Der Kultamp im virtuellen Gewand
Das gibt es selten: Mit dem Neural DSP Soldano SLO-100 wirbt der Hersteller nicht nur mit einem bekannten Namen, sondern der Namensgeber selbst war an der Entwicklung der Software beteiligt, um den Kult Amp, wie er selbst sagt, in ein neues Medium zu übertragen. Über Mike Soldano muss man wirklich nichts mehr schreiben. Genialer Tüftler, Amp-Guru und Vater eines Sounds, der aus vielen Produktionen der späten 80er- und 90er-Jahre nicht wegzudenken ist. Neben Steve Lukather, Gary Moore, Steve Vai, Joe Satriani und vielen anderen sah man sogar Mark Knopfler zeitweilig mit einer wunderschönen Pensa-Suhr und eben den kultigen Soldano Amps auf der Bühne performen. Die Amps von Mike Soldano trafen den Zeitgeist wie kaum ein anderer Amp und auch heute noch schwören viele Profis auf den Verstärker, der den amerikanischen Highgain-Sound geprägt hat. Mike Soldano selbst trat seinerzeit mit dem Anspruch an die Entwicklung des SLO-100, nicht nur den Unterschied zwischen eine Strat und einer Les Paul hörbar zu machen, sondern er wollte nichts weniger, als zwei unterschiedliche Les Pauls voneinander unterscheiden zu können. Kein leichtes Unterfangen in einer Zeit, in der die Gainsettings immer höher und der Sound immer gleicher wurde. Er suchte also einen Weg, den Charakter des cleanen Signals zu erhalten. „And then, I wanted to overdrive the hell out of it.“ Der Rest ist Geschichte, der SLO-100 war geboren und trat seinen Siegeszug über die Bühnen und Studios der Welt an.
Neural DSP Soldano SLO-100 Plug-in: Ein Überblick
Was bekommt man denn nun, wenn man das Neural DSP Soldano SLO-100 Plug-in erwirbt? Zunächst kann man sich die Software in einer 14 Tage gültigen Testversion laden, Einschränkungen bei der Nutzung gibt es nicht. Lediglich ein Account bei Neural DSP muss angelegt und die kostenlose iLok Software auf Mac oder PC installiert sein. Installation und Registrierung klappen problemlos, danach steht die Software als Standalone-Version oder als Plug-in in jeder gängigen DAW bereit. Bei mir laufen Cubase, Logic und GarageBand, Cubase auf Mac und PC. Nirgendwo gibt es Probleme. In der Plug-in-Version integriert sich die Neural DSP Soldano SLO-100 Gitarrensoftware nahtlos in alle Systeme, Automationsdaten können geschrieben und gelesen werden, dem ungebremsten Workflow steht also nichts im Weg. Hat man jetzt noch ein brauchbares Audiointerface und ein paar schicke Monitorboxen oder einen guten Kopfhörer, kann der Spaß beginnen.
Der Startbildschirm begrüßt uns mit einem das Fenster ausfüllenden, liebevoll gestalteten Soldano SLO-100 Topteil mit virtuellem, schwarzen Tolex. Kleiner Gimmick: Beim Klicken auf den Soldano-Schriftzug ändert sich der Bezug in Violet oder Snakeskin. Optisch ist diese Software, so wie alle anderen aus gleichem Hause, schon mal bezüglich der Übersicht und der Bedienbarkeit ganz vorne im Vergleich zu z. B. Amplitube oder Guitar Rig. Mit Hilfe der fünf Symbole in der oberen Reihe des Fensters lassen sich die fünf Bestandteile der Neural DSP Soldano SLO-100 Software aufrufen. Von links nach rechts starten wir mit vier Stompboxes, die in der Signalkette vor dem Amp platziert sind. Hier stehen ein Compressor, zwei Overdrive-Pedale und ein Chorus zur Verfügung. Die Reihenfolge der Effekte ist nicht veränderbar, aber sinnvoll gewählt. Alle Regler sind mit der Maus bedienbar und selbsterklärend.
Zum Amp-Fenster kehren wir gleich zurück, wir springen kurz zum 9-Band-Equalizer. Dieser befindet sich direkt hinter dem Amp und kann massiv ins Soundgeschehen eingreifen. Die Bänder sind praxisnah gesetzt und gestatten Cuts und Boosts der einzelnen Frequenzen von -12 dB bis + 12 dB. Über die Flankensteilheit der einzelnen Bänder gibt es keine Auskunft, das Attribut „praxisnah“ passt aber hier ganz gut.
