Presonus StudioLive: Digital oder (d)analog?
Die StudioLive Mischpulte in der Praxis
Als vor einigen Jahren eine Neuinstallation in meiner Kirchengemeinde angesagt war, stellte sich neben der Frage nach neuen Lautsprechern auch die Frage, welches Mischpult das in die Tage gekommene Mackie 16.4.2 VLZ ablösen soll. Als Tontechniker habe ich schon mit vielen analogen und digitalen Pulten gearbeitet und die Arbeitsweise mit einem Yamaha Digitalpult der Klasse 01V und deren Ableger konnte mich nie überzeugen. Zu undurchsichtig ist die Bedienung und eine lange Einarbeitungszeit erforderlich. Da während der Gottesdienste das Mischpult vom Küster zu bedienen sein muss, wäre das die falsche Wahl gewesen.
Glücklicherweise kam mit der StudioLive-Serie genau das auf den Markt, was wir gesucht haben. Ein digitales Mischpult mit analog anmutender Oberfläche. Da PreSonus gerade die 24-kanalige Variante vorgestellt hatte, fiel die Wahl auf das damals größte Modell.
Selbsterklärend
Anders als ich es vom Yamaha 01V96 gewohnt war, ist das PreSonus Pult (fast) selbsterklärend. Die Oberfläche mit dem querliegenden \“Fat Channel\“ kommt dem Anwender sehr entgegen, da man die meisten Funktionen eines analogen Mischpults sofort wieder findet. In der Bedienungsanleitung nachschauen mussten wir nur für die Erstellung von Aux-Mixes und die Arbeitsweise der \“Locate\“-Funktion. Der Rest war auf Anhieb verständlich.
Viele Anschluss-Möglichkeiten auf engstem Raum
Was bei digitalen Mischpulten gar nicht so selbstverständlich ist, sind die vielen Anschlussmöglichkeiten der PreSonus-Serie. Neben den üblichen XLR- und Klinken-Eingängen gibt es Inserts, Direct Outs (auf Multipin) und einen FireWire-Port zum Anschluss an den Computer. Gerade letzterer ist ein Alleinstellungsmerkmal der Pulte, da sich über diesen nicht nur bequem Mehrspuraufnahmen erstellen lassen, sondern auch das Pult fernsteuern lässt. Alles was man dazu benötigt, ist ein Computer mit installierter VSL (Virtual StudioLive) Software, einen Router und ein Apple iPad. Mit diesen Zutaten kann man vom iPad aus das Pult komfortabel per WLAN fernsteuern. Selbst ohne iPad macht das Anschließen eines Computers per FireWire Sinn, denn die Pult-Oberfläche ergibt zusammen mit der VSL-Oberfläche auf dem Monitor eine luxuriöse Arbeitsumgebung. Besser geht es nur noch mit den Digidesign-Konsolen, die ein Vielfaches kosten!
Qualität vor Quantität
Von der digitalen Seite her betrachtet bieten die StudioLive Mischpulte eine komplette und praxisgerechte Ausstattung. Mit Kompressor/Gate/Limiter und Vierband EQ für jeden Kanal sollten sich alle Alltags-Aufgaben gut lösen lassen. Die Möglichkeit, die Ausgänge mit einem 31-Band EQ zu versehen, erspart u. U. ein Drive-Rack. Die Effekt-Ausstattung ist für den Live-Einsatz ausreichend und die Effekte sind von ordentlicher Qualität, können aber High-End Spezialisten natürlich nicht ersetzen.
