen.
„Zweifelslos sind Noten keine Bedingung, um ein guter Musiker zu werden, gleichzeitig können sie sehr praktisch sein, wenn man eine musikalische Idee kurz festhalten möchte und gerade kein Aufnahmegerät zur Verfügung steht.“
Diese Situation gab es vor 20 Jahren, heute völlig unrealistisch.
Ich kann Noten lesen, habe ein Instrument damit gelernt, ich sehe keinen Grund mehr, sie zu verwenden. Die Transkription ist ungenau und interprationsfähig/nötig.
Ich sehe ein, dass eine Masse Musiker damit gut arbeiten und keinesfalls darauf verzichten möchten. Dagegen ist nichts zu sagen. Es gibt viele sehr gute Musiker, die ein Stück ohne Noten nicht spielen könnten. Aber dass ich das heute noch lernen würde glaube ich nicht.
@Tai „Es gibt viele sehr gute Musiker, die ein Stück ohne Noten nicht spielen könnten.“
Mag sein, ich gehöre nicht dazu, da ich das Meiste auswendig spiele. Für mich sind Noten einfach nur ein praktisches Hilfsmittel, um musikalische Ideen festzuhalten, sei es für mich selbst oder für meine Mitmusiker. Klar geht vieles auch nach Gehör, aber bei komplexeren Melodien sind Noten einfacher.
@Tai Beim Einstieg in meine letzte Band waren Noten sehr hilfreich (ca. 50 Seiten). Allerdings war auch hier Interpretationsspielraum, weil Noten für Tasteninstrumente von einem Experten für Bläser-Arrangements (unter Verwendung von Notations-Software) nicht immer so aussehen, wie es zu Spielen Sinn machen würde. Das wurde dann ausdiskutiert.
Allerdings sind auch für die unterschiedlichen Instrumente, die man auf einer Piano-/Orgel-/Synth-Tastatur spielen kann, unterschiedliche Spielweisen erforderlich.
Was ich „live“ brauche, lerne ich auswendig. Das ergibt sich meist schon beim Üben. Sonst müsste ich mit der Lesebrille 30cm vorm Notenblatt sitzen und könnte trotzdem nur einfache Sachen vom Blatt spielen.
@Tai Hi,
das sehe ich anders: Eine Partitur ist wie ein Buch. Es enthält Schriftzeichen, die sich zu Worten, die Worte zu Sätzen, die Sätze zu einem Kapitel und Kapitel zum Werk zusammensetzen. Wozu, wenn es doch Filme, Hörspiele und Hörbücher gibt? Ganz einfach: Diese sind nur EINE Interpretation des Inhalts eines Buches oder einer Geschichte. Die vielen anderen möglichen Interpretationen sparen sie aus.
Notenschrift kann und will nicht exakt sein. Sie beinhaltet aber tausende Interpretationen der Musik, eine Aufnahme nur genau eine. Notenschrift ist Live-Musik viel näher als eine Aufnahme, die immer gleich klingt. Somit ist sie dem Wesen von Musik auch sehr viel näher als die Aufnahme.
Zudem kann ein Komponist über die Notenschrift Zusammenhänge definieren, die dem Notenkundigen sofort klar werden, in einer Aufnahme (= eine mögliche Interpretation) aber untergehen (müssen) im Arrangement der Interpretation.
Du wirst eine Bach Fuge niemals rein hörend in ihrer Komplexität der Komposition erfassen, weil die Interpretation dich leitet und andere Schlüsse nicht zulässt.
Der spannendste Punkt beim Spielen nach Noten ist diese Entdeckungsreise. Ich lese auch Bücher, um im Kopf Welten zu erschaffen. Lese ich ein Buch erneut, entdecke ich andere Dinge und die Welt verändert sich. Die Welt des Films ist bei jedem Ansehen identisch.
Könnte ich nicht lesen, bliebe mir das verschlossen, könnte ich keine Notenschrift lesen, blieben mir musikalische Welten verschlossen.
