Eigenständigkeit und Vintage in einem Channelstrip
Inhaltsverzeichnis
Der Drawmer 1977 ist ein Mono-Channel-Strip, der gemäß der Devise des Herstellers Eigenständigkeit und Vintage in einem Gerät vereint. Und bevor hier irgendwie gemutmaßt wird: Ja, ich bekenne mich als Fan der Marke, was sich darin ausdrückt, dass ich mich nach langer Suche für einen 1973 Stereo-Compressor für mein Setup entschieden habe. Als AMAZONA.de Autor, der regelmäßig die neuesten und interessantesten Geräte in seinem Studio testet, ist dies ein ganz besonderes Kompliment an einen Hersteller. Immerhin konnte er sich (für mich) gegen Elysia, SPL und Tegeler durchsetzen. Alles illustre Namen im Studiogame. Deswegen freue ich mich, den neuen 1977 Channel-Strip testen zu dürfen und – auch dies vorab – ich verspreche, unvoreingenommen an das Gerät heranzugehen.
History Time: Drawmer Electronics Ltd.
1981 startete Ivor Drawmer als mittelmäßig gebuchter Keyboarder mit dem Unternehmen Drawmer mit dem Multitracker, einer Delay-Line, den er ermutigt durch Freunden konstruierte. Danach sah Ivor die Notwendigkeit eines leistungsfähigen Noise-Gates für Recording-Studios und so war der Grundstein für das vielleicht wichtigste Gerät der Firmengeschichte gelegt: das Dual Noise Gate DS201, das in fast allen großen Aufnahmestudios seinen Dienst tut. Fakt ist: Ein Großteil der heute gespielten Produktionen lief durch den DS201.
Daraufhin folgten Kompressoren, Equalizer und weitere Studiogeräte mit dem Anspruch, einen eigenen Sound zu kreieren, ohne sich zu sehr an historischen Vorbildern zu orientieren. Besonders beliebt ist die 70s-Serie von Drawmer, gut ausgestattete 19 Zoll Komponenten im mittleren Preissegment, die in sich auf der sehr klaren und präzisen Klang geeicht sind, aber mit Hilfe von Filtern, Sättigung und Verzerrungen das Signal recht deutlich shapen lassen. Dieses Shapen findet nicht im nahezu unhörbaren Bereich statt, sondern ermöglicht ein klares Verändern des Grundklangs – sicherlich auch ein Grund für die Beliebtheit der Geräte.
Ein eigenständiges Design, beste Verarbeitung und – man höre und staune – die Fertigung in Yorkshire, U.K., sind ebenfalls Markenzeichen des Herstellers.
Drawmer 1977 Channel-Strip: Ausstattung
Je nach Anspruch sind die aufgerufenen 1.700,- Euro für den Drawmer 1977 entweder hochpreisig oder preisgünstig. Mono-Channel-Strips gibt es von 100,- bis 5.000,- Euro und üblicherweise besitzen diese neben dem Mikrofon- und Line-Preamp einen Equalizer, einen Kompressor und ein paar Funktionen, wie PAD oder Phasenumkehrung. Der 1977 geht hier weiter – viel (!) weiter und so erscheint einem der Preis mehr als angemessen, denn das Featureset ist überwältigend und lässt keine Wünsche offen.
Schon die Preamp-Sektion überrascht: Ein regelbarer Low-Cut (16 – 130Hz), anpassbare Mikrofonimpedanz (200, 600 & 2400 Ohm) und Phasenumkehrung. Gain deckt den Bereich von 0 – 66 dB ab und für Line-In sind es -24 dB bis +42 dB. Zudem finden wir an der Front zwei Klinkenbuchsen für Instrumente und man beachte: Instrument Through. Auf der Rückseite leistet man sich bei den Eingängen eine kleine „Schrulligkeit, denn der Mikrofoneingang und der Line-Eingang sind als XLR ausgelegt. Üblicherweise wird Line mit TRS (Klinke) ausgeführt. Hier bitte beim Einstöpseln aufpassen.
