Ein echtes Arbeitspferd!
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Das neue sE Electronics sE4100 Großmembran-Kondensatormikrofon stammt direkt vom großen Bruder, dem sE4400 ab, das ich schon im März 2023 testen durfte und von dem ich sehr positiv überrascht war. Tolles Preis-Leistungs-Verhältnis, sehr guter Klang und eine saubere Verarbeitung haben dem Mikrofon ein „sehr gut“ eingebracht. Das sE4100 ist nochmals um 90,- Euro günstiger und nur in wenigen Punkten abgespeckt. Ich habe vom Vertrieb zwei sE4100 im Stereoset bekommen und ich freue mich auf einen spannenden Test.
sE Electronics sE4100: Die Ausstattung
Die Zutaten des 4100ers sind schnell erklärt: eine handgefertigte 1“-Kondensatorkapsel aus vergoldetem Messing in einem schwarzen Ganzmetallgehäuse. Wie die meisten Großmembraner ist auch das sE Electronics mittenkontaktiert.
Ein Mikrofonkorb aus Federstahldraht und zwei Schalter: einer für linear/ 80 Hz / 160 Hz Low Cut Filter (6 dB/Oktave) und der zweite für -10 / -20 dB Pads (Absenkung). Optisch an das AKG C414 angelehnt, aber in mattem Schwarz gehalten, wiegt das Mikrofon nur 290 g und ist mit den Abmessungen 14,6 cm (Höhe) und 2,9 cm (Tiefe) sehr kompakt.
Das Eigenrauschen beträgt sehr geringe 9 dB(A), die Empfindlichkeit bei 25 mV / 1Pa. Als echter Allrounder deckt das Mikrofon einen Frequenzbereich von 20 Hz bis 20 kHz ab und lässt enorme Pegel von bis zu 157 dB (bei -20 dB Pad) zu. So eignet sich das sE4100 auch für Drums, E-Gitarren und laute Stimmen. Ein echtes Arbeitspferd!
Der Preisunterschied zum sE4400 ist einzig auf das Faktum zurückzuführen, dass das sE4100 nur die Nierencharakteristik beherrscht, während das 4400er auch in den Modi Kugel, Nieren, Hyperniere und Acht umschaltbar ist. Dafür benötigt das sE4400 eine Doppelmembran und eine entsprechend flexiblere Elektronik.
Ein Blick auf das Messdiagramm zeigt keine Überraschungen. Bis auf einen kleinen Boost über 10 kHz ist das Mikrofon vorbildlich neutral mit zweckmässig dimensionierten Lowcut-Filtern. Das Raumdiagramm zeigt die klassische Niere mit vergleichsweise geringer Frequenzabhängigkeit.
Die Verarbeitung ist, wie immer bei sE Electronik, sehr professionell und man muss bei anderen Herstellern schon in weit höhere Preissegmenten suchen, um eine adäquate Qualität zu finden. Spaltmaße, Flechtung des Korbs, Lackierung, Stabilität und auch die Mikrofonspinne – das alles ist auf sehr hohem Niveau und verdient ein Lob.
Stereomikrofonie – ein kleiner Exkurs
Im Karton vom deutschen Vertrieb kam diesmal ein Stereoset, bei dem ein „Matched Pair“-Mikrofone mit zwei Spinnen in einem stabilen Koffer zusammen mit einer passenden 30 cm langen Stereoschiene geliefert wurden. Diese Schiene ermöglicht die Befestigung beider Mikrofone im „XY“-Stereoverfahren, in der Stereo „AB“-Konfiguration und im sehr verbreiteten „ORTF“-Verfahren. Für das NOS System ist die Schiene gerade so geeignet, denn hier wird eine Stereobasis von 30 cm verlangt. Wer hier mehr Spielraum wünscht, findet bei Thomann sicher die geeignete Stereo Bar, wie eine König & Meyer 23560.
Beim XY-Verfahren nehmen zwei Mikrofone in einem 90 Grad Winkel „über Kreuz“ auf. Diese sehr einfache Art der Stereomikrofonie vermeidet Phasenprobleme oder Monokompatibilität – allerdings muss man bei dieser Methode für eine breite Stereobasis diese in der DAW händisch per Panning anpassen. Die Membranen sollten so nah wie möglich oder auch übereinander platziert werden – weswegen dieses Verfahren sehr gerne für Kleinmembranmikrofone verwendet wird, die durch ihre kompakte Form sehr nah beieinander platziert werden können.
XY-Mikrofonie wird bei sehr geringen Abständen vom Klangkörper empfohlen, da sonst der Stereoeffekt verloren gehen kann. Diese Methode wird beispielsweise gerne bei der Aufnahme von Konzertflügeln (zusammen mit weiteren Stützmikrofonen) verwendet.
Unter AB Mikrofonierung versteht man die Anordnung zweier Mikrofone parallel zueinander. Dies hat den Vorteil, dass eine sehr gute Tiefenstaffelung und ein schöner räumlicher Effekt erreicht wird. Allerdings hat diese Methode so seine Tücken, denn die Laufzeit und Phasenunterscheide führen zu einer oft komplexen Berechnung des Abstands der Mikrofone zueinander.
So einfach die AB-Methode wirkt, so sehr liegt hier die Tücke im Detail. Dazu empfehlen sich auch gerne Mikrofone mit einer Kugelcharakteristik für dieses Verfahren.
