Gibson Les Paul - eine bewegte Geschichte über Genie und Wahnsinn!
Die Geschichte der Gibson Les Paul ist eine Geschichte über Gegensätze und schicksalhafte Fügungen. Koryphäen und Pioniere ihres Gebietes sind oft Menschen, die mehrere wichtige, auf den ersten Blick gegensätzliche Eigenschaften in sich vereinen. In der Musikgeschichte waren Personen, die neben ihrer künstlerischen Ader ein ausgesprochen gutes Gespür für Technik hatten, oft von Bedeutung – siehe Moog. Doch wer sich ein Imperium aufbauen will, muss wissen, wie das Business funktioniert. Musiker schreiben Songs, Techniker bauen Instrumente, Geschäftsmänner ziehen Labels auf. Vereint jemand jedoch alle drei Aspekte bei sich, sind die Möglichkeiten grenzenlos.
Lester William Polsfuss war Musiker – in erster Linie. Die Sorte Mensch, die die Liebe ihres Lebens bereits im Kindesalter entdeckte. Denn Les war acht, als er die Mundharmonika in die Hand nahm. Fünf Jahre später und trat er bereits mit ein paar Country-Covern auf Festen auf. Vier Jahre später, mit siebzehn, hatte er dann bei den lokalen Radiosendern unter dem Pseudonym Rhubarb Red seine ersten Auftritte. Vielleicht war Les schon damals Perfektionist. Vielleicht legte sich der Grundstein für die Art, mit der er hinterfragte, wie und was Gitarren zu sein hatten, in jener Zeit, als er Georgia White durch die Staaten begleitete. Fakt ist, er war nicht mal neunzehn Jahre alt, als sich sein Pioniergeist das erste Mal zu Wort meldete. Gitarren ohne F-Löcher, ganz recht, ließ er die Larson Brothers wissen.
Er gab ihnen den Bau einer Gitarre ohne Schallloch in Auftrag, mit dem Hintergedanken, dass der Korpus still zu halten hatte – ein späterer Grundgedanke hinter der Gibson Les Paul. Keine Vibration. Keine Anfälligkeit für Rückkopplung. Das Instrument hatte gefälligst das zu übertragen, was sich auf dem Griffbrett abspielte, was das Handwerk des Musikers hergab – ohne dass der Gesang des Holzes es verfremdete. Zu der Zeit baute er auch seine ersten Tonabnehmer – Les war gerade mal zwanzig Jahre alt.
Gibson Les Paul und Lester William Polsfuss – zwei amerikanische Geschichten
Zu diesem Zeitpunkt hatte Gibson gerade die erste Krise in der Unternehmensgeschichte erfolg- aber entbehrungsreich gemeistert: Mandolinen und Banjos, die in den 20ern zu den populärsten Saiten-Instrumenten gehörten, büßten immer mehr an Beliebtheit ein. Die Gibson Les Paul lag noch in weiter Ferne. Die Firma brauchte ein neues Flaggschiff und musste die Zeichen der Zeit neu deuten. Man verstand: Jazz war im Kommen. Und baute so etwas wie den Archetypen der bluesigen, halbakustischen Gitarre: die ES-150, die kurze Zeit später inklusive Verstärker für 150 Dollar in den Läden stand. Es würde noch weitere eineinhalb Jahrzehnte dauern, ehe Les und Gibson ihre wegweisende Zusammenarbeit beginnen würden. In dieser Zeit erfanden Gibson den Cutaway – die Super 400 Premier und die L-5 Premier waren die ersten Gitarren in Massenproduktion, die mit diesem einfachen Prinzip ausgestattet waren – eins, das sich unmittelbar als neuer Industriestandard etablierte. Davor hatten sie mit der SJ-200 die absolute Referenz in Sachen Western-Gitarre hergestellt und Mitarbeiter entlassen, neue eingestellt, Konzepte über Bord geworfen und während der Kriegszeit Erfindungsreichtum bewiesen (die legendäre Southern Jumbo entstand in dieser Zeit).
