Ein Wegbereiter der elektronischen Musik
Der deutsche Label-Betreiber und Autor Achim Szepanski ist im Alter von 67 Jahren verstorben. Die Welt der elektronischen Musik verliert damit eine außergewöhnliche Persönlichkeit, die dieser Musik eine tiefere Bedeutung gegeben hat.
Achim Szepanski studierte nach dem Abitur Soziologie und Wirtschaftspädagogik, bevor er 1991 das Techno-Label Force Inc. Music Works in Frankfurt am Main gründete. Dieses war stark vom Label Underground Resistance beeinflusst, welches sich mit gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzte und auf bestehende Missstände aufmerksam machen wollte. Gerade der Widerstand gegen den Mainstream war ein tragender Teil der Philosophie, weshalb Force Inc. Music Works einen beispiellosen Gegenentwurf zur zeitgenössischen Technoszene darstellte.
Die innovativen Veröffentlichungen des Labels trugen dazu bei, dass Techno zunehmend als eine ernstzunehmende Kunstform wahrgenommen wurde. Das Label war von Anfang an gesellschaftskritisch und politisch motiviert. Neben der Ideologie waren es natürlich auch die Künstler, die das Label voranbrachten. Dazu gehörten unter anderem Wolfgang Voigt, DJ Tonka, Alec Empire, Thomas Heckmann, Ian Pooley, Dr. Walker, Cem Oral, Porter Rcks, DJ Rush, Rob Acid, Mathias Schaffhäuser, Akufen und Vladislav Delay. Im Laufe der Zeit hat sich das Label immer wieder neuen Bereichen der elektronischen Musik zugewandt und einen beeindruckenden Katalog an Veröffentlichungen aufgebaut.
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Nach der Gründung von Force Inc. Music Works folgte zwei Jahre später, 1993, die Gründung eines zweiten Labels: Mille Plateux. Dieses war nach dem gleichnamigen Werk des Philosophen Gilles Deleuze und des Psychoanalytikers Félix Guattari benannt und sollte dessen poststrukturalistische Einflüsse in der Musik widerspiegeln.
So entwickelte sich das neue Label von Achim Szepanski schnell zu einer wichtigen Plattform für experimentelle Musik. Das Label bot Künstlern wie Alec Empire, Terre Thaemlitz, Cristian Vogel, Oval oder Frank Bretschneider die Möglichkeit, ihre Musik zu veröffentlichen. Auch einige der bekannten „Gas“ Alben vom Wolfgang Voigt wurden hier veröffentlicht.
Durch die Veröffentlichungen auf dem Label Mille Plateux entstand auch das Genre Clicks & Cuts, unter dem Achim Szepanski eher eine Herangehensweise an die Musik verstand. Durch diese wurde auch das Genre Glitch maßgeblich geprägt.
Aus den beiden Labels gingen in dieser Zeit eine Reihe von Sublabels hervor, wie zum Beispiel im Jahr 1996 das Label Position Chrome oder im Jahr 1998 das Label Ritornell.
Neben seiner Arbeit als Label-Betreiber veröffentlichte er ab 1990 erste Aufsätze zur Theorie des Maschinellen, zu Psychologie und Gesellschaft sowie zur elektronischen Musik. Letztere greift das 2003 zusammen mit Marcus S. Kleiner herausgegebene Buch Soundcultures auf und diskutiert Aspekte elektronischer und digitaler Musik.
Die Philosophie hinter Mille Plateaux war eng mit Szepanskis theoretischen Interessen verbunden. Er sah in elektronischer Musik nicht nur ein kreatives Ausdrucksmittel, sondern auch eine Möglichkeit, soziale und ökonomische Strukturen zu hinterfragen.
In verschiedenen Veröffentlichungen ging Achim Szepanski darauf ein, wie technologische Entwicklungen die Art und Weise beeinflussen, wie Musik entsteht und gehört wird. Es folgten eine Reihe weiterer literarische Werke.
