Virtuelle Amps in der 5. Generation
Ich gebe zu, die Preispolitik der Amplitube 5 Software erschließt sich dem Kunden nicht sofort und bleibt auch im weiteren Verlauf ziemlich undurchsichtig. Was genau in welchem der angebotenen Pakete enthalten ist und welche einzelnen Bausteine man noch dazu erwerben kann, bedarf gelegentlich eines Hochschulstudiums und mindestens einer nachweisbaren 1 in Mathe. Auf jeden Fall wurde mir zum Test die Version Amplitube 5 in der Software-Version 5.0.1 zur Verfügung gestellt, die mit 400 virtuellen Kistchen, Geräten und Zauberböxchen geladen ist und auf den ersten Blick schon mal mehr kann, als ich je brauchen werde. Ob Masse gleich Klasse ist, wird sich zeigen, das Promo-Video jedenfalls verspricht das beste, schnellste, innovativste und anwenderfreundlichste Amplitube aller Zeiten. Ich bin gespannt.
Amplitube 5 – neue alte Wunderkiste
Durch geschickte Marketing-Coups und Einbindung diverser hochrangiger Brands ist Amplitube bei vielen Gitarristen auf dem Wunschzettel. Doch reicht es, die Lizenzen optisch effektvoll in Szene zu setzen? Oder haben andere Hersteller, die sich die Lizenzgebühren sparen und sich dafür günstiger am Markt platzieren können, am Ende die Nase vorn? Ich selbst bin seit Jahren zufriedener Nutzer von Native Instruments Guitar Rig und Scuffham Amps S-Gear, andere Hersteller hatten es bei mir nicht ganz so leicht, aber was dem eenen sin Uhl, is dem annern sin Nachtigall. Oder so ähnlich. Schauen wir also mal objektiv auf das, was Amplitube 5 kann, nicht kann und ob sich der Sound und das Spielgefühl in Version 5 gegenüber der „alten“ Version 4 verbessert hat. Unverändert bleibt die Möglichkeit, sich die kostenlose Version zu laden und dann, über den zusätzlich zu installierenden „Custom Shop“, einzelne virtuelle Instrumente dazu zu erwerben. Das ist vor allem interessant für Gitarristen, die nicht so sehr auf Vielfalt angewiesen sind, sondern sich ein günstiges, schlagkräftiges Setup zusammenstellen wollen. Der Blueser braucht nun mal eher selten einen Triple-Rectifier im Highgain-Modus. Das macht die Sache aber leider auch unübersichtlich, da immer alle nicht verfügbaren Amps und Effekte mit im Browser zu sehen sind.
Optik ist alles – die Oberfläche
Die Installation der Software – ob als Standalone- oder Plugin-Version – läuft reibungslos über den IK Multimedia Product Manager. Im Startbildschirm empfängt mich der schon fast klassische Amplitube-Stack, ein offensichtlich an einen Marshall angelehnter Amp mit Amplitube Schriftzug. Als konsequenter Marshall Verweigerer komme ich direkt ins Grübeln. Warum muss immer mit Klassikern Kasse gemacht werden? Ganz einfach: Die Schar der Gitarristen ist und bleibt kritisch gegenüber Neuerungen. Keine andere Musikergattung verweigert sich so konsequent innovativen Weiterentwicklungen und setzt stattdessen auf altbewährte Technologie. Also ist der Verweis auf einen klassischen Stack natürlich legitim. Ansonsten sieht die Oberfläche der neuen 5. Generation irgendwie vertraut aus.
Optisch dominiert das Fenster mit dem aktuell ausgewählten Amp-Typ, in diesem Fenster sehen wir später aber auch zum Beispiel das Pedalboard oder die neue IR-Cab-Loader-Funktion, zu der ich später noch mal ausführlich komme. Im Fenster darunter sehen wir das Signal-Routing. Das ist extrem hilfreich, weil man bei der Vielzahl der Möglichkeiten schnell den Überblick verlieren kann. Grundsätzlich sind hier 4 verschiedene Setups möglich, die mit den Buttons links ausgewählt werden können. Zum einen gibt’s die klassische Kette von den Pedalen über den Amp zum Cabinet, wobei an beliebiger Stelle Effekte eingefügt werden können. Die drei anderen Optionen machen parallele Setups möglich, in denen die Signalkette entweder aufgesplittet oder komplett parallel aufgeteilt werden kann. Möchte ich mir also ein eigenes Setup zusammenstellen, kann ich als Vorlage einfach eins der Presets auswählen und bearbeiten oder ein komplett leeres Rig neu bestücken. Die Bestückung der einzelnen Slots erfolgt per Drag & Drop, dazu stehen rechts im Browser die einzelnen Komponenten zur Verfügung. Übersichtlich gruppiert nach Stomps, Amps, Cabinets und Rack-Effekten, die entweder nach Typ oder den diversen Collections aus prominenten Namensgebern sortiert werden. Da Amplitube 4 wohl eine der beliebtesten Software-Lösungen sein dürfte und in den vorherigen Versionen schon auf vielen Rechnern und Smartphones schlummert, spare ich mir hier und jetzt Details, die sich im Vergleich zum Vorgänger nicht verändert haben. Aber was ich mir nicht erspare, ist der Weg zum ersten Sound.
