Ultimative Synthesizer-Sounds für Gitarristen
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Der Boss GM-800 Gitarrensynthesizer wartet mit einem neu entwickeltem GK-Pickup-System und leistungsstärkerem DSP der Sound-Engine auf. Dass Boss sich mit Synthesizer-Pedalen auskennt, haben sie in der Vergangenheit bereits bewiesen. Angefangen hat alles in den späten 70er-Jahren, als Boss das GR-500 präsentierte. Die Idee hinter dem Gerät war es, Gitarristen das Erzeugen von Synths-Sounds zu ermöglichen und das so einfach wie möglich bei größtmöglicher Präzision. Hierfür entwickelte man sogar einen eigenen Pickup.
Herzstück des neuen Boss GM-800 ist das Zen-Core Synthese-System, das bereits aus dem Jupiter-X, dem Fantom und dem Zentology Software-Synthesizer bekannt ist. Doch dieses schicke neue Pedal hat noch sehr viel mehr zu bieten, also schauen wir es uns einmal genauer an.
Schalter, Potis, Anschlüsse und Gehäuse des Boss GM-800
Das Boss GM-800 ist in seiner Konstruktion an die aktuelleren großen Boss Pedale angelehnt und ähnelt in seiner äußeren Erscheinung dem breiteren Boss DD-500. Das stabile Gehäuse besteht aus gebogenem Metall mit blauer Lackierung auf der gebürsteten Oberfläche. Diese ist fest mit der Unterseite verschraubt, die ebenfalls aus sehr robustem Metall gefertigt und mattschwarz lackiert ist.
Der Bereich der vier Fußtaster ist leicht abgeschrägt und mit dem Fuß gut erreichbar. Der Abstand zu den vier Potis ist absolut ausreichend. Die klickfreien Fußtaster aktivieren die Sounds, schalten durch das Menü und aktivieren zwei zusätzliche Control-Optionen pro Sound. Die Beschriftung der Taster ist absolut hilfreich und breite LEDs oberhalb der Fußtaster zeigen den Status an.
Zentrum des Synthesizer-Pedals ist das große und übersichtliche Display. Das LC-Display ist 256 x 80 Pixel groß und wird von einer Kunststoffabdeckung geschützt. Die aktuelle Funktion der vier Endlos-Encoder wird im Display angezeigt. Alle vier Encoder verfügen über eine Rasterung und können zusätzlich als Taster genutzt werden. Ihre Belegung kann frei gewählt werden. Die Potiknöpfe sind geriffelt und bestehen aus silbernem Kunststoff. Sie sind auf die Encoder, die eine Achse aus Metall haben, aufgesteckt und sitzen sehr fest.
Links vom Display befindet sich ein Output-Level-Poti mit einer weißen Markierung, das, wie der Name schon sagt, eine Einstellung der Lautstärke ermöglicht. Darunter sind vier durchsichtige Drucktaster für die Parts und ein weiterer für den Rhythmus angeordnet. Alle Taster werden von einer dahinterliegenden LED beleuchtet.
Rechts vom Display befindet sich die Steuerung der Menüführung. Ein Encoder mit Tasterfunktion dient als Select-Poti, also zum Einstellen der Werte und zum Bestätigen. Darunter befinden sich fünf schwarze Drucktaster (Exit, Write, Menü, Page up/down), die durch das Menü führen. Damit lassen sich sämtliche Sounds editieren.
An der Stirnseite befinden sich alle Anschlüsse des GM-800 Guitar Synthesizer-Pedals. Es gibt natürlich einen TRS-Eingang für den GK-Pickup (wichtig zu wissen ist, dass sich das Pedal nicht mit einem normalen Pickup betreiben lässt) und einen TRS-Ausgang für den Anschluss eines weiteren GM-800 Pedals. Ja, es könnten zwei Pedale gleichzeitig betrieben werden, um die Anzahl der Stimmen zu verdoppeln. Als Ausgänge sind zwei 6,3 mm Mono-Klinkenbuchsen verbaut, denn natürlich kann und sollte das Pedal Stereo gespielt werden. Einer dieser Ausgänge ist zudem als Kopfhörerausgang beschriftet, was sehr praktisch ist. Zwei Expression-Pedal-Buchsen können für den Anschluss von Expression-Pedalen oder externen Fußschaltern genutzt werden, was ich auf jeden Fall empfehle. Näheres dazu erkläre ich im Praxisteil. Mit dem PC kann das Pedal per USB verbunden werden, zudem gibt es die Möglichkeit, einen USB-Stick anzuschließen, um Presets per Stick zu übertragen. Zwei DIN-5 Buchsen übernehmen per Input und Output die MIDI-Kommunikation und eine DC-Buchse dient der Stromversorgung durch das mitgelieferte Netzteil.
