Bändchenmikrofone aus dem Königreich
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Es gibt Engländer, die kennt jedes Kind. Harry, Charles und William sind momentan in aller Munde, Ringo, Paul, George und John haben Musikgeschichte geschrieben. Abseits vom Rampenlicht gibt es mit Stewart, Adam, Paul und Ant vier Briten, die in ihrer kleinen Mikrofonschmiede Extinct Audio edle Bändchenmikrofone in Handarbeit herstellen. Unser Autor Raphael Tschernuth hat sich diese feinen britischen Mikros genauer angesehen.
Bändchenmikros erfreuen sich in den letzten beiden Jahrzehnten einer ungebrochenen Beliebtheit. Waren sie bis Anfang der 1990er fast ausgestorben, so feiern sie spätestens seit dem Royer 121 und dem digitalen Recording eine Wiederauferstehung. Der Name Extinct Audio ist eine Anspielung darauf, dass diese Mikrofongattung schon fast vom Erdboden verschwunden war und als ausgestorben galt. Ein altes „Snake Stone“ Fossil, eine lokale Legende, dient der jungen englischen Firma als Firmenlogo.
Klein, aber fein: Der Hersteller Extinct Audio
Gegründet wurde Extinct Audio von niemand Geringerem als Stewart Tavener von Xaudia.com, einer der Referenzadressen, wenn es um die Reparatur von Bändchemmikrofonen geht. 2007 hatte Stewart angefangen seinen Service für Bändchenmikrofone anzubieten und seitdem platzt das Auftragsbuch aus allen Nähten.
Einigen von euch dürfte bestimmt auch der Mikrofon-Blog von Xaudia Elektrik ein Begriff sein, findet man dort doch unzählige Informationen zu längst vergangenen Mikrofonmodellen aller Art (Links unten in der Box).
Seit der Gründung von Xaudia hatte Stewart weit über 10.000 Bändchenmikrofone zur Reparatur auf seinem Tisch. Er kennt sie alle – von großen RCA Klassikern, über ausgefallene Designs aus Italien oder Dänemark, hin zu modernen China-Nachbauten. Seine Erfahrung der letzten Jahre hat ihn schließlich dazu bewogen, nicht nur Mikrofone zu reparieren, sondern eigenständige Designs zu entwickeln und selbst Bändchenmikrofone auf den Markt zu bringen.
Zusammen mit seinen Freunden Adam und Ant hat er Extinct Audio ins Leben gerufen, mit dem Ziel, in Handarbeit hergestellte Bändchenmikros zu einem günstigen Preis anzubieten. Stewart und Adam sind selbst Musiker und wissen, wie hart das Leben mit dieser Profession sein kann. Aber die Mikros sollten nicht nur erschwinglich sein, sondern auch verantwortungsvoll aus lokalen Ressourcen gefertigt werden und den höchsten Qualitätsstandards entsprechen.
Tatsächlich befindet sich die Firma, welche die Gehäuse baut, nur wenige Meilen von dem Extinct Audio Workshop entfernt. Die für ein Bändchenmikrofon notwendigen Übertrager stammen aus eigener (!) Herstellung (Yes, sir!). Die Holzschatullen der Mikrofone werden von einer Firma gefertigt, die sonst hauptsächlich Holzboxen für hochwertige Whiskeyflaschen herstellt. Und trotzdem schaffen es die Engländer irgendwie, den Preis im Bereich von 900,- Euro zu halten, während andere Mikros, wie etwa das 121 von Royer oder das Coles 4038, gerade in den letzten Jahren gewaltige Preissteigerungen hinter sich haben.
Die Bändchenmikrofone Black Ops und BM9 Viking
Das zugrundeliegende Design der beiden zum Test vorliegenden Extinct Audio Mikrofone basiert auf dem Bang & Olufsen BM3, welches Ende der 50er in Dänemark entwickelt wurde. Dieses Mikrofon war zur damaligen Zeit eines der kleinsten Bändchenmikrofone, sein Formfaktor wurde erst durch die Entwicklung eines immer stärkeren Magnetmaterials möglich.
