Harmonisieren von Scalen und mehr
Willkommen zurück zum Finale des AMAZONA.de-Fünfteilers „Fretboard Harmony for Bass Guitar“. Wer es von Anfang bis hierher geschafft hat, verfügt bereits über ein ausgeprägtes Repertoire an Akkorden, Arpeggien und Skalen sowie ein solides theoretisches Basiswissen – Glückwunsch dazu! Diesmal steigen wir in fortgeschrittene theoretische Konzepte ein, die den praktischen Umgang mit den erlernten Shapes schulen sollen. Hier gibt es noch mal die geballte Ladung an Theorie und Wissen, wobei die erläuterten Konzepte nur angerissen und in aller Kürze erklärt werden. Mit dem erworbenen Wissen sollte es aber ohne Weiteres möglich sein, sich selbstständig mit vertiefender Lektüre zu beschäftigen bzw. mit den besprochenen Möglichkeiten zu experimentieren.
18: Harmonizing Scales
Butter bei die Fische! Jetzt gibt’s noch mal Theorie statt Shapes, den Anfang macht das Harmonisieren von Skalen, ein Konzept, auf dem die folgenden Lektionen aufbauen werden und Licht ins harmonische Dunkel gebracht wird. Man nehme eine einfache A Dur-Tonleiter und packe ihre acht Töne innerhalb einer Oktave auf die E-Saite in unserem Griffbrettdiagramm. Nun schichten wir auf jeden Skalenton im Terzabstand den nächsten Ton innerhalb der major scale. Anschließend wiederholen wir den Vorgang mit einer weiteren Terzschicht und erhalten somit auf jedem Skalenton einen triad bzw. seventh chord.
Würden wir eine weitere Schichtung vornehmen, hätten wir auf jedem Ton einen Vierklang aufgebaut. Diesen Vorgang nennt man Harmonisieren. Analysiert man jeden der entstandenen Akkorde, werden wir auf altbekannte triads und seventh chords stoßen, bei denen es sich um die Tonleiter-eigenen Akkorde handelt.
19: Diatonic Function
Bei den entsprechenden Akkorden auf jeder Stufe der Tonleiter wird jedem Drei- oder Vierklang eine spezifische harmonische Funktion zugewiesen. Die einzelnen Stufen werden dazu mit römischen Zahlen benannt, wobei große Ziffern für Dur und kleine für Moll stehen.
I = Major Seventh Chord = Tonic
ii = Minor Seventh Chord = Subdominant Parallel
iii = Minor Seventh Chord = Dominant Parallel
IV = Major Seventh Chord = Subdominant
V = Dominant Seventh Chord = Dominant
vi = Minor Seventh Chord = Tonic Parallel
vii = Halfdiminished Chord = Incomplete Dominant Seventh
Um die Funktionen verstehen zu können, muss man wissen, dass unsere westliche Musik nach dem Prinzip von Spannungsaufbau und Auflösung funktioniert. Das bedeutet, dass wir von einem tonalen Zentrum ausgehen und uns von diesem wegbewegen, ganz reduziert betrachtet geschieht dies meist über die Subdominante. Mit einem weiteren Akkordwechsel, der zur Dominanten bzw. fünften Stufe erfolgt, steigt die Spannung noch weiter, da major third und minor seventh gemeinsam ein Tritonus-Intervall bilden. Die major third des Dominantakkords liegt immer einen Halbton unter dem Grundton und drängt daher nach Auflösung zur tonic, während die kleine Septime eine ähnliche Funktion erfüllt, da sie zur großen Terz der Tonika hinzieht. Die beschriebene Bewegung von der Tonika weg über Subdominante zu Dominante baut also Spannung auf, die durch Rückkehr zur Tonika wieder aufgelöst wird. Man nennt diese Akkordfolge (I – V – IV – I) klassische Kadenz. Vereinfacht formuliert beruht auf ihrem Prinzip Musik; aber um ständige Wiederholungen dieser Hauptfunktionen bzw. tragenden Akkorde zu vermieden, tauscht man die Hauptfunktionen durch die Nebenfunktionen auch Parallelen genannt der obigen Tabelle entsprechend aus. Zudem sind unzählige andere Akkordbewegungen und Substitutionen möglich, dennoch ist das Grundgerüst der Hauptfunktionen I, IV und V im überwiegenden Teil der populären Musik schnell zu erkennen. Harmonisiert man die Moll-Tonleiter, entstehen folgende Akkorde und Funktionen.
