Edition Beurmann
Historische Tasteninstrumente – Edition Beurmann
Sample-Libraries gibt es mittlerweile wie Sand am Meer: von minutiös gesampleten Posaunen des Wiener Streichorchesters über virtualisierte Heavy-Metal-Gitarristen mit ganzen Lastwagen verschiedenster Amp-Modelle zur Auswahl zu gewaltigen Drumkits, die mit eigener Festplatte zwar nicht den kostbaren heimischen Speicher, aber dafür das Budget umso mehr belasten. In diesem Wald nachgemachter Edelinstrumente für das hauseigene Plastik-25-Tasten-Masterkeyboard positioniert sich die deutsche Sampleschmiede realsamples mit etwas wirklich Ausgefallenem: aufwendig gesampleten historischen Tasteninstrumenten aus der Privatsammlung des Musikwissenschaftlers Prof. Andreas E. Beurmann. Bis jetzt wurden durch Nicolay Ketterer, den Mann hinter der süddeutschen Samplefirma, acht verschiedene Instrumente wie Spinett, Cembalo, Celesta sowie frühe Klaviere aufwendig mit Studioequipment der Oberklasse aufgenommen und mit bis zu 32 Dynamikabstufungen auf einer oder mehreren DVDs verewigt. Die Samplesets wurden dabei primär für Tascams Gigastudio konzipiert, liegen aber auch als Programme in erfreulich vielen Varianten (Kontakt, Independence, HALion, Mach Five, EXS 24, Reason NN-XZ, VSampler 3) vor. Dass diese Samplesets nicht billig sein können, ist angesichts dieses Aufwandes nachvollziehbar; mit 120 € pro Instrument liegt der Preis aber in der üblichen Region von Samplesets mit hohem Anspruch.
Zum Test: Ausgestattet mit verstaubten Liederbüchern und falschen Perücken vom Flohmarkt, wagte sich AMAZONA in die Musikgeschichte der letzten Jahrhunderte; getestet wurden sechs Instrumente im Kontakt- und Gigastudio-Format, ein niederländisches Cembalo (Dutch Harpsichord) von 1628, ein englisches Spinett von 1718 (English Spinet), ein ebenfalls englisches Cembalo (English Harpsichord) von 1766, ein frühes Hammerklavier (Early Pianoforte) von 1791, ein historischer Flügel mit Baujahr 1837 (Grand Piano) sowie eine Celeste von 1910 (Dulcitone Celesta).
Dutch Harpsichord
Cembalos, auf Englisch Harpsichord, sind nach Orgeln das älteste Tasteninstrument und den meisten AMAZONA-Lesern wohl in Form eher wenig inspirierender Soundfonts bekannt. Dabei sind Cembalos – auch Kielflügel genannt – eigentlich eines der interessantesten Instrumente europäischer Musikkultur. Technisch betrachtet, sind sie so etwas wie mechanisierte Lauten oder Gitarren; von Tasten bewegte sg. „Springer“ bewegen plektrenartige „Kiele“, die ihrerseits die Seiten anreißen; ein automatischer Abdämpfmechanismus sorgt für einen typisch resonanten Ausklang. Gleich Orgeln weisen Cembalos typischerweise zwei oder drei einzelne Register auf, also Seitengruppen, die meist verschiedene Tonhöhenbereiche („Fußzahlen“) umfassen und per Hand- oder Fußschalter in verschiedenen Kombinationen zu- oder abgeschaltet werden können. Größere Cembali haben typischerweise zwei getrennte Klaviaturen (Manuale). Eine Besonderheit vieler Kielflügel sind zuschaltbare Klangvariationen; die bekannteste ist der so genannte Lautenzug, bei dem durch Dämpfung eines Registers zarte, lautenartige Klänge erzeugt werden.
Nun zum Dutch Harpsichord der Edition Beurmann: Das – wunderschön bemalte – Original wurde in insgesamt sechs verschiedenen Registerkombination samt Lautenzug gesamplet, wobei pro Taste acht verschiedene Einzelklänge die klanglichen Schwankungen des Originals simulieren und separate Samples der Ausklangphase den typischen Charakter einfangen sollen. Dabei wurde, wie bei den anderen Instrumenten der Serie auch, darauf geachtet, das Instrument originalgetreu zu reproduzieren. So wurde die Originalstimmung (372 Hz) beibehalten, aber Anschlagdynamik ist genauso wie beim Original schlicht nicht vorhanden. Auch wurden die Lautstärkeverhältnisse der Besaitungen beibehalten (oberer 8′ leise, unterer 8´ist laut). Nichtsdestotrotz klingt es toll; der Klang ist sehr schön, man kann alle Kombinationen spielen. Die für den Klang wichtigen Releases sind hier gut zu hören. Das Alter hat so dem Klang nichts angetan, vermutlich wurde es auch restauriert. Schade ist allerdings: wer kein Experte ist weiß nicht, was 8′, 4′, Lautenzug usw. bedeutet, da die (PDF)-Beschreibung dies verschweigt.
Alles in allem ist es das realistischste Sample-Cembalo, das ich je gehört habe (zusammen mit dem englischen, s.u.) . Es macht sehr großen Spaß zu spielen und hat mehr Charakter als sein englischer Kumpan, würde ich sagen (s.u.).
Das die historisch korrekte Nutzung der Instrumente im Genre mittelalterlicher Musik nicht so wichtig ist, halte ich für eine sehr gewagte Behauptung. Möglicherweise trifft das auf Mittelalter Rock zu, vielleicht auch auf Nutzer solcher Sample Libraries, aber ansonsten sind mittelalterliche Bands oft sehr akribisch, was die Authentizität der Instrumentierung im historischen Kontext angeht. Wenn auch aus verständlichen Gründen selten Originalinstrumente eingesetzt werden, so doch häufig Replikas bekannter Instrumentenbauer.
Erst kürzlich war ich in der Mozartstadt Salzburg und wahrlich, der Klang des Hammerklavieres entspricht dem, der Aufnahmen aus dem Mozarthaus, aber…wer braucht solche Klänge heute. Der Aspekt der Konkurrenz hat mich dennoch zu diesem Kommentar bewogen. Ich nutze das Steinberg Grand Piano und wenn man diese alten Instrumente hört, dann stellt man sich immer wieder die Frage, was man Musik aus ? Individualität oder Kommerz ? Von daher eine ganz besondere Samplelibrary.