Amplitube 5 – die Suche nach dem ersten Sound
Suche ich zum Beispiel einen Sound in Stil eines Brian May, kann ich gezielt vorfiltern und nur die Geräte aus seiner Kollektion anzeigen lassen. Oder man lässt sich die komplette Fender Palette anzeigen, wenn man das möchte. Dann wird die Signalkette bestückt. Als erstes würde ich natürlich den Grundsound mit Hilfe des Amps bestimmen. Ich wähle aus der Fender Collection den 53er Bassman. Dieser liefert seinen Speaker gleich mit, der automatisch in der Signalkette sichtbar wird. Natürlich kann ich hier schon mit Hilfe der Cab-Sektion umfassende Modifikationen vornehmen. Sowohl der Raum, als auch die Mikrofone, von denen 2 gleichzeitig in Betrieb sein können, als auch das Cabinet selbst oder die verwendeten Speaker können verändert werden. Der Anteil des Raums, das Mischungsverhältnis der Mikrofone, das unmikrofonierte DI-Signal, all das kann bearbeitet werden und dürfte den Laien hoffnungslos überfordern. Aber einen brauchbaren Grundsound ohne den ganzen Schnick-Schnack kann man sich auch als Anfänger gut aus der Preset-Liste laden und dann nach Belieben experimentieren. Witziges Detail: Der 53er Bassman hat einen Schalter mit der Bezeichnung „New – Worn Out“. Schaltet man diesen um, verändert sich nicht nur die Charakteristik des Amps, sondern die grafische Oberfläche bekommt Patina und Brandflecken. Der Amp allein klingt mit einer Fender American Ultra Telecaster und ausgewähltem Hals-Pickup wie folgt, Amplitube 5 ist als Plugin in Cubase geladen:
Jetzt hätte ich gern ein wenig mehr Verzerrung und irgendwie mehr Krach. Ich entscheide mich für den „Over Scream“, eine Simulation eines Tubescreamers. Heraus kommt folgendes:
Nach ein bisschen probieren stelle ich fest, dass mir die Verzerrung doch zu hart und irgendwie zu viel ist. Mal schauen, was passiert, wenn ich den sowieso schon ganz leicht zerrenden Amp einfach mit einem Stomp-Compressor beglücke:
Ja, das klingt schon viel eher, wie ich mir das vorstelle. So ein bisschen Flair fehlt mir allerdings im Sound, ich möchte gern etwas Modulation im Sound. Meine Wahl fällt auf einen Phaser, den ich in den Einschleifweg des Bassman hänge. Moment mal … Einschleifweg? Im 53er Bassman? Ja, virtuell ist alles möglich. Also ab die Luzi. Der Compressor bleibt eingeschaltet, der „Phazer 9“ steht auf Betäubung:
Das klingt jetzt schon sehr amtlich, aber irgendwie ist der Phaser doch nicht ganz das, was mir mein geistiges Ohr befiehlt. Mal hören, wie ein Delay vor und hinter dem Amp klingt. Zum Vergleich schalte ich zunächst ein Digital-Delay in die Effektkette vor dem Amp. Im zweiten Beispiel hört ihr ein Analog-Echo ganz hinten im Signalweg, also noch hinter der Cab-Simulation:
Nein, das Delay ist etwas too much, vielleicht reicht auch einfach und puristisch etwas Hall? Versuchen können wir es, kostet nix, Zeit haben wir auch. Also suche ich nach einem Hall, der mir nicht zu sehr matscht, aber dennoch ein bisschen Vintage-Flair verbreitet. Im Fender-eigenen Sortiment werde ich fündig, der Fender 63 Reverb kommt zum Einsatz. Und irgendwie bekomme ich doch wieder Lust auf Krach, also Compressor aus, Over Scream wieder an:
So oder ähnlich könnte es ablaufen, wenn man auf dem Weg zum eigenen Sound ist. Wichtig ist bei dieser Vielzahl von Möglichkeiten, den Überblick zu behalten und lieber mal zurück auf den puren Sound des Verstärkers zu schauen, damit man es mit den Effekten nicht übertreibt. Das Schöne bei dieser Art des Recordings ist ja, dass die Gitarrenspur immer unbearbeitet erhalten bleibt und ich später immer noch Änderungen am Sound vornehmen kann.