Szenenspeicher
Wie es sich für ein Digitalpult gehört, besitzen die PreSonus-Pulte natürlich auch Szenenspeicher, die sämtliche Einstellungen der Oberfläche (die analogen Gain-Regler ausgenommen) aufnehmen können. Auch Presets mit sinnvoll gewählten und häufig benötigten EQ-Einstellungen lassen sich zuweisen (und selbst anlegen). Hinsichtlich der Nutzbarkeit der Szenenspeicher lässt sich sagen, dass bei ausschließlicher Nutzung der Pult-Oberfläche diese von geringem Nutzen sind, da die Fader-Positionen nicht der abgespeicherten Positionen entsprechen müssen. Per Locate-Funktion lässt sich dies zwar anpassen, bei 24 Fadern ist das aber schon eine Menge Arbeit. Hier sind Pulte mit Motor-Fadern klar im Vorteil, diese bekommt man aber auch selten zu so einem günstigen Preis. Arbeitet man hingegen hauptsächlich mit der Fernsteuerung und dem iPad und lässt die Fader links liegen, kann man die Szenenspeicher sehr gut einsetzen.
Recording
Wer schon immer mal alle Live-Veranstaltungen bequem und ohne großen Aufwand mitschneiden wollte, wird die StudioLive-Mischpulte lieben. Mittels der mitgelieferten Software \“Capture\“ lassen sich alle Eingangskanäle, der Stereo-Master und einige Busse aufnehmen. Der Traum vom eigenen Live-Album ist zum Greifen nah! Ich mache von dieser Funktion regelmäßig Gebrauch und will sie nicht mehr missen. Es ist dabei kein Problem, die VSL-Software und Capture auf dem gleichen Rechner laufen zu lassen. Benötigt wird nur eine schnelle Festplatte.
Erweiterungsmöglichkeiten
Anders als andere Mitbewerber bietet die StudioLive-Serie (Ausnahme ist die neue, aber erheblich teurere StudioLive AI-Serie) keinerlei Möglichkeiten der Erweiterung. Digitales Multicore, ADAT-Anschlüsse oder Ports zur Nachrüstung durch Steckkarten sucht man vergeblich. Eine selten bedachte Möglichkeit ist jedoch die, externe Effekte in Form von VST oder AU Plug-ins zu nutzen. Die StudioLive Mischpulte besitzen die Möglichkeit, das Signal mit sehr geringer Latenz an den Computer, dort mit Plug-ins zu bearbeiten und in den gleichen Kanalzug wieder zurück zu schicken. So steht der Luxus Vocal Chain nichts mehr im Wege. Natürlich sollte man es nicht übertreiben, um die Stabilität des kompletten Systems nicht zu gefährden. Wer aber meint, auf spezielle Plug-ins nicht verzichten zu können, kommt so ein wenig in den Genuss des Digidesign-Feelings, welches man hat, wenn man mit deren Konsolen und Plug-ins arbeitet.
Perfekte Produktpflege
Was ich als PreSonus-Anwender zu schätzen gelernt habe, ist die perfekte Produktpflege. PreSonus hat den Funktionsumfang der Pulte stets erweitert, zuletzt durch die Kooperation mit Rational Acoustics. Wer die Smaart Tools kennt, weiß, dass man auf sie nicht mehr verzichten möchte. Die FFT-Analyse der Smaart-Software gehört zu dem Besten, was der Markt zu bieten hat. Wer regelmäßig in schwierigen Räumen unterwegs ist und auf ein Messsystem nicht verzichten kann, findet in Smaart die richtige Software. PreSonus hat durch die Kooperation mit Rational Acoustics Zugriff auf die Smaart Algorithmen und diese in die VSL-Software integriert. Noch nie war es so einfach, Rückkopplungen zu finden und zu eliminieren. Auch Einsteiger können durch die Smaart Wizzards, die zuletzt hinzugefügt wurden, schnell die PA einmessen. Natürlich wird dadurch die Smaart Software nicht überflüssig, für die meisten Anwender und Situationen sind die integrierten (kostenlosen) Tools aber mehr als ausreichend. In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dass bisher alle Updates stets kostenlos waren!