Rechts daneben sind Equalizer und Kompressor in zwei übereinanderliegenden Sektionen zu finden und auch hier gleich eine Besonderheit: Per Schalter kann man die Reihenfolge der Sektionen ändern. Der 3-Band-EQ ermöglicht die Einstellung der Frequenzen, Flankensteilheit und Cut/Boost. Natürlich können Kompressor und EQ auch komplett deaktiviert und/oder umgangen (Preamp-Direkt) werden.
Der Kompressor ist ebenfalls – für Drawmer üblich – sehr gut ausgestattet: Natürlich hier die Klassiker: Threshold, Ratio, Attack, Release und Make-up-Gain.
Eine 8-teilige LED-Kette zeigt die Gain-Reduction an. Dazu kann man die Charakteristik per „Big“ und „Air“ umschalten und wir finden einen Saturation-Regler mit zwei verschiedenen Filtern (HP & LP) für zusätzliche harmonische Verzerrungen. Für ein optisches Feedback der Saturation färbt sich die Beleuchtung des VU-Meters bei den Peaks rot.
Natürlich haben wir auch die Möglichkeit, ein externes Side-Chain-Signal einzuspeisen – die entsprechende Buchse (Klinke) nefindet sich auf der Rückseite. Achtung: Send und Return sind auf einem Stecker: Ring = Send und Tip = Return.
Rechts die Output-Sektion mit dem sehr schönen, honigfarbenen VU-Meter, einer PAD-Funktion (+10 dB), der Möglichkeit von Parallelkompression durch den Wet/Dry-Regler. Schließlich verfügt der 1977 über einen Fade-Regler am Ausgang, mit dem man entweder Fade-uuts hinzufügen oder den Pegel anheben kann, um ihn an die Eingangspegel von High-End-Audiointerfaces anzupassen.
Der Preamp-Direct-Schalter umgeht alle klangverändernden Sektionen und leitet das Signal auf dem kürzesten Weg durch den 1977. Dieses Clean-Signal kann außerdem auf der Rückseite durch die Preamp-O/P-Buchse abgegriffen werden.
Die technischen Daten des Drawmer 1977
- Input Impedance >20 kOhms
- Maximum Input Level +21 dBu
- Output Impedance 100 Ohms
- Maximum Output Level +21 dBu into 10 kOhms Load
- Frequency Resonse 20 Hz to 20 kHz +/-0,5 dB
- Noise at unitiy gain 20 Hz – 20 kHz >93 dB
- Distortion (THD & NOISE) @ 1 kHz 0 dB: 0,01 %, 10 dB: 0,01 %
- MIC EIN – 130 dB
- Abmessungen: 482 mm (W) x 88 mm (H) x 270 mm (D) (2 HE)
- Gewicht: 4,2 kg
Verarbeitung und Bedienung des Drawmer 1977
Das Gerät ist schwer (4,2 kg) und wirkt ausgesprochen robust. Die Drehregler sind gerastert und laufen sehr präzise. Alle Schalter zeigen durch eine LED den Zustand an. Alle Buchsen sitzen stabil und sind verschraubt. Das Gerät hat ein internes Netzteil und kann (leider) nur auf der Rückseite eingeschaltet werden.
Die in klassischen Farben gehaltene Front wirkt trotz der sehr klaren Strukturierung manchmal etwas unübersichtlich. Die Reduktion auf die Farben Schwarz und Weiß verlangen Konzentration bei der Bedienung, was aber auch der extrem umfangreichen Ausstattung geschuldet ist. Insbesondere bei meinen Klangbeispielen musste ich immer genau schauen, ob ich nicht ungewollt eine klangveränderte Funktion aktiviert hatte.
Der Preamp wird nicht ungewöhnlich warm und funktionierte in meinem Test völlig problemlos: rauschfrei, ohne Brummen oder Knacken bei der Bedienung. Der Drawmer 1977 ist ein Profigerät und ohne Einschränkung für professionelle Studios geeignet.
