Der analoge Weg im Allgemeinen und GRAVE DIGGER im Besonderen!
Verzerrte Gitarren aufnehmen. Was ist nicht schon alles über dieses Thema geschrieben worden, wer hat sich nicht schon alles an diesem Thema versucht und welche Grabenkämpfe hat dieses höchst umfangreiche Thema nicht schon initiiert. Wohl keine anderer Aufnahmebereich ist mit so vielen Mythen, größtmöglicher Auswahl an Klängen, massivem Halbwissen und teilweise intensiver Schaumschlägerei besetzt wie die Aufnahme einer verzerrten Gitarre.
Und jetzt kommt das Schönste daran, alle haben Recht. Ja, ihr habt richtig gelesen, von der umfangreichsten analogen Materialschlacht mit Unmengen von Mikrofonen, Lautsprechern, Cabinets, Amps und Effekten bis hinunter zu dem billigsten DAW-Plugin mit 50 Euro Interface-Lösung, solange derjenige, der den Sound produziert und derjenige, der den Sound hört, gleichermaßen begeistert ist, besser noch, Zweiterer auch noch bereit ist, für diesen Sound in Form eines Streams, Tonträgers oder Konzertbesuchs Geld auszugeben, sind alle glücklich und zufrieden.
Natürlich gibt es hervorragend und erbärmlichst klingende Gitarrensounds, welche aber allesamt letztendlich dem gleichen Prinzip folgen: Jeder Sound ist subjektiv, nur der wirtschaftliche Erfolg rechtfertigt ein Umdenken, will heißen, jeder Musiker/Engineer/Produzent macht den Mehraufwand in der Qualität, weil er glaubt, dadurch größere Einnahmen zu verdienen oder weil er es persönlich einfach geil findet. Gut oder schlecht, vergesst es, gibt es nicht.
Vorwort
In diesem Workshop soll es um die Aufnahme verzerrter Gitarren gehen, wobei man eigentlich im Prinzip nur verlieren kann, siehe Einleitung. Daher werde ich auch gar nicht den Versuch unternehmen, DIE beste Methode für eine Gitarrenaufnahme zu erläutern. Stattdessen werde ich hingehen und erklären, was ICH persönlich für die bestmögliche Methode halte und wie ich diese umsetze. Dabei werde ich zum einen zeigen, wie ich den Gitarrensound der für mich wirtschaftlich erfolgreichsten Band, GRAVE DIGGER, erzeuge und wie ich im Allgemeinen an einen Gitarrensound herangehe.
Eins vorneweg, in meinen Aufnahmen gibt es keine Plugins, keinen Kemper, kein Fractal oder sonstige Emulationen oder Modeling-Algorithmen. Die gesamte Signalkette bis zur Aufnahme ist rein analog, da es klanglich die hochwertigste Methode darstellt. Es gibt viele wirtschaftliche Gründe, Simulationen aller Art im Studio oder Live zu verwenden, aber wenn es keinerlei Beschränkungen in Sachen Zeit und Geld gibt, wird jeder gute Tontechniker immer die analoge Variante vorziehen.
Für diesen Zweck habe ich mir vor knapp 4 Jahren meine Meadow Studios gebaut, welche mir erstmals in meiner Karriere die Möglichkeiten gaben, alles umzusetzen, von dem ich sonst immer nur geträumt habe. In diesem Workshop werde ich die Hauptkomponenten zeigen, mit denen ich überwiegend arbeite, da eine komplette Auflistung den Rahmen sprengen würde. Den Bereich Gitarren lasse ich bewusst beiseite, da dieser Ansatz viel zu persönlich ist, als dass man ihn in einem Workshop unterbringen könnte. Also dann, auf zu Kabel, Preamp, Pult, Amp, Box, Speaker und Mikrofon.
Verkabelung
Hier gibt es keinerlei Unterschiede, was das letztendliche Produkt angeht. Egal, ob Metal, Rock oder Blues, ich vertraue seit über 20 Jahren ausschließlich der Firma Cordial Kabel, da selbige Produkte allesamt eine hervorragende Verarbeitung haben, das wohl beste Preis-Leistungs-Verhältnis besitzen und vor allem auf den zuweilen lächerlichen Voodoo Krempel einiger Konkurrenten verzichten, nur um dem Kunden einen völlig überzogenen Ladenpreis aufs Auge drücken zu wollen.
