Orange as Orange can be
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Seit den späten 60er-Jahren werden sie nun schon gebaut, die kultigen Verstärker im prägnanten Orange, das man statt mit Großbritannien wohl sonst eher mit den Niederlanden in Verbindung bringt. Einstmals aus einer Not heraus in dieser Farbe produziert, sollte gerade dieses Merkmal dem Erfolg dieser Marke dienlich sein. Auf vielen Bühnen der Welt stehen sie leuchtend im Hintergrund, einer der bekanntesten Nutzer dürfte Jimmy Page sein, dessen imposante Backline sein oftmals gequält wirkendes Lächeln überstrahlt. Effekte hat der Hersteller natürlich auch immer wieder im Programm, drei Orange Gitarren-Effektpedale stehen im neuen Gewand bereit, meinen Nachbarn den Gehörschutz aufzuzwingen. Let’s get the sound party started.
Orange Gitarren-Effektpedale – Facts & Features
Sustain, Distortion und Phaser treten an, mich vom (nicht ganz so) neuen Konzept des Retro- bzw. Vintage-Booms zu überzeugen. Und was sich da aus den Kartons pellt, könnte mehr Retro nicht sein. Im oben schon erwähnten, klassischen Orange stehen sie da und sehen alle drei irgendwie gleich aus. Identisch in der Gehäusegröße sind sie und diese Größe ist ja auch schon mal so was von vintage … Während andere Hersteller versuchen, möglichst viel Technik in kleinstmögliche Gehäuse zu quetschen, was oftmals der Bedienung abträglich ist, haben wir hier klobige Kisten mit kaum Regelmöglichkeiten. Fehlbedienung ist also quasi ausgeschlossen. Rund 400 g wiegen die Soldaten der Blechbüchsenarmee jeweils, die geradezu gigantischen Ausmaße von 187 x 112 x 141 mm (B x H x T) verlangen reichlich Platz auf dem Pedalboard. Dafür sind die Jungs aber so stabil, dass man sie problemlos auch ohne schützendes Board auf der Bühne, sicher vor versehentlichen Fußtritten, aufstellen könnte. Die Gehäuse bestehen jeweils aus Aluminium. Vier rutschfeste Gummifüße gewährleisten sicheren Stand, alle Anschlüsse befinden sich auf der Frontseite der Pedale.
Die Orange Gitarren-Effektpedale benötigen ein 9 V Netzteil mit negativem Pol innen im Hohlstecker. Die Leistungsaufnahme der Geräte wurde so gering wie möglich gehalten, so benötigt das Distortion-Pedal nach Herstellerangabe lediglich 3 mA, das Sustain-Pedal weniger als 10 mA. Batteriebetrieb ist nicht vorgesehen. Alle drei Pedale verfügen über einen gebufferten Bypass, der einen Verlust von Dynamik und Sound bei ausgeschalteten Pedalen verhindern soll. Die Fußschalter der drei Probanden verfügen jeweils über einen deutlich spürbaren Tretwiderstand, die Potis sind angenehm schwergängig. Trotzdem sind sie aufgrund ihrer exponierten Lage nicht gegen versehentliches Verstellen geschützt. Die Markierung auf den Knöpfen besteht aus einem winzig kleinen, weißen Punkt, der bei ungünstigen Lichtverhältnissen kaum bis gar nicht sichtbar ist. Chickenheads hätten auch gut zum Vintage-Design gepasst und wären aus mehreren Metern Entfernung sichtbar. Platz genug wäre jedenfalls. Eine LED informiert, jeweils in hellem Blau leuchtend, über den Schaltzustand der Pedale. Alle drei Orange Gitarren-Effektpedale kosten jeweils knapp 240,- Euro, das ist ein stolzer Preis für extrem spartanische Klangverbieger. So viel zu den Gemeinsamkeiten, jetzt schauen wir uns die drei Orange Gitarren-Effektpedale einzeln an.
