Effektpedale demystifiziert: Eine Anleitung für Gitarristen
Inhaltsverzeichnis
- Effektpedale verstehen und beherrschen: Ein praktischer Leitfaden
- Factory-Presets als Ausgangspunkt fürs Üben
- Verlauf der Lernkurve bei Effektgeräten
- Wie man sich in ein Effektpedal einarbeitet
- Limitierung beim Erlernen eines Effektpedals
- Effektpedale 101 – eine (Online-) Einführung in die Welt der Klangeffekte
- Experimente, um die Kreativität zu fördern
Dass es die sogenannte Lernkurve beim Erlernen eines Instruments gibt, wird wahrscheinlich jedem Musiker irgendwann mal klar, aber dass auch Effektgeräte als Instrumente betrachtet werden sollten, weiß nicht jedermann. Über die Lernkurve und die in meinen Augen damit untrennbar verbundene Motivation zum Üben und Erlernen hinsichtlich des Gitarrespielens gibt es zahlreiche Meinungen und Publikationen. Aber auch im Hinblick auf Effektpedale kann man dieses Phänomen beobachten. Das galt selbst für die einfachen analogen Geräte aus der Anfangszeit der Effektpedale, bekommt bei den High-Tech-Geräten, die uns Gitarristen heute das Leben versüßen sollen, aber noch mal eine ganz andere Bedeutung. Jedes neue Effektgerät muss, genau wie ein Instrument, erlernt werden. Und dieses Erlernen eines Effektpedals geht mit der Motivation einher, sich in das Gerät einzuarbeiten, was im Grunde als üben bezeichnet werden kann.
Effektpedale verstehen und beherrschen: Ein praktischer Leitfaden
Wir alle kennen doch folgende Situation: Man ist auf der Suche nach einem ganz bestimmten Sound, den man aber bislang mit den bereits vorhandenen Effektpedalen einfach nicht hinbekommt. Plötzlich wird dann ein neues Pedal angekündigt, das genau diesen Sound verspricht. Meist sind die ersten Videos der Hersteller oft vielversprechend. In bunten Bildern wird dann spielerisch dargestellt, welche abgefahrenen Granular-Loops das Gerät erzeugen kann und es sind meist sehr schöne und sphärische Klänge zu hören. Sofort erwächst in der eigenen Vorstellung die Fantasie, was man mit dem Pedal alles machen und wie sehr es die eigene Musik verbessern könnte. Dementsprechend reiht sich alsbald ein neues Pedal auf dem Pedalboard ein. Automatisch generiert das gute Stück allerdings selten den Sound, nach dem wir gesucht haben und gerade komplexe Pedale haben mittlerweile derart viele Funktionen, dass die Einarbeitung in das Gerät Zeit erfordert. Im Idealfall hat man sich schon vor Ankunft des neuen Pedals gut auf das Gerät vorbereitet und einige YouTube Demos angeschaut und nach dem Anschalten kann man mit Hilfe der Factory-Presets auch in der Regel sofort zumindest einige der in den Demos angepriesenen Klänge erzeugen.
Factory-Presets als Ausgangspunkt fürs Üben
Oft ist es so, dass die Factory-Presets, die man aus den Demo-.Videos kennt, auch mit dem eigenen Equipment schon ganz gut klingen. Dazu braucht es dann nicht unbedingt die 56er Les Paul aus dem Herstellervideo. Aber trotzdem sind die Sounds der Presets natürlich alles andere als einzigartig und wenn man bei diesen vorab eingespeicherten Presets bleibt, wird man klanglich vermutlich immer wie eine Kopie von XY klingen. Sicher, es spricht nichts dagegen, bestimmte Sounds, die man gerne mag, zu kopieren und ich bin der Meinung, dass Factory-Presets per se keine schlechte Sache sind. Sie dienen der ersten Orientierung und zur Demonstration dessen, was das Gerät unter anderem zu leisten in der Lage ist. Ich schreibe bewusst „unter anderem“, denn jedes Gerät kann so viel mehr, als die Factory-Presets wiederzugeben. Sie können sicher als Ausgangspunkt für die eigenen Soundkreationen genutzt werden. Ein Ausgangspunkt, von dem aus eine tolle Reise beginnen kann, wenn man sich darauf einlässt und bereit ist, sich auch mal anzustrengen. Der Begriff Lernkurve macht ja schon deutlich, dass es sich beim Erlernen eines neuen Instruments, zu denen Effektgeräte in meinen Augen definitiv gehören, um keinen gradlinigen Weg handelt. Es gibt Höhen und Tiefen, manchmal muss man Hürden überwinden und um die Ecke denken. Man muss sich die Zeit nehmen, ein Effektpedal kennenzulernen und der eigenen Kreativität Zeit und Raum geben. Ich glaube, man kann das ganz gut mit dem Kochen vergleichen. Factory-Presets sind quasi die hochverarbeiteten Lebensmittel in Form von Fertiggerichten. Sie können durchaus lecker sein und wenn man einfach nur satt sein möchte, dann erfüllen sie ihren Zweck häufig auch ganz gut.