Unendliche Möglichkeiten: Die Cab-Section
Um es gleich zu sagen: Dieser Test kann nicht annähernd wiedergeben, was die Cab-Section von Amplitube 5 an Möglichkeiten bietet. Vom Raum und der Bauart und Bestückung der Box, über Mikrofonierung, deren Winkel, Entfernung, Kombination, bis hin zur Auswahl der Mikros, die den Raumanteil wiedergeben, ist hier alles frei editierbar. Das überfordert den Anfänger total, ist aber eine wunderbare Spielwiese für Profis und Neugierige.
Im Folgenden habe ich versucht, einen Einblick in die Vielfalt der Optionen zu geben, die allein die IR-Cab-Loader Funktion im Werkszustand der Amplitube 5 Vollversion möglich sind. Die Namen der Soundfiles geben Einblick in das, was ich im Einzelnen modifiziert habe. Nicht alles davon ist sinnvoll, aber es gibt einen rudimentären Überblick. Das Gitarrenriff ist immer das Gleiche, der Amp ebenso, auf weitere Effekte verzichte ich. Der Hall kommt ausschließlich aus dem jeweils verwendeten Raum. Der ausgewählte Amp ist ein Mesa/Boogie Dual Rectifier mit passendem 4×12″ Cabinet. Die Bezeichnungen der Soundfiles mag einigen von euch jetzt kryptisch vorkommen, aber es enthält immer die Kürzel der gewählten Mikros (immer 2) und die ungefähre Position. Zusätzlich kommen noch verschiedene Räume und deren Verhältnis dazu. Let’s go!
Ihr seht, dass da ein Füllhorn an Möglichkeiten wartet, dass aber auch genau diese vielen Möglichkeiten den Neuling auf diesem Gebiet gnadenlos überfordern würden. Deshalb sei zum Einstieg ans Herz gelegt, sich nicht in den Unendlichkeiten der Parameter zu verlieren. Amp und passendes Cabinet geht immer. Erst wenn die Basis stimmt, kann man sich im Kleinen verlieren.
Zum Schluss noch ein paar Soundfiles aus der Preset-Liste, in diesem Fall unbearbeitet out of the box aufs virtuelle Band genagelt.
Im Fazit wird die Aussage getroffen, dass die Software in der Version 5 gegenüber der früheren Version auch in Bezug auf die Soundqualität „ordentlich zugelegt“ hat. Wurde das explizit verglichen oder beruht es eher auf Erinnerungen des Autors?
@gs06 Explizit vergleichen konnte ich nicht, da mir Version 4 schon nicht mehr zur Verfügung steht. Aber ich habe sie damals nicht behalten, weil mich Dynamik und Anspracheverhalten nicht überzeugt haben. In der aktuellen Version bin ich damit aber sehr zufrieden, so dass ich davon ausgehe, dass sich da etwas getan hat. Alleine die Möglichkeiten im Cab-Sim Bereich machen im Spielgefühl so viel aus, dass ich die Aussage so stehen lassen kann
Und genau diese eigenartige Preispolitik ist für mich einer der Gründe das ich IK als Kunde verlassen habe. Obwohl es natürlich auch anderen Firmen nicht fremd ist undurchsichtige Preise zu praktizieren. Nachdem mir allerdings eine Lizenz (Philharmonic), die nach einem WIN Update auf meinem PC verschwunden war, nicht ersetzt wurde hat sich bei mir IK klar disqualifiziert. Bin auch seit einiger Zeit von Software (Amplitude und NI Guitarrig) zurück zum Gitarren Multiboard.
@AMOS omb stimme Dir voll zu . Gerade auch was IK betrifft (was für eine komische Firma) .
Ich hatte vor Jahren aus Interesse mal AT4 und dachte nur, „was soll das denn sein, ein Online Shop für GUIs mit extrem schlechten Amp Simulationen ? “
Der Klang der IK Amp Modelle war fast nahezu Teil 1:1 austauschbar, bzw gar nicht zu unterscheiden. Aber gut, wenn man durch IK oder was anderes sog. „Virtuelles“ spielt ist es auch wurscht, ob man eine sog. „Harley Benton“ oder eine handwerklich ordentlich gebaute Gitarre spielt .
