Heavy Style in Babyblau
Seit 1990 ist Stephen Carpenter nun schon ESP Endorser. Einige Signature-Modelle gehen bereits auf seine Kappe, darunter 7- und 8-Saiter E-Gitarren sowie eine Bariton-Gitarre. Nun gibt es zum 20. Geburtstag die Wiederauflage seines „Normalo-Modells“ aus dem Jahr 1999 mit 6 Saiten, ESP wirft zu diesem Zweck unter dem Low-Budget-Label LTD die LTD SC-20 ins Rennen. In knalligem Sonic Blue und mit ungewöhnlicher Pickup-Kombination schlüpft das Baby aus dem Karton und macht es sich auf des Testers Schoß bequem. Schauen und hören wir mal, wie es schreit.
LTD SC-20 – Facts and Features
Auffälligstes Merkmal der LTD SC-20 ist sicherlich erstmal die Farbe. Sonic Blue nennt sie sich und die Lackierung ist, soviel sei direkt verraten, perfekt ausgeführt. Auf der Homepage von ESP und auch auf vielen anderen Bildern im Internet erscheint die Farbe deutlich blasser als im Original, wer diese Gitarre also online bestellt, könnte von der realen Farbe etwas überrascht sein. Das Design der Stephen Carpenter Signature Gitarre ist eng an den Klassiker aus dem Mutterhaus angelehnt, der auf den Namen „Horizon“ hört. Also eine moderne Strat-Variante mit gewölbter Decke, Neck-thru-Body-Konstruktion und abgewinkelter Kopfplatte. Die Probandin sitzt satt auf dem Schoß und hängt, trotz des nicht allzu ausgeprägten Rippenspoilers, straff am Körper bei einer leichten Kopflastigkeit, die sich aber im Praxisbetrieb als unproblematisch erweist. Der durchgehende Hals der LTD SC-20 besteht aus dreistreifigem Ahorn mit einem Griffbrett aus schön gemasertem Ebenholz. Auf dem mit 24 Jumbobünden bestückten Griffbrett selbst finden wir keine Dots, dafür hat man als Besonderheit den seitlichen Markierungen einen phosphorisierenden Effekt geschenkt, der allerdings nicht sonderlich ausgeprägt ist. Das Halsprofil ist ein dünnes „U“, die Mensur ist mit 648 mm angegeben.
Der Trussrod-Zugang befindet sich konstruktionsbedingt an der Kopfplatte und ist mit einer schwarzen Platte verdeckelt, auf der die Modellbezeichnung prangt. Die Kopfplatte selbst ist im Horizon-Style nach hinten abgewinkelt, am Übergang zwischen Kopf und Hals stabilisiert ein Kragen die bruchgefährdete Stelle. Als Tuner dienen LTD-eigene Lockingtuner, was der Stimmstabilität und Klang entgegen kommt, da deutlich weniger Wicklungen der Saiten um die Mechaniken nötig sind. Vom Werk aus ist die LTD Sc-20 mit D’Addario XL110 Strings von .010 bis .046 besaitet.
LTD SC-20 E-Gitarre – die Elektronik
Der Korpus der Testgitarre besteht aus Erle, was der Gitarre ein angenehmes Gesamtgewicht beschert. Die Saitenführung präsentiert sich als „string-thru-body“ Konstruktion, die Saiten werden von hinten durch den Korpus gefädelt, um dann von einer chromfarbenen TonePros Locking Tune-O-Matic Bridge auf den benötigten Abstand zum Korpus gebracht zu werden. Auf der gewölbten Decke sitzen insgesamt 3 Tonabnehmer. Hier sind wir beim zweiten, wirklich auffälligen Merkmal dieser Signature Gitarre. Die Bestückung mit zwei Humbuckern an Steg- und Mittelposition erscheint doch erstmal recht ungewöhnlich. Beim Steg-Humbucker handelt es sich um den bekannten und bewährten Seymour Duncan JB, in der Mittelposition arbeitet ein ESP designter LH-150Humbucker. Am Hals befindet sich ein reinrassiger Singlecoil mit der Bezeichnung ESP designed LS-120N. Stephen Carpenter sagt zum mittleren Humbucker: „visually it just looks great to me (…) this pickup is always been purely for fun for me (…) all pickups away from the bridge making off-tone to me.“ Das Ganze leicht verschmitzt grinsend, wohl wissend, dass er selbst nahezu ausschließlich den Steg-Pickup verwendet. Nun ja, das scheint mir als Begründung für diese Pickup-Kombination doch recht dürftig. Gesteuert werden die 3 Pickups dann auch recht unspektakulär über einen 5-Wege-Schalter, ein Volume- und ein Tone-Poti. Der 5-Wege-Schalter schaltet einfach nur durch, also in Position 1 ist der Hals-Pickup aktiv, in Position 2 kommt der mittlere Humbucker hinzu, der in Position 3 allein arbeitet. Folgerichtig schaltet Position 4 Mittel- und Steg-Pickup zusammen und in Position 5 ist der Steg-Humbucker allein aktiv. Kein Splitting, kein out-of-phase, kein Schnickschnack.