Es waren also die schwierigen 40er Jahre. Während Gibson um ihren amerikanischen Traum kämpfte und sich Schreckliches in der Welt da draußen abspielte, traf Les in Kalifornien auf einen Kerl namens Bing Crosby. Eine Freundschaft entstand. Crosby hatte eine fantastische Stimme, weich, subtil, belegt mit einem leichten Bariton. Die Männer arbeiteten zusammen und brachten einen Klassiker der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte zustande – „It’s been a long, long time“, auf der sich Les mit seiner Gitarren-Kreation das erste Mal in das Bewusstsein der amerikanischen Öffentlichkeit drängte. Ein Lied über Rückkehrer, über kriegsmüde Männer, die auf erlösende Kraft der Liebe hofften.
Gibson Les Paul und Lester William Polsfuss – die Sache mit Mary Ford
Les fand seine eigene Erlösung bei Mary Ford, mit der er Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre auf unzähligen Stücken zusammenarbeitete. Zusammen schrieben sie ein Stück weit Musikgeschichte, als sie mit „How High The Moon Lies“ den ersten Song rausbrauchten, der mit Mehrspuraufnahmen beim Gesang arbeitete. Denn Les hatte in den Jahren zuvor Bekanntschaft mit Overdubbing gemacht (sein Charterfolg „Lover“ war einer der ersten Songs, der mit mehreren Spuren gearbeitet hatte), hatte mit zwei Tonbandmaschinen parallel gearbeitet und brachte diese mit Mary mit auf Tour. Bevor er also dafür sorgte, dass eine der ersten Solidbody-Gitarre in Massenproduktion seinen Namen trug, bewies er in der 40ern bereits den Pioniergeist und arbeitete mit Abstand am erfolgreichsten mit den Möglichkeiten, die einem das Overdubbing gab. Les und Mary wurden von der Öffentlichkeit gefeiert und waren noch vor Johnny und June Carter Cash das Sinnbild der amerikanischen Sweethearts, die sich zusammen auf den Bühnen Amerikas in die Herzen des Landes spielte.
Die Jahre zogen ins Land. Das Leben nahm einen tragischen Verlauf, Marys und Les‘ Ehe sollte nicht für immer halten – während Les mehr und mehr seiner Tüftelei verfiel, entfremdeten sich die beiden voneinander. Mary begann immer mehr zu trinken, Les begann immer mehr zu schrauben.
Er hörte nicht auf zu basteln, probierte verschiedene Hals- und Korpusvariationen aus und näherte sich allmählich seiner grundlegenden Idee vom schweren, massiven Korpus. Die Gitarre war und blieb ein Klangkörper, von dem Les jedoch wollte, dass er auf eine berechenbare Weise auf die Schwingungen der Saiten reagierte. Stichwort: verbessertes Sustain – und das ohne verstärkte Anfälligkeit für Rückkopplung. Der Korpus musste also mit einem Schwerkörper ausgestattet werden – die Grundidee der Gibson Les Paul war geboren. Dafür probierte sich an verschiedenen Hölzern und blieb beim Kiefernholz hängen, das er in seinen treffend bezeichneten Prototypen „The Log“ einbaute. Er schraubte den Hals einer L-5 darauf sowie einen Bigsby-Pickup, brachte das massive Stück auf Vordermann, packte es in eine Kiste und begab sich nach Chicago.
Die Zeichen der Zeit und wie man sie (nicht) liest …
Niemand Geringeres als Maurice Berlin, der Chef von Gibson, sollte dort von Lesters Vision überzeugt werden. Verlief das glimpflich? Keinesfalls. Gibson hatte sich bis dato nämlich nicht an ausschließlich elektrische Gitarren herangewagt. Mag sein – Lester hatte mit seiner Holzkonstruktion die Rückkopplung besiegt, aber für Maurice Berlin war das Ding ein etwas zu klobig geratener Besenstiel. Frohen Mutes war Lester aufgebrochen und musste nun einsehen, dass seine Idee nicht den erhofften Effekt haben würde. Dass der Fehler nicht bei ihm lag, konnte er zunächst nicht wissen. Ein paar hundert Kilometer entfernt musste nämlich erst ein Kerl namens Leo Fender die Gitarrenwelt mit seinen Ideen revolutionieren, ehe Maurice Berlin einsah, dass Lester die Zeichen der Zukunft besser erkannt hatte als er.
