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Test: Orange TH100, Gitarrenverstärker Topteil

Der 100 Watt Killer!

10. März 2024

Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, es gibt weltweit keinen anderen Herstellern von Verstärkern, bei denen der Name des Herstellers bereits eindeutig festlegt, wie die Optik des Produktes ausgerichtet sein wird. Die im Jahre 1968 von Cliff Cooper im Londoner East End gegründete Firma Orange resultiert aus der Führung eines kleinen Musikgeschäftes, in dem der Besitzer nicht nur Instrumente verkaufen, sondern das Geschäft auch zu einem Treffpunkt der nationalen Musikerszene umwandeln wollte. Uns liegt heute der Orange TH100 zum Test vor, welcher den Anspruch erhebt, Tradition und Moderne in einem einzigen Topteil unterzubringen.

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Die Konzeption des Orange TH100

Alle Gitarristen kennen mittlerweile die Grundsatzdiskussion zwischen virtueller Modeling-Technik oder analoger Topteil-Klangerzeugung. Ich will hier auch nicht zum hundertsten Mal diese Diskussion anreißen, nur eins ist sicher, wer sich zur Digitalfront zählt, wird sich mit Sicherheit niemals mit diesem Topteil auseinandersetzen. Egal wie gut das Topteil zum Schluss klingen wird, mit knapp 27 kg ist dieses Topteil in der oberen Gewichtsklasse anzusiedeln und wird daher von jedem Gitarristen, der nicht schwer tragen möchte, von vornherein auf der Negativliste platziert werden.

Dabei hat sich der in China gefertigte Orange von der klassischen Marshall-Brikett-Form deutlich entfernt und den Amp etwas gedrungener gestaltet und ihn mit den Abmessungen 55 x 27 x 28 cm vor allen Dingen in der Breite etwas gestutzt. Über die Ästhetik des Verstärkers zu diskutieren, ist faktisch sinnlos. Der in klassischem Orange-Tolex bezogene Verstärker, angereichert mit den weltberühmten Piktogrammen über den Potentiometern, polarisiert seitdem es diesen Hersteller gibt. Entweder man liebt diese Farbgebung oder man hasst sie abgrundtief. Ein Mittelding dazwischen existiert nicht.

Sehr konsequent finde ich auch die Herangehensweise, selbst die Netzleuchte in Orange zu gestalten. Wer sich partout überhaupt nicht mit der Farbgebung anfreunden kann, es gibt auch eine alternative Ausführung mit schwarzem Tolex, wobei mich persönlich diese Optik mehr an die Firma Matamp erinnert. Die von Mat Mathias gegründete Firma ging zu Anfang eine Partnerschaft mit Orange ein, spaltete sich aber später wieder vom Unternehmen ab und übernahm viele der optischen Attribute, wie zum Beispiel die Piktogramme.

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Orange 70th Anniv. TH100H
Orange 70th Anniv. TH100H
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(11)

Bei dem Orange TH100 handelt es sich um einen zweikanaligen Vollröhrenverstärker, bei dem die beiden Kanäle jedoch bewusst spartanisch ausgestattet sind. Während der cleane Kanal lediglich mit einem Volume-, einem Treble- und Bassregler daherkommt, verfügt der Dirty Channel sogar nur über einen Shape-Regler, welcher eine kombinierte Klangregelung aus Bässen, Mitten und Höhen darstellt. Bei Linksanschlag verfolgt der Verstärker eine klassische britische Ausrichtung im Sinne von einem vergleichsweise hohen Mittenanteil, während bei einer Drehung nach rechts in den Scoop-Modus mit abgesenkten Mitten und geboosteten Bässen und Höhen übergeht.

Orange TH100 Test

Orange TH100, Profil

Die Leistungsdaten des Orange TH100

Dass sich Orange trotz seiner langen Tradition auch mit modernen Problemen auseinandersetzt, merkt man an der ausgefuchsten Leistungsschaltung des Vollröhrenverschärkers. Bekanntermaßen kann die große Dynamik und das spezielle Ansprechverhalten von vier Endstufenröhren vom Typ EL34 nur noch auf sehr großen Open-Air-Bühnen ausgefahren werden.

Um diesen Verstärker dennoch in seiner Gänze nutzen zu können, kann man mittels eines Schalters auf der Frontseite nicht nur die Leistung des Verstärkers mittels Trioden/Pentodenschaltung halbieren, sondern mittels eines zweiten Schalters auf der Rückseite des Verstärkers auch noch einmal zwei Leistungsröhren aus dem Signalweg nehmen.