Zum GM-800 gehört natürlich noch der neue GK-Pickup. Dieser schmale Pickup aus Kunststoff wird nahe der Bridge montiert. Er kann entweder geklebt oder mit zwei Schrauben auf das Schlagbrett oder in das Holz geschraubt werden. Es liegen ein paar unterschiedliche Kunststoffstreifen bei, um die Höhe des Pickups und damit den Abstand zu den Saiten zu optimieren. Ein fest verbautes Kabel führt zu einem kleinen Kunststoffgehäuse, das ebenfalls entweder auf die Gitarre geklebt oder mit einer Metallklammer an den Korpus geschraubt werden kann. Interessant ist, dass der Pickup auch von unten angebracht werden kann, damit das Kabel nicht unter dem Handballen verläuft. Die Buchse für den Kabelanschluss ist eine 6,3 mm TRS-Stereo-Buchse. Bei früheren Modellen gab es hier noch einen speziellen 13-Pin-Stecker. Mit dem neuen Anschluss ist ein Ersatz sehr viel leichter zu bekommen. Leider besteht die Buchse aus Kunststoff. Eine Metallbuchse wäre hier vielleicht sinnvoller.
Das separat erhältliche passende Kabel hat zwei 6,3 mm TRS-Stereo-Klinkenstecker aus Metall und eine schicke graue Stoffummantelung. Es ist mit seinen 9 m definitiv ausreichend lang.
Und zu guter Letzt habe ich auch noch den separat erhältlichen Boss GKC-AD GK Converter samt Netzteil für meinen Test nutzen können. Diese Zusatzbox dürfte für Besitzer des GK 3-Pickups interessant sein, da sie den 13-Pin-Anschluss in den aktuellen Anschluss für das GM-800 umwandelt. So muss man sich den aktuellen Pickup nicht kaufen, falls man bereits einen Boss GK-Pickup besitzt.
Das Boss GM-800 in der Praxis
Als ich das Pedal, die Converter-Box, das Kabel und den Pickup samt Montagematerial ausgepackt hatte, dachte ich zunächst: „O nein, etwas zum Zusammenbauen …“. Aber da, wie erwähnt, die Converter-Box nur eine Option für GK 3-Pickups ist, konnte ich diese getrost zur Seite legen und gleichzeitig allen GK-3-Besitzern die frohe Kunde überbringen, dass sie keinen neuen Pickup brauchen, wenn sie das GM-800 nutzen wollen. Wer aber auf das GM-800 verzichten möchte und seine Gitarre als Controller für Plug-ins in Ableton oder Logic nutzen möchte, könnte diese Converter-Box natürlich in Betracht ziehen. Damit können MIDI-Noten aufgenommen und mit einem beliebigen Plug-in gespielt werden. Natürlich kann die Roland Zenologie-Software damit ebenfalls getriggert werden, genauso wie sämtliche virtuelle Instrumente in der Roland Cloud, die allerdings kostenpflichtig sind. Die Sounds können dann aber auch exportiert und in das GM-800 geladen werden. Somit wird das Pedal im Nu zu einem Juno oder Jupiter Synthesizer.
Der Pickup lässt sich ebenfalls erstaunlich schnell und leicht befestigen. Ich habe mich für die Klebe-Methode entschieden, den Pickup in der Nähe der Bridge aufgeklebt und die kleine Box in der Nähe meiner Eingangsbuchse befestigt. Würde ich das System dauerhaft nutzen, würde ich den Pickup mit zwei kleinen Schrauben auf das Schlagbrett schrauben und die Anschlussbox mit dem anklemmbaren Metallbügel nahe dem Gurthalter anbringen. Alles ist selbsterklärend und schnell umzusetzen. Einziges Manko: Meine Klangbeispiele nehme ich am liebsten mit einer Telecaster auf. Aber da die Vintage-Bridge hier sehr breit ist, ist die Position nicht optimal. Also für eine Tele ist das System wahrscheinlich nur bedingt geeignet. Dementsprechend habe ich den Pickup auf eine Stratocaster montiert, was wunderbar funktioniert. Wen das Kabel stört, der kann den Pickup auch von unten anbringen.