ORTF kommt als Verfahren aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Frankreich (ORTF = „Office de Radiodiffusion Télévision Française“) und kommt dem menschlichen Hören sehr nah. Bei einem Winkel von 110 Grad und einem Kapselabstand von 17 cm (was dem durchschnittlichen Abstand der Ohren beim Menschen entspricht) wirken Aufnahmen nach diesem Verfahren sehr plastisch mit guter räumlicher Abbildung und sauberer Ortbarkeit der Schallquellen. Viele Stereosets von Mikrofonen sind auf das ORTF-Verfahren hin optimiert – meist sogar mit einer entsprechenden Abstandskennzeichnung auf der Stereoschiene. Leider haben wir diese auf auf der beigepackten sE Electronics Schiene nicht.
sE Electronics sE4100 im Klangtest
Bei den Klangbeispielen habe ich mich besonders auf die Stereomikrofonie fokussiert – denn im Monomodus ist es identisch mit dem sE4400, das wir schon im Test hatten. Beim Test des Stereosets mit Sprache und Percussion habe ich jeweils eine Vergleichsaufnahme der beiden sE4100er mit dem Lewitt LCT640 TS gemacht, das als Doppelmembraner und entsprechender Verkabelung auch in Stereo aufnehmen kann. So ist es für Sie, liebe Leser, auch interessant zu hören, wie sich die verschiedenen Stereoaufnahmeverfahren auf den Klang auswirken. Die Mikrofone waren dabei mit dem SSL Pure Drive Quad verbunden und über ADAT mit einem Apollo X6. Als Aufnahmesystem wurde die DAW LUNA ebenfalls von Universal Audio verwendet.
Die Aufnahmen wurden nicht weiterbearbeitet – nur bei der Stimmaufnahme wurde bei allen Mikrofonen ein Low-Cut bei 80 Hz gesetzt.
Im ersten Beispiel mit Voice wurden die sE4100 auf meinen Mund angewinkelt (Abstand 30 cm), während das Lewitt im 90 Grad Winkel zu mir positioniert ist, damit dieses Mikrofon in Stereo aufnehmen kann.
Wie zu erwarten, ist die Frontansprache mit den sE Mikros viel direkter und detaillierter – dafür ist der Stereo links/rechts Test viel klarer mit dem Lewitt zu vernehmen: Dies liegt natürlich an der Ausrichtung der Diaphragmen. Für zentrale Stereoaufnahmen mit dem Lewitt würde ich somit immer ein zentrales Mikrofon zumischen, so dass die Details nicht verloren gehen. Mit dem sE Stereoset ist man viel flexibler.
Im zweiten Beispiel habe ich das Lewitt in der Position belassen und die sE Mikros nach ORTF Vorgabe mit 17 cm Abstand und 110 Grad Anwinkelung.
Das Ergebnis überzeugt ich mehr, als die „intuitive“ Anwinkelung im ersten Klangbeispiel. Die Stimme klingt im Stereofeld natürlicher und die links/rechts Effekte sind sehr natürlich. Im Vergleich ist das Lewitt in dieser Konfiguration etwas heller und tiefenärmer. Die Stereoeffekt wirkt im Vergleich zur sE4100 ORTF-Aufstellung sehr nach Ping/Pong.
Bei beiden Klangbeispielen verliert das sE4100 seinen Charakter bei zunehmendem Abstand mehr, als das Lewitt, was (logischerweise) mehr Rauminformationen aufnimmt.
Im dritten Klangbeispiel erklingt eine Bongo mit etwa 40 cm Abstand zu den Mikrofonen. Auch hier ist der Stereoeffekt mit dem Lewitt deutlicher, wirkt aber bei den sE in ORTF-Konfiguration viel natürlicher.
Das Gleiche gilt für die links/Mitte/rechts angeschlagene Triangel: besserer Stereoeffekt und mehr Rauminformationen beim Lewitt und insgesamt natürlichere Abbildung bei den sE4100 in ORTF Konfiguration.
Als Ergebnis aus den Klangbeispielen geht hervor, dass die Stereomikrofonie mit einem entsprechenden Mikrofon durchaus akzeptable Ergebnisse liefert, insbesondere wenn man eine große Stereobreite und ein etwas räumlicheres Ergebnis sucht. In klassischen Anwendungen, wie einer akustischen Gitarre oder Percussion, aber auch bei der natürlichen Stereoaufnahme einer Stimme im Raum ist die ORTF-Konfiguration meist die bessere Wahl. Und wenn man dann noch so neutrale Mikrofone, wie die sE Electronics sE4100 als matched Stereo-Paar verwendet, dann steht dem räumlichen Aufnahmevergnügen nichts mehr im Weg!
Conclusio
Die sE Electronics sE4100 sind einzeln und auch als Stereoset eine klare Empfehlung. Der sehr neutrale Klang ist eine hervorragende Basis für das Feintuning und Mixing in der DAW. Auch wenn das mehr als doppelt so teure Lewitt im direkten Vergleich noch etwas mehr Details und Dynamik herauskitzelt, so kann ich dem Hersteller auch zu diesen Mikrofonen nur gratulieren. In dieser Preisklasse finden sich ansonsten das ebenfalls sehr gute Lewitt LCT 441 Flex (385,- Euro) mit neutralem Klang und flexibler Ausstattung, das etwas schlank klingende AKG C214 (398,- Euro) und für etwa 180,- Euro mehr gibt es den Einstieg in die Neumann Welt mit dem TLM 102, das auch sehr neutral klingt.
Durch ihre Robustheit, dem leichten Gewicht und dem neutralen Klang empfehlen sich die Mikros als echte Arbeitspferde im Studio und werden dem Besitzer viele Jahre Freude bereiten.
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