Dies bedeutet, dass der Verstärker sowohl auf 100, 70, 50 und 30 Watt gefahren werden kann, was die Flexibilität unglaublich erhöht. Ich bitte dennoch zu berücksichtigen, dass sich die Leistungsreduktion primär auf den Klang und das Ansprechverhalten des Verstärkers auswirkt. Wer hofft, dass der Verstärker bei 30 Watt nur noch ca. 1/3 so laut ist wie bei 100 Watt, hat bei Physik nicht richtig aufgepasst. Um die Verstärkerleistung zu halbieren, darf der Verstärker nur noch ein Zehntel der Leistung haben, sprich ein 10 Watt Verstärker ist gerade einmal halb so laut wie ein 100 Watt Verstärker, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die 50 Watt Schaltung gerade mal eine Reduktion von ca. 12 % in der Ausgangslautstärke darstellt.

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Orange TH100 Test

Orange TH100, Rückseite

Die Rückseite des Orange TH100

Wie sehr sich der Betrieb von zwei Cabinets an einem Topteil, insbesondere 4×12 Boxen mit je 8 Ohm, in den letzten Jahren zurückentwickelt hat, erkennt man, wenn man sich die Rückseite des Orange TH100 ansieht. Als Lautsprecherausgänge ist nur noch jeweils 1x 16 Ohm und 2x 8 Ohm vorgesehen. Das Manual weist darauf hin, dass man bei entsprechender Doppelbelegung, wie z. B. 2×16 Ohm Boxen, man die beiden 8 Ohm Ausgang benutzen möchte. Im Prinzip logisch, aber für den ungeübten User etwas verwirrend.

Eine einzelne 8 Ohm Box ist demnach noch problemlos zu handhaben, bei zwei 8 Ohm Boxen oder einer einzelnen 4 Ohm Box hingegen ist Feierabend, Ob es überhaupt zwei Cabinets auf einer Bühne braucht, steht jetzt auf einem ganz anderen Zettel. Allerdings hätte ich mir persönlich jedoch die klassische Ausrichtung in Form von 1×16 Ohm Out, 2×16 / 1x 8 Ohm Out und 2×8 Ohm / 1×4 Ohm Out gewünscht, gerade wenn man bedenkt, dass Orange User wohl eher dem traditionellen Spektrum des Gitarrenverstärker-Segments zuzuordnen sind und auch gerne einmal mit 8 Lautsprechern Luft bewegen, wenn es denn möglich ist.

Des Weiteren befinden sich auf der Rückseite des Verstärkers noch ein Eingang für einen Fußschalter zwecks Kanalumschaltung und ein röhrengebufferter serieller Einschleifweg. Der Verstärker kann rechts außen wahlweise in seiner Spannung für europäische Verhältnisse um die 230 Volt oder aber für Übersee auf 120 Volt bzw. 100 Volt geschaltet werden.

In Sachen verbauter Röhren gibt sich der Orange TH100 sehr traditionell. Für die Leistungsröhren 4x EL34, für den Preamp 4x 12AX7 bzw. ECC83 und ebenso eine 12AT7 bzw. ECC81 für den Röhren-Einschleifweg.

Orange TH100 Test

Orange TH100, Aufsicht

Der Orange TH100 in der Praxis

Es kommt wirklich nicht häufig vor, aber manchmal überraschen mich Hersteller mit einer äußerst einfachen und effektiven Art der Klangformung. Bei dem Orange T H100 ist dies der Fall. Man mag auf den ersten Blick gegebenenfalls kritisieren, dass die Klangregelungsmöglichkeiten des Verstärkers sehr rudimentär gehalten sind. Man findet keinen expliziten Mittenregler und die Wahl eines einzelnen Shape-Reglers für den Dirty-Channel ist wahrlich eine Herausforderung.

Ich muss allerdings auch dazu sagen, dass der überwiegende Teil der Gitarristen, ohne ihnen zu nahe treten zu wollen, mit einer effektiven Klangregelung an einem Gitarrenverstärker ohnehin überfordert wären. Nicht umsonst hat Jim Marshall schon seinerzeit als Erklärung für seine vergleichsweise uneffektive Klangregelung in einem Interview gesagt, dass dies Absicht wäre, damit die Gitarristen keinen SCHLECHTEN Sound einstellen können. Es ging also primär um die Verminderung des Schadens, den ungeübte Musiker mit der Klangregelung anstellen können.