@Markus Galla Ich kann dir da nur von und ganz zustimmen
ich kann zwar nur mit müh und not Noten entziffern aber ohne Noten könnte ich nicht mal schnell eine Melodie Linie festhalten wenn ich gerade in einer vollen Bahn oder vor meinem Lichtpult sitze erstrecht wenn ich das Instrument nicht vollständig beherrsche
und ohne den Raum zu interpretieren verkümmert der Musiker zur reinen Reproduktionsmaschine und die Musik verliert Leben und Seele auch wenn das esoterisch klingt
wie es funktionieren soll ohne noten ein Stück sauber von einem instrument auf ein anderes zu Transponieren und dabei den harmonischen Kontext beizubehalten ist mir schleierhaft und wie ich eine Harmonie sauber über mehrere Instrumente(ngruppen) verteilen soll ohne die Noten zu sehen erschließt sich mit sich nicht
Sobald die musikalische Komplexität über bass-gitarre-schlagzeug hinausgeht wird es ohne Noten sehr schnell sehr schwer
@Markus Galla Notenschrift kann sehrwohl exakt sein. Die Westliche Notenschrift ist es nicht, weil die Schöpfer das nicht hinbekommen haben und die Schrift nie weiterentwickelt wurde. Es gibt durchaus Notenschriften, die exakt sind. Ich selbst habe für ein Arrangement eine exakte Notenschrift entwickelt (bzw. Notenschriften für verschiedene Instrumente). Es geht also.
Ich verstehe immer noch nicht, warum man sich, wenn man sich ausschließlich auf die Westliche Notenschrift bezieht, allgemein von „Notenschrift“ oder „Noten“ schreibt. Das ist unnötig schwammig. Einfachstes Beispiel: A <- auch das ist eine Notenschrift.
@Mac Abre Hallo Marc
danke für Deinen Kommentar.
Ich bin zwar nicht ganz Deiner Meinung, dass die westliche Notenschrift „nie weiterentwickelt“ wurde, bin aber sehr an Deiner „exakten Notenschrift“ interessiert. Könntest Du mir ein Beispiel schicken? (gerne auch per PN).
Danke und viele Grüße
Martin
@Tai …Diese Situation gab es vor 20 Jahren, heute völlig unrealistisch.
Ich kann Noten lesen, habe ein Instrument damit gelernt, ich sehe keinen Grund mehr, sie zu verwenden…
Ist bei mir genau so. Mit 6 Jahren eine klassische Klavierausbildung für ca. 10 Jahre erhalten. Bin froh diese „Fesseln“ losgeworden zu sein. Ich wollte irgendwann nichts mehr spielen was andere komponiert hatten sondern eigenes erschaffen. Mit Steinberg Twentyfour auf Atari ST mit DX7 und Pro One konnte ich dann die Noten hinter mir lassen (bis heute,- nur mit aktuellen DAWs und Equipment) wenngleich ich Noten noch lesen kann.
Als „One Man Show“ brauche ich keine Notation.
Hallo Martin,
ich finde es prima, dass Du das Notenlesen propagierst; ich halte es auch heute noch für sehr wichtig.
Es mag sicher Musikstile geben, wo die klassische westliche Notation zu unpräzise ist. Für viele Genres in meinem Kontext (Jazz, Rock, Pop) ist sie aber absolut ausreichend, setzt aber natürlich voraus, dass die Musiker Noten lesen können.
Und der Ermessensspielraum bezüglich Notation ist sogar gewünscht: ich will, dass ein Musiker seine spezifische Interpretation der Musik einbringt. Vorher schicke ich ihm als seine Arbeitsbasis seinen Stimmauszug , d.h. Noten.
Meinen persönlichen, sehr notenzentrierten Ansatz hatte ich ja vor einiger Zeit hier vorgestellt: „Produce like a Nerd“ geht von einem kompletten Arrangement (als Notensatz) aus und generiert daraus halbwegs menschlich klingende Backing-Tracks für eine Band.