Musik war für Achim Szepanski nicht nur Klang, sondern auch eine Form der kritischen Auseinandersetzung mit der Welt. Seine Gedanken fanden in den Veröffentlichungen von Mille Plateaux einen musikalischen Ausdruck, der oft anspruchsvoll und schwer zugänglich war, aber immer darauf abzielte, den Hörer intellektuell herauszufordern.
Die frühen 2000er-Jahre brachten jedoch Herausforderungen mit sich. Der Zusammenbruch des Musikmarktes mit dem Aufkommen des Internets und der Übergang zu digitalen Vertriebskanälen brachte viele unabhängige Labels in finanzielle Schwierigkeiten. Der Plattenvertrieb EFA, zu dem sowohl Force Inc. Music Works als auch Mille Plateux gehörten, musste 2004 Insolvenz anmelden.
Nach einer zwischenzeitlichen Umwandlung in Mille Plateaux Media wurde das Label von verschiedenen Inhabern geführt und schließlich 2018 von Achim Szepanski wieder übernommen und weitergeführt.
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Der Einfluss von Achim Szepanskis Arbeit ist seit der Gründung seines ersten Labels bis heute spürbar. Viele der von ihm geförderten Künstler sind heute feste Größen in der Welt der experimentellen Musik. Szepanski selbst bleibt ein Vorbild für alle, die Musik nicht nur als Unterhaltung, sondern als intellektuelle und kreative Herausforderung verstehen.
Mit seinem Tod verliert die Welt einen Denker und kreativen Geist, dessen Einfluss weit über die elektronische Musikszene hinausreicht. Szepanskis Arbeit hat die Art und Weise, wie wir Musik hören, verstehen und erleben, nachhaltig verändert. Sein Vermächtnis wird weiterhin in den Klängen widerhallen, die aus Plattenregalen, DJ-Sets und den Köpfen derer erklingen, die sich mit seinem Werk auseinandersetzen.
Achim Szepanski war mehr als nur ein Label-Gründer. Er war ein Pionier, der die Grenzen zwischen Kunst, Theorie und Musik immer wieder neu definierte. Seine Vision, Musik als kritisches und intellektuelles Werkzeug zu nutzen, bleibt ein inspirierendes Beispiel für die Zukunft der elektronischen Musik.
Force Inc. ist eines der 3 wichtigsten deutschen technolabel, und für mich das „wahre“ frankfurt. keine gute clubnacht, wo nicht wenigstens eine Force Inc.-scheibe lief. auch hervorzuheben ist die „electric ladyland“-kompilationserie.
ich kannte achim nicht persönlich, hab mir aber von leuten, die mit ihm zusammen gearbeitet haben, sagen lassen, daß er wohl „etwas schwierig“ und „leicht verrückt“ war, was natürlich gar nichts und alles bedeuten kann.
auf jeden fall war achim sehr sehr wichtig für die deutsche elektronik-szene.
@dilux Aus der Serie Electric Ladyland habe ich auch noch einige Exemplare hier, die hat mir Achim mal in seinem Büro persönlich die Hand gedrückt. Das war aber schon in den Ende 90ern.
Wollte damals bei Force Inc. mein Album unterbringen, aber die Musik war ihm zu glattgebügelt und mainstreamig.
„Sowas suchen wir“ und er drückte mir eine CD von Curd Duca in die Hand aber damit konnte ich damals so garnix anfangen.
Achim hat die Frankfurter Musikszene mitgestaltet und geprägt wie kein Anderer.
R. I. P.
Techno war einst eine politisch freie Bewegung, eine direkt politisch dogmatische Motivation von z.B. UR ist mir nicht bekannt. Oder fanden „übergreifend“ in diesem Kontex Parteigründungen statt? Es ging um gesellschaftskritische Positionen, abseits des Mainstreams! Bis die etablierte Politik, und geldgierige Probanten innerhalb der Bewegung, das Potenzial der elektonischen Musik zur Erreichung der Masse, und dem persönlich individuellen Vorteil zu nutzen begannen.
