Der Plexi für die Clublautstärke!
Ich wage schwer zu bezweifeln, dass Jim Marshall jemals mit dem gigantischen Erfolg seines Verstärkers gerechnet hätte, den er aufgrund des ständigen Quengelns von damaligen Szenegrößen wie z. B. Pete Townsend einfach nur fertigte, indem er einen Fender Bassman 1:1 kopierte und in der Leistung aufblies. Man mag sich kaum verstellen, wie viele technische Zufälle im Spiel waren, dass ausgerechnet der gesättigte Endstufen-Sag den legendären Klang hervorbrachte, der bis zum heutigen Tag einer der ewigen Top 5 Vollröhrensounds bleibt und der schon unzählige Programmierer in den IR-Kopierabteilung in den Wahnsinn getrieben hat. Mit dem Carl Martin Single Channel PlexiTone wagt sich ein weiterer Recke ins Gefecht, um dem legendären, aber alles andere als pflegeleichten Klang näherzukommen.
Wo ist das Problem?
Dass die verschiedenen Marshall Modelle, die mit der Bezeichnung „Plexi“ tituliert werden, ihren Spitznamen von der zunächst in Plexiglas, später in Blech gehaltenen Frontplatte haben, dürfte wahrscheinlich allgemein hin klar sein. Dass allerdings auch klanglich völlig unterschiedliche Modelle unter dieser Bezeichnung geführt werden, offenbart im gleichen Atemzug ein Problem, dem man sich nicht direkt bewusst ist. Es gibt faktisch nicht DEN Plexisound, zumal die großen Fertigungstoleranzen der einzelnen Bauteile seinerzeit ohnehin jeden Amp anders klingen ließen. Dies bedeutet, dass man sich in Sachen Sound nur innerhalb eines grob gestrickten Rahmens bzgl. der Parameter bewegen kann, den der Großteil der Plexi-Familie erfüllt.
Des Weiteren, wo der heutigen Jugend meistens bereits ein Mastervolume Vollröhrenamp zu groß, zu schwer und zu teuer ist, dürfte man diese mit einem Non-Master-Amp wahrscheinlich schreiend in die Flucht schlagen. Die Vorstellung, dass ein solcher Amp seinen Sweetspot erst bei einer Endlautstärke nahe der Körperverletzung an den Tag legt, lässt die Praxistauglichkeit in jedem Club auf nahe null sinken. Kleine Bemerkung am Rande, die gerne aus Potenzgründen bemühte „englische Einstellung“ (alles auf 10) ist absoluter Humbug, Auch ein Plexi klingt in diesem Bereich komplett beschissen. Sobald die Endstufe die Sättigung mit dezentem Sag-Aspekt verlässt und selber in eine echte Verzerrung geht, klingt ein Amp einfach nur noch „kaputt“ und kann vielleicht noch für Punkrock verwendet werden, aber nicht mehr für den süßlichen, hochkomprimierten legendären Klang.
Die Kunst und Herausforderung für jedes Produkt, das sich den „Plexisound“ auf die Fahnen geschrieben hat, besteht also vor allem darin, die saturierte EL34 Charakteristik, zusammen mit dem leicht einbrechenden Klangverhalten von Treiberstufe etc. in einer moderaten Lautstärke zu reproduzieren bzw. klanglich möglichst nah zu kommen. Denn über eins sind wir uns wohl alle einig, eine 1:1 Kopie ist niemals möglich, es geht nur darum, wie nah man dem Original kommt. Nun denn, auf zum Plexitone Pedal.
Die Konzeption des Carl Martin Single Channel PlexiTone
Bei dem Carl Martin Single Channel PlexiTone handelt es sich um eine Weiterentwicklung der Plexitone Lo-Gain-Variante, die schon fast in der Booster-Ecke anzusiedeln war und dem ursprünglichen Plexitone in seiner großen Ausführung. In Zusammenarbeit mit YouTuber Pete Thorn wurde dem Pedal ein leicht veränderter Grundsound verpasst, indem die Höhen und Bässe etwas zurück genommen und im Gegenzug die Mitten etwas mehr geboostet wurden. („It’s all in the mids!“)
Eine weitere Besonderheit ist, dass der Single Channel Plexitone aus Praxistauglichkeitsgründen nun über einen 9 Volt DC-Anschluss verfügt. Aus klanglichen Gründen hatte das Vorgängermodell noch die unpraktische 12 Volt Einspeisung, die zwar für einen Großteil des Sounds verantwortlich zeichnet, jedoch von dem überwiegenden Teil der Netzteile nicht unterstützt wurde. Dieses Problem hat man gelöst, indem man 9 Volt einspeist, die Spannung intern aber wieder auf 12 Volt hochtransformiert, um keine klanglichen Einbußen hinzunehmen. Meist bieten höhere Spannungen auch einen höheren Headroom und damit auch eine höhere Dynamik, was zugleich auch das Merkmal eines hochwertigen Vollröhrenamps ist.
