Klassiker wiederaufgelegt
Der Traditionshersteller Gibson hatte in der jüngeren Vergangenheit bekanntermaßen Probleme. Abgesehen von der Insolvenz im Jahr 2018 machten vorher schon immer wieder Gerüchte über die mittelmäßige Verarbeitung einiger Instrumente die Runde. Videos, in denen unzählige neue Gitarren von einem Bulldozer plattgefahren bzw. damit schrottreif gemacht wurden, entbehren gleichfalls jeden Sinn und lassen Zweifel aufkommen, ob hier die richtigen Leute die Entscheidungen trafen. Umso kritischer werden die Instrumente von Gibson gerade nach der Insolvenz betrachtet, um feststellen zu können, ob die Traditionsmarke mit dem weltbekannten magischen Schriftzug auf der Kopfplatte wieder vollständig vertrauenswürdig ist.
Gibson Les Paul Special – Facts & Features
Die Les Paul Special wird in einem luxuriösen braunen Hardshell-Koffer natürlich mit dem Gibson Firmenlogo ausgeliefert. Selbstverständlich wurde der Koffer auch mit Plüsch ausgekleidet, das in unserem Fall rot ist und der Gitarre guten Halt und Sicherheit beim Transport verleiht. Öffnet man den Koffer, schwebt einem noch die Duftnote von frischem, nicht vollständig getrockneten Lack und dem leicht parfümierten Plüsch entgegen. Im Lieferumfang befindet sich freundlicherweise auch ein Tool mit Inbusschlüsseln zur Einstellung der Halsspannung etc., ein schwarzer Ledergurt, ein Satz Saiten und ein ausgefülltes Kaufdokument.
Unsere heutige Testkandidatin ist ein neu aufgelegtes klassisches Modell, das bereits im Jahr 1955 das Licht der Welt erblickte. Die Les Paul Special war damals als „budget model“ an den Start gekommen, da die Ausstattung vergleichsweise zu einer Les Paul Standard weniger luxuriös ausfällt. So besitzt die Special-Variante keine aufgeleimte Ahorndecke und ist somit etwas flacher im Gesamtbild. Auch auf ein Korpus-Binding wurde verzichtet, was die Gitarre zu einer schlichten Schönheit oder auch in den Augen manches Gitarristen zu einer „Rock ’n‘ Roll bitch“ macht. Durch die Abstinenz der Ahorndecke bringt die Gitarre gerade einmal 3,2 kg auf die Waage, was sie sogar leichter als eine „gewöhnliche Strat“ macht. Das Instrument wäre, abgesehen von unserer Variante, „Vintage Cherry“ auch in „TV yellow“ zu haben. Die Gitarre wurde in den USA hergestellt.
Korpus
Der Korpus mit der weltbekannten Les Paul Form wurde erwartungsgemäß aus Mahagoni gefertigt. Die signifikantesten Unterschiede zwischen einer Les Paul Special und einer Les Paul (Standard, Custom, Tribute etc.) waren seit jeher, dass die Special-Variante auf eine Ahorndecke verzichtet und meist mit Gibson P90-Einspulern, gelegentlich auch P100-Tonabnehmern (Humbucker mit übereinanderliegenden Spulen im P90-Look) bestückt wurde. Die Decke unseres Testobjekts ist also absolut plan und verzichtet auf die Wölbungen der „großen“ Schwester. Durch die Abwesenheit der Ahorndecke ist der Sound vergleichsweise zu einer Les Paul Standard (Custom) etwas weniger satt, aber durch die P90-Tonabnehmer sehr lebendig, bissig und durchsetzungsfähig. Ein schwarzes Pickguard, das mit vier Schrauben direkt auf die flache Decke geschraubt wurde, schützt die Decke vor Kratzern. Ich selbst besitze eine Gibson Les Paul Special in Weinrot, die Anfang der 90er gebaut wurde und bin ein Fan dieser Modelle, auch aufgrund des geringeren Gewichts und den Pickups.