Für die Studioarbeit kommen neben der flexiblen Snow Serie auch sehr gerne das etwas steifere Metall-Kabel zum Einsatz, was aber durch den sehr hohen Kupferanteil auch größere Längen ohne Klangverluste absolviert. Mittlerweile gibt es auch ein Cordial IRONFINGER Signature Kabel, welches mit einem schwarz-weißen Textilmantel extra für mich gefertigt wurde und sich nicht mehr verdrillt. Mein persönlicher Favorit zurzeit.
In Sachen Stative benutze ich verschiedene Größen der Firmen König & Meyer, Hercules und Gravity.
Pedale allgemein
Über Pedale zu diskutieren, ist genauso sinnlos wie über Gitarren zu streiten. Wichtig ist nur, dass man für eine maximale Klangvariation die Klassiker zzgl. einiger persönlicher Favoriten zur Hand hat, sofern man einen bestimmten Sound vor Ohren hat und diesen umsetzen möchte. Ich habe mich vor ein paar Monaten hingesetzt und endlich ein Board aufgesetzt, welches ich schon lange vorhatte zu bauen.
Auf dem Board befinden sich die 19 wichtigsten Booster-, Overdrive-, Distortion- und Fuzz-Pedale, welche ich benutze. Würde man diese hintereinander schalten, wäre der Sound völliger Müll, daher habe ich über einen Palmer Octobus bis zu 4 Pedale auf einen der acht Loops geschaltet, damit man den Weg zum Amp möglichst kurz hält. Ich war es leid, immer wieder ein Pedal aus dem Lager zu holen, anzuschließen, Sound vergleichen, anderes Pedal holen usw. Mit diesem Board kann ich nun einen echten A/B/C … etc. Vergleich in Sekunden machen, was viel Zeit und Nerven spart.
Pedale GRAVE DIGGER
Der klassische Grave Digger Sound wird mit einem IRONFINGER Distortion Pedal vor einem Marshall 2204 (50 Watt Master) erzeugt, bei dem ich den Low-Input belege und den Gain voll aufdrehe.
Amps allgemein
In zwei Schwerlastregalen habe ich die 12 wichtigsten Amps gepackt, welche ich hauptsächlich für die Aufnahmen benutze. Für besondere Sounds befinden sich noch ein paar spezielle Heads im Recording-Room oder im Lager. Neben einigen Klassikern wie Marshall 1959, 2203, 2204 und 1987, welche primär für Crunch-Sounds genommen werden und allesamt hervorragend mit den Pedalen harmonieren und dann auch für Lead und High-Gain genommen werden können. Für große Flexibilität sorgen der Engl Savage mit seinem legendären High-Gain-Sound und der Hughes & Kettner Triamp MK3, der an Flexibilität nur schwer zu toppen sein dürfte.
Ein paar Spezies wie der Fame Bulldozer (Rectifier Nachbau) und der fast 50 Jahre alte Luxor Verstärker (Fender Nachbau) sorgen für etwas Abwechslung in den Standard-Sounds. Geschaltet werden alle Amps über einen Ampete Router, welcher ebenfalls ein A/B/C … Vergleich mit Amps und Cabinets ermöglicht. Ein Tool, welches gerade im Studio der absolute Wahnsinn ist, man glaubt nicht, welche Klangunterschiede sich hier teilweise auftun.
Amps GRAVE DIGGER
Die o. g. Variante Ironfinger Pedal + Marshall 2204 wird nur für den Rhythmussound verwendet. Für Solosounds kommen entweder der Koch Powertone II oder der Engl zum Einsatz, wobei ich den Koch meistens für das Hauptsolo und den Engl für Overdubs und Backing-Farben benutze.
Cabinets Allgemein
Ich habe mehrere Cabinets mikrofoniert, allerdings kommen hauptsächlich 3 Stück 412er Boxen zum Einsatz, als da wären eine Marshall Typ A von 1986 mit Celestion G12 65, eine Marshall Typ B von 1992 mit Celestion G12 75 und eine Koch Typ B mit Koch Speakern.
Cabinets GRAVE DIGGER
Da der Koch Powertone Amp am besten mit den Koch Speakern harmoniert, wird dieses Cabinet auch für den Solosound genommen. Der Rhythmussound geht über die 75 Watt Speaker. Für Overdubs je nachdem, was am besten klingt, meistens die 65 Watt Speaker.