Mit dem Kabel verbunden, hat mich bisher wohl noch kein anderes Pedal so überrascht. Das liegt zum einen daran, dass man bei anderen Pedalen das Sound-Ergebnis vorher meist schon einschätzen kann und zum anderen daran, dass die Spieltechnik bei diesem Pedal etwas ungewohnt ist. Diese muss nämlich etwas an das Pedal angepasst werden. Wenn man, in guter, alter Steve Ray Vaughan- Manier ein rotziges Blues-Lick mit vielen Deadnotes und Bendings spielt, wird man in dem GM-800 keinen Freund finden. Man muss sich schon etwas Mühe geben und sauber spielen. Das heißt, dass das Abdämpfen der Saiten nichts bringt, wenn dadurch Obertöne entstehen, da diese ebenfalls Synth-Sounds erzeugen. Bendings sind auch nur in dafür vorgesehenen Presets möglich, weil sie sonst mit (bisweilen ungewollt) lustigen Halbtonsprüngen quittiert werden. Jede Saitenberührung kann einen zusätzlichen Sound erzeugen. Wenn man sich nach wenigen Minuten damit arrangiert hat, beginnt aber der faszinierende Teil. Bereits beim Durchschalten durch die Presets war jeder neue Sound überraschend und ein besserer Ideengeber als jeder Baumarktmitarbeiter. So erzeugt das Pedal beispielsweise synthetische Flächen, die wirklich groß klingen. In Gedanken unterlegt man automatisch den eigenen virtuellen Lieblingsfilm mit ein paar geschmackvollen Akkorden und hat damit bereits einen wunderbaren Soundtrack. Andere Sounds fügen dem Synths sogar ein Schlagzeug hinzu, das in der Geschwindigkeit getappt werden kann. Bei jedem Anschlag der tiefen E- oder A-Saite wird das Schlagzeug neu getriggert und man spielt sich virtuell ins Berghain. Wirklich klasse! Jedes neue Preset macht neugierig und fast süchtig.
Der Preset-Sound kann in vier Parts, also einzelne Sounds, übereinandergelegt werden. Als Grundklang stehen 1200 Presets zur Verfügung. Jeder Sound kann in seinem Ton angepasst, mit einem der zahlreichen Effekte belegt, individuell gestimmt und nochmals im Pan und EQ eingestellt werden. über die Control-Funktion können dann noch zwei Effekte plus Delay und Reverb hinzugefügt werden. Am Ende der Effektkette wird die Möglichkeit eines Master-Kompressors und Equalizers geboten. Das eröffnet wirklich viele Möglichkeiten der Klangformung. Die Grund-Sounds sind in Kategorie Ordnern sortiert, so dass die Suche beim Programmieren etwas leichter fällt. Das GM-800 ist sicher kein Pedal, das man auf der Bühne mal schnell anpasst. Hier muss man sich mit dem Sounddesign vorher bereits befassen und die Presets anpassen.
Der Gitarrensynthesizer im Detail: Effekte, MIDI und Expression-Pedal-Anschluss
Als Effekte können natürlich die üblichen Verdächtigen wie Chorus, Flanger, Phaser, Delay, Reverb und so weiter gewählt werden. Besonders interessant sind aber Synth-typische Manipulationen, die klanglich dem Boss Slicer entsprechen. Sie zerhacken den Sound in rhythmische Parts. Für Gitarristen ungewohnt ist die Option eines monophonen oder polyphonen Sounds sowie Portamento. Aber sie heben die Sounds erst recht in Synths-Sphären.
Das Tracking ist wirklich gut und die Sounds hängen perfekt am Saitenanschlag. Derart sphärische Sounds konnte ich vorher mit keiner noch so ausgefuchsten Effektkombination erzeugen. Und der eine oder andere Sound zaubert ein breites Grinsen auf das Gesicht.
Möchte man seinen eigenen Sound kreieren, wird es leider etwas komplexer, aber es lohnt sich, denn der Sound unterteilt sich in vier Parts. Es können also vier Sounds übereinander gestackt werden. Es ist sogar möglich, unterschiedliche Saiten mit unterschiedlichen Sounds zu belegen. Ein Synths auf den tiefen Saiten und ein Klavier oder Cello auf den höheren? Na klar, das ist möglich. zusätzlich kann noch ein Rhythmus getriggert werden. Die Programmierung kann direkt auf dem Pedal erfolgen, was etwas kryptisch ist oder man schließt das Pedal an den PC an. Das entsprechende Programm macht das Ganze etwas übersichtlicher. Per PC oder USB-Stick lassen sich auch Presets übertragen, die aus der Roland Cloud runtergeladen oder mit anderen Nutzern ausgetauscht wurden.