Gibson Les Paul Special – Hals
Wie bei einer E-Gitarre von Gibson zu erwarten, beträgt die Mensur 628 mm und die Sattelbreite 43 mm. Der eingeleimte Mahagonihals wurde mit einem Griffbrett aus Palisander ausgestattet, das wiederum ein cremefarbiges Binding an den Halskanten erhielt. Gibson bezeichnet das Profil des Halses mit „Vintage ’50s“. Dieses ist ausgesprochen fett und massiv, worauf im Absatz Handling noch genauer eingegangen wird.
Die zur Verwendung kommenden Bünde sind breit und hoch. Die Bundierung des mit 22 Bünden ausgestatteten Halses fällt perfekt aus. Selbst bei extrem günstigen Gitarren gibt es diesbezüglich inzwischen selten etwas zu meckern, eine perfekte Bundierung sollte also auch bei Instrumenten aus dem Hause Gibson selbstverständlich sein, obwohl man beim Traditionshersteller leider auch schon Enttäuschungen erleben musste. Meine Testkandidatin zeigt bzgl. der Verarbeitung des Halses jedenfalls keine Schwächen. Die Griffbretteinlagen sind schlichte Dots. Um eine gute Stimmstabilität zu gewährleisten, hat man einen Graph Tech Sattel eingesetzt. Schlicht und geschmackvoll sind auch die Wahl der Mechaniken bzw. deren kleinen weißen, ovalen Stimmflügel ausgefallen.
Elektrik & Hardware
Die elektrifizierte Tonerzeugung erfolgt mithilfe zweier P90-Tonabnehmer aus dem Hause Gibson. Ich persönlich bin ein großer Fan von P90-Pickups, da diese sehr lebendig und bissig sind. Leider muss man bei Einspulern naturgemäß auch mit dem „Brummen“ klarkommen, das bei Sounds mit viel Gain schon mal ordentlich nerven kann. Für jeden Pickup steht je ein Tone- und Volume-Regler zur Verfügung. Der Toggleswitch wählt die Tonabnehmer einzeln an oder schaltet sie in der Mittelstellung parallel, wie man das von unzähligen ihrer Kolleginnen kennt. Die Elektrik wurde handverdrahtet. Dies klingt immer besonders edel, aber letztendlich wäre es unsinnig, eine Maschine dafür einzusetzen, da im Elektrikfach abgesehen von der „Kabelage“ nur vier Potis und zwei Kondensatoren sitzen. Diese sind vom Typ „Orange Drops“, die ihren Namen gerecht werden, da sie recht groß ausfallen (Spannungsfestigkeit bis max. 630 Volt) und knallorangefarben sind. Qualitativ gelten diese Kondensatoren unter Kennern als ausgesprochen hochwertig. Orange Drops werden (neben Mallory etc.) auch häufig in hochwertigen Röhrenverstärkern eingesetzt, um eine maximale Klangqualität zu erreichen, denn verschiedene Kondensatoren klingen tatsächlich unterschiedlich, ob man es glaubt oder nicht.
Ein Stop-Tailpiece finden wir auf dem Instrument nicht, ein kompensierter Wraparound-Steg übernimmt quasi beide Aufgaben, die der Saitenaufhängung und des Stegs. Die Saiten werden von links durch sechs Löcher im Steg gezogen, eine halbe Umdrehung um diesen gelegt, um schließlich an die Mechaniken geführt zu werden.
Wenn man einmal die Bundreinheit einer Gitarre eingestellt hat, die beispielsweise von 010-er auf 009-er Saiten umgestellt wurde, weiß man, dass einige Saitenreiter dann durchaus um 1-2 mm korrigiert werden müssen, um die Gitarre wieder exakt bundrein zu bekommen. Diese Option existiert hier natürlich nicht. Es gibt zwar die Möglichkeit, den Steg mithilfe zweier Inbusschrauben etwas zu „drehen“ oder parallel nach vorne bzw. hinten zu versetzen, es wird nach meiner Erfahrung aber schwierig, alle Saiten wirklich 100%ig bundrein zu bekommen, da das Ergebnis immer ein (wenn auch nur ein kleiner) Kompromiss sein wird.