Vielleicht kennen einige von euch die richtig dicken Bändchenmikros aus den 30er-Jahren, wie etwa das M25 von Siemens oder das BBC Marconi, die jeweils über 4 kg auf die Waage bringen. Das hohe Gewicht und die hohe Masse waren damals nötig, da es noch keine Magnetlegierungen, mit der sich starke Magnetfelder platzsparend realisieren ließen, wie heute mit moderne Neodym Varianten.
Das BM3 von Bang & Olufsen war in den 1950ern eine Revolution und war eine Inspiration für das Royer 121 in den 1990er-Jahren. Die neu erhältlichen Neodym-Magnete verhalfen dem Royer 121 zu einem enormen Output. Auch das Extinct Audio BM9 basiert auf dem Konzept des BM3, sogar die Namensgebung BM für „Bandmikrofon“ wurde beibehalten.
Das BM9 mit dem Beinamen „Viking“ ist ein universell einsetzbares Bändchenmikrofon mit einer reinen Achtercharakteristik. Klanglich steht es klar in der Tradition der legendären Bändchen wie etwa dem RCA 44 BX, Melodium 42b und Co. Sein vollmundiger Bassbereich, gepaart mit brillianten Höhen, verhilft Stimmen und Instrumenten zu einem unnachahmlichen “Bigger Than Life Sound“. Der Nahbesprechungseffekt ist, wie für diese Mikrofonart typisch, stark ausgeprägt und es wird daher etwas Abstand zu Schallquelle empfohlen.
Kein Geringerer als der Große John Williams hat für die Aufnahme seines Soundtracks zu Star Wars für die Orchesteraufnahmen auf diverse BM9 vertraut. Und das bei einer Produktion, bei der Geld keine Rolle spielt und die sich jedes erdenkliche Mikrofon leisten kann. Das dürfte man fast als Ritterschlag für Extinct Audio bezeichnen (nicht zu übersehen ab ca. 30 Sekunden):
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Das Black Ops empfiehlt sich hingegen für alle Anwendungen, bei denen das Mikrofon nah an der Schallquelle positioniert werden soll. Es ist besonders stark gegen Wind und Luftströme geschützt und sein speziell angepasster Übertrager sorgt für einen gut ausbalancierten Sound auch bei sehr geringem Abstand zur Schallquelle.
Damit lässt sich das Black Ops beispielsweise direkt an einem Gitarren-Amp oder einer Snare-Drum positionieren, ohne dass der Bassbereich durch den Einsatz eines EQ entzerrt werden müsste. Wie das BM9, ist auch die Höhenabbildung für ein Bändchenmikrofon unglaublich detailreich und weich in der Abbildung. Das Black Ops wurde für den rauen Live-Einsatz konzipiert, u. a. vertraute die englische Band Foals auf diverse Black Ops für ihre letzten Live-Tourneen.
Technische Daten der beiden Extinct Audio Mikros
Im “klassischen” BM9 Viking kommt ein 1,8 µ dickes Bändchen zum Einsatz, beim Black Ops sind es etwas dickere 2,5 µ. Zum Vergleich: Der Faden eines Spinennetzes ist etwa 6µ dick, ein Menschenhaar gar 50µ. Daher sollte man möglichst vorsichtig mit diesem Mikrofontyp umgehen.
Der Frequenzbereich liegt bei beiden Mikros zwischen 30 Hz – 15 kHz und klanglich sind die Vordergrund Rückseite jeweila absolut identisch. Während das BM9 eine Impedanz von 300 Ohm besitzt, sind es beim Black Ops 250 Ohm – in der Praxis ist das unerheblich, da beide Mikros mit diesen Werten mit aktuellen Vorverstärkern perfekt harmonieren werden. Die Empfindlichkeit des BM9 beträgt 2,23 mV/Pa, ein hoher Wert, der dem Mikrofon-Preamp nicht allzu viel abverlangt. Damit liefert das BM9 ein höheres Signal als so mancher Tauchspulen-Kandidat. Trotzdem sei an dieser Stelle erwähnt, dass Bändchenmikros von eigenständigen, externen Preamps klanglich oft profitieren. Für Audiointerfaces der Einsteiger- oder Mittelklasse bietet sich ein Inline-Verstärker an, von denen es mittlerweile am Markt nur so wimmelt. Alternativ kann man auch auf eine aktive Variante zurückgreifen.