Dann kommen die verarbeiteten Lebensmittel. 3 bis 4 Zutaten wurden kombiniert und in der Regel haben wir als Konsumenten bei der Kombination eine gewisse Freiheit. So zum Beispiel, wenn wir ein hochverarbeitetes Lebensmittel wie eine Tiefkühlpizza mit Gemüse, Schinken, Kräutern und zusätzlichem Käse aufpeppen. Bei der Lernkurve an Pfanne und Töpfen beginnt der ambitionierte Hobbykoch dann irgendwann nach Rezepten zu kochen. Lässt er seiner Kreativität freien Lauf, wird er sich früher oder später auch nicht mehr an vorgegebene Rezepte halten, sondern die Zutaten so kombinieren, dass ein zuvor im Kopf entworfenes Gericht entsteht. Mit der Nutzung eines Effektgeräts verhält es sich meist ähnlich. Und auf jeder Stufe kann man durchaus stehenbleiben. Tut man das allerdings auf einem sehr frühen Niveau der Lernkurve, so landet man schnell wieder in den Online-Foren und sucht nach einem neuen Gerät, das vielleicht noch mehr verspricht. Die gepimpte Tiefkühlpizza bringt es irgendwie nicht mehr, aber einem fehlen auch die Ideen, was man stattdessen machen kann. Also muss was Neues her.
Verlauf der Lernkurve bei Effektgeräten
Um bei unserem Koch-Beispiel zu bleiben: Bei selbstgepimpten Fertiggerichten steigt die Lernkurve zunächst steil an. Wir kommen ziemlich schnell zu einem annehmbaren Ergebnis. Gleiches gilt für komplexe Effektpedale. Die Lernkurve steigt bei umfangreichen Effektgeräten dementsprechend erstmal rasch an, ohne dass man viel Motivation an den Tag legen musste. Dann jedoch erwacht in einigen Usern (ich hoffe, in möglichst vielen) der Wunsch, über die Sounds der Presets hinauszugehen. Aus dem Tal der Ernüchterung, dass die Factory-Presets nicht mehr reichen, um das klangliche Ideal zu erreichen, steigt die Lernkurve auch bei Effektgeräten parallel zur Motivation dann aber stetig weiter an. Oft steigt die Motivation, je mehr man sich mit dem Gerät, den besonderen Funktionen und vor allem den Hidden Features auseinandersetzt und sich in die Materie einarbeitet. Man merkt, dass es sich lohnt, die Zeit zu investieren, die Frustration auszuhalten, wenn etwas nicht gleich so funktioniert, wie gedacht und mutig auch mal neue Wege zu beschreiten. Wenn man nicht bereit ist, diesen Weg zu gehen, so führt die Ernüchterung über die anscheinend begrenzten Möglichkeiten schnell zu neuem G.A.S. Wenn dich der Umgang mit dem Gear Acquisition Syndrome in der AMAZONA.de Community interessiert, empfehle ich gerne, zunächst den Artikel von Sven und anschießend die Kommentare zu lesen.
Wie man sich in ein Effektpedal einarbeitet
Also wie kommt man von diesem ersten Ausnutzen der Presets am besten dazu, sich einen eigenen tollen Sound zu erarbeiten?
