Analoger Münchner Kompressor
Vertigo Sound ist schon lange kein Geheimtipp mehr, wenn es um kompromisslose analoge Studiotechnik geht. Die Firma aus München brachte in den vergangenen 10 Jahren unter der Führung von Mastermind Andreas Eschenwecker insgesamt vier Geräte heraus, die Musiker und Techniker gleichsam vor Freude mit den Ohren schlackern lassen. Wen die lange Entwicklungszeit verwundert, der sollte für ein besseres Verständnis einmal hinter die Kulissen blicken. Hier offenbart sich, mit welchem Anspruch und manchmal auch mit einem Hauch von Besessenheit an Prototypen gefeilt und geforscht wird. Denn anders als bei vielen anderen Mitbewerbern folgt man weder Trends, noch bedient man sich bereits bestehender Konzepte, um möglichst schnell Produkte am Markt zu platzieren. So verwundert es kaum, dass man in München sowohl beim Signalweg als auch bei der Auswahl der verwendeten Bauteile eigene Wege geht. Bestes Beispiel hierfür sind die eigens entwickelten und diskret aufgebauten VCAs und OpAmps, die in fast allen Produkten zum Einsatz kommen und hauptverantwortlich für den eigenständigen Klang sind.
Königsblaue Exzellenz
Auch wird nicht in Fernost produziert. Jedes Gerät wird von Hand in der hauseigenen Werkstatt gebaut, getestet und verschickt – Wertarbeit „Made in Germany“. Bevor also ein Gerät das Haus verlässt, wurde viel Arbeit, Schweiß und Liebe in die Entwicklung und Herstellung gesteckt. Dementsprechend stolz ist man in München auf seine Produkte. Anmerken lässt sich das Andreas auf den ersten Blick allerdings nicht. Hier gilt immer eine angenehme Zurückhaltung mit Verweis auf die technische Notwendigkeit für das gewählte Design. Erst wenn man ins Gespräch kommt, offenbart sich die Philosophie und der Ethos, mit dem alle Beteiligten an die Arbeit gehen. Wer also die Schönheit von Audiotechnik nicht nur erklärt haben sondern vielleicht auch verstehen will, der sollte sich unbedingt einmal mit Andy unterhalten (oder eines seiner umfangreichen Videos sehen).
Auf den Spuren der Vergangenheit
Doch genug der Beweihräucherung, kommen wir zum neuen Streich von Vertigo Sound – dem VSC-3. Kenner der Münchner Nomenklatur wissen bereits, dass es sich hierbei um einen waschechten Stereo-Bus-Kompressor handelt. Und richtig: Beim VSC-3 handelt es sich, wer hätte es gedacht, um den Nachfolger des VSC-2. Dieser sorgte bereits bei seiner Einführung 2007 für Furore in den Fachzeitschriften, galten doch analoge Geräte im Zuge der digitalen Revolution als Relikte aus vergangenen Zeiten. Über diesen Trend setzte sich das Vertigo-Team, Jahre vor dem Vintage-Hype, bewusst hinweg. Das Kredo: Der Klang glorreicher Tage kombiniert mit moderner Technik.
Die positiven Reviews in den einschlägigen Magazinen ließen nicht lange auf sich warten und schon bald trat der VSC-2 seinen Siegeszug in den Tonstudios an. Die Liste der zufriedenen Kunden spricht dementsprechend Bände: Mousse T., Zombie Nation, Jazzanova, Kruder & Dorfmeister, Diego Calvino, Dan D’Ascenzo, Craig Bauer oder auch Sascha Bühren sind Besitzer eines VSC-2.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2020. Rund 13 Jahre sind also vergangen, seitdem der königsblaue Kompressor das Licht der Welt erblickte und die Nachfrage scheint ungebrochen zu sein. Warum also gerade jetzt ein Nachfolger? Tatsächlich war die Entscheidung nicht ganz freiwillig. Der britische Hersteller für die VU-Meter hatte bereits schon vor längerer Zeit seine Produktion eingestellt und andere Hersteller waren nicht in der Lage, die geforderte Qualität zu bauen. Nach langer Recherche entschied man sich deswegen für die Entwicklung einer eigenen Pegelanzeige. Im Zuge dieser markanten optischen Veränderung sollten auch neue technische Funktionen Einzug finden. Der VSC-3 war geboren.
Des Kaisers neue Kleider
Äußerlichkeiten sind bekanntlich nicht alles, aber im Fall des Vertigo sollten diese nicht unerwähnt bleiben. Die Verpackung ist zunächst absolutes Understatement: Normaler brauner Karton mit einem schwarzen Vertigo Logo. Wo andere Hersteller schon aus der Hülle ein Zeremoniell machen, bleibt man hier relativ kühl. Auch beim Zubehör reduziert man sich auf das Wesentliche: gedrucktes Handbuch, Stromkabel. Fertig.