Der Shape-Regler im Dirty-Channel hat hingegen den großen Vorteil, dass man mit einer einfachen Drehbewegung zwischen einem traditionellen Sound mit einem vergleichsweise hohen Mittenanteil zu einem klassischen Metal-Sound im Scope-Stil wahlweise stufenlos hinüberregeln kann, eine Arbeitsweise, die einem Großteil der Gitarristen sehr entgegenkommen sollte. Würde man die Jungs und Mädels auffordern, dies mittels einer ausgefuchsten Vierband-Klangregelung umzusetzen, kämen wahrscheinlich die abenteuerlichsten Einstellungen diesbezüglich heraus.

Ansonsten verfügt der Verstärker über eine sehr hohe Praxistauglichkeit, soll heißen, der Verstärker bietet einen sehr stabilen, geschmackvollen, cleanen Sound, mit dem sich auch bei hohen Lautstärken noch sehr klare Sounds erzeugen lassen. Wahlweise kann man diesen Kanal auch in eine schöne Sättigung fahren. Hier sollte man allerdings bedenken, dass in diesem Fall die Lautstärke in den höheren Leistungsklassen sehr schnell sehr hoch ausfallen kann. Sollte man diesen Sound bevorzugen, würde ich empfehlen, in der 30 und 50 Watt Einstellung zu arbeiten.

Der Dirty-Channel bietet eine sehr breite Palette, wobei man das Gefühl hat, dass Orange hier aufgrund der sehr hohen Gain-Reserven sehr stark in Richtung Metal geschielt hat, wenngleich mir persönlich der Höhenanteil im Scope-Bereich oberhalb von 3 Uhr etwas zu hoch angesetzt ist, aber dieses ist bekanntlich Geschmacksache. Hier wäre meines Erachtens eine schaltbare Höhenabsenkung je nachdem sehr schön gewesen, aber wie gesagt, alles Geschmacksache. Dass der Nebengeräuschpegel im High-Gain-Bereich deutlich zunimmt, ist nicht zu vermeiden, könnte aber den einen oder anderen User, welcher es gewohnt ist, mit einem intern verbauten Noisegate zu arbeiten, verwirren.

Orange TH100 Test

Orange TH100 im Studio

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Fazit

Mit dem Orange TH100 hat der Hersteller einen flexiblen Vollröhren-Head mit einer einfachen, aber effektiven Klangregelung im Portfolio, welche gerade im Metal-Bereich einen Großteil der gewünschten Sounds abdecken sollte.

Wen das hohe Gewicht nicht abschreckt, sollte auf jeden Fall einmal ein Ohr riskieren.

Plus

  • Klang
  • Konzept
  • Verarbeitung
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Klangbeispiele
Forum
  1. Profilbild
    Klangzaun

    Für den TH30 habe ich einmal verschiedene Vorstufenröhren ausprobiert. Mit der Werksbestückung neigte der cleane Kanal mit Gain ab 9 Uhr zu crunchen. Der dirty Channel matschte mit Gain ab zirka 2 Uhr.

    Ich hatte zu erst einen 6 Band EQ im Effektloop, was das Matschen zähmte.

    Nach dem Test der Röhren hatte ich dann folgendes Setup, was den Amp in eine andere Liga hob:

    Clean: Mullard 4024
    Dirty: Mullard 2024 (V1), TT 12AX7 V1 (V2)
    FX-Loop: JJ ECC81S
    Phaseninverter JJ 5751

    • Profilbild
      Jörg Hoffmann RED

      @Klangzaun Hallo, an meinem TH30 mit PPC212V crunched es nicht im Clean Channel – erst ab weit hinter 12:00 Uhr – so wie es für mich sein soll. Ich bin sehr happy, denn die Kombination ist gerade in den Bässen und Mitten sehr „cremig“. Dazu ein absoluter Hingucker in meinem Wohnzimmer.

  2. Profilbild
    Tai AHU

    Was hat mich dieser Verstärker angemacht, als er rauskam. Farbe und Stil fand ich top. Es wird gemunkelt, dass er bei Fleetwood Macs Albatross zum ersten mal auf einer Aufnahme verwendet wurde. Kann natürlich auch nur eine schöne Geschichte sein.

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