Wissenswertes zur Auswahl und Beurteilung von Gesangsmikrofonen
Kein Sänger und keine Sängerin kommt ohne sie auf der Bühne aus: Gesangsmikrofone. Der Markt ist unübersichtlich groß und du hast bestimmt schon einmal gehört, dass nicht jedes Mikrofon für jede Bühnensituation, jede Musikrichtung und vor allem jede Stimme gleich gut geeignet ist. Doch warum ist das so? Was musst du über Gesangsmikrofone wissen, um einen Fehlkauf zu vermeiden oder im schlimmsten Fall die eigene Stimme nicht optimal zu übertragen? In diesem Beitrag erfährst du in kompakter Form alles zur Technik und zur Auswahl von Gesangsmikrofonen.
Inhaltsverzeichnis
Die Übertragung von Schall
Der Mensch war schon immer bestrebt, möglichst schnell Informationen über weite Strecken zu übertragen. Nach der Erfindung der drahtgebundenen oder drahtlosen Morsetechnik war es kein weiter Weg mehr, bis ab ca. 1860 durch die Erfindung der ersten Schallwandler die technischen Möglichkeiten geschaffen wurden, auch Wörter und Töne zu übermitteln.
Übertragung in kürzester Zeit an theoretisch beliebig viele Empfänger ist immer noch der Einsatzbereich Nr. 1. Ob es Radiostationen, das TV oder das Internet sind, Spionagewanzen, unsere Smartphones, Durchsageanlagen und vieles mehr: Unser modernes Leben ist erst durch diese Entwicklungen möglich.
Die Verstärkung von Schall
Wer sich mit Schallübertragung und Mikrofonen auseinandersetzt, muss sich zwangsläufig auch mit dessen Verstärkung auseinandersetzen.
Die Nutzung von Elektrizität und das Induktionsprinzip waren für die Schallwandlung, also die Umwandlung der Luftschwingung in elektrische Energie, die technologische Auslöser für das, was wir heute unter Beschallungstechnik verstehen. Bis heute hat sich an den Grundlagen kaum etwas verändert. Dynamische Mikrofone und Lautsprecher arbeiten nach demselben Prinzip, nur auf umgekehrte Weise: Luft bewegt eine Membran, die dann dafür sorgt, dass sich ein Leiter in einem Magnetfeld bewegt. Er tut dies mit der gleichen Frequenz der Membranschwingung. Auf diese Weise wird eine Spannung im Leiter induziert, deren Spannungsänderung äquivalent zur Membranschwingung ist.
Beim Lautsprecher wird diese (hoch verstärkte) Spannung an den Lautsprecher angelegt. Erneut befindet sich der Leiter in Form einer Schwingspule, an den die Spannung angelegt wird, im Magnetfeld des Magneten. Das durch die Spannung entstehende Magnetfeld der Schwingspule und das Magnetfeld des sie umgebenden Magneten beeinflussen sich. Die Schwingspule bewegt sich. An der Schwingspule ist wiederum die Membran befestigt, die sich äquivalent zur Spannungsänderung bewegt.
Verschiedene Mikrofontypen
Es gibt mehrere Technologien, wie Mikrofone den Schall verarbeiten: Zum einen das dynamische Tauchspulenmikrofon, das sehr robust ist, in verschiedenen Qualitäten gebaut wird und sich hauptsächlich für die Abnahme nah an der Schallquelle eignet. Dieser Mikrofontyp ist für hohe Schalldrücke geeignet.
Zum anderen gibt es die Kondensatormikrofone. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie auch auf höhere Entfernung noch aufnehmen und feine Details übertragen. Kondensatormikrofone benötigen im Gegensatz zu den dynamischen eine externe Stromversorgung und können je nach Typ einen sehr hohen Wirkungsgrad erzielen. Der Grenzschalldruck ist bei den Gesangsmikrofonen hier ebenfalls sehr hoch (im Gegensatz zu beispielsweise Konferenzmikros). Elektret-Condensermikrofone können übrigens fast beliebig klein gebaut werden (Smartphone & Co.). Weitere Technologien wie Bändchen lassen wir hier raus, da sie für unsere heutige Betrachtung nicht relevant sind. Das Bändchenmikrofon gehört aber auch zu den dynamischen Mikrofonen, ist aber sehr viel empfindlicher gebaut als zum Beispiel das ebenfalls zu den dynamischen Mikrofonen gehörende Tauchspulenmikrofon.