Was dann aber nach dem Auspacken zum Vorschein kommt, ist wahrlich ein Augenschmaus. Das eloxierte Gehäuse schmeichelt nicht nur den Augen, sondern ist auch erstklassig verarbeitet und bietet bei richtigem Lichteinfall ein schönes Lichter- und Farbenspiel. Elegant fügt sich der Vertigo in mein Rack ein und wirkt dabei in seinem königlichen Blau fast erhaben. Jedes Bedienelement sitzt bombenfest, nichts wackelt oder hat Spiel. An den Kippschaltern könnte man auch problemlos ein Bier öffnen, ohne mit der Wimper zu zucken. Mit sattem Schnalzen legt sich der Netzschalter beim Betätigen um und signalisiert, hier wurde zu keinem Zeitpunkt daran gedacht, in irgendeiner Weise an Material oder Verarbeitung zu sparen. Natürlich sollte man dies bei einem aufgerufenen Preis von über 5.000,- Euro erwarten können, manche Geräte aus Amerika im gleichen Preissegment fühlen sich aber im Vergleich schon fast wie ein Witz an.
Besonders drastisch wurde der Kontrast, nachdem ich vom VSC-3 zu meinen anderen Geräten wechselte. Gut, wir reden hier in meinem Fall auch von ein paar tausend Euro Unterschied, aber mir wurde schlagartig klar, wie gut analoges Equipment sich anfühlen kann. Nicht ganz schmerzfrei wie ich eingestehen muss, aber es geht es ja auch um den Klang der Geräte. Wer sich allerdings für den Kauf eines VSC-3 entscheidet, der holt sich sicherlich einen Freund für die Ewigkeit ins Haus oder respektive ins Studio.
Herz und Seele
Nachdem ich zugegebenermaße gerade etwas oberflächlich war, besinnen wir uns nun auf die inneren Werte. Im Kern baut der VSC-3 auf seine alten Stärken. Insgesamt vier diskret aufgebaute und eigens entwickelte VCAs mit der Bezeichnung „1979“ werden im Gerät verbaut. Dabei kommen pro Kanal jeweils ein VCA für den Signalweg und das Sidechain-Filter zum Einsatz. Diese werden übrigens für eine optimale Wärmeverteilung und eine daraus resultierende bessere Performance in Keramik gegossen. Komplementiert wird der vollständig diskrete Aufbau des Herzstücks mit Cinemag Eingangsübertragern sowie Burr Brown (Typ 1646) Ausgangstreibern.
Für eine komplette Isolation der einzelnen Komponenten sind die Leiterplatten für das Netzteil, die Signalverarbeitung und den Signalweg komplett voneinander getrennt im Gehäuse verbaut. Eine gegenseitige negative Beeinflussung (Rauschen, Brummen, Crosstalk etc.) ist also ausgeschlossen. Dies erklärt auch die Überlänge des Geräts. Zu guter Letzt besitzt der VSC noch einen echten Hardware-Bypass. Will meinen: Das Signal wird bei Deaktivierung des Geräts direkt, vorbei an den Komponenten, zum Ausgang durchgeschleust.
Modus Operandi
Wie bereits angekündigt, handelt es sich bei dem VSC-3 um kein schlichtes Facelift, sondern vielmehr um eine konsequente Weiterentwicklung. Vergleicht man Frontplatte des VSC-3 mit dem VSC-2, so wird klar, dass der Nachfolger eine Reihe von neuen Features spendiert bekommen hat. Offensichtlichste Neuerungen sind sicherlich die neuen Attack- und Release-Zeiten. Neben einer feineren Abstimmung der Zeitkonstanten können diese nun auch deutlich schneller bzw. langsamer arbeiten als zuvor. Besonders praktisch sind die zwei neuen Auto-Release-Zeiten (Auto slow, Auto fast). Insgesamt bietet der neue VSC zehn Zeitkonstanten für Attack (0,1 – 40 ms) und Release (0,05 – 1,2 s, Auto slow, Auto fast).