Die Orange Gitarren-Effektpedale – Sustain
Sustain meint im eigentlichen Sinne die Ausklingzeit eines Tons. Wenn wir aber als Gitarristen ein Sustain-Pedal vor uns haben, handelt es sich allerdings meist um einen Kompressor, der zwar die Ausklingzeit des Signals künstlich verlängern kann, im Grunde ab dafür geschaffen ist, die Dynamikspitzen des Signals zu beschneiden, um somit ein gleichmäßigeres und natürlich auch verlängertes Ausklingverhalten zu provozieren. Was macht jetzt unseren „neuen“ Sustainer so besonders? Im Vergleich zum exhumierten Original aus den 70ern verfügt die Version des aktuellen Pedals angeblich über ein „sanfteres Aufblühen“, das dank einer leicht verbesserten Schaltung zustande kommen soll. Nun ja, da müssen wir dem Hersteller einfach glauben, denn ein originaler Sustainer aus den 70ern steht mir nicht zur Verfügung. Orange besteht darauf, dass man einen Klassiker fit für moderne Zeiten gemacht habe. Die spartanischen Regelmöglichkeiten beschränken sich auf „level“ und „depth“, Letzteres ist sonst eher typisch für Modulationseffekte, dürfte hier aber am ehesten der sonst bei Kompressoren üblichen „Ratio“ entsprechen. Also die Kompressionsrate, um die das eingehende Signal „zusammengedrückt“ wird. Die LED, die den eingeschalteten Effekt markiert, verfärbt sich, je nachdem, wie stark der Kompressor arbeitet, von blau nach lila. Somit bekommt man auch eine optische Kontrolle.
So klingt der Orange Sustainer
Um die Orange Gitarren-Effektpedale zu demonstrieren, schalte ich sie vor einen clean eingestellten Amp. Ihr hört zunächst den Referenz-Sound, der über den kompletten Verlauf unverändert bleibt. Das Sustain-Pedal arbeitet in niedriger und mittlerer Stellung des Depth-Reglers subtil und gibt dem Sound einfach etwas mehr Glanz. In höchster Stellung mischen sich unschöne, leichte Verzerrungen hinzu, denen ich das Zerren leider nicht abgewöhnen konnte und die sich leider nicht mit einem Fehler in der Signalkette erklären lassen. Wer stark komprimierte, glasklare Kompression sucht, ist hier falsch. Hier geht es um sanfte Schönfärbung, die natürlich mit knapp 240,- Euro ihren Preis hat.
Die Orange Gitarren-Effektpedale – Distortion
Über ein Distortion-Pedal zu schreiben, bedarf mittlerweile einer gewissen Fantasie. Zu viele davon sind auf dem Markt, so ziemlich alles wurde schon geschrieben. Aber hier macht es mir das Orange Distortion-Pedal recht einfach, denn zwei Dinge fallen sofort negativ auf. Wie beim Sustain-Pedal auch, befinden sich wiederum nur zwei Regler auf der Oberfläche, die zudem die identischen Bezeichnungen tragen. Finde ich „Depth“ bei einem Kompressor noch irgendwie recht schlüssig, scheint mir diese Bezeichnung bei einem Verzerrer in Bezug auf den Zerrgrad doch recht abenteuerlich. Nun gut, die Tiefe des Effekts meint also die Intensität der Verzerrung. Kann ich mit leben, ist aber verwirrend. Als noch verwirrender empfinde ich die Tatsache, dass ein einzelner Treble-Regler im Inneren des Gehäuses untergebracht ist. Platz genug ist ja nun wahrlich auf der Oberseite des Pedals. Selbst wenn man unbedingt das Konzept des Trimmpotis verfolgen möchte, wäre es sinnvoll gewesen, dieses auf der Oberfläche unterzubringen. Vintage hin, Retro her, das wäre ein Feature, das dem Distortion-Pedal gut zu Gesicht gestanden hätte.