Die Richtcharakteristik von Mikrofonen

Die wichtigsten Richtcharakteristiken Niere, Superniere, Hyperniere (obere Reihe von links nach rechts), Kugel und Acht (untere Reihe)
Dieser Begriff beschreibt, wie viel Schall das Mikro aus welcher Richtung aufnimmt. Gehen wir von einer Bühne aus, dann möchte ein Sänger, dass er schön laut auf dem Mikro übertragen wird und weder der Kollegen nebenan oder der Monitor zu laut in sein Mikro übersprechen (Bleed-in). Deswegen benötigt er ein Mikro, das am besten nur den Schall aus der 0°-Richtung, also von vorne aufnimmt und die Umgebung möglichst gut ausblendet. Deswegen kommt hier idealerweise die Richtcharakteristik „Niere“, „Superniere“ oder „Hyperniere“ (auch als Cardioid bezeichnet) zum Einsatz. Es gibt noch diverse andere Richtcharakteristiken wie z. B. „Kugel“, „Acht“, „Keule“, diese spielen allerdings kaum eine Rolle für den Einsatz eines Mikrofons als Gesangsmikrofon.
Bei der Auswahl des Gesangsmikrofons ist also darauf zu achten, dass die Richtcharakteristik möglichst dem Anwendungsbereich angemessen ist. Zu beachten ist außerdem, dass die jeweilige Richtcharakteristik immer nur für einen begrenzten Frequenzbereich gilt. So werden tiefe Frequenzen sehr leicht um das Mikrofon herum gebeugt, sodass sich hier für jedes Richtmikrofon eine Kugelcharakteristik ergibt, selbst dann, wenn es für höhere Frequenzen eine Nierencharakteristik hat.
Eigenschaften eines guten Gesangsmikrofons
Ausgeglichener Frequenzgang mit oder ohne Sound Shaping
Gesang braucht im Gesamtkontext meist wenig Tiefbässe, allerdings ist oft eine Betonung des Brillanz- oder Präsenzbereiches gewünscht, um entweder mehr Durchsetzungskraft im Gesamtmix zu erreichen oder der Stimme ein edles High-End zu spendieren. Die meisten Mikrofone sind soundtechnisch vorgeprägt, das heißt, sie geben der Stimme schon einen gewissen Charakter mit auf den Weg.
Typisch, allerdings mit unterschiedlichen Ansätzen, sind hier das dynamische Mikrofon Shure SM58, das mit einem hohen Präsenzanteil die Rockgeschichte seit über 50 Jahren begleitet, im Gegensatz zum Neumann KMS 105, das als Kondensatormikrofon eine sehr feine, intime Sibilance im oberen Frequenzbereich liefert. Ein typischer Zwischenvertreter wäre das Sennheiser e935, das als dynamischer Vertreter schon fast Kondensatormikrofon-Qualität bietet. Ein Vertreter, der auf maximale Neutralität setzt, ist das DPA-2028, ein Kondensatormikro, das maximale Gestaltungsfreiheit in der Sound-Gestaltung erlaubt.
Konstante Richtcharakteristik
Wie oben angesprochen, sollten wir eine Niere, Superniere oder Hyperniere wählen, um maximal gute Übertragung zu erreichen. Eine gleichmäßige Richtcharakteristik über einen weiten Frequenzbereich sorgt für eine gute Isolation des eigenen Sounds gegenüber der restlichen Bühne, wenig Monitorprobleme und gleichmäßige Übertragung im gesamten Aufnahmebereich.
Mechanisch robust
Klar, ein Mikro fällt auch mal hin und sollte das wegstecken. Dynamische Tauchspulenmikrofone sind hier deutlich unempfindlicher als Kondensatormikrofone. Dennoch sind Kondensatormikrofone, die speziell für den Anwendungsbereich Bühne und dort insbesondere für den Einsatz als Gesangsmikrofon gebaut sind, ebenfalls sehr robust.
Gute ergonomische Form für Haptik und gutes Handling
Nehmt das Mikrofon mal in die Hand und schaut, ob es kopflastig ist. Ein anderer Punkt ist der, dass man den Korb des Mikrofons nicht unabsichtlich mit der Hand umfassen sollte, denn das verändert den Sound und schafft gerne Probleme wie eine höhere Rückkopplungsneigung. Wenn der Daumen „automatisch“ gerne unter dem eigentlichen Mikrofonkopf liegt, ist alles gut. Rapper und Shouter ausgenommen.