Ganz neu: Aktive Varianten der Extinct Audio Bändchenmikros
Während des Tests der beiden oben beschriebenen Mikros postete der Hersteller auf Instagram, dass die Entwicklung der aktiven Variante abgeschlossen sei.
Ich habe mich kurzerhand darum bemüht, eines der ersten Serienmodelle für den Test zu ergattern und mir wurde das erste erhältliche Stereo-Set zugeschickt.
Durch die aktive Schaltung wird das Ausgangssignal um rund 22 dB rauschfreies Gain erhöht. Das entlastet den Preamp deutlich und das aufgenommene Signal ist vergleichbar mit jenem von Kondensatormikrofonen. Wir werden auch dieses Modell im Praxis-Test berücksichtigen.
Verarbeitung der britischen Bändchen
Extinct Audio bietet mit seinen Mikrofonen Manufaktur-Charakter par excellence.
Beim Auspacken kommt man als Tester aus dem Stauen nicht mehr heraus, es ist beeindruckend, mit wie viel Liebe und Auge fürs Detail hier gearbeitet wurde.
Die Holzschatullen sind wie bereits erwähnt keine billige Stangenware aus Fernost, sondern äußerst massiv und hervorragend verarbeitet. Sie bieten passgenauen Schutz für ein oder zwei Mikrofone. Eine Seriennummer prangt außen auf einer Metallplakette, im Inneren der Schatulle gibt ein unterschriebenes Zertifikat Auskunft darüber, an welchem Tag das Mikrofon hergestellt wurde und welcher Mitarbeiter sich um welche Produktionsschritte gekümmert hat. Die Mikrofone selbst sind in Bezug auf Verarbeitung über jeden Zweifel erhaben.
Das ist Perfektion pur, ohne Kompromisse. Metallverarbeitung und Vernickelung sind exzellent, Logo und Metallgaze perfekt angebracht, alle Kanten abgerundet, die Seriennummer auf der Rückseite eingraviert – so soll es sein. Das Black Ops und das BM9 liegen mit ihren 355 g gut in der Hand und strahlen seine sehr hohe Wertigkeit aus. Durch das geringe Gewicht lassen sie sich auch mit einfachen Mikrofonständern sicher positionieren und sind einfach aufzubauen. Eine verschraubbare Halterung lag dem Testexemplar ebenfalls bei, es lassen sich aber auch ganz gewöhnliche mittelgroße Mikrofonklemmen verwenden.
Extinct Audio Ribbon Mics im Tonstudio-Einsatz
Wenn es eine Anwendung gibt, die man als Toningenieur sofort mit dem Royer 121 verbindet, so ist das die Abnahme eines Gitarrenamps. Dieses Bändchenmikro hat sich seit seiner Einführung Ende der Neunziger einen legendären Status erarbeitet. Im Vergleich zu vielen klassischen Bändchenmikros liefert es eine etwas ausgedünnte Bass-Abbildung und lässt sich relativ nah am Amp positionieren. Mit einem alten, ehrwürdigen Coles 4038 beispielsweise würde der immense Nahbesprechungseffekt unbedingt den Einsatz eines Hochpassfilters erfordern. Bei Bändchemikros gilt es also immer, den jeweiligen Sweetspot auszumachen und in der Arbeit gewinnbringend einzusetzen.
Im folgenden Klangbeispiel hört ihr zunächst das angesprochene Coles 4038 in nur 13 cm Entfernung. Die Aufnahme ist durch den Nahbesprechungseffekt viel zu basslastig. Nach dem Einsatz eines Hochpassfilters (100 Hz, 24 dB/Okt.) wendet sich das Blatt und der Klang wird plötzlich brauchbar und besitzt eine bändchentypische „Cremigkeit“:
Im Vergleich dazu hört ihr hier den Klang des dynamischen Tauchspulenmikrofons Shure SM57, welches als „Industrie-Standard“ für die Amp-Aufnahme gilt. Dieses geht deutlich „körniger“ und greller zu Werke:
Das Extinct Audio BM9 Viking Bändchenmikrofon ist klanglich auf der „klassischen“ Seite angesiedelt. Ähnlich wie beim Coles 4038, benötigt es daher den Einsatz eines Hochpassfilters, um im Abstand von nur 13 cm ein ausgewogenes Signal zu liefern:
Das Extinct Audio Black Ops wiederum benötigt keinen zusätzlichen Filter, da der Bassanstieg durch den verwendeten Übertrager kompensiert wurde. Als Referenz hört ihr im Anschluss auch das Royer 121, unbearbeitet im Abstand von 13 cm von der Box. Auch hier würde ein HP-Filter dem Signal gut stehen. Beim Black Ops hingegen ist das Signal sofort „mix-ready“.