Die Mechaniken besitzen ein minimales Spiel und könnten etwas direkter ansprechen, erledigen ihren Job jedoch zuverlässig.
Handling
Die Gibson Les Paul Special kommt gut ausgewogen auf den Knien zu liegen, ohne dass hier eine Kopflastigkeit zu bemerken wäre. Da Les Paul-Modelle durch den relativ kleinen Körper generell im Sitzen nicht so angenehm wie beispielsweise eine Strat oder ES335 auf dem Knie liegen, ist bekannt. Das relativ geringe Gewicht unserer Testkandidatin macht sich dann spätestens beim „Umschnallen“ positiv bemerkbar.
Der Hals ist ausgesprochen fett und mächtig und zählt zu den massigsten Hälsen, die ich je in den Händen hielt. Dies unterstützt sicherlich die Qualität des Klangs, die Halsform wird aber vermutlich nicht jedem entgegenkommen. Die Massivität des Halses hat auch Vorteile. Man hat beim Saitenziehen eine gute Kontrolle und bekommt auch einen satten und sustainreichen Sound geboten. Ich persönlich hatte richtig Spaß mit dem Hals, obwohl ich in der Regel weniger massive Hälse bevorzuge.
Die Werkseinstellung des Testobjekts war leider mangelhaft. Gerade jetzt, wo der Traditionshersteller Gibson im Frühjahr 2018 den Neustart wagte, sollte es so etwas nicht mehr geben. Wenn man über 1.400,- Euro für ein Instrument (von Weltruhm) anlegt, sollte gewährleistet sein, dass es sich auch von Beginn an komfortabel spielen lässt. Sogar die Halsspannung musste zunächst etwas korrigiert werden, anschließend legte ich die Brücke durch Drehen der Bolzen einige mm tiefer, dann war die Gitarre angenehm leicht bespielbar.
Sound
Bereits „trocken“ zeigt sich die Gitarre sehr schwingfreudig. Der eingeleimte massive Hals und der Mahagonikorpus bilden eine gute Symbiose, die einen warmen, ausgewogenen Sound erzeugt. Auch eingeklinkt wird der gute Ersteindruck dann bestätigt, was natürlich zu einem großen Teil den P90-Tonabnehmern zu verdanken ist. Diese besitzen einen recht hohen Output. Beginnen wir mit den klaren Sounds, wir hören den Hals-Pickup mit einigen bluesigen Linien:
Die Tonabnehmer besitzen ein sehr angenehmes Frequenzspektrum, keine „dünnen Höhen“, sondern satter Output, die Höhen, aber auch Biss haben, ohne dabei „scharf“ zu sein. Auch die Mittelposition mit der Parallelschaltung beider Pickups überzeugt:
Wir hören den P90 am Steg. Dieser klingt durchsetzungsfähig und druckvoll bei konkreten Bässen und warmem hohen Frequenzspektrum:
Nun hören wir die Gitarre durch den verzerrten Kanals meines Peaveys. Blueser und Rocker werden sicherlich Freude daran haben. Lebendig, druckvoll und ausgewogen im Sound:
Schließlich hören wir den Hals-Pickup verzerrt. Nicht ganz so fett wie ein Humbucker, aber für die Halsposition eine hervorragende Wahl. Cremiger Ton ohne zu matschen:
Die „spezielle Paula“ liefert einen lebendigen und sustainreichen Sound, der sich auch in einem Bandkontext sicherlich hervorragend durchsetzt. Die P90-Pickups unterstützen den guten Gesamtsound.
Die Klangbeispiele wurden mit folgendem Equipment aufgenommen:
Gibson Les Paul Special – Peavey Classic 20 MH – MESA/Boogie 1 x 12″ Thiele Box mit Creamback Celestion Lautsprecher – Shure SM57 – Apogee Duett – Mac mit Logic (etwas Hall bzw. Delay hinzugefügt).