Das nächste Fenster ist jetzt etwas erklärungsbedürftiger. Wir finden hier den Mic Control Room. Der „mitgelieferten“ Soldano 4×12″ Box können hier verschieden Mikrofone vorgesetzt werden. Sechs verschiedene Mikrofone stehen hier zur Auswahl, zwei davon können kombiniert und im Raum bewegt werden. Zur Verfügung stehen ein Dynamic 57, ein Dynamik 421, ein Condenser 414, ein Condenser 184, ein Ribbon 121 sowie ein Ribbon 160. Allesamt haben im Original mindestens genauso viel Studiogeschichte geschrieben wie der Soldano SLO-100 selbst. Natürlich ist es möglich, auch nur ein Mikrofon zu nutzen. Auch das Verschieben der Mikrofonsignale im Stereobild ist hier möglich. Die Software selbst kann im Plug-in-Betrieb übrigens von Monobetrieb auf Stereobetrieb umgeschaltet werden. Mono bedeutet allerdings nicht, dass das Signal komplett mono bleibt, lediglich der Eingang ist dann, so wie bei einem echten Amp, mono, das Stereosignal wird dann erst hinter der Boxensimulation erzeugt. Der Stereobetrieb ist dafür gedacht, bereits in Stereo vorhandene Signale zu verarbeiten. Wer möchte, kann statt der mitgelieferten Box und der Mikrofone eigene Impulse Responses (IRs) laden, dies geschieht über das Auswahlmenü der Mikrofone.
Es bleibt das letzte Fenster zu besprechen, hier werkeln die zeitbasierten Effekte Delay und Reverb. Das Delay verfügt über eine maximale Verzögerung von bis zu 3000 ms. Schaltet man den „Sync“-Schalter ein, passt sich das Delay dem Tempo der Produktion an, der Tempo-Regler ist dann ausgegraut. Der Time-Regler übernimmt die Einstellung des gewünschten Delay-Metrums im Verhältnis zum Songtempo, also zum Beispiel eine ⅛-Triole oder ganz gerade ¼ Delays. Der Ping-Pong-Schalter erweitert das Delay auf ein klassisches Hin- und Herspringen im Stereobild. Wer die Neural DSP Soldano SLO-100 Software standalone benutzt, bekommt unten links ein zusätzliches Eingabefeld für das Songtempo angeboten. Ansonsten ist die Bedienung selbsterklärend.
Kommen wir zurück zum Kernstück, dem Amp. Der Soldano SLO-100 ist ein zweikanaliger Amp, dessen cleaner Kanal zusätzlich in einen Crunch-Modus geschaltet werden kann. Schaltet man zwischen den beiden Kanälen hin und her, sind die für den jeweils gewählten Kanal gerade nicht aktiven Regler ausgegraut. Der Amp verfügt je Kanal über eine Preamp- und eine Master-Sektion, die Klangregelung teilen sich die beiden Kanäle. der Standby-Schalter ist Deko, der wird ja nun wirklich nicht gebraucht. Der Amp kann, wie alle Komponenten, aber sehr wohl ausgeschaltet werden, somit stehen die Effekte oder die Boxensimulation auch allein oder mit anderen Plug-ins zur Verfügung.
Im Amp-Fenster direkt über dem Amp finden wir noch die Regler für den Input-Gain der Software, ein Noise Gate, den schon erwähnten Stereo-Schalter sowie den Preset-Browser und die Output-Regelung. Im Preset-Browser finden sich bereits weit über 100 Sounds von Gitarristen, deren Namen in der Heavy-Szene wahrscheinlich hohen Bekanntheitsgrad haben, mir persönlich sagt kein einziger dieser Namen etwas. Überhaupt stört mich, dass so gut wie alle Plug-ins, ob von Neural DSP, von Amplitube, von Positive Grid oder wie sie alle heißen, immer massiv mit den Heavy-Sounds beworben werden, als ob es keine anderen Stilrichtungen gäbe. Gerade der Soldano ist aber Inbegriff des genreübergreifenden Sounds und hier werden auch Freunde des AOR, der Popmusik oder des Schlagers hervorragend bedient. Schade, dieses Image-Ding ist irgendwie von gestern.