Das Lesen der Gebrauchsanweisung wäre eine Möglichkeit. Sicher, um die Funktionen zuordnen zu können und vielleicht auch, um ihre Wirkungsweise zu verstehen, kann das Lesen des Handbuchs sehr hilfreich sein. Wenn man nämlich nicht versteht, welcher Knopf welche Funktion hat, ist es mit der Motivation schnell vorbei und die Lernkurve fällt steil bergab. Aber jeder weiß, dass das Lesen einer Gebrauchsanweisung ungefähr so viel Spaß machen kann, wie das Studieren der Zutatenliste auf dem Pizzakarton. Bei einem komplexen Pedal bleibt von Informationen, die sich bisweilen über Dutzende von Seiten erstrecken, dann meist nur wenig hängen. Ganz abgesehen davon, dass sie kaum eine klangliche Vorstellung ermöglichen. Zuerst ist es daher in meinen Augen wichtig, neugierig zu sein und sich langsam aus dem sicheren Fahrwasser der Presets herauszuarbeiten. Man wählt dementsprechend zunächst ein Preset, das einem gut gefällt und verändert nach und nach einzelne Parameter. Dabei darf man gerne auch bis ins Extreme gehen. Bei jeder Veränderung hört man genau hin und merkt sich, welche Bewegung/Einstellung welche klangliche Veränderung bewirkt. An dieser Stelle empfehle ich dringend, von Zufallssettings oder Random-Generation, die einige Geräte ja mittlerweile auch bieten, abzusehen. Diese können zwar interessante neue Sounds erzeugen, aber man kann diese Veränderungen nicht logisch nachvollziehen und dementsprechend später auch nicht mehr reproduzieren. Wenn man sich bei der Nutzung von Effektgeräten nur auf den Zufall verlässt, ist die Lernkurve praktisch nicht mehr vorhanden. Die Veränderungen in kleinen Schritten selbst herbeizuführen und sie zu verstehen und nachvollziehen zu können, ist fundamental beim Erlernen eines Effektgeräts. Diese Praxis der kleinen Schritte bringt immer neue Erfolgserlebnisse, so dass die Lernkurve bei Effektgeräten und die Motivation, sie zu beherrschen, stetig weiter ansteigen. Es wäre ja langweilig, wenn man jedes neue Effektgerät als One-Trick-Pony für einen Sound einfach hinstellt und dann nur zwischen den Pedalen wechseln würde.
Wenn man eine bestimmte Soundidee hat und hierbei nicht weiterkommt, hilft es manchmal, im Internet nach der Lösung zu suchen. Mit den entsprechenden Suchbegriffen findet man fast immer ein Video, in dem die gesuchten Features gezielt erklärt werden. Falls nicht, würde ich immer die Gebrauchsanweisung als PDF runterladen und die entsprechenden Begriffe mit der Suchfunktion „Steuerung + F“ suchen. Das ist einfacher und geht sehr viel schneller als ein Blick in das Inhaltsverzeichnis und ein anschließendes Durchscrollen durch das oft dicke Manual.
Mit den neu gewonnenen Erkenntnissen sollte man dann erstmal ein bisschen rumspielen, sich damit vertraut machen und einen kleinen Part einüben. So prägt sich die Funktion besser ein und wird zu einem eingeübten Workflow. So arbeitet man sich Stück für Stück weiter voran.
Limitierung beim Erlernen eines Effektpedals
Das Gemeine bei sehr komplexen Pedalen ist jedoch, dass man sich gerade zu Beginn häufig selbst überfordert. Im Dschungel der Soundmöglichkeiten landet man dann oft wieder bei den bekannten und geliebten Pedalen und Settings und im schlimmsten Fall wird das neue Pedal nur ab und zu als klangliches Extra eingeschaltet. Also hilft es, sich zu Beginn etwas zu reduzieren und den neuen Granular-Looper oder das Multieffektpedal einzeln anzuschließen und sich erst mal nur hiermit zu befassen. Erst wenn man die Vorzüge und Besonderheiten beherrscht, kann man es wirklich sinnvoll in ein bestehendes Setup integrieren.
Man hat ja letztlich nur zwei Hände, um Einstellungen vorzunehmen und auch die akustische Wahrnehmung ist schnell überfordert, wenn man sich in ein neues Instrument (das Effektpedal) einarbeiten und gleichzeitig einen Song kreieren möchte. Dann ist die Frustration schon vorprogrammiert. Lernkurve, Motivation und Spaß gehen dann gemeinsam den Bach runter. Und möchte man es dann auch gleich in die MIDI-Programmwechsel der erstellten Presets integrieren, ist ohnehin alles verloren.
Wenn man sich Zeit gibt, bekommt man nach und nach ein Gefühl für das Klangspektrum, ein Richtig oder Falsch gibt es dabei nicht. Es geht um das Erforschen und den Spaß am Klangbasteln.
Bei Loopern finde ich es immer wichtig, nicht sofort den größten, technisch möglichen Speicher einzubauen und diesen mit sämtlichen erhältlichen Sounds zu befüllen. Die Flut an Möglichkeiten bremst den Workflow und das endlose Durchscrollen von Files klaut Zeit, die man für das Soundmangling, also das selbständige Bearbeiten der Klänge verwenden könnte. Und mal ehrlich, wie viele Sounds braucht man, um unterschiedliche Songs zu schreiben? Zwei, vielleicht drei wirklich gute. Wenn man diese klanglich bearbeitet, hat man bereits unzählige Möglichkeiten.
Bei Multi-Effekten sieht es ähnlich aus. Oft gibt es Presetpacks, die man kaufen kann. Diese werden natürlich auch mit oben bereits erwähnten Soundfiles und Videos beworben und hören sich wirklich gut an. Den schnellen Erfolg eines guten Sounds, den man sich so erkauft, hindert einen aber daran, eigene Möglichkeiten zu erforschen. Man schummelt und nimmt sich damit die Motivation, das Pedal selbst zu erforschen.
Effektpedale 101 – eine (Online-) Einführung in die Welt der Klangeffekte
Wenn man online aber in diesen Videos Sounds findet, die einem wirklich gefallen, kann man versuchen, diese nachzubilden. Falls man dabei absolut nicht ans Ziel kommt, erhält man auf dem Weg dahin vielleicht andere Settings, die einem gut gefallen. Und Tipps und Tricks, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen, bekommt man in Foren auch immer wieder. Wenn man dann einen guten Sound gefunden hat, gibt es kaum etwas Schöneres als das Wissen, diesen Sound selbst erzeugt zu haben. Als individueller Sound ist er schon ein wesentlicher Teil eines guten Songs und bringt definitiv Widererkennungswert mit. Wenn ich Musik von anderen Künstlern höre, ist es gerade der individuelle Sound, der den entscheidenden Unterschied ausmacht.
Da sind es hier mal die perkussiven und clicky Sounds eines Delays, dort die Kompression und leichte Verzerrung im Sound, ein schwebendes Ambient-Pad oder ein Lofi-Sound, der kaum Bässe hat. Alles, was spannend ist, versuche ich nachzubauen und mit meinem Gerät abzubilden. Es ist manchmal schon fast eine Sucht, einen guten Sound nachzubilden und zu schauen, was am Ende bei mir dabei rauskommt. Und da der Weg das Ziel ist, erlerne ich das Effektpedal auf diese Weise ganz von alleine und finde auf dem Weg manchmal zufällig Sounds, die mir noch besser gefallen.
Experimente, um die Kreativität zu fördern
Irgendwann gibt es aber immer den Punkt, an dem es anscheind nicht mehr vorangeht. Die Lernkurve beim Erlernen von Effektgeräten stagniert und die Motivation nimmt ab. Aus Gewohnheit bleibt man immer wieder bei den gleichen Sounds hängen. Dann hilft es nur, mal extremere Settings zu probieren. Als Musiker möchte man spielen und es muss nicht immer ein perfekter Song oder ein grandioser Sound herauskommen. Auf dem Weg zum Erfolg wird man unzählige schlechte Songs und Sound haben, aber auch damit hat man zumindest etwas Eigenes erschaffen und man weiß, was man nicht noch mal reproduzieren möchte. Also hat man in jedem Fall etwas dazugelernt.
Experimente kann man auch und vor allem gerade nutzen, um Pedale, die man bereits besitzt, wieder interessant zu machen. In der Regel sollte der Versuch, einen gewünschten Sound zu erzeugen, immer damit beginnen zu prüfen, ob man mit den eigenen Pedalen nicht vielleicht auch schon zum Ziel kommt. Eine ungewöhnliche Kombination von Effektpedalen oder bestimmten Effekten kann durchaus ein altes und bekanntes Pedal wieder spannend machen und spart einem somit auch noch eine Menge Geld. Ein Bekannter meinte neulich, dass er nach langer Zeit ein verliehenes Gerät zurückbekommen hat und es für sich ganz neu entdecken konnte. Beim erneuten Ausprobieren ist dann manchmal gar nicht mehr klar, warum das Pedal ausgemustert wurde.
Einige Effekte, wie das Empress Zoia, Kemper und Line6 Helix Geräte, können zunächst überfordernd sein und man sollte immer darauf achten, an und mit seinen Effektgeräten zu wachsen. Die Grenzen sind oft sehr viel weiter, als man denkt und bevor man gleich ein neues Pedal kauft, sollte man in meinen Augen immer versuchen, die Lernkurve bei den eigenen Effektgeräten nochmals voranzutreiben und scheinbare Grenzen zu überwinden.