ProjectSAM Symphobia
Als die niederländische Sampling-Schmiede ProjectSAM im Jahr 2008 Symphobia veröffentlichte, wollte man keineswegs eine weitere, typische Orchesterlibrary schaffen, sondern der Firmenphilosophie treu bleiben und eine Library für den großen Kinosound auf den Markt bringen. Knapp zwei Jahre später folgt der Nachfolger des hochgelobten ersten Teils.
ProjectSAM Symphobia 2 kommt als Box mit drei DVDs und einer kompakten Bedienungsanleitung; eine Download-Version gibt es nicht, was aufgrund des Datenvolumens auch nicht weiter tragisch ist. Die unkomprimierten Samples wiegen 33 GB und liegen als 44,1 kHz / 24-Bit Dateien vor. Das vollständig überarbeitete GUI setzt Kontakt bzw. Kontakt Player 4 (letzteres wird mitgeliefert) voraus. Die Registrierung erfolgt, wie für Kontakt-Librarys üblich, über das Native Instruments Service Center.
Die Library ist unterteilt in „Full Orchestra“, „Individual Sections“, „Legato Ensembles“, „Miscellaneous“ und besonders spannend: „Dystopia“ (sinfonische Effekte). Diese Kategorien werden von unterschiedlichen Instrumentierungen und Effekten gut gefüllt, aber nicht überladen. Die Library wirkt übersichtlich und schnell begreifbar. Statt für jede Spieltechnik einen eigenen Patch laden zu müssen, lassen sich diese per Keyswitch komfortabel wechseln und miteinander kombinieren. Einzelne Artikulationen können deaktiviert werden, so dass bei Bedarf auch der benötigter Arbeitsspeicher ressourcensparend reduziert werden kann.
Neben einem Master-EQ zur Anhebung der oberen Frequenzen bietet das Interface die Möglichkeit, Eingangsnoten zu transponieren, Keyswitches in eine alternative Lage zu verschieben, den Ausklang der Samples abzuschneiden („Release Trails“), zur Vermeidung des ungewollten „Machinegun“-Effekts Alternativsamples bei gleicher Velocity abzuspielen („Round Robin“), gespielte Phrasen zu oktavieren und die Mikrofonierung zu wechseln. Mittels Velocity-Begrenzung und ADSR-Hüllkurve kann der Sound zusätzlich manipuliert werden. DSP-Effekte (Kompressor, Delay, Stereo-Enhancer, Synthpads) und ein integrierter Reverb runden das alles ab.
Im Gegensatz zur Vorgängerversion lassen sich „Close“- und „On-Stage“-Mikrofonierung nun per Schalter der Oberfläche wechseln. Ganz trocken klingen die „Close“-Samples allerdings nicht: Ein Restanteil des Raumklangs ist hörbar und auch von Nöten, um einen realistischen Orchestersound zu erzielen. Dennoch lässt sich der Sound so durch ein Reverb gut weiterverarbeiten.
Mit einem Mausklick oder per Keyswitch während des Einspielens können einzelne Artikulationen des jeweiligen Programms gewechselt werden, so dass kreativ mit den unterschiedlichen Spielweisen gearbeitet werden kann. Je nach Instrument stehen hier bis zu sieben Varianten zur Verfügung.
Besetzungssache
Der Ordner „Full Orchestra“ bietet neben einer wirklich vollen Besetzung auch ein Patch mit Streichern und Holzbläsern, diverse Klangkulissen (Texturen) und Effekte sowie großartige Tutti-Akkorde und -Effekte. Besonders gelungen ist ProjectSAM hier die Umsetzung des Dynamikverhaltens. Statt die Samples bei härterem Anschlag einfach lauter klingen zu lassen, verschiebt sich die komplette Gewichtung des Orchesters durch stärkere Betonung einzelner Instrumente. Auch wenn die Abstufungen zwischen piano und forte hätten detaillierter ausfallen können, erhalten die Instrumente so doch einen sehr lebendigen Klang. Die Artikulationen der beiden „Hauptinstrumente“ aus dem Ordner („Full Orchestrator“ und „Strings with Woodwinds“) verfügen über eine gelungene Auswahl von Spieltechniken. So stehen u.a. zwei Staccato-Varianten (mit und ohne Bogen), langgezogene Oktaven und „DXF“ zur Wahl. „DXF“ (eine weitere Besonderheit von Symphobia 2) ermöglicht die Dynamik der gespielten Noten über das Modulationsrad zu steuern, also auch während eine Note bereits erklingt. So lassen sich individuelle Sustains, Crescendos bzw. Decrescendos realisieren. Die echt gesampelten Crescendo-Aufnahmen klingen zwar realistischer, bieten dafür aber natürlich nicht diese Flexibilität. Die Effekt- und Textur-Patches des Ordners bieten eine tolle Grundlage für mystische und bedrohliche Klangkulissen.
Weiter geht’s mit den „Individual Sections“, den einzelnen Instrumentengruppen. Eine Besonderheit von Symphobia sind die lebendig klingenden Ensembles. Während bei anderen Librarys oftmals ein Großteil der Arbeitszeit in das Instrumentieren und Arrangieren des Orchesters fließt, liefert ProjectSAM hervorragend harmonierende und authentisch klingende Orchestergruppen, die den Fokus auf musikalische Inhalte vereinfachen. 4 unterschiedliche Streicher-Ensembles bieten einen satten Einstieg in den Ordner. Die Artikulationen sind vielseitig und abwechslungsreich und bieten von langgezogenen Tönen bis hin zur Dur- und Moll-Triller alles für den Hausgebrauch und noch mehr: Die Effekte des „String Ensemble Effects“-Patches verleihen der Library auch an dieser Stelle wieder den besonderen „Touch“ und bieten ungeahnte Möglichkeiten im Umgang mit dem virtuellen Orchester. Nicht weniger bieten auch die anderen Instrumente (Violinen, Bratschen, Celli und Hörner) des Ordners. Und am Ende tauchen auch noch Flöten auf, die dem Ganzen das i-Tüpfelchen aufsetzen.
Mit der dritten Kategorie „Legato Ensembles“ kommen wir nun zu einer weiteren Besonderheit der Library: echte Legato-Ensembles. Hier knüpfte man erfolgreich am VSL-Konzept an und sampelte die Übergänge zwischen zwei Noten. Allerdings nicht nur für einzelne Instrumente, sondern eben auch für komplette Ensembles. Anwendbar ist das „true legato“ bis zu einer Viertelnote bei 150 BPM und einer Oktave auf- und abwärts. Die getriggerten Übergangssamples variieren je nach gespielten Intervall. Das Ergebnis sind wirklich realistische Legato-Melodien ohne viel „Fummelarbeit“. Der klangliche Vorteil gegenüber der herkömmlichen, programmierten Legato-Spielweise virtueller Instrumente ist enorm und ein riesiger Mehrwert für die Library. Zur Verfügung stehen neben den Ensembles auch Solo-Instrumente. Die weiteren Artikulationen („Poly sustain“ und „Poly staccato“) ermöglichen ein abwechslungsreiches Spiel, ohne eine weitere Instanz zu laden. Insgesamt ist die Library sehr freundlich im Umgang mit System-Ressourcen, kam es während der ganzen Testzeit nicht zu einem Aussetzer.
Da fühlt man sich doch beinahe wie in „Herr der Ringe“. Solch orchestrale Effekte mit herkömmlichen Orchester-Librarys hinzukriegen ist nahezu unmöglich, bzw. sehr zeitaufwendig.