Wir schreiben das Jahr 1950 – und dieser ehemalige Radiotechniker Leo haut die „Esquire“ Gitarre raus. War die Esquire ein technologisches Wunder? Ein Zeugnis filigraner Bastelei und langjähriger Überlegungen? Nicht ganz. Die Esquire war ein plumpes Ungetüm, das fast schon unverschämt nahe an Bigsbys Travis Gitarre angelehnt war. Die geniale Idee dahinter? Die erste echte E-Gitarre für die Massenproduktion hatte das Licht der Welt erblickt. Maurice Berlin schlug die Hände über dem Kopf zusammen – Leo Fenders Esquire wurde zum absoluten Top-Seller und dem Geschäftsmann blieb nichts anderes übrig, als schleunigst zu reagieren. Voll elektrische Solidbody-Gitarren waren das Thema der Stunde!
Moment – ist nicht vor ein paar Wochen dieser Kerl namens Lester da gewesen? Ted McCarty, der Gitarren-Designer von Gibson, ließ den jungen Lester aufsuchen, der gerade mit Bing Crosby einen echten Höhenflug erlebte. Sie wollten ihn nicht als Tüftler und Techniker – von denen hatte McCarty genug. Ihm und Berlin schwebte nichts Geringeres als eine Art Endorsement vor, die Idee, den Namen einer Gitarre mit dem eines landesweit erfolgreichen Musikers zu verknüpfen. Und 1952, ein Jahr nachdem Leo mit seiner Esquire für eine Revolution gesorgt hatte, brachten Gibson die erste Signature-Gitarre der Welt raus: Die Gibson Les Paul, die damals auch Goldtop genannt wurde. Die Ironie der Geschichte ist also, dass Leo Fender maßgeblich für die Entstehung der Les Paul mitverantwortlich war.
Zwischen Gibson und Lester William Polsfuss entwickelte sich nun eine komplizierte, wenn auch ertragreiche Beziehung. Denn auch wenn die Goldtop sich gut verkaufte – Lester hatte bestimmte Vorstellungen, die sich nicht unbedingt mit denen von Gibson deckten. Sein Wort war Gesetz, hatte er Wünsche, wies McCarty sein Team an, diesen nachzukommen. Trotzdem schien es nie wirklich gut genug und Lester legte selbst unzählige Male Hand an bei seinen Custom-Gitarren. Er entfernte die traditionell bei Gibson genutzten P-90 Tonabnehmer und hörte nicht auf zu bohren, bis der Korpus flach genug war. Dafür nahm er seine Customs mit auf Tour und zeigte sie der Welt. Während all dem wuchs der Mythos von Gibson, u. a. durch die P.A.F. Humbucker und der Akquisition von Epiphone. Man sah nach vorne – und während die Les Paul heutzutage ein Kultmodell darstellt, drohte sie Ende der 50er in Vergessenheit zu geraten – die Ära der Gibson SG hatte begonnen.
100.000 Gitarren pro Jahr brachten Gibson Mitte der 60er in die Läden. Das Schicksal verzieh es Berlin und McCarty, Lesters Instinkt nicht sofort gefolgt zu sein und ließ Gibson mit Fender gleichauf ziehen. Die Verkaufszahlen stiegen stetig, doch die Les Paul mit ihrem Cutaway verschwand für ein paar Jahre aus den Schaufenstern. Der Grund hierfür ist vielschichtig, aber Gibson konnten sich nicht lange verweigern – spätestens als Jimmy Page mit einer Les Paul die Bühne betrat, war es Zeit, das alte Modell wieder in die Familie aufzunehmen. Es war 1968 – und die Paula fand ihren artgerechten Platz wieder im Katalog von Gibson, direkt neben der SG. Zwanzig Jahre später wurde Lester endlich in die Rock ’n‘ Roll Hall of Fame aufgenommen – doch da war sein Erbe schon allgegenwärtig in der Rockmusik.