Mikrofone allgemein
Der größte Aufwand im Studio wird erwartungsgemäß bei den Mikrofonen gemacht, da sie im Zusammenspiel mit den Lautsprechern für den endgültigen Sound verantwortlich zeichnen. Neben den Klassikern SM57 von Shure verwende ich ebenfalls einige Kopien von Fame mit der Bezeichnung MS57. Sie kommen dem Original sehr nahe, haben etwas mehr Höhen, kosten aber deutlich weniger. Neben den Klassikern bin ich ein großer Fan von Heil Mikrofonen, welche sich im Gitarrenbereich längst von einem Geheimtipp in die erste Reihe gespielt haben. Die großen Kapseln haben mehr Volumen als die Shure Kapseln und bieten einen ausgewogeneren Sound, sofern man ihn wünscht. Zum Einsatz kommen PR 30, PR 31 und das PR 40, allesamt absolute Knaller im Einzeleinsatz. Ich benutze in der Mikrofonierung sehr häufig die Fredman Methode, insbesondere für die Rhythmussounds, da man so nahezu ohne jeden EQ arbeiten kann.
An der Marshall Typ A befinden sich noch 2 Mikrofone von Golden Age Projekt, jeweils zwei Bändchenmikrofone, welche einen sehr warmen und weichen Sound mit viel Raumanteil ermöglichen. Sehr gut für Blues und Clean, weniger geeignet für „erste Reihe Nasenbluten“.
Mikrofone GRAVE DIGGER
Für die Haupt-Rhythmusgitarre, das wichtigste Instrument bei GD, eine Kombination aus Fredman Shure SM57 und Heil PR 31, für den Solosound ein SM57 über die Koch Box, für Overdubs meistens das Heil PR 40.
Preamps/Pult
Je nach Klangvorstellung gehe ich entweder über einen TLA Audio Röhren-Preamp, die Gainstation oder den Qure von SPL, allesamt klanglich die Oberliga im Röhrenbereich.
Des Weiteren eine GAP Kombination von Neve Nachbauten oder aber direkt in das Mackie 32-Kanal Pult. Wer Mackie kennt, weiß, dass die Preamps dieses Pultes gerade für Gitarrensounds hervorragend geeignet sind, wenn man sie in die Sättigung fährt. Ganz großes Kino.
Abgehört wird alles über EVE Audio SC408 für den guten und JBL Monitor One für den „schlechten“ Sound. ;-)
Zusammenfassung
Ich kann mir gut vorstellen, dass einige Leser diesen Aufwand für übertrieben halten, zumal die Kombination der hier vorgestellten Komponenten rein rechnerisch mehrere tausend Sounds ermöglichen und dabei sind Modulationseffekte o. ä. nicht einmal mit eingerechnet. Die meisten Rock- und Metal-Produktionen werden heutzutage ohnehin direkt ins Pult gespielt, geht schnell, kostet nicht viel, macht kaum Aufwand, klingt dementsprechend, aber es stört keinen, da sich der normale Zuhörer längst an diesen Sound gewöhnt hat, sofern er überhaupt ein Ohr dafür hat, was ohnehin nur sehr selten der Fall ist.
Von wirtschaftlichen Punkt her ist ein eigenes Tonstudio mit entsprechender Ausrüstung nur zu rechtfertigen, wenn man ein entsprechendes Zugpferd hat, was mittelfristig die Anschaffungen rechtfertigt oder aber man betreibt ein Mietstudio. Da ich Zweiteres nicht (mehr) mache, sondern das Studio nur für meine Produktionen benutze, sollte man sich im Vorfeld Gedanken machen, ob man die Investitionen jemals wieder reinbekommt oder aber man hat halt ein nettes Hobby.
Wenn man aber auch nur einmal den Klang gehört hat, den eine rein analoge Signalübertragung ermöglicht, kann man nicht mehr zurück. Guter Sound ist wie eine Droge, wer dem einmal verfallen ist, wird sich nie mehr mit minderwertigeren Lösungen zufrieden geben können.
Axel, ich bin beeindruckt, was du da alles auffährst. Wow. Nun hätte ich ja doch gerne mal ein paar Soundbeispiele (nicht in einem Mix); und ich würde noch gerne deine Stromrechnung sehen … ;-)
@uelef das hält sich noch in Grenzen, es ist ja nicht alles immer eingeschaltet.
Es wäre aber auch egal, da ich ein PV-Anlage montiert habe ;-)
@Axel Ritt Na, dann ist es ja gut … Ökostrom vom Dach, das lob ich mir.