Der Drawmer 1977 in der Praxis
Nach einiger Zeit im Betrieb kam ich zu Einsicht, dass es unmöglich ist, alle Funktionen und Kombinationen in aussagekräftigen Klangbeispielen zu dokumentieren. Bei gleichzeitigem Betrieb von EQ und Kompressor spielt es klanglich eine große Rolle, ob der Kompressor vor oder nach dem EQ geschaltet wird und ob dann im Kompressor Big, Air oder eine andere Flankensteilheit im EQ gewählt wurde.
Dazu noch die Kompression mit Dry/Wet einzubringen und die Saturation hineinzudrehen, ergeben nahezu unendliche klangliche Möglichkeiten. Ein erfahrener Toningenieur kann mit dem Drawmer 1977 einen eigenständigen Signature-Sound erschaffen und so der Produktion einen individuellen Stempel aufprägen.
Im Gegensatz dazu stehen die klassischen Produktionen, die einfach „nur“ nach Neve oder SSL klingen. Der Ansatz gezielter Klangbeeinflussung in sehr vielen Varianten ist ein echtes Highlight des Drawmer.
Vor den Klangbeispielen noch die Frage: Habe ich Wünsche? Aufgrund der opulenten Ausstattung ist diese Frage nahezu ein Sakrileg, aber ein paar Kleinigkeiten sind mir aufgefallen: Für das übersichtliche und „straighte“ Verkabeln hätte ich gerne je eine separate Klinkenbuchse für die Side-Chain-Option (Send/Return) gesehen. Die Single-Stecker-Lösung verlangt besondere Aufmerksamkeit und ist fehleranfällig, da man ein spezielles Kabel/Patching benötigt.
Der Schalter mit der Aufschrift „PGM“ ist einfach eine Kompressor-Automatik, die eigenständig auf das Eingangssignal reagiert. Die Aufschrift „Auto“ wäre besser verständlich als „Program Memory“.
Der letzte Punkt auf meiner Kritikliste betrifft das Gain-Staging. Aufgrund seiner reichhaltigen Ausstattung haben wir im 1977 einige Gain- und Pegel-Stufen, die aufeinander abgestimmt werden müssen.
Gehe ich in den Preamp schon heiß rein, regele im EQ die Bässe hoch und drücke heftig mit dem Kompressor hinterher, dann würde ich mir eine feinere Rasterung des primären Gain-Reglers wünschen: 6 dB sind mir zu grob! Gerade durch die Anpassung der Saturation oder der Parallelkompression kann ein 6 dB Schritt mein gesamtes Feintuning zerschießen. Eine Abstufung in 2 dB Schritten würde (mir) das Arbeiten mit 1977 erleichtern. Den ON/OFF-Schalter auf der Rückseite hatte ich bereits erwähnt.
Klangbeispiele zum Drawmer 1977
Ich habe diverse Klangbeispiele vorbereitet, um einen guten Eindruck der klanglichen Möglichkeiten des Drawmer 1977 zu geben. Ich bin kein Freund davon, jede Funktion einzeln zu dokumentieren, denn in Kombination mit anderen Funktionen kann der Effekt sehr unterschiedlich ausfallen. Deswegen erstelle ich unterschiedlichste Audiodateien, um die Möglichkeiten des 1977 im Ansatz aufzuzeigen. Mein Urteil als Testautor gibt es dann anschließend.
Ich habe in meinem Studio den Drawmer 1977 an mein Universal Audio Apollo X6 angeschlossen und mit UA LUNA ohne weitere Bearbeitung aufgenommen. Als Mikrofon nutze ich das Lewitt LCT 640TS. Ich habe meine Stimme, eine akustische Gitarre (Fender Newporter Classic) und eine Fender Stratocaster Deluxe (über den DI -nput) aufgenommen. Nach der Aufnahme findet man dann die am Drawmer vorgenommenen Einstellungen.