i = Minor Seventh Chord
ii = Halfdimished Chord
III = Major Seventh Chord
iv = Minor Seventh Chord
v = Minor Seventh Chord
VI = Major Seventh Chord
VII = Major Seventh Chord
Die Hauptfunktionen sind hier Moll-Akkorde, sodass der Dominanten bzw. 5. Stufe durch den fehlenden dominant chord eigentlich nicht als solche funktionieren kann. Dennoch gelten im Grunde die gleichen Akkordfunktionen, auch wenn die Wirkung unterschiedlich ausfällt.
20: Key Centers
Mit dem Wissen aus der vorangegangenen Lektion ist es möglich, anhand harmonisierter Tonleitern das tonale Zentrum bzw. die Tonika eines Songs oder einer gegeben Akkordfolge zu analysieren. Dabei empfiehlt es sich für jeden Akkordtyp, mögliche Stufen verschiedener Tonarten aufzulisten und durch Übereinstimmung zu einer Lösung zu kommen. Wichtige Indikatoren sind die halbverminderten Akkorde, für die es nur zwei Möglichkeiten gibt bzw. der Dominantseptakkord, der sich überwiegend auf der 5. Stufe befindet. Über die Intervallabstände zwischen den Stufen ist es damit ein leichtes Unterfangen, die tonic zu ermitteln. Im Umkehrschluss hilft die Stufentheorie beim Songwriting, etwa wenn man aus dem Gefühl heraus einige passende Akkorde gefunden hat, aber die Abfolge noch nicht richtig schlüssig klingt oder etwas Abwechslung benötigt.
21: Relative Keys
Konstruiert man nach den Intervallformeln die Tonleitern für C major und A minor, stellt man fest, dass sie exakt die gleichen Töne enthalten und sich lediglich durch ihre Anordnung bzw. festgelegte Tonika unterscheiden.
C major = C – D – E ^ F – G – A – B ^ C
A minor = A – B ^ C – D – E ^ F – G – A
Beide Skalen haben ein enges Verwandtschaftsverhältnis, das für jede einzelne Tonart existiert. Es ist überaus wichtig zu wissen, dass man zu jeder Dur-Tonleiter eine parallele Moll-Tonart ermitteln kann, indem man vom der tonic ausgehend drei Halbtonschritte bzw. eine kleine Terz nach unten rechnet (C – B – Bb/A# – A).
22: Modal Interchange
Neben den relative keys gibt es auch sogenannte parallel keys, d. h. um die gleiche Tonika wird eine Dur- und Moll-Tonleiter aufbaut. Am Beispiel C ergeben sich folgende Töne.
C major = Cmaj7 – Dm7 – Em7 ^ Fmaj7 – G7 – Amaj7 – Bo7 ^ Cmaj7
C minor = Cm7 – Do7^Ebmaj7 – Fm7 – Gm7^Abmaj7 – Bbmaj7 – Cm7
Konstruiert man beispielsweise eine Akkordfolge auf Grundlage der Stufenakkorde der C-Dur-Tonleiter, lassen sich reizvolle klangliche Alternativen schaffen, indem man einzelne Stufen durch die des parallel keys (nicht zu verwechseln mit der parallelen Moll-Tonleiter) auszutauschen, etwa den Fmaj7 Akkord der vierten Stufe durch Fm7 ersetzen.
23: Modes
Nimmt man eine C major scale, aber legt den zweiten Skalenton als Tonika zugrunde, so ändert sich die Intervallformel der Tonleiter. Es entsteht der erste mode der C-Dur-Tonleiter, den man den dorischen Modus nennt, bei dem die Halbtonschritte zwischen 2/3. und 6/7. Stufe steht.