Zu Sinn oder Unsinn von Noten gibt es übrigens das nette Video von Tantacrul (aus dem Musescore-Team) „Notation Must Die“, das die Kritik an klassischer (oder eigentlich jeder Art von) musikalischer Notation sehr gut aufbereitet und kontert.
Noten sind also noch lange nicht tot, auch wenn das manche so sehen mögen…
Gruß
Fredi
Seit gut einem halben Jahr bin ich wieder nach mehreren Solo-Studio-Jahren meiner ehemaligen Altherren-Rockband beigetreten.
Sie brauchten einen Keyboarder (natürlich Hammond, Rockpiano , …).
Als Unterlagen gab es nur die üblichen Chord-Listen mit Texten für Gitarristen und einige Youtube-Links zum „Üben”.
Das Zusammenspiel war sehr anstrengend und für mich in vielen Situationen (welchen Songabschnitt meinst du eigentlich?) chaotisch.
Ein Songarchiv musste her.
?!? Bassist: bloß nicht, das haben wir schon versucht und liefert nur Partiturtapeten; mach das bloß nicht!
?!? Leadgitarrist: ich spiele sowieso alles auswendig.
?!? Drummer: ich kann das ohnehin nicht lesen.
?!? Sänger: Die Texte sind zu klein und wo ist mein Einsatz?
Wir sind eine sechs- bis siebenköpfige Band, es hat mich viel Überzeugungsarbeit gekostet, auf die Dringlichkeit eines Archivs hinzuweisen.
Noten, Akkordsymbole, Einsatz, Texte, besondere Bemerkungen (breaks, Fermata, Tempo, groove) Taktzahlen, Rhythmuswechsel gehören dazu.
Für mich als Keyboarder notiere ich besondere Takte mit Hilfe von Logic oder Musescore auch als Bildausschnitt.
Es gibt von jedem Song eine Langfassung (Text mit Akkorden), allgemeine Kurzfassungen, Kurzfassungen fürs Keyboard, insgesamt ca. 160 Seiten bei 20 Songs.
In der Tat kann man für eine Band nicht eine Orchesterpartitur anlegen, aber spezielle Songstellen sollten schon als „Noten” (Keyboard, Drums und Gitarren-Notationen) vorliegen.
@herw … Das Ziel ist natürlich, dass jedes Bandmitglied von jedem Song, ein bis zwei Seiten pdf-Datei vorliegen hat, so dass er mit dem „Fußumblätter”-Pedal auf einem iPad seine Unterlagen vor sich liegen hat.
Jeder hat seine individuellen Noten-Notationen als Einsteighilfe oder Gedächtnisstütze vorliegen.
Letzlich sind jegliche Notationen (gleich welcher Art) eine Hilfe für das sichere „Auswendig”-Spielen.
Das bedeutet nicht das sture Klammern an Notenvorgaben, sondern der kurze Blick (im finalen Idealfall auf Akkordbezeichnungen) und einer freien (gelenkten) Interpretation.
@herw Man stelle sich mal folgende Situation vor:
Beethoven, geboren 1998 und ein Genie, sitzt vor seiner DAW mit Orchester Library und zimmert gerade die letzten Takes seiner Symphonie zusammen. Jetzt noch ein schicker Impuls Response Hall eines berühmten Konzerthauses, fertig.
Die Aufnahme im Gepäck geht es zur Probe mit dem Orchester. „Was hast du da bei 5:35 gespielt?“, fragt der Oboist. „4:02 ist viel wichtiger“, sagt die zweite Geige und fängt sich einen strengen Blick des ersten Geigers ein. „Gibt es auch Stems?“, fragt die Bratsche.