Kein zu hohes Gewicht für lange handgehaltene Performance
Nicht ganz unwichtig: 300g haltet ihr länger als 800g, ohne dass euch der Arm einschläft und die Bühnen-Performance merklich unter dem Gewicht des Mikrofons leidet.
Hoher Schalldruck (~ 140 dB)
Je näher das Mikrofon sich an den Lippen befindet, desto höhere Schalldrücke muss es aushalten, ohne zu verzerren. Hier gilt: Lieber etwas mehr Reserve, denn ich hatte schon 125 dB Headsets bei lauten Sprechern, da verzerrte alles.
Kontrollierbarer Nahbesprechungseffekt
Wichtig: Wenn man näher ans Mikro geht, klingt es meist etwas voller. Manche Mikros langen da richtig hin, andere bleiben eher schlank. Das zu testen, gehört zur persönlichen „Probefahrt“, wenn ihr ein Mikro aussucht. Den Effekt der starken Bassanhebung im Nahbereich nennt man auch Nahbesprechungseffekt. Je nach Musikrichtung und Gesangsstimme kann er gewollt sein oder auch nicht.
Unempfindlichkeit gegen Popp-Geräusche und Anblasen
Beim Close-Miking können Wind- und Atemgeräusche im Gesamtsound sehr unschön wirken, leider gibt es da immer noch viele Mikros, die in dieser Kategorie schlecht abschneiden. Das Problem bekommt man auch am Mischpult nicht weg. Auch Popp-Geräusche, wie sie bei Plosiven gerne entstehen, sind für den Zuhörer mehr als nur störend. Je geübter der Sänger oder die Sängerin, desto weniger kommt es zu diesen Geräuschen. Anfänger sollten aber besser ein Mikrofon auswählen, das hier eher unempfindlich ist oder in einem größeren Abstand „besungen“ werden kann, weil sich diese akustischen Effekte dann nicht mehr so sehr auf das Mikrofon auswirken.
Spuck- und Feuchtigkeitsunempfindlichkeit
Klima und Feuchtigkeit sollte euer Mikro wegstecken. Speziell einige “echte“ Kondensatormikrofone haben da Probleme und fangen an zu rauschen oder zu knistern. Fast alle Bühnenmikrofone sind mit einem Schaumstoff im Korb versehen, der Feuchtigkeit sammelt und von der Kapsel fernhält. Wichtig: Diesen sollte man gelegentlich mal wechseln, denn nach einiger Zeit verwandelt sich der Schaumstoff in ein wahres Biotop für Bakterien und Schimmelpilze.
Feedback-Unempfindlichkeit
Hier kommt die Richtcharakteristik ins Spiel. Monitore sollten immer auf den unempfindlichsten Winkel des Mikrofons „zielen“. Welcher das ist, zeigt euch das Polardiagramm für die Richtcharakteristik (siehe oben). Bei einer Nierencharakteristik ist das in der Regel die Rückseite des Mikrofons. Dennoch sind Mikrofone gleicher Richtcharakteristik manchmal aufgrund der Bauart des Gehäuses, der verwendeten Technologie (Tauchspulenmikrofon, Kondensatormikrofon) unterschiedlich empfindlich für Rückkopplungen. Macht hier vor dem Kauf unbedingt einen kleinen „Feedback-Test“, indem ihr das Mikrofon bewusst in Richtung einer Monitorbox haltet (langsam vorgehen und beim ersten Anzeichen von Feedback das Mikrofon wieder wegbewegen!)
Geringe Körperschallübertragung
Wenn ihr euer Mikrofon in die Hand nehmt, übertragen sich mehr oder weniger hörbare Geräusche auf die Anlage. Weniger ist hier besser. Eine gute Kapsellagerung und gutes Korpusmaterial des Mikrofonschaftes machen hier die Qualität aus. Immer testen.
Worauf soll man beim Kauf achten?
Wichtige Kriterien zur Auswahl des passenden Mikrofons: Am besten orientiert ihr euch an den oben genannten Punkten. Nehmt vielleicht ein euch schon bekanntes Mikrofon und testet die Vergleichstypen auf eurer Anlage und idealerweise auch auf anderen Beschallungsanlagen. Die Kriterien wie Körperschall, Poppgeräusche, Sound-Änderungen beim Ansingen aus verschiedenen Richtungen und Distanzen, Feedback-Tests etc. solltet ihr unbedingt checken. Und natürlich sehr wichtig: Der Sound sollte euch gefallen und zu eurer Stimme und Musik passen.