In Sachen Haptik hinterlässt das Pedal einen guten Eindruck. Das Gehäuse ist massiv aufgebaut und wurde, wohl auch um die Assoziation zum Marshall Panel zu erhöhen, in der typischen ocker-goldenen Farbe angelegt. Der Carl Martin Single Channel PlexiTone wird zwar als Verzerrer-Pedal angepriesen, ist aber als typischer Overdrive ausgelegt, d. h. selbst bei maximalem Drive-Pegel erreicht das Pedal erwartungsgemäß nie die Ausmaße eines Distortion-Pedals. Darauf ist das Pedal aber auch nicht ausgelegt. Die Regelmöglichkeiten des Pedals sind demnach auch in der typischen Overdrive-Abteilung mit Level, Drive und Tone angelegt. Dazu noch ein Netzteil-Input an der Stirnseite und der On/Off-Schalter, fertig.
Der Carl Martin Single Channel PlexiTone in der Praxis
Um den Klang des Carl Martin Single Channel Plexitone in seiner Gesamtheit zu erfassen, muss man ein besonderes Augenmerk auf die verwendete Amp-Cabinet-Kombination legen. Wer glaubt, vor seinem Kemper o. ä. mit dem Pedal nun endlich den finalen Plexisound gefunden zu haben, muss leider enttäuscht werden. Erwartungsgemäß geht es nicht darum, die Komplexität des Plexi-Sounds in irgendeiner Form in ein Pedal zu quetschen, sondern es geht darum, einen an sich gut klingenden Amp, möglichst Vollröhrenamp, in moderater Lautstärke in einen Plexi Modus unterhalb des Schmerzbereichs zu fahren.
Was also eignet sich besser, als einen Amp zu benutzen, der an sich schon dem Original Plexi sehr nahe kommt. Ich habe für diesen Zweck meinen 1976er Marshall Modell 1987 (Non-Master) genommen und ihn klanglich so eingestellt, dass er so gerade eben NICHT zerrt, sondern nur einen Hauch Sättigung generiert. Als Cabinet kam natürlich ein Marshall 412er zum Einsatz, in dem Vintage 65 von Celestion verbaut sind. Abgenommen wurde das Ganze mit 2 Stck. SM57 Nachbauten mit der Bezeichnung MS57 von FAME.
Ebenso gilt es, die richtige Gitarre für das Pedal zu finden. Ich habe mit Absicht dieses Mal nicht die von mir sonst immer sehr gerne verwendeten aktiven EMG Pickups verwendet, sondern habe auf eine Strat Lim. Ed. von 1994 und eine Standard Paula von 2014 zurückgegriffen, beides keine Vintage-Giganten, aber gutes Handwerkszeug für einen moderaten Mainstream-Sound. Um den Sound nicht zu verfälschen, wurde nichts editiert, nichts gemischt, nichts verbessert, nichts optimiert.
Um es kurz zu machen, der Carl Martin Single Channel PlexiTone klingt wirklich hervorragend. Ich habe mir den Spaß gemacht und den Sound mit meinem Plexi, den ich in die Sättigung gefahren habe, verglichen und das Ergebnis ist wahrlich beeindruckend. Das Pedal schafft es wirklich, sowohl das Spielgefühl als auch das klassische Kompressionsverhalten sehr gut nachzubilden, vorausgesetzt, man gibt dem Pedal die Chance, sich vor einem sehr gut klingenden Amp breitzumachen.
Viele werden sich fragen, wozu den Plexitone, wenn ich doch schon einen gut klingenden Amp habe? Sollte ich hier nicht besser mit einem Lastwiderstand arbeiten, um den Amp zu zügeln? Nun, ein Lastwiderstand greift sehr stark in die Interaktion mit dem Lautsprecher ein. Es ist natürlich Geschmackssache, aber mich hat noch kein Lastwiderstand klanglich überzeugt, sofern man die Wiedergabe primär über den Lautsprecher leiten möchte.
Hier finde ich den Ansatz des Carl Martin Single Channel PlexiTone deutlich interessanter, der klanglich insbesondere an Vintage-Amps überzeugt. Zwei Worte noch zur Regelung. Vorsicht ist sowohl beim Level- als auch beim Tone-Regler geboten. Die sonst von den Herstellern gewählte 12 Uhr Position bzgl. Pegel In/Out = gleiche Lautstärke liegt bei diesem Pedal schon bei ca. 10.30 Uhr, d. h. auf 12 Uhr wird der Amp schon ordentlich angeblasen. Ebenso ist der Tone-Regler dezent zu benutzen, es sei denn, man bevorzugt den klassischen 60er Beiß-Sound. Was bei einer Paula noch als angemessen gilt, schneidet bei einer Strat schon ganz ordentlich.
Je nach Gitarren-Verstärker Setup variiert das klangliche Ergebnis zwischen gut bis großartig, von daher, sollte sich der Sound nicht im gewünschten Rahmen bewegen, ist wahrscheinlich nicht das Pedal, sondern die Rahmenbedingungen schuld.
Carl Martin kommt aus Dänemark. Smørrebrød
@harrymudd Danke für die Info, mein Fehler!
Was ich noch interessanter finde als das FX, sind die benutzten Mikrofone… Hätt ich nicht gedacht!
@Atarikid Die MS57 sind ein vergleichsweise einfacher Nachbau des SM57, etwas leichter und klanglich etwas weniger Mitten, aber gerade wenn man die Fredman Methode praktiziert eine sehr gute Alternative zum Original.