Vor Labels der ersten Stunde wie Force Inc. / UR / R&S habe ich sehr großen Respekt!
R.I.P. Achim
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Zitat: … die Musik nicht nur als Unterhaltung, sondern als intellektuelle und kreative Herausforderung verstehen.
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Das ist es genau, was mir bis heute, täglich, die individuelle Erfüllung & Freude daran gibt. Fazit: Das letzte Hemd hat keine Taschen.
Mit Achim verlieren wir nicht nur einen der wichtigsten zeitgenössischen marxistischen Denker,einen besonderen Schriftsteller und einen einzigartigen politischen Visionär, nein wir verlieren mit Achim auch einen Labelbetreiber auf den man sich 100% verlassen konnte, der für seine Künstler immer da war und immer bereit war seinen Künstlern zu helfen welche in Not geraten waren.Die wenigsten werden wissen, dass Achim auch Musiker war u.A. bei der Experimentalband P16D4.Achims Stellung in der neueren Musikgeschichte ist ohne Vergleiche. Ein Labelbetreiber konzipiert eine bisher noch nie dagewesene Musikrichtung und untermauert diese auch theoretisch.Durch seine vielseitigen Kontakte in die Technoszene schafft Achim namhafte bis weltbekannte Produzenten für seine Sache zu begeistern.Die „Click and Cuts“-Kompilationen sind das hörbare Ergebnis seiner Bemühungen.Das erste musikalische Statement des neuen Jahrtausends. Ich könnte noch so viel über ihn erzählen…Für mich persönlich ist ein guter Freund für immer gegangen.Ich vermisse seinen unvergleichlichen Witz und die langen Gespräche die wir hatten.Achim war immer bereit von seinem jeweiligen Gegenüber zu lernen, doch hat er gleichzeitig seinem Gesprächspartner so viel beigebracht!Auf Wiedersehen, mein Freund…und:“Achim, der Kampf geht weiter!“
Auch wenn ich keinen der Beteiligten kenne, finde ich es spontan unerträglich, wenn unter einem Nachruf eine Meinung vertreten wird, in der der Verstorbene vom Hörensagen her als „etwas schwierig“ und „leicht verrückt“ abgewertet und sozial ausgegrenzt wird.
Das ist völlig unter der Gürtellinie, und zweifach feige: Der Betroffene kann sich nicht mehr wehren, und vom Hörensagen verweigert die eigene Verantwortung des negativen Urteils, das – so wohl die Intention des Autors, nur nacherzählt wird.
@Sinusmeter Da kann man nur zustimmen!!!
Es ist absolut widerlich , bei einem Nachruf Ingormationen aus 2ter Hand wiederzugeben…
Sublabels wie Position Chrome , Rob Acid ❤️, Dj Rush..,
Unglaublich haben diese Dinge mein Leben bereichert…
Abgesehen davon, wurden Menschen die aus der Reihe tanzen schon oft als „ Anstrengend“ etc. wahrgenommen…
Ich bin geborener Wiener… Falco war und wollte auch nie einfach sein…
@Sinusmeter Das ist Unsinn und auch irgendwie unlogisch was hier geschrieben wird. In der Einlassung ob ist zu lesen, dass Menschen welche mit dem Verstorbenen zusammengearbeitet haben Ihn als „etwas schwierig“ und „leicht verrückt“ bezeichneten. Hier findet weder eine Abwertung und schon gar keine Ausgrenzung statt, sonst hätten Sie ja nicht mit Ihm zusammen gearbeitet.
Der Verstorbene war ein streitbarer aber auf jeden Fall reflektierter Geist und die Labels in Ihrer Art wegweisend.
RIP
Extrem wichtig für mich und die Entwicklung der elektronischen Musik insgesamt ! Auch wenn ich seine Arbeit in den letzten Jahren aus den Augen verloren habe, die von ihm geförderte und veröffentlichte Musik nicht. Sehr schade.
So einer kommt so schnell nicht wieder :( Gute reise Achim!
Schöner Nachruf!