Kannst Du sie zähmen?
Gitarren aus der Kategorie Powerstrat sind nach wie vor schwer angesagt – und das aus gutem Grund. Für viele von uns bieten diese luxuriös ausgestatteten Klampfen eine Menge unschlagbarer Vorteile, wie etwa druckvolle und brummfreie Zerrsounds mit einem Humbucker in der Stegposition oder ein absolut verstimmungsresistentes Vibratosystem für die kleinen oder größeren Gimmicks zwischendurch. Kurz und knapp – die Powerstrat ist und bleibt einfach eine Allroundgitarre, deren Einsatzgebiet sich von Tanzmusik bis zum Deathmetal und allem dazwischen erstrecken kann. Genau solch eine Kandidatin werden wir uns im heutigen Test mit Neugier betrachten, denn die Charvel Pro Mod SD1 2H FR TRB stammt ja schließlich aus der Produktion einer der Hersteller, die in den frühen 80er Jahren schon maßgeblich zur Entwicklung dieser eigenständigen Gitarrenklasse beigetragen hat. Let’s shred!
Facts & Features
Im Großen und Ganzen kommt der aus Erle hergestellte Korpus mit seinen Fräsungen auf Vorder- und Rückseite dem einer Fender Strat recht nahe. Es scheint sich um ein recht leichtes Stück Erle zu handeln, denn trotz ihrer massiven Hardware mit dem Floyd Rose System und seinem Klemmsattel ist die Charvel Pro Mod SD1 2H FR TRB sehr angenehm und gut ausbalanciert am Gurt zu tragen. Täuschend echt wurde auf der Oberseite der Decke ein Riegelahornfurnier aufgesetzt, das bei unserem Testmodell in einem dunklen Rot gebeizt wurde. Erhältlich ist die Charvel Pro Mod SD1 2H FR noch in vielen weiteren Farben, darunter auch die typischen Vertreter der 80s in Neon Pink oder Neon Gelb.
Egal, welche Farbe aus der Serie es nun sein soll, das weit ausgesägte Cutaway des Korpus erlaubt auch Spielern mit Schlosserpranken, die 22 Bünde des Ahornhalses mühelos zu erreichen. Dieser wurde natürlich eingeschraubt und besitzt ein separat aufgeleimtes Ahorngriffbrett, eine echte One-Piece-Maple-Konstruktion finden wir leider nur bei den USA-Modellen von Charvel. Unser Testinstrument wurde aber in Mexiko hergestellt, auch wenn man mit Stolz auf der Neckplate auf das amerikanische Mutterhaus hinweist.
Etwas, was man sich vielleicht an einer echten „Superstrat“ wie dieser noch gewünscht hätte, wäre ein optimierter bzw. ergonomisch gestalteter Hals-Korpus-Übergang. Der fehlt leider, obwohl der Vorhandene alles andere als klobig ist und von daher für die Greifhand kein wirkliches Hindernis beim Bespielen der oberen Lagen darstellt.
Das Vibratosystem der Charvel Pro Mod SD1 2H FR TRB
Die Gitarren der Pro Mod Serie mit Vibrato werden ab Werk aus Kostengründen mit der koreanischen Version des Floyd Rose Systems ausgeliefert. In vielen unserer Tests glänzten diese Systeme nicht gerade mit Zuverlässigkeit beim Halten der Stimmung. Bei Charvel bzw. dem Mutterhaus Fender scheint man sich dieses Problems bewusst zu sein und an einigen Stellen (erfolgreich) nachgebessert. Davon konnte ich mich schon beim Test einer weiteren Charvel mit dem koreanischen System überzeugen – damals ging es um die Pro Mod San Dimas ST 2 FR, die mit dem Halten ihrer Stimmung absolut keine Probleme hatte.
An entscheidenden Stellen wie Klemmsattel, Stehbolzen und Vibratohebel wurde hier sinnvoll nachgearbeitet, sodass dieses System nun der amerikanischen Version zumindest in diesem Punkt das Wasser reichen kann. Unterschiede bestehen aber nach wie vor, deutlich wird dies bei der Qualität der Verchromung oder etwa der Funktion der sechs Schrauben für die Feinstimmer, die bei der US-Version doch noch einen Ticken sanfter laufen. Aber egal, in der wichtigsten Kategorie funktioniert das System – und das auch bei exzessivem Einsatz und in beide Richtungen, denn selbstverständlich besitzt die Decke eine korrespondierende Unterfräsung unter dem Vibratoblock.
Die Mechaniken der Charvel Pro Mod SD1 2H FR TRB
Da mir während der Testdauer eine Saite gerissen war, hatte ich auch die Gelegenheit, die sechs Mechaniken genauer zu inspizieren. Wie wir ja alle wissen, spielt die Qualität der Mechaniken bei einem Floyd Rose Vibrato dank des Klemmsattels keine so tragende Rolle. In unserem Fall kann man darüber froh sein, denn hier wurde offensichtlich bei der Konstruktion bzw. Kalkulation der Rotstift angesetzt. Nicht nur die Mechanik der Saite, die mir riss, zeigt Schwächen in der Präzision beim Drehen, alle anderen tun es auch. Aber geschenkt, nach dem Verriegeln des Klemmsattels hat man diesen Punkt auch schnell wieder vergessen. Ewig wird das natürlich nicht gut gehen und so sollte man mit einem Tausch der Mechaniken früher oder später wohl rechnen.