Beeindruckender Artikel! Als Metal Hörer der ersten Stunde, sehr interessant. Mein Lieblingssound in Sachen Gitarren-Setup ist Adam Jones von Tool, in meinen Ohren der ideale Sound für das Genre. Achja, habe Grave Digger mal 1984 in Augsburg gesehen, dort haben am Nachmittag, auf einer kleinen Nebenbühne, Kreator Gespielt, als sie noch kaum einer kannte….
Das das sieht aus wie im Bilderbuch! Was mir an dem Vorgehen gefällt ist die Garantie, dass ein eigenständiger Sound entsteht. Selbst wenn man das Setup nachbaut – die letzten Prozente bleiben komplett individuell, weil jedes der großen und kleinen Elemente sein Eigenleben hat.
Ich mache seit einem Jahr die Rolle rückwärts zurück in die analoge Welt: Es begann mit einer Gitarren-Endstufe und einer Box, die ich anstelle einer Cab-Simulation genutzt habe. Sehr schnell haben sich die ersten Preamps und weitere Mikrofone hinzugesellt.
Was mich interessieren würde (hoffentlich habe ich nicht genau den Artikel hierzu übersehen): Wenn Du Re-Amping machst (falls), über welchen Signalweg nimmst Du die Gitarre auf? Ich benutze einen alten Röhren-Preamp mit HZ-Eingang, nachdem mich meine DI-Box vor dem Mikroeingang in den Wahnsinn trieb… Es gibt ja die verschiedensten Gerätschaften hierfür, nur sind mir die Preisspannen hierfür zu hoch, als das ich alle möglichen Wege ausprobieren wollte.
@Django07 wie du dir wahrscheinlich schon gedacht hast, gibt es bei mir auch kein Reamping, da das individuelle Spielgefühl mit der jeweiligen Amp-Box-Speaker-Mikrofon Kombination verloren geht und man niemals den Signalpegel so hinbekommt, als wenn man es, wie vorgesehen, mit einer Gitarre einspielt.
Man spielt z. B. mit einem Engl anders als mit einem Marshall. Wenn ich noch einen zusätzlichen Klang benötige oder mir der alte Sound nicht mehr zusagen sollte (was noch nie der Fall war), spiele ich den Part einfach neu ein.
@Axel Ritt Danke für die Erklärung. Bislang bin ich den Einfluss bzgl. der Signalpegel und Frequenzen so angegangen, dass ich IMMER über den Re-Amping-Pfad in die Verstärker ging. Über das Spielgefühl hatte ich nicht nachgedacht, weil a) ziemlicher Anfänger und b) mein erstes Jahr an der Gitarre nur mit dem TH-3 von Overloud. Damit ist das Projekt für das nächste Wochenende geklärt: Rausfinden, ob ich (schon) den Unterschied zwischen Rocktron und Engl beim Spielen direkt in den Input bemerke…
Der Axel Ritt ist einer von den ganz altmodischen und traditionellen Gitarristen. Er lässt sich nicht vom Bedienkomfort der kleiner digitalen Angeberlein gegen Rasierapparateklänge täuschen! Das finde ich klasse. Mir geht es nämlich genauso und deshalb kommt mir kein Modeller ins Haus. Bei mir glühen seit eh und je Röhren wie Briketts im echten Ofen und Mikrofone nehmen den Sound in allen Facetten ab. So liebe ich das. Auch wenn die Modeller freaks mir immer wieder erklären wollen, dass es genau so klingt. Na dann hab ich wohl was an den Ohren! Es hat sich schon oft gezeigt dass der großteil der Menschen ihre Seele verkaufen und auf das bessere verzichten nur um etwas mehr Bedienkomfort zu haben. So gelang auch der Siegeszug von VHS Bändern und später das Schallplatten gegen CD und die gegen MP3 Format und die Abschaffung der ehemals allseits beliebten Stereoanlage gegen den Walkman oder MP3 Player gegen Handy, große Hifi Speaker gegen Handy Ohrstöpsel…..Echte Flügel gegen epiano und Gibson Gitarre gegen Roland MIDI Gitarre. Die Geschichte wiederholt sich ständig. Manche Dinge müssen wohl unbedingt schlechter werden…. Hahaha
Modeler sind wie Gummipuppen.
Im Prinzip das Gleiche und in machen Situationen ganz hilfreich, aber im Vergleich zum Original in der Qualität immer unterlegen …
;-)
Solche Workshop´s sind immer wieder eine Freude.