Einen Tuner gibt’s natürlich auch, der hat mich aber bei den von mir bereits getesteten Plug-ins „Gojira“ und „Abasi“ schon genervt, obwohl er, im Vergleich zu damals, anscheinend schon an Zappeligkeit etwas verloren hat. Egal, er macht, was er soll, die Gitarre stimmt hinterher jedenfalls.
So klingt das Neural DSP Soldano SLO-100 Plug-in
Um die Leistungsfähigkeit des Neural DSP Soldano SLO-100 Plug-ins zu demonstrieren, suche zunächst aus den Presets ein paar clean Sounds, die sowohl den Amp repräsentieren, als auch die Effekte zur Geltung bringen. Zum Einsatz kommt die gerade von mir zum Test gebrachte Harley Benton Fusion-T HH, die Klangbeispiele tragen die Namen der Presets und sind unverändert.
Wir wagen uns in die verzerrten Gefilde. Die Gitarre bleibt die gleiche, ich klicke mich durch ein paar angezerrte Sounds, die ein bisschen die Dynamik des Plug-ins demonstrieren sollen. Crunchige Sounds sind, gerade bei digitalen Lösungen, immer problematisch. Ich kann bei dieser Software aber kein Problem erkennen. Die angezerrten Sounds klingen dynamisch und reagieren hervorragend auf den Spieler. Die Highgain-Sounds machen dann das, was wir von einem Soldano erwarten. Sie drücken, sie schreien, sie glänzen mit Durchsetzungsfähigkeit, dickem Bass und präsenten, aber nie nervigen Höhen. Die verzerrten Sounds, das lässt sich aus den Namen der Files wieder ersehen, stammen teilweise aus den Pedalen des Plug-ins, ansonsten werkelt hier entweder der Crunch aus dem cleanen Kanal oder der Overdrive-Kanal. Mangelnde Vielseitigkeit kann man dem Plug-in, trotz der überschaubaren Anzahl an Geräten, jedenfalls nicht vorwerfen.
Ganz zum Schluss noch ein Video, das ich bereits Anfang des Jahres für meinen privaten Kanal gemacht hatte. Hier kommt die Ibanez AZ226 zum Einsatz.
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Ironischerweise finde ich die Clean-Sounds deutlich überzeugender. Werden neue Ampmodelle von Neural DSP eigentlich als Update in den Quad Cortex eingepflegt?
Gute Frage! Soweit ich informiert bin, haben die Algorithmen des QC nichts mit den PlugIns zu tun und es gibt auch keine Möglichkeit, die „rüberzuziehen“, es sei denn, man erstellt ein Capture. Das scheint mir aber recht umständlich 😅
Vielleicht hat da aber der eine Leser oder die andere Leserin eher einen Überblick?
Hallöchen, das ist sicher ein interessantes Plugin.
Allerdings muss/möchte ich hier einen kleinen Kritikpunkt anbringen.
Fast alle Soundfiles sind mit Reverb und/oder Modulation und/oder Delay aufgenommen.
Ich habe einen SLO 30 hier stehen … und ehrlich … der klingt wirklich ganz anders …. sorry ….
Ich hätte mir mehr trockene Sounds mit dynamischer Spielweise gewünscht.
Nur dann kann man das wirklich vergleichen.
Naja, ich betrachte die Leistungsfähigkeit der Software als Ganzes. Deshalb habe ich mich entschieden, einfach unveränderte Werkspresets zu demonstrieren. Klar klingt dein Amp anders, ein Amp im Raum ergibt einen ganz anderen Klangeindruck, allein aufgrund der Lautstärke und der Interaktion mit der Gitarre. Dazu kommt der Einfluss der verwendeten Lautsprecher. Interessant wäre, wie dein Soldano klingt, wenn er mikrofoniert und aufgenommen wird.
@Jan Steiger Stimmt natürlich.
Ich nehme an, dass in der virtuellen Box V30 Speaker „verbaut“ sind …
Ich habe halt den Sound verglichen, den ich bei dem Plugin über meine Adam AX7 höre …. und im Vergleich meinen SLO 30 über eine Kombination aus einem G12H30 Heritage und einem V30 Speaker.
Das „Mikro“ war mein Ohr im Raum 😀😀
… Kann natürlich sein, dass der Unterschied geringer wäre , wenn ich den SLO über eine OXAmp Speakersimulation in den PC spielen und dann beides vergleichen würde.