Tipp: Da man sich selbst immer aufgrund von Körperresonanzen (insbesondere des Kopfes und Brustraums) anders hört als der Zuhörer euch wahrnimmt, macht unbedingt auch den Test mit einem Kopfhörer und fragt beim Singen über eine Beschallungsanlage Freunde oder Mitmusiker, die eure Stimme gut kennen, nach deren Meinung. Auch eine Testaufnahme ist eine gute Sache, um später die Aufnahmen verschiedener Mikrofone in Ruhe zu vergleichen.
Kosten von Gesangsmikrofonen
Ich habe Mikros für 60 Euro, die funktionieren als Rock’n’Roll-Mikro super, und welche für 600 Euro, mit denen komme ich in Grenzsituationen oft etwas weiter oder kann die Einsatzbereiche erweitern, indem ich klassische Instrumente oder Chöre aus der Distanz abnehme. Dass es zahlreiche günstige Mikrofone gibt, die je nach Anwendungsbereich sehr gut klingen, zeigt unser großer AMAZONA-Vergleichstest für Mikrofone unter 100 Euro.
Sehr gute Allround-Mikrofone wie das Shure SM58, sE Electronics V7 oder das Sennheiser e945 liegen in der Preisklasse zwischen 100 und 200 Euro. Dies sind allesamt Tauchspulenmikrofone. Kondensatormikrofone sind oft etwas teurer, bieten aber vielleicht genau das bisschen Sound, das euch bei den Tauchspulenmikrofonen fehlt. Wichtig bleibt jedoch: Ein teures Mikrofon, das nicht zur Stimme passt, ist schlechter als ein günstiges Mikrofon, das eure Stimme so richtig gut zur Geltung bringt.














Eine Handvoll Sound-Tipps
Setzt ein Hochpass-Filter (Low Cut) zwischen 80-140 Hz am Mischpult ein (Männerstimmen etwas tiefer, hohe Frauenstimmen etwas höher). Eure Stimme klingt klarer und durchsetzungsfähiger. Gleichzeitig minimiert ihr tieffrequente Feedbacks und Dröhngeräusche.
Arbeitet aktiv mit dem Nahbesprechungseffekt. Probiert aus, wie sich eure Stimme ändert, wenn ihr bei leisen Passagen näher ans Mikro geht und dadurch einen intimen druckvollen Sound erzielt. Wenn ihr lauter werdet, schafft eine gut kontrollierte Abstandsänderung eine gesunde Dynamik.
Sucht euch am Mischpult-EQ drei Frequenzbereiche raus:
1. Feedback-Frequenzen finden und eliminieren (nur mit vollparametrischen EQs mit Notch-Filter, also einer sehr schmalen Absenkung sinnvoll, sonst geht zu viel Nutzsignal verloren)
2. Störende Frequenzen -> vorsichtig reduzieren (möglichst schmalbandig)
3. Wenn nötig, vorsichtig etwas Brillanz oder samtige Höhen addieren
Eine gute Faustregel ist: schmalbandig absenken, breitbandig anheben.
Bei Bedarf vorsichtig einen Kompressor mit einer Ratio von ca. 1:3 einsetzen, um etwas mehr Gleichmäßigkeit in den Gesang zu bekommen. Wenn möglich, die Attack- und Release-Zeit automatisch regeln lassen. Mit dem Threshold-Regler den Kompressor so einstellen, dass 1 bis max. 4 dB Dynamik reduziert werden. Diese dann mit dem Gain-Regler am Kompressor wieder aufholen. So werden leise Signale etwas lauter und laute Signale leiser, was dann die Dynamik insgesamt gleichmäßiger macht. Doch Vorsicht: Liegt der Kompressor auch im Monitor-Signalweg, erhöht sich durch die Anhebung der leisen Signalanteile auch die Feedback-Gefahr!
Unabhängig vom Rest der Effekte einen kleinen „ Raum“ um den Gesang bauen, das schafft eine etwas bessere Wahrnehmung.
Schönes Remake der ursprünglichen Beiträge.
Hier steht wirklich alles drin, was man zur Auswahl und Beurteilung seines Traummikros in der Praxis braucht.