Groß, kleiner, winzig
Neben den 24.4.2 und 16.4.2 bietet PreSonus auch noch den kleinen Ableger 16.0.2 an. Dieser ist hinsichtlich der Kanalzahl und der Features abgespeckt, bietet aber auch einige Vorteile! Das Pult passt in einen (von PreSonus angebotenen) Rucksack – mitsamt Macbook und iPad! Es bietet genügend Kanäle und Features für Aufnahmen im Proberaum und kleinere Beschallungen. Des Weiteren ist ein Feature vorhanden, welches die \“großen\“ Geschwister nicht haben: ein MIDI I/O, der auch für das Umschalten von Szenen und Effekten genutzt werden kann. Außerdem wird damit das Pult zum perfekten Studio-Interface mit Audio und MIDI-Anschlüssen. Auch mein Studio-Arbeitsplatz ist mit einem PreSonus StudioLive 16.0.2 Mischpult ausgestattet und ich möchte es nicht mehr missen. Das Pult macht auch als Submixer oder In Ear Monitor-Lösung eine gute Figur.
Q Mix
Jeder Musiker wünscht sich mindestens einmal pro Gig die Möglichkeit herbei, seinen Monitormix selbst bestimmen zu können. Bisher war es immer aufgrund der benötigten aktiven Splitter sehr aufwändig und teuer, einen vom FoH-Mischer unabhängigen Monitor-Mischer auf der Bühne zu installieren. Mit der StudioLive-Serie ist das alles kein Problem mehr. Mit iPhone, iPod touch oder iPad ausgestattete Musiker können per Q Mix bequem ihren Monitormix selbst gestalten. Alles per WLAN ohne zusätzliche Verkabelung. Die Q Mix App ist dabei sehr einfach gehalten, damit der Spielfluss nicht gestört wird und sich der Musiker nicht mehr mit der Software befasst als mit seinem Instrument. Der FoH Techniker kann bestimmen, worauf der einzelne Musiker Zugriff hat. Das alles ist sehr komfortabel und in Anbetracht der hohen Verbreitung der iOS-Geräte eine sehr gute Lösung. Ich nutze diese Möglichkeit bei jedem Live-Konzert und muss sagen, dass bisher kein anderer Hersteller diesbezüglich mithalten kann. Lediglich Mackie bietet mit \“My Fader\“ eine ähnliche App für die hauseigenen DL-Mischpulte an, die jedoch insgesamt ein anderes Konzept verfolgen als die StudioLive-Pulte und nicht direkt zu vergleichen sind.
Die Konkurrenz
Waren die StudioLive-Pulte bei Erscheinen noch konkurrenzlos, hat sich mittlerweile die Situation stark verändert. Neben den bereits erwähnten Mackie-Produkten gibt es mit der Behringer X32-Familie die schärfste Konkurrenz. Behringer bietet neben dem großen X32 mit den Varianten Compact, Producer und Core ebenfalls eine leistungsfähige Produktlinie zu einem extrem günstigen Preis an. Die Erweiterungsfähigkeit der Behringer-Produkte (u. a. Anbindung an digitale Multicore-Systeme) ist ein deutlicher Pluspunkt gegenüber PreSonus. Die neue StudioLive AI-Serie soll zwar versuchen, verlorenen Boden wieder zu gewinnen, allerdings darf zurecht bezweifelt werden, dass dies angesichts der überzogenen Preise und den wenigen neuen Features möglich ist.
Ein sehr ausführlicher „Erfahrungsbericht“, der schon fast einem Test gleicht! Hut ab! Einzig die Bilder 2 und 4 (von oben) scheinen zu groß zu sein und schiessen über das Layout hinaus.
Die Bilder hat die Redaktion eingefügt. Bis vor einigen Tagen war das Layout noch in Ordnung. Das scheint bei vielen Testberichten nun so zu sein. Eventuell wurde im CMS die Skalierung eingestellt und die wird nun nicht mehr richtig aus der Datenbank gelesen. Wird die Redaktion sicher bald korrigieren. Scheint aber nur auf dem PC/Mac so zu sein. Auf dem iPad wird alles (noch) normal angezeigt.
Bitte, wo finde ich weitere „Erfarungsberichte??
Seniorjack