C major = C – D – E ^ F – G – A – B ^ C
C dorian = D – E ^ F – G – A – B ^ C – D
Anhand dieser Vorgehensweise lassen sich sieben verschiedene Modes ermitteln, die aufgrund ihrer historischen Vergangenheit auch Kirchentonarten genannt werden. Erst späterhin hat man die Modi, die allesamt spezifische Klangeigenschaften besitzen, auf die uns vertraute Dur-Moll-Tonalität reduziert. Daher finden wir Dur in Form des ionian mode und Moll als aeolian mode in den Kirchentonarten wieder, sodass uns bereits zwei Modi vertraut sind. Auf jeder Stufe der Dur-Tonleiter baut demnach nicht nur ein Akkord, sondern auch eine eigene Skala auf. Gerade im Jazz oder um gezielt spezielle Stimmungen zu erzeugen, greift man immer noch gerne auf diese alternativen Klangfarben zurück. Hier die komplette Übersicht der Kirchentonarten am Beispiel C.
C ionian = C – D – E ^ F – G – A – B ^ C
D dorian = D – E ^ F – G – A – B ^ C – D
E phrygian = E ^ F – G – A – B ^ C – D – E
F lydian = F – G – A – B ^ C – D – E ^ F
G mixolydian = G – A – B ^ C – D – E ^ F – G
A aeolian = A – B ^ C – D – E ^ F – G – A
B locrian = B ^ C – D – E ^ F – G – A – B
Gerade die Modi werden in der Literatur häufig unnötig kompliziert beschrieben, denn es ist eigentlich nicht notwendig, die Position der Halbtonschritte oder Intervallformel für jede der neuen Skalen zu kennen. Es reichen einfache Modifikationen der Dur- und Moll-Tonleiter, um die entsprechenden Modi zu kreieren, die sich anhand dieser Faustregeln wesentlich einfacher merken lassen:
Dorian = Minor Scale with Major Sixth (b6 –> 6)
Phrygian = Minor Scale with Minor Second (2 –> b2)
Lydian = Major Scale with Augmented Fourth (4 –> #4)
Mixolydian = Major Scale with Minor Seventh (maj7 –> 7)
Locrian = Minor Scale with Minor Second and diminished Fifth (2 –> b2 & 5 –> b5)
Mit Ausnahme des lokrischen Modus, der ohnehin äußerst selten gebraucht wird, reicht es also aus, ein einziges Intervall um einen Halbton zu erhöhen oder erniedrigen, um aus den altbekannten major und minor scales Kirchentonarten entstehen zu lassen.
24: Modal Shapes
Die Shapes der Kirchentonarten sind identisch mit denen der Dur- und Moll-Tonleiter, es reicht also aus, lediglich die Position der Grundtöne zu versetzen und analog dazu die Veränderung der Intervalle innerhalb des shapes nachzuvollziehen. Dennoch habe ich hier sieben neue Griffbilder aufgezeichnet, sogenannte three-note-per-string-pattern, die je drei Töne der Leiter auf eine Saite verteilen und eine interessante Variante der altbekannten Muster darstellen.
25: The Harmonic Toolbox
Abschließend möchte ich die drei wichtigsten Übersichten à 30 Griffbilder Revue passieren lassen, da ich sie für das große Einmaleins der praktisch umgesetzten Harmonielehre halte. Ich betrachte sie als eine Art Werkzeugkasten, den man stets pflegen und „bei sich“ haben sollte, denn mit diesen 90 shapes kann ich euch ruhigen Gewissens bestens gewappnet in die große, weite Welt entlassen.
Kompliment für diese umfängliche Zusammenstellung. Aber, bei allem Respekt vor deinem Hintergrund, ich finde die englischen Bezeichnungen in dem Kontext doch sehr gewollt. Meine Mitspieler sagen einfach nicht: probier doch mal den „incomplete dominant seventh“. Sie sagen auch lydisch und nicht lydian.