Die Potis sind relativ schwergängig, Volume-Swells mit dem kleinen Finger sind aufgrund dessen eher mühsam, dafür verstellt sich aber auch beim härteren Shredden so schnell nichts. Beide Potis arbeiten gleichmäßig. Die Klinkenbuchse befindet sich an der unteren Zarge. Ein die Optik störendes Pickguard suchen wir vergeblich. Der Hals-Korpus-Übergang ist bauartbedingt flüssig, die Gitarre ist bis in den 24. Bund störungsfrei bespielbar. Die Saitenlage ist mit „sportlich“ am besten zu beschreiben, viel flacher geht wirklich nicht mehr. Die Werkseinstellung der Gitarre ist tadellos.
LTD SC-20 E-Gitarre in der Praxis
Die ersten Töne entlocke ich der Testgitarre unverstärkt. Und hier zeigen sich die String-thru-body-Konstruktion und der durchgehende Hals erwartungsgemäß von ihrer besten Seite. Die Ansprache ist direkt, der Ton entfaltet sich schnell, es wirkt und klingt drahtig und perkussiv. Sofort perlen ein paar funkige Licks aus meinen Fingern. Doch wer die Deftones und deren Saitenartisten Stephen Carpenter kennt, weiß, dass Funk nun wirklich nicht die Stärke dieser Gitarre sein kann. So eine Konstruktion kann aber natürlich auch im Metal nicht von Nachteil sein. Ganz im Gegenteil, ist doch eine saubere Klangentfaltung auch das A und O bei den Highgain-Sounds. Also schließen wir das Baby an und lassen uns überraschen.
Startend mit einem cleanen Sound ist zunächst der Singlecoil am Hals Objekt meiner Begierde. Die klare Drahtigkeit des unverstärkten Tons bringt der jedoch nur bedingt an mein Ohr. Im ersten Klangbeispiel hören wir den Hals-Pickup über einen clean eingestellten Amp. Effekte gibt’s keine bis auf ein klein wenig Raum aus der DAW. Im zweiten Beispiel schalte ich die Positionen 2-5 durch.
Wie zu erwarten ist clean nicht unbedingt das bevorzugte Einsatzgebiet der SC-20. Klingt der Singlecoil noch ganz brauchbar, sind die Zwischenposition vorne und die Humbucker nur von begrenztem Praxiswert. Farb- und charakterlos würde ich diese beschreiben. Mit Einsatz von Effekten wie Compressor und zusätzlichem EQ wird das alles etwas brauchbarer, aber wir wollen ja die nackte Gitarre bewerten. Wollen wir mal schauen, was eine leichte Zerre so mit den Eigenschaften der Gitarre macht. Im ersten Beispiel kommt der Singlecoil zum Einsatz, im zweiten spiele ich zunächst den mittleren Humbucker, dann schalte ich um auf den Steg-Humbucker.
Hier bleibt jetzt überraschenderweise eher der Singlecoil blass, ihm fehlt es an Brillanz. Die beiden Humbucker hingegen beginnen zu leben. Der Steg-Humbucker hat hierbei allerdings die Nase deutlich vorn. Der Seymour Duncan JB macht, wofür er geschaffen ist. Der mittlere Pickup bleibt dagegen eher undifferenziert und mumpfig. Aber erinnern wir uns an die Worte des Meisters, eigentlich wird im täglichen Einsatz durch Herrn Carpenter nichts genutzt außer dem Steg-Pickup. Mir erschließt sich dann tatsächlich der Sinn der beiden anderen Tonwandler nicht. Aber egal, es ist ein Signature Instrument, da fragen wir nicht nach Praxiswert. Oder? Schalten wir mal um auf höhere Gain-Settings …
Der Hals-Pickup mag das Mehr an Gain offenbar ganz gerne. Wer jetzt stratigen Hendrix-Klang erwartet, wird natürlich enttäuscht sein, aber wir erhalten einen durchaus brauchbaren Rhythmussound, dem es für meinen Geschmack allerdings nach wie vor an Charakter fehlt. Dafür trumpft jetzt der Seymour Duncan Kollege am Steg auf. Der JB ist bekannt als guter Allround Pickup für nahezu alle Stilrichtungen. Jetzt und hier zeigt er sich dreckig-rockig mit genügend Punch, aber differenziertem, moderaten Output. Da wir aber ein Signature-Instrument eines Schwermetallers in der Hand halten, wollen wir noch etwas Scoop. Auf dropped D, also die tiefe E-Saite auf einen Ganzton tiefer gestimmt, zeigt die Gitarre, wofür sie gebaut wurde. Es pumpt, es drückt und es bleibt immer differenziert im Bassbereich. Das ist die Bestimmung dieser Gitarre, da fühlt sie sich wohl. Aber solieren wollen wir auch noch. Dazu also noch mal einen Gang zurückgeschaltet und ein klein wenig Delay auf die Spur gelegt. Starten wir diesmal mit dem JB am Steg. Hier kommt dem Sound auch wieder der Charakter dieses Tonabnehmer-Klassikers entgegen. Saubere Auflösung der Töne, kein Matsch, kein Schmodder. Alles im babyblauen Bereich. Im zweiten Teil des Soundfiles hören wir den Singlecoil am Hals, der bei dieser Einstellung auch einen recht guten Job macht, den etwas farblosen Charakter ablegt und mich wieder etwas versöhnt.