Die Werte für die Ratios sind gleich geblieben. Hier gibt es die klassischen Werte (2:1, 4:1, 8:1, 10:1) und einen Soft- bzw. Brick-Modus (40:1). Der Soft-Modus ist allerdings kein klassisches Soft-Knee. Hier handelt es sich um eine Kompression mit gradueller Ratio von 1:1 bis 8:1, abhängig vom Eingangssignal. Je höher also das Signal bzw. die Kompression, desto höher die Ratio. Dies hat zur Folge, dass die Kompression anscheinend „unhörbar“ wird. Eine ähnliche Charakteristik kennen wir von Opto- oder Vari-MU-Kompressoren. Bis zu +22 dBu kann das komprimierte Signal wieder verstärkt werden. Der Regelweg des Make-up Gains ist im Bereich von 0 dBu bis +6 dBu feiner aufgelöst und bietet damit für die praxisnahen Kompressionen eine hervorragende Kontrolle. Wie vom Vorgänger gewohnt, kann zwischen 60 Hz und 90 Hz Grenzfrequenz für das Sidechain-Filter gewählt werden.
Gemäß der Tradition großer Mastering Bus-Kompressoren kann jeder Kanal unabhängig voneinander betrieben und eingestellt werden. Die Güte der verbauten Komponenten und die Präzision der Pegelerkennung (Peak und RMS) erlaubt Stereo-Kompression auch ohne den vorhandenen Stereo-Link. Somit eignet sich der VSC-3 ebenfalls hervorragend fürs Recording. Je nach Anwendungsgebiet kann zwischen drei Modi umgeschaltet werden: Stereo SC, Dual und Mono SC.
Im Stereo-Modus (Stereo SC) agiert Kanal A als Master über den alle Einstellungen vorgenommen werden. Kanal B ist deaktiviert. Im Stereobetrieb sind beide Sidechains aktiv und das jeweils höhere Eingangssignal aktiviert dann den Kompressor, um beide Kanäle zu komprimieren. Da das Sidechain-Signal nicht summiert wird, können folgerichtig Kanal A oder Kanal B als Master für den Kompressor fungieren. Der Dual-Modus gibt beide Kanäle zur Bearbeitung frei. Dank der präzisen Pegelerkennung eignet sich dieser besonders für feine Anpassungen im Panorama oder um zu einem offeneren und breiteren Stereobild zu kommen. Ist ein stärkerer „Glue“ gewünscht, dann sollte Mono SC probiert werden. Die Bedienung gleicht dem Stereo SC, allerdings werden hier der linke und rechte Kanal zu einem Mono-Sidechain summiert.
Subtiler Punch
Wer es bis hier geschafft hat zu lesen, der wird sich natürlich jetzt fragen: Wie klingt er denn nun? Klang zu beschreiben, ist natürlich immer etwas schwierig. Trotzdem werde ich es versuchen und Plattitüden wie „warm“ oder „vintage“ möglichst vermeiden. Außerdem sollte nicht vergessen werden, dass die Beurteilung, ob etwas gut klingt oder nicht, wie so oft im Leben, rein subjektiv ist. Somit sollte immer etwas mit gesundem Abstand an das Thema herangegangen werden. Es gibt z. B. Kompressoren, deren markanter Sound ganze Genres prägen und fortan als Standard gelten. Die Bus-Kompressoren von SSL fallen unter anderem in diese Kategorie. Auf der anderen Seite gibt es wiederum Kompressoren, die aufgrund ihrer Vielseitigkeit und klanglichen Beschaffenheit als Universalwerkzeug für alle möglichen Aufgaben gelten und jedes Genre veredeln können, ohne sich übermäßig in den Vordergrund zu stellen. Der VSC-3 von Vertigo fällt eindeutig in letztere Kategorie.
Ich muss gestehen, dass ich am Anfang etwas enttäuscht war, als ich den VSC-3 das erste Mal einschaltete. Zu sehr war ich an Charakterschweine à la API 2500 oder Röhrenkompressoren wie den Variable MU von Manley gewöhnt. Solche Kaliber geben sich sofort zu erkennen und machen von Anfang deutlich, wer ab sofort klanglich das Sagen hat. Nach einer halben Stunde Benutzung dämmerte es mir jedoch, wie falsch ich mit meiner Ersteinschätzung lag. Hat man die Klangeigenschaften erst einmal verstanden, will man ihn nicht mehr hergeben.
Wie ein silberner Schleier legt sich der VSC-3 über den Klang und sorgt für Ordnung in den Frequenzen und eine Klarheit, dank derer man sich so manchen Eingriff mit dem EQ sparen kann. Damit ist aber keinesfalls eine „Schärfe“ oder „Härte“ in den Höhen gemeint. Mixe gewinnen vielmehr direkt an Tiefe und wirken dreidimensionaler. Insbesondere durch Echoes oder Hall erzeugte Räume gewinnen unmittelbar an Präsenz und sind im Stereobild besser ortbar. Und trotz seiner geschmeidigen Gangart ist der VSC-3 hervorragend dazu geeignet, Signale zu färben. Denn je mehr man den Make-up Regler betätigt, desto mehr werden Obertöne dem Signal hinzugefügt.