Über den MIDI-Ausgang können auch andere Geräte gesteuert und synchronisiert werden. Hierdurch können Programm-Change-Messages gesendet werden. Dementsprechend könnte ein Bandmitglied sämtliche Sounds pro Song wechseln.
Den Anschluss eines Expression-Pedals würde ich sehr empfehlen. Die zwei Control-Taster haben zwar Zusatzfunktionen, aber ein wichtiges Feature möchte ich immer parat haben: die Lautstärkekontrolle! Denn das Volume-Poti an der Gitarre ist ja in diesem Fall wirkungslos, beziehungsweise regelt lediglich das möglicherweise parallel gespielte Gitarrensignal. Am Pickup-Kästchen ist kein Volume-Regler vorhanden und trotzdem möchte man diese Funktion manchmal schnell nutzen können. Einige Presets haben nämlich unterschiedliche Lautstärken oder wenn man beispielsweise zwischen zwei Songs die Gitarre stummschalten möchte, ist dies sonst nicht möglich. Und jede Vibration an der Gitarre oder ein Berühren der Saiten könnte einen neuen Sound triggern. Also besser zwischendurch runterregeln. Ach – und die Lautstärke der einzelnen Saiten lässt sich übrigens ebenfalls im Pedal anpassen.
Zusätzlich ist das Expression-Pedal für das Cutoff des Sounds sehr spannend. Nutzer eines Synthesizers werden wissen, wie wichtig das Bedienen des Cutoff-Reglers während des Spielens ist.
Die Sounds selbst sind wirklich bombastisch. Für Nutzer eines Synthesizers vielleicht nichts Neues, aber ein Gitarrist hat bestimmt noch nie so geklungen. Ob 80er-Jahre-Klang mit richtig kitschigem Sound oder den besagten Flächen, der Boss GM-800 Gitarrensynthesizer macht Spaß und neue Songs fließen nur so aus den Lautsprechern. Eine Sitar, eine Harfe, ein Klavier oder richtig dreckige Synth-Bässe? Alles steckt in dem Boss GM-800, das man mit ein bisschen Geduld und Liebe mit seinen eigenen Sounds füttern kann.
Hm. Wenn ich es richtig verstehe, muss das Gitarrensignal separat geführt werten und es gibt auch keinen Ausgang des reinen Gitarrensedal am Gerät. Das ist eine herbe Einschränkung gegenüber älteren Systemen und bedeutet, dass man zwei Kabel an seiner Gitarre hängen hat, was alles andere als praktisch ist. Der GK-Pickup selbst biete null Kontrollelement, auch das ein Rückschritt gegenüber alten Systemen. Die Sounds klingen gut und voller als bei alten GR-Systeme, aber es scheint nixht wirklich eine tiefe Editierung vorgesehen zu sein.
Für mich wirkt das wie der Versuch, schnell noch die Roland-Soundbibliothek in eine ziemlich beliebig aussehende Kiste zu packen und mit einem Spar-GK ein paar Gitarristen zu verkaufen. Kommt irgendwie ziemlich lieblos daher. Eine neuzeitliche Version des alten VG-Flaggschiffs fände ich viel spannender.
Für mich eine Enttäuschung, weil wieder ein spezieller Pickup nötig ist. Da ging das SY300 schon einen besseren Weg. Ich persönlich hätte am liebsten eine wirklich zuverlässige polyphone Gitarre zu Midi Umsetzung. Dann könnte man beliebige Synthesizer dran hängen. Technisch sollte das doch so langsam möglich sein.
@LostSongs Das Problem mit SY 300/200/1 ist ja, das bei ihnen das Signal durch Pitchshifting, Verzerrung und andere Maßnahmen erzeugt wird und dann durch Filter und Hüllkurve geht. Das heut man m.E. deutlich und ich habe deshalb den SY-1 auch schnell wieder verkauft, weil alles dieses typische Pitchshifter-Klingeln hat. Ähnlich wie die ganzen Shimmer-Delays, die das Ohr ermüden und einem irgendwann aus dem selbigen herausquellen. Es fällt auch auf, dass die Reviews dieser Geräte zwar allesamt die Polyphonie ohne Hex-PU loben, aber die wenigsten wirklich den Klang selbst.
Das Plugin Guitar Midi 2 von Jam Origin erzeugt tatsächlich ziemlich vernünftig polyphone Midi-Daten aus dem normalen Gitarrensignal. Ich weiß auch nicht, warum es das noch nicht so in Hardware gibt, das wäre wirklich etwas Neues.