So klingt das Orange Distortion-Pedal
Das Distortion-Pedal gefällt mir persönlich in mittlerer Gain-Stellung am besten. Für einen satten Low-Gain-Sound klingt es zu harsch, bei einer hohen Einstellung des Gains ist es schon zu viel des Guten. Außerdem nehmen die Nebengeräusche dann überhand und sind selbst mit einem guten Noise-Gate nur schwer zu bändigen. Authentisch ist dieser Sound aber allemal. Hier gilt wie so oft, wer diesen speziellen Sound mag, kommt an diesem Pedal wohl nicht vorbei.
Die Orange Gitarren-Effektpedale – Phaser
Einer der beliebtesten Effekte der psychedelisch angehauchten 70er-Jahre war der Phaser. Dieser Effekt passt wunderbar zum Musik- und Drogenrausch dieser Ära, ist quasi das klanggewordene LSD. Keine Krautrock-Band ohne Phaser, keine Liquid-Light-Show ohne kaleidoskopisch schwirrende Klänge einer rhythmisch pulsierenden Gitarre. Das Innere des Orange Phasers wurde, auch hier wieder nach Herstellerangaben, dahingehend modifiziert, dass weniger störende Nebengeräusche des Gitarristen Ohr beleidigen. Außer der Geschwindigkeit des Phaser-Effekts ist auch hier wieder kein weiterer Parameter regelbar, der Hersteller muss also vom Grundkonzept seines Pedals mehr als überzeugt sein. In diesem Sinne: Phaser auf Betäubung, Scotty!
So klingt der Orange Phaser
Der Phaser macht für mich von allen drei Pedalen den besten Eindruck. Natürlich ist das Kistchen ein One-Trick-Pony, für alles andere fehlen die Regelmöglichkeiten. Aber diesen einen Trick beherrscht das Pferdchen ganz hervorragend. Subtile bis mäßige Phaser-Sounds klingen genau so, wie ich einen Phaser einstellen würde. Die wabbelige Höchststellung ist dann aber auch mir zu viel des Guten, obwohl auch hier der Klang des Gerätes fantastisch ist und dem Interessenten diesen speziellen Sounds schmeichelt.
Wow – retro-Gerätchen mit unverkennbarer Gehäusefarbe!
Zumindest beim Phaser wäre eine Bemerkung sinnvoll, wie sich das Gerät bei Synthesizern macht (Eingangspegel, Effekt …) – weil die Tastendrücker doch auch nach klanglicher Bereicherung suchen . . .
Als Techniker interessiert mich natürlich der Aufbau der Schaltung – und siehe da: es gibt nur ganz ganz wenige SMD-(‚Surface mount device‘)-Bauteile!
Dagegen ECHTE Widerstände und ECHTE Kondensatoren (wie in meiner Jugend – mir kommen fast die Tränen, schnell den heißen Lötkolben beiseite räumen …)!!!
Ideal für Leute wie mich, die aufgrund des Alters ihre Feinmotorik etwas abbauen mussten.
Doch: ja, dieser extrem hohe Preis für eine offensichtlich nicht sonderlich komplexe Schaltung (Bild ‚Distortion‘ – offenes Gehäuse) – das ist schon happig.
Zumal die Gerätchen ja streng ‚mono‘ sind und somit doch recht begrenzt in heutigen Set-ups!
Schön sehen sie aus. 😬
Der Phaser klingt angenehm „cremig“ 😀
Für die Investition würde ich noch mehr Eingriffsmöglichkeiten wünschen.
Danke für die Vorstellung der „eckigen Ogangen“.🤝
Euch allen eine besinnliche Weihnachtszeit. 🙂
@CDRowell Der Phaser taugt mir auch, aber bei dem Preis schaue ich mich trotzdem lieber anderweitig um… :O
Puh, ob das soviel Geld wert ist? Dafür kriegt man ja eine JHS Packrat.
Wenn „Behringer“ drauf stünde, könnte man fast eine Null vom Preis streichen. Der Phaser klingt gut, aber die anderen beiden? Verdient das Sustain seinen Namen dann überhaupt? Zum Ratloskopfkratzen.
Der Preis ist schon happig. Als Fan von Phasern bin ich aber, abgesehen vom Small Stone, auch sehr happy mit meinen grünen PSK-Phasern (Boss-Kopien aus den 80ern).