Stimme
Erläuterung: Ich habe mit der Einstellung Flat begonnen und dann nacheinander den EQ in den drei Bändern demonstriert. Danach den Kompressor mit einer Ratio 3:1, aktivierter „Air“-Schaltung und veränderten Attack- und Release-Zeiten. Abschließend dann die Saturierung für die harmonischen Verzerrungen.
Akustische Gitarre
Reihenfolge EQ ==> Comp. Die Bässe leicht im EQ zurückgenommen, die Höhen etwas aufgepeppt. Der Kompressor durfte dann bei Ratio 4:1 und moderatem Attack und automatischem Release unterstützen. Die Saturierung war deaktiviert.
Fender Telecaster im DI
Hier mit Reihenfolge Comp ==> EQ habe ich mit viel Gain, leichter Anhebung bei 230 Hz, 17 kHz und 2,8 kHz und stärkerer Kompression bei recht starker Saturierung gespielt und das Ergebnis ist durchaus ansprechend. Auch in dieser Disziplin kann der Trawler 1977 punkten.
Drawmer 1977: Mein Testurteil
Ich sage es geradeheraus: Ich bin begeistert. Der 1977 klingt ohne klangliche Eingriffe extrem neutral, präzise und ausgewogen. Er scheint dem Signal weder irgendwelche Aspekte hinzuzufügen oder wegzunehmen. Die Stimme und die Gitarre: völlig neutral und extrem nah am Original.
Bei Aktivierung der klangverändernden Einstellungen gibt es kaum Grenzen. Wie bei meinem 1973er Stereo-Kompressor sollte man mit dem Saturation-Regler sehr vorsichtig umgehen, um das Signal nicht zu sehr zu verdichten. Der Equalizer löst auch in den überlappenden Frequenzen sehr fein auf und neigt nicht zum Verschmieren – aber wenn ich dies wollte, dann kann ich durch die flachere Flankensteilheit mehr gegenseitige Beeinflussung der Frequenzbänder erreichen.
Der Kompressor ist dem 1973 nicht unähnlich und verliert auch bei hoher Kompression nicht den Überblick und man kann durch den Air-Schalter einen sehr schönen luftigen Charakter einfügen. Die PGM (Automatik) macht einen seht guten Job und kann als „set and forget“ gerne aktiviert werden.
Interessant ist der relevante Unterschied, ob ich den Kompressor vor oder nach dem EQ schalte: möchte ich ein komprimiertes Signal shapen oder triggere ich den Kompressor durch eine entsprechende EQ-Einstellung? Das macht Spaß und regt zum Spielen an!
Conclusio
Der Drawmer 1977 ist ein großartiges Gerät und selbst wenn man mir eine gewissen Voreingenommenheit attestieren will: Es ändert nichts daran, dass Drawmer mit dem 1977 einen extrem vielseitigen, technisch perfekten und nahezu fehlerfreien Channel-Strip am Start hat und dieses Gerät definitiv Aufmerksamkeit verdient hat.
Die klanglichen Möglichkeiten sind für alle Ansprüche mehr als ausreichend: Von neutral clean bis hin zur maximalen Klangverbiegung und Sättigung ist alles möglich. Wer einen Mono-Channel-Strip in der mittleren Preisklasse sucht, für den ist der 1977 definitiv ein Best Buy. Da diese Geräteklasse sehr speziell ist, vergebe ich gerne ein „sehr gut“ mit ganz vielen Sternchen.
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Super Maschine
Guter Test.
Danke Jörg
Tolles Gerät. Vielen Dank für den ausführlichen Test!
Übersehe ich etwas oder fehlen da audio files?
Du übersiehst was. Die sind da!
@Jörg Hoffmann Bei dem Vocal File zb sagst Du „Im Moment sind alle Einstellungen flat“ und bei „Starten wir mit dem Kompressor“ hört es abrupt auf. Gehört das so?
Hmm, stimmt. Da ist wohl beim Upload was schiefgegangen. Ich lass das mal checken. Kann aber wegen Urlaub etwas dauern.
Danke dir!