Ist alles erlaubt, für mich ist es aber nichts. Ich trink auch meinen Capuccino noch mit Kuhmilch.
interessanter bericht auch für mich als nicht-gitarrist. gute idee, einfach mal das eigene ausprobieren akustisch zu illustrieren. schön!
Danke für den aussagefähigen Test.
Nach meinem Geschmack wird hier mehr in Marketing und Grafik investiert, denn in Soundqualität.
Das kann auch garnicht anders sein …. für 360,-€ kann man auch nicht mehr verlangen.
Den Begriff „Custom Shop“ empfinde ich vor diesem Hintergrund dann aber schon als Anmaßung.
Ich bin direkt von Version 4 auf 5 umgestiegen und finde auch, dass sich klanglich einiges getan hat, leider fehlt mir aber der direkte Vergleich zu anderen Programmen.
Auf 2 Kleinigkeiten möchte ich auf Bezug zum Artikel dennoch hinweisen:
Mittlerweile lassen sich nicht gekaufte Artikel ausblenden, dass macht das Ganze etwas übersichtlicher. Man kann sich sogar nur dieses Artikel anzeigen lassen um zu sehen, was einem noch so fehlt.
Im Bericht nur am Rande erwähnt wurden die unzähligen Presets die mitgeliefert werden und recht gut sortiert sind. Das entlastet Anfänger beim Sounddesign und gibt zumindest eine gute Ausgangsposition und man findet auch mal Sounds, auf die man so nicht gekommen wäre.
Und dann gibts noch die Community, die weitere Presets zum Download anbietet. Hier vor allem nach Vorbild diverses Künstler und Songs. Da möchte ich aber auch gleich auf das Konkurenzprodukt BIAS 2 von Positiv Grid verweisen, bei dem man eine Audiodatei einspielt, seine eigene Gitarre abhören lässt und dann das richtige Setup präsentiert bekommt. Mit erstaunlich gutem Ergebnis (laut diversen Youtubern), wenn natürlich auch nicht 100%ig.
Allgemein würde ich den Artikel nicht als Test bezeichnen, da erwarte ich mir direkte Vergleiche zu anderen Programmen bzw. zur Hardware. Es ist mehr ein Ausprobieren, unter diese Aspekt aber interessant.
@dzprod Mir fehlen bei solchen Tests immer die A/B-Vergleiche, also 2 verschiedene Programme, bei denen aber das gleiche Setting eingestellt ist (aka OD1-Black Panel-2×12) und in die ein identischer Loop eingespielt wird.
Ich arbeite gerade an einem Vergleich zwischen AT4 , AT5, TH-U, etc. und habe allerdings Cabs von TWOS (Torpedo World of Sounds) genommen.
Im reinen Amp-Vergleich klingt AT4 für meine Ohren nahezu identisch mit AT5. Zumindest beim JCM800 und auch beim Fender Deluxe.
Nehme ich aber die internen Cabs klingt AT5 deutlich voller und moderner. Klingt ein wenig so, als wenn bei AT5 der Sound noch durch einen Imager läuft um das Stereobild zu verbreitern.
Bin aber leider mit dem Vergleich noch nicht fertig und dauert noch etwas, bevor es den online zu hören gibt.
Vielen Dank für diesen Artikel. Mir ging es – als Keyboarder – auch so, dass ich von der Qualität überrascht war. Nur leider ist die Website von IK Multimedia nicht nur extrem unübersichtlich, man hat auch keine Ahnung welches Paket man eigentlich kaufen sollte.
Es wird damit geworben, dass Erweiterungen (Joe Satriani, Brian May …) sogar in der freien Version laufen, doch weit gefehlt: Hat man gekauft, so stellt man fest, dass viele Presets die Vollversion oder MAX benötigen. Bei den meisten Presets aus ToneNET (der kostenlosen Sharing-Plattform) ist die MAX-Version ein muss, sonst geht nicht viel und man hört endlos sporadisches Rauschen, das einem anzeigt, dass Geräte und Optionen fehlen. IK Multimedia spricht oft von Amplitube 5, meint aber MAX.
Ärgerlich wird das Ganze, wenn man gekauft hat. Denn wer versehentlich die Basisvariante erworben hat, kann kein Grossgrade zum Differenzpreis durchführen (zumindest nicht während einer Aktion). Der Hersteller sagt einfach, man solle noch einmal kaufen, was wirklich ein frustrierendes, kundenunfreundliches Vorgehen ist. Zumal der Slogan der Firma doch lautet „Musicians first“.
Insofern, wie oben auch andere Nutzer bereits schrieben: Toller Sound, mangelhafte Bedienerfreundlichkeit und extrem unschöne Preispolitik.