Mastering EQ mit subtiler Note!
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Es gibt Produkte, die schon während des Auspackens jede Menge Bonuspunkte bei mir abräumen. Eines jener Produkte ist der zum Test vorliegende Gyraf Audio G23-S, der als Mastering-Equalizer aus dänischer Fertigung optisch genau in mein Beuteschema passt. Die latente „U-Boot-Haptik“, die ich mit ihren übergroßen Drehreglern und Schaltern zum Beispiel auch von Firmen wie IGS Audio her kenne, hat es mir einfach angetan. Wenn man sich schon den klanglichen Luxus einer analogen Signalbearbeitung gönnt, kann die haptische Abgrenzung zum Pixel-Schieben beim In-the-box-Mix gar nicht hoch genug ausfallen. Allerdings muss ein solches Produkt auch entsprechend liefern, denn mit einem Ladenpreis von 3.549,- Euro befindet sich der Equalizer preislich in direkter Nachbarschaft mit Herstellern wie zum Beispiel Bettermaker oder Tube Tech, allesamt echte Schwergewichte, wenn es um die klangliche Entzerrung geht.
Das Konzept des Gyraf Audio G23-SNatürlich kann man den Gyraf Audio G23-S auch im Recording-Prozess verwenden, das Augenmerk liegt jedoch im Mix- und Mastering-Segment. Entsprechend fällt auch das Konzept des Gyraf Audio G23-S aus, der mit einer einfachen Stