ANZEIGE
ANZEIGE

Test: Fender American Original 60s Stratocaster

Neuer alter Stern am Vintage Himmel?

23. Juni 2020

Vintage stirbt nie. Aber manchmal riecht es komisch. Frisch aus dem Koffer jedenfalls riecht diese Fender American Original 60s Stratocaster schon mal fabrikneu, soll aber nach 60s müffeln. Und in so einem Luxuskoffer hätten die Vorbilder in den Sechzigern wohl auch gern geschlafen. Fender wirft (mal wieder) eine Reissue auf den Markt, die für schlappe 1900,- Euro Vintage-Flair verspricht. Aber alles schön eins nach dem anderen …

Fender American Original 60s Stratocaster

Neuer alter Stern am Vintage Himmel?

Fender American Original 60s – Facts and Features

Der Postbote stöhnt und ich wundere mich, denn normalerweise sind die Gitarrenkartons im Nullkommanichts im 2. Stock und fast noch schneller in meinem Arbeitszimmer verschwunden. Der Grund ist schnell gefunden, denn die American Original 60s Stratocaster kommt im schweren Luxuskoffer. Gebettet auf rotem Samt, der nahezu sofort vom Hauskater adoptiert und für bequem erachtet wird. Sollte also die Gitarre den Test nicht bestehen, bleibt schon mal ein bequemes Katzenobdach und ich bewerbe mich als Autor für Heimtiermagazine. Aber nicht nur der Koffer ist für das Gesamtgewicht verantwortlich. Mit rund 4 kg schält sich die in Shell Pink lackierte Stratocaster behäbig aus ihrem Schlafgemach und setzt sich satt auf des Testers Schoß. Und das fühlt sich sehr vertraut an. Die Gitarre will auch gar nichts anderes, denn Fender hat es sich zum Ziel gesetzt, das Gefühl der originalen 60s Strats in die Neuzeit zu portieren. Ein paar Facelifts hat man dem Baby aber verpasst. Beginnen wir beim Body. Für Fans der Sechziger Strats hat der Hersteller, der diese Gitarre in den USA fertigt, die originalen Konturen in die Erle gesägt. Lackiert ist der Body im erwähnten „Shell Pink“, mit einem Lack auf Nitrocellulosebasis. Dieser soll das freie Schwingen des Holzes nicht beeinträchtigen und auf eine „persönliche Art und Weise altern“. Das zu überprüfen, lässt mir leider die zur Verfügung stehende Zeit nicht zu. Optisch wird der Korpus durch das Stratocaster typische Pickguard aufgewertet, das in tollem „Mint Green“ daherkommt und tatsächlich ein bisschen so wirkt, als sei es Jahrzehnte alt. Der eingeschraubte Hals aus Ahorn im klassischen, dicken C-Profil trägt ein Griffbrett aus Palisander. Im Vergleich zum Original aus den Sechzigern wurde der Griffbrettradius allerdings etwas entschärft, um Bendings zu erleichtern. Von ursprünglich 7,25″ wächst der Radius auf 9,5″. Soll noch mal einer sagen, Fender ginge nicht mit der Zeit …

ANZEIGE
Fender American Original 60s Stratocaster

Hier wirkt alles wie in den Sechzigern, nur nicht so verstaubt. Fender nimmt den Vintage-Kult ernst und zelebriert ihn mit der originalen 60s Serie.

6 Fender Pure Vintage Deluxe Mechaniken halten die Gitarre kopfseitig in Stimmung, wer Verstimmung möchte, betätigt das am hinteren Ende montierte, freischwebende Pure Vintage 6-Saddle Synchronized Vibratosystem. Der Halsstab ist, ganz im Vintage-Style, nur bei abgeschraubtem Pickguard zu erreichen. Tonabnehmerseitig arbeiten, wie üblich, drei Kollegen aus der Singlecoil-Abteilung. Sie hören auf den sperrigen Namen „Pure Vintage 65 Grey Bottom Singlecoil“ und sollen, wie der Name vermuten lässt, authentischen Fender Sound reproduzieren. Geschaltet werden die drei Tonwandler über den 5-Wege-Schalter ohne jeden Schnickschnack. Ein Volume- und ein Tone-Poti runden die Elektronik ab, zu erwähnen sei hier noch, dass der Steg-Pickup mit am hinteren Tone-Regler hängt, hier verlässt der Hersteller ebenfalls den Pfad der Vintage-Religion und nähert sich den modernen Ansprüchen einer neuen Gitarristengeneration. Der Draht zur Außenwelt wird, wie bei Fender Strats nicht anders zu erwarten, über das klassische Buchsenblech unterhalb des Vibratosystems eingeführt.

Fender American Original 60s Stratocaster

Kaum Überraschungen seitens der Elektronik und der Hardware, lediglich der Steg-Pickup darf, ganz vintage unüblich, am Tone-Regler teilhaben

Fender American Original 60s – Verarbeitung und Handling

Liegt die Gitarre mit ihren rund 4 kg Kampfgewicht sicher und komfortabel auf dem Schoß, zerren eben diese 4 kg im Stehen schon ganz gehörig am Gurt. Dafür ist die Gitarre perfekt ausbalanciert, das sind wir aber von Fender so gewohnt. Das Instrument hängt wie ein zusätzlicher Körperteil vorm Bauch und zeigt, warum dieser Gitarrentyp zum Klassiker geworden ist. Der Hals liegt mit seinem Thick-C Profil satt in der Hand, allerdings klebt die Halsrückseite derartig, dass ich mir nach dem ersten Test erstmal die Hände waschen musste. Keine Ahnung, ob das Instrument nicht genügend Zeit zum Trocknen bekommen hat, auf jeden Fall ist das, auch wenn es sich sehr „vintagig“ anfühlt, ein erwähnungspflichtiger Mangel. Ein Blick übers Griffbrett zeigt Unregelmäßigkeiten im Palisander, die mit den normalen Poren des Holzes nur bedingt zu erklären sind. Hier hätte wahrscheinlich ein besseres Auswahlverfahren bei der Fertigung Abhilfe geschaffen. Die Bünde, die etwas moderner und kräftiger gestaltet sind als die Originale aus den Sechzigern, sind perfekt abgerichtet. Die Tuner arbeiten straff mit angenehmem Widerstand und lassen präzise Stimmung zu. Der Hals-Korpus-Übergang ist, ganz vintage-like, klobig und durch keinerlei Fräsung entschärft. Hier gibt es deutlich elegantere Lösungen, die den Vintage-Charme eines Instrumentes nicht verwässern würden. Das mit 3 Federn aufgehängte Vibratosystem lässt sich weich bedienen und lässt auf der G-Saite eine Verstimmung um einen Ganzton nach oben zu. Dabei arbeitet es für ein Vintage System erstaunlich verstimmungsfrei. Der Gitarre liegt übrigens noch eine Chromkappe für das Vibratosystem bei, mehr Vintage geht dann aber auch bald nicht mehr. Volume- und Tone-Regler arbeiten gleichmäßig, die Tonregler regeln bis zum Mumpf alle Höhen weg. Der Volume Regler klaut erstaunlich wenig Höhen und ist mit dem kleinen Finger perfekt bedienbar. Negativ aufgefallen ist mir der einschraubbare Vibratohebel. Dieser ist zwar durch eine Drehung mehr oder weniger relativ gut in seiner Gängigkeit einstellbar, jedoch kann man eben diese eine Drehung nur vollführen, wenn man das Klinkenkabel aus der Buchse zieht. Bei schlabberndem Hebel fällt dieser nach Verwendung mit deutlich vernehmbarem „Klöng“ gegen die Klinke. Klar, das war schon in den Sechzigern so, aber wäre es weniger Vintage, wenn man einen steckbaren Hebel verwenden würde? Originales Feeling in allen Ehren, aber wenn man ein Instrument verbessern kann, ohne den Klang zu beeinflussen, sollte man vielleicht schon mal kreativ werden.

Sound und Bespielbarkeit

Von einer Strat wissen wir ja in etwa, was wir zu erwarten haben. Beim Trockentest zeigt sich die Fender American Original 60s Stratocaster eher etwas träge in der Ansprache, gar nicht so, wie ich es von einer Strat kenne. Es knallt nicht so richtig, möglicherweise liegt das am Palisander-Griffbrett, sind doch die Strats mit Ahorn-Griffbretter für ihren perkussiven Ton geschätzt. Die Bundstäbchen machen einen gut polierten Eindruck, die Bespielbarkeit ist trotz der relativ hohen Saitenlage ab Werk gut. Saitenziehen ist mit der 0.10 bis 0.46 Werkbesaitung ein Kinderspiel, die Gitarre intoniert sauber, wenn man es mit dem Druck auf die Saiten nicht übertreibt. Offene Akkorde schwingen frei und luftig. Das sind gute Voraussetzungen für den weiteren Test am Verstärker.

Für die Klangbeispiele habe ich mich, was den cleanen und den höher verzerrten Bereich angeht, für ein Kemper Profile von Guido Bungenstock entschieden, der Bogner XTC ist da mein bevorzugter Amp. Zuerst hören wir mal in die cleanen Sounds. Die Ansprache über den Amp wirkt deutlich weniger träge als beim Trockentest, die Singlecoils machen, was von ihnen erwartet wird. Der Hals-Pickup klingt dabei deutlich weniger „stratig“ und offen, wie die von mir gleichzeitig getestete Ibanez AZ226 mit einem Seymour Duncan Singlecoil am Hals. Schon interessant, dass man einer Strat einen Trademark Sound abspenstig machen kann. Ich schalte mich vom Hals nach hinten durch, den Mittel-Pickup allein habe ich dabei ausgespart. Zu meiner Freude klingt der Steg-Pickup ganz und gar nicht spitz und unangenehm, wie ich es von vielen Strats kenne. Insgesamt fehlt mir beim cleanen Sound aber ein wenig das Bassfundament.

ANZEIGE

Für den von Stratfans aus aller Welt so beliebten Crunchsound habe ich mich mal wieder für das Profile des Morgan AC20 entschieden. Die Brillanz der Pickups kommt diesem Sound jetzt sehr zugute, hier stratelt es, wie wir das hören wollen. Die Zwischenpositionen assoziiere ich natürlich sofort mit Mark Knopfler, der natürlich deutlich cleaner unterwegs war. Je weiter wir nach hinten schalten, desto klarer und aggressiver wird der Sound.

Vor dem Test mit Distortionsounds hatte ich anfangs die Bedenken, die Brillanz der Tonabnehmer könne hier zuviel des Guten sein. Aber nein, offenbar ist das genau das, was die Gitarre braucht. Wir hören, trotz relativ hohem Gainsetting, einen durchsetzungsfähigen, tragenden Sound. Das Anschlagsgeräusch ist schmatzend zu vernehmen und macht echt Freude, es fällt schwer, die Gitarre wieder aus der Hand zu legen. Bauartbedingt beginnen hier die Tonabnehmer langsam mit den gefürchteten Nebengeräuschen, die halten sich aber immer im vertretbaren Rahmen und sind mit Hilfe eines Noisegates gut im Zaum zu halten. Hier arbeitet zur Verstärkung wieder das Bogner XTC Profile.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Youtube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

ANZEIGE
Fazit

Es ist schwierig, ein Instrument, das die Unzulänglichkeiten der Konstruktion zum Kult erhebt und vermarktet, objektiv zu beurteilen. Schaut man auf den Vintage-Kult-Aspekt, kann man getrost sagen, dass Fender da die selbst hochgelegte Latte mühelos erreicht. Schaut man auf das Preis-Leistungs-Verhältnis, ist leider das eine oder andere Haar in der Suppe, hier sei zum Beispiel der klobige Neckjoint oder das Vibratosystem genannt, das man beides bei günstigeren Instrumenten in besserer Verfassung in freier Wildbahn erleben kann. Aber bei Vintage scheiden sich nun mal die Geister. Wer bereit ist, 1900,- Euro für das Vintage Flair Made in USA zu berappen und sich im Klaren darüber ist, dass man hier weit von einer modernen Gitarre entfernt ist, dem sei der persönliche Test ans Herz gelegt. Klanglich gibt es bei dieser Gitarre echt nichts zu meckern, sie macht perfekt das, was von ihr erwartet wird.

Plus

  • Klang
  • Vintage-Flair

Minus

  • Gewicht
  • klebriger Hals
  • Palisander-Griffbrett wirkt minderwertig

Preis

  • 1879,- Euro
ANZEIGE
Klangbeispiele
Forum
  1. Profilbild
    Eibensang

    Ich weiß nicht: fast zweitausend Ömmen für eine Gewichtheber-Klampfe mit fragwürdigem Griffbrett und klebrigem Hals (geht’s noch? Sowas stellte ich im Laden sofort in den Ständer zurück), dafür angeblichem Flair „von früher“, dem dann doch einige typische Merkmale fehlen …

    Gab es den 5-Weg-Schalter in den 60ern überhaupt schon? Der wurde doch erst eingebaut, als sich viele Gitarristen in den Sound der Zwischenpositionen ihres 3-Weg-Schalters verliebt hatten.
    Aber ich werde wohl nicht mehr zum Vintage-Fan (da selbst schon älter und eher froh, dass heute nicht mehr alles so schrottig, klobig und umständlich ist wie früher, menno).

    Und vom Sound her hab ich schon knackigere Strats gehört – an denen nur dreistellige Preisschilder baumelten.

    Aber danke für den Test! „Wer Verstimmung möchte, betätigt (…) das Vibrato“, das ist entzücklich formuliert! (Und den Fans, die das Instrument sicher finden mag, soll alles gegönnt sein.)

    • Profilbild
      Jan Steiger RED

      @Eibensang Stimmt, der 5-Weg Schalter ist eine Reminiszenz an die Neuzeit. Und grundsätzlich stimme ich dir schon zu, dass der vintage Kult manchmal seltsame Blüten treibt. Ich habe tatsächlich immer alle Strats zurück in den Ständer gestellt, weil es irgendwo immer Gitarren gab, die es besser konnten. Aber manche Menschen brauchen eben das originale Logo auf der Kopfplatte…
      Es gibt offensichtlich einen Markt dafür, sonst würde sich Fender auch mehr um die Produktionsqualität statt um die -quantität kümmern.

      • Profilbild
        tenderboy

        @Jan Steiger Also die American Performer Tele wäre tatsächlich die einzige, bei der ich schwach würde. Suuuper Hals, fantastisch bespielbar, super Klang.

      • Profilbild
        ctrotzkowski

        @Jan Steiger Endlich mal ein Test, der keine endlose Beschwörung der Legenden und Huldigung vergangener Unzulänglichkeiten fröhnt – sehr schön geschrieben.

        Ja, wer eben auf maximale Authentizität setzt, sucht sich was echtes altes – oder ist eben bereit, den Aufpreis der Marketing-Masche „Kult“ zu bezahlen.

        Pragmatiker setzen auf das, was seit den 60ern alles verbessert werden konnte, und können sogar Geld sparen.

  2. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    Der Preis entspricht dem Vintage Flair. Anno 1879 irgendwie.

Kommentar erstellen

Die AMAZONA.de-Kommentarfunktion ist Ihr Forum, um sich persönlich zu den Inhalten der Artikel auszutauschen. Sich daraus ergebende Diskussionen sollten höflich und sachlich geführt werden. Politische Inhalte und Statements werden durch die Redaktion gelöscht.

Haben Sie eigene Erfahrungen mit einem Produkt gemacht, stellen Sie diese bitte über die Funktion Leser-Story erstellen ein. Für persönliche Nachrichten verwenden Sie bitte die Nachrichtenfunktion im Profil.

ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
X
ANZEIGE X