Pickups & Schaltung der Charvel Pro Mod SD1 2H FR TRB
Auch hier ist der Hersteller wie beim Vibratosystem um eine Qualität bemüht und spendiert der Pro Mod SD1 2H FR TRB zwei Humbucker aus der US-Produktion von Seymour Duncan. Am Steg bzw. Vibratoblock sitzt der Dauerbrenner JB (Jeff Beck), in der Halsposition lauert ein ´59 Zebra. Beide Tonabnehmer lassen sich mithilfe des Push-Pull-Volumepotis auch als Singlecoils betreiben, was der Klangvielfalt natürlich noch mal deutlich auf die Sprünge hilft.
Ein Dreiwegeschalter steuert die beiden Pickups an, ergänzt wird die elektrische Schaltung um ein Tonepoti. Alle drei Komponenten, der Schalter und die beiden Regler, sind von guter Qualität und dürften dem neuen Besitzer lange Freude bereiten. Damit der Zugriff auf die Potis auch bei schweißnassen Händen stets zuverlässig vonstattengeht, wurden Metallknöpfe mit einer Randrierung auf die Achsen aufgesteckt und verschraubt.
Zwischenzeugnis
Ein sauberes Stück Arbeit ist Charvel bzw. dem mexikanischen Fender-Werk gelungen. Unsere Charvel Pro Mod SD1 2H FR TRB gibt bis hierhin ein gutes Bild ab, sieht man mal von den minderwertigen Mechaniken ab. Doch meiner Meinung nach wurde hier mal an der richtigen Stelle gespart, denn die Mechaniken bei einem Floyd Rose Vibrato spielen ja aufgrund des Klemmsattels ohnehin nicht so eine tragende Rolle bei einem stimmstabilen System. Dafür aber gibt es eine sehr gute Verarbeitung zu bescheinigen und ein paar ganz schön heiße Pickups aus amerikanischer Produktion an Bord. Hören wir rein!
Sound & Praxis mit der Charvel Pro Mod SD1 2H FR TRB
Obwohl die Bundierung hervorragend gelungen ist, werden sich sicher einige erst noch an das extreme Jumbo-Format der Bünde gewöhnen müssen. Klar, praktisch für saubere und klare Bendings und Akkorde ist das schon, schwierig allerdings bei schnellen Läufen oder etwa bei großzügig angesetzten Slides. Die Tonansprache (Attack) im trockenen Zustand ist zufriedenstellend, ebenso kann man mit dem Sustain zufrieden sein.
Die beiden Seymour Duncans bieten das erwartungsgemäß druckvolle Klangbild, das man von diesen beiden Typen aus vielen anderen Gitarren bereits gewohnt ist. Allerdings neigen die Tonabnehmer bei zurückgenommenem Volumepoti zum Brummen, ganz gleich, ob sie nun als Doppelspuler oder im Singlecoil-Betrieb genutzt werden. Das ist man wiederum von diesen beiden Pickups nun gar nicht gewohnt und scheint wohl seinen Ursprung in der Elektronik der Gitarre bzw. unseres Testmodells zu finden. Dennoch braten beide Pickups ordentlich los und man sollte es mit dem Gain am Verstärker besser nicht zu sehr übertreiben, denn dann neigt der Sound schon zu einem Matschen.
In Klangbeispiel 1 legen wir gleich mit der Disziplin los, für die die Pro Mod SD1 2H FR TRB gemacht wurde und in der sie sich definitiv am wohlsten fühlt – die verzerrten Sounds. Für die nun folgenden Klangbeispiele wurde die Gitarre in meinen Orange Micro Dark eingeklinkt, der ist verbunden mit einer 1×12″ Box und Celestion Vintage 30 Speaker. Als Mikro diente ein AKG C3000. Los geht’s mit zwei Beispielen des Steghumbuckers, die mit relativ viel Gain eingespielt wurden.
In Klangbeispiel 3 nun der Klang der ‚59 Zebra am Hals. Auch hier gilt: weniger ist oft mehr, so sollte man es auch hier mit der Zerrung nicht zu sehr übertreiben.
Heute ist es gerade mal anders rum – zuerst die Zerrsounds und nun die gemäßigteren Klänge. Als Viertes hören wir beide Pickups mit angehobenem Volumepoti, also im Singlecoil-Modus. In Spielpausen ist das besagte Brummen wahrzunehmen, während ich die Lautstärke mit dem Volumepoti um ca. 1/4 abgesenkt habe. Im folgenden Beispiel wurden aber keine Pausen gelassen, bei zurückgenommenem Volumepoti hat die Gitarre doch arg mit ihrer Dynamik zu kämpfen und es wird spürbar zäher für den Spieler.
Zum Abschluss nun in Klangbeispiel 5 der Cleansound beider Pickups im Singlecoil-Modus. Eine Strat klingt wahrlich anders, dennoch ist der Sound recht brauchbar. Und außerdem: Wer zur Hölle kauft sich eine solche Gitarre, um sie unverzerrt zu spielen?