Testet man die Grenzen des VSC-3 aus, wird einem schnell klar, warum insbesondere Mastering-Ingenieure einen Faible für den Münchner Kompressor haben: Anscheinend mühelos verrichtet der VSC-3 auch bei harten Gangarten seine Arbeit und verdichtet das Signal, ohne sich in der Vordergrund zu drängen. Zu jeder Zeit bleibt der Vertigo offen und klar. Pumpen quasi Fehlanzeige! Sollte es doch mal etwas zu hektisch werden, beispielsweise durch einen omnipräsenten Bassbereich, kann das Sidechain-Filter weiterhelfen. Die gewählten Frequenzen finde ich perfekt, um Bässe durchzulassen und trotzdem einen kompakten Mix zu erhalten. Höhere Filtereinstellungen wie 120 Hz oder 200 Hz bringen oftmals das Problem mit sich, dass zwar mehr von der Kickdrum durchgelassen wird, aber dafür dann die Snare für starkes Pumpen sorgt.
Zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl, nicht einen Kompressor, sondern einen hochentwickelten Transienten-Former vor mir zu haben. Mit fast chirurgischer Präzision lassen sich 808-Kickdrums bearbeiten und mit dem nötigen Punch oder Attack versehen. Auch Bässe werden umgehend kräftig und durchsetzungsstark, allerdings nie übermächtig. Alle Resultate lassen sich hervorragend im Mix unterbringen. Ob Vocal-Gruppen, VST-Synths, ein kompletter Mix oder ein Drum-Bus: Alle profitieren vom Punch und der Geschmeidigkeit des Vertigo.
Schon stellt sich wieder die Frage beim Mastering: Multiband- oder Singleband-Kompressor? In Hardware findet sich meist – trotz mehr als stolzer Preise – bloß die Singleband-Version.
Ich habe immer wieder verglichen, da ich von den selben Autoren sowohl einen Singleband- als auch einen Multiband-Kompressor als Plugin habe (CALF): Sowohl beim Kompressor als auch beim Limiter mag ich jedes Mal, wenn ich vergleiche, die Multiband-Version mehr.
@bluebell Ich glaube die Frage nach Multiband oder Singleband stellt sich beim VSC nicht. Es handelt sich um einen extrem vielseitigen Kompressor. Doch natürlich gibt es immer einen Tradeoff. Im Übrigen auch bei Multiband Kompressoren.
Gut, daß er nicht VCS-3 heißt — könnte glatt zu Verwirrung führen.
@iggy_pop Tollen Krach machen sie beide ;)
Tolles Gerät und danke für den aufschlussreichen Artikel & die Beispiele! Gerne mehr Tests von solchen Qualitätsgeräten, gerade wenn es lokale Hersteller sind
@acuriousdan Danke für deine netten Worte. Ich bin bereits an den nächsten Tests. :-)
wieder mal ein fall von man kanns auch preislich übetreiben… wird zeit, dass behringer auch hier mal den markt aufmischt. erinnert mich nur wieder an das dangerous music interview vor jahren: wir setzen den preis nur so hoch an damit es sich nicht alle leisten können… (rest sollte selbsterklärend sein)
@xmario Ich glaube Preisdiskussionen sind nicht förderlich. Der Preis eines Gerätes setzt sich aus vielen Faktoren (Entwicklungszeit, Komponenten, Aufwand etc.) zusammen. Eine Firma Behringer kann ganz anders in einen Markt gehen, als es eine kleine Firma wie Vertigo Sound jemals könnte.
Zum Glück gibt es eine Reihe von VCA-Kompressoren, darunter auch sehr günstige. Somit kann jeder für sich entscheiden, welche Variante es sein darf.
PS: Könntest du mal den Link zum Interview posten?
Was ist denn hier los? Ein neuer Kollege und der darf sich gleich an so einem Sahneschnittchen versuchen, ohne vorher die Niederungen der Kopisten und Billigproduzierer abgefrühstückt zu haben?
Nun mal ernsthaft Phable, sehr, sehr gut aufgebauter und durchgeführter Test, freue mich auf mehr.
Grüße Armin
@Armin Bauer Hallo Armin,
Ich habe auch keine Ahnung, warum ich durchs Raster gefallen bin (bitte nicht zu oft erwähnen). ;-)
Vielen Dank für die Lorbeeren, ich freue mich schon auf die kommende Zeit :-)
Tolles Gerät. Klingt sehr edel und führt leicht zu tollen Ergebnissen. Habe es mit dem originalen SSL X- Logic G Compressor (19 Zoll) verglichen, der bisher vor allem in Serie mit dem Vari Mu immer in meiner Kette war. Jetzt biete ich meinen SSL (wie neu) zum Verkauf an!