Entnervt legt Beethoven die nächste Probe für ein halbes Jahr später fest und fragt sich, ob eine Karriere als DJ nicht besser wäre…
Ich habe einen Großteil meines Lebens in Bands verbracht – Hobby, semi-professionell und professionell. In allen gab es eine Form der Notation. Die Profimusiker haben schließlich die anständigen Lead Sheets verlangt. Hier wird effizient und mit wenigen Proben in vielen verschiedenen Besetzungen bei bestmöglicher Qualität gearbeitet – ohne Noten nahezu undenkbar. Ich rede hier nicht von Profis, die ihre eigenen Songs spielen, sondern die anderer. Hat sich mal ein Nicht-Notist in eine Besetzung „geschmuggelt“, vielleicht weil er einen Namen hatte und ein guter Handwerker war, fiel es sofort auf und wurde für alle recht anstrengend. „Das habe ich anders gehört“, war ein beliebter Satz dieser Musiker.
Notation in Bands schafft einen Rahmen von Verbindlichkeiten, in dem sich jeder bewegt.
@Markus Galla „Die Profimusiker haben schließlich die anständigen Lead Sheets verlangt. Hier wird effizient und mit wenigen Proben in vielen verschiedenen Besetzungen bei bestmöglicher Qualität gearbeitet – ohne Noten nahezu undenkbar.”
sehr war – Leadsheets sind die optimale Kurzform, da sie sowohl Tonart, Tempo, Melodie und groove angeben; allerdings im Probenalltag nur zum Nachblättern.
Auf der Bühne müssen dann für die Begleitinstrumente die Akkorde und das Gedächtnis genügen ;)
Nachdenklich machen mich allerdings auch Profidrummer, die man gelegentlich (?) beim Anspielen eines Songs mit in-Ear-Stöpseln sieht.
Ob da nun ein Metronom oder ein groove zu hören ist, das müsste man mal einen Profi fragen.
@herw Ohne iPad kommt man in dem Gewerbe nicht mehr aus. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Käufer des iPad Pro mit 13″ Musiker sind (oder jetzt des iPad Air mit 13″). Wir hatten mal einen Gitarristen, der tatsächlich mit mehreren Seiten Papier auf der Bühne stand (und mit zwei Notenstativen).
Viele dieser Besetzungen sind nicht fest. Heute spielt der eine Musiker, morgen der andere. Da lernt keiner seine Parts extra auswendig, es sei denn, es sind Standard-Songs von Cover Bands, die man halt kennt. In festen Besetzungen ist das anders, da hat man das Material irgendwann auch drauf und das ist alles nur noch Gedächtnisstütze. Die wenigsten Profis kommen aber mit festen Besetzungen auf ihr Auskommen. Manche wollen auch gar keine festen Besetzungen, weil das das Privatleben stark einschränkt (und man sich den ständigen Querelen aussetzen muss, die es überall gibt).
Bei Theater- und Musicaljobs kommt man ohne Notenkenntnisse gar nicht erst rein.
Am Ende muss jeder Musiker das für sich entscheiden. Interessant ist auch, dass viele Nicht-Notisten keinen Plan von Musiktheorie haben oder sie falsch verstehen. Da wird wild enharmonisch verwechselt und dadurch die ganze Musiktheorie über den Haufen geworfen. „Wieso? Klingt doch gleich!“, hört man dann. Viel Spaß bei der anschließenden Diskussion…
Man muss kein Notist sein, um Musiker zu sein. Man verpasst aber viel von der Essenz, aus der die Musik besteht. Man kann auch ohne Ausbildung gut kochen, ohne zu wissen, was man tut.
@Markus Galla „… ohne zu wissen, was man tut.“
das ist genau der Punkt – um wirklich was zu verstehen reicht Hören oft nicht aus und Strukturen oder Verhältnisse bemerkt man mit dem Ohren doch eher „gefühlt“ als erklärbar – wer kann Bachs Mathematik schon hören?
Man kann im Hinblick auf neue Musik über die Art und Form der Notation diskutieren da gab es in den letzten hundert Jahren schon ein bisschen Entwicklung aber die grundsätzliche Notwendigkeit wird selten jemand in Frage stellen der viel mit anderen musiziert oder komplexere Stücke spielen oder gar komponierten will