Der unterschiedliche Nahbesprechungseffekt hat direkte Auswirkungen auf den Einsatz. Alle Mikros im gleichen Abstand vor einer Schallquelle zu positionieren, wäre also denkbar schlecht für einen aussagekräftigen Testbericht, da jedes Mikrofon anders mit den Anhebungen im Bass umgeht und seinen eigenen Sweetspot hat.
Das BM9 ist vollmundig, beim Royer 121 ist der Nahbesprechungseffekt etwas reduziert und beim Black Ops fällt dieser noch etwas geringer aus als beim Royer. An der Akustikgitarre entscheide ich mich daher für drei unterschiedliche Abstände:
- Extinct Audio Black Ops: Abstand 30 cm
- Royer 121: Abstand 40 cm
- Extinct Audio BM9 Viking: Abstand 50 cm
Vielen Dank an dieser Stelle an den wirklich beeindruckenden Singer/Songwriter Fabian Holland, der für diesen Test die Akustikgitarre eingespielt hat. (https://fabianholland.com)
Im Test zeigt sich, dass es die Extinct Mikros in puncto Klangqualität problemlos mit dem Royer 121 aufnehmen können. Das ist besonders beeindruckend, wenn man sich den Preisunterschied von knapp 1.000,- Euro vor Augen führt.
Bändchmikrofone eigenen sich ja auch hervorragend für die Abbildung von perkussiven Instrumenten. Ein Grund dafür liegt in der natürlichen Abbildung der Transienten, die sehr schnell und spritzig abgebildet werden. In folgendem Beispiel hört ihr den Drummer Achim Färber (https://www.achimfaerber.com). Das BM9 steht dabei einige Meter von den Drums entfernt. Es handelt sich um eine Mono-Aufnahme ohne jegliche Effekte. Das Black Ops wurde an der Snare positioniert, ebenfalls ohne jegliche Veränderung des Signals:
Während des Testzeitraums hat sich das Black Ops zu einem meiner Lieblingsmikrofone für die Snare-Drum entwickelt. Durch die 8er-Charakteristik lassen sich benachbarte Toms oder HiHats vorzüglich ausblenden. Die starke Dämpfung auf der 90- bzw 180-Grad Achse lässt sich hervorragend einsetzen.
Zu guter Letzt noch ein kurzes Klangbeispiel, welches ich selbst mit zwei Bm9 als Overhead und einer Subkick eingespielt habe. Wie vorhin: kein EQ, kein Kompressor … nüschte, wie der Berliner sagt.
Während des Testzeitraums hatte ich die Chance, die Extinct Audio Mics an vielen weiteren Schallquellen einzusetzen. Sie lieferten am Cello, als Stereo-Blumlein-Set am Piano oder auch am Gesang mit sanften S-Lauten hervorragende Ergebnisse. Das Stereo-Paar wurde zudem vor der Auslieferung perfekt gematcht, die beiden Messkurven waren absolut identisch.
Die aktive Variante klingt übrigens genau so wie ein passives BM9, nur lauter. Klar, man könnte auch einen Inline-Preamp wie den Fethead einschleifen, aber das macht zum einen die Konstruktion etwas unhandlich, zum anderen bleibt dadurch auch die Abschirmung auf der Strecke. Leider sind Inline-Preamps anfällig dafür, Handy-Strahlungen in akustische Töne zu verwandeln. Wenn sich das Netz aufbaut, kann daher ungewollt Piepen und Pfeifen mit aufgenommen werden. Die aktive Variante ist diebezüglich gut geschirmt und überträgt keine Störgeräusche auf das Audiosignal. Und sieht nebenbei deutlich besser aus.
Naja, ich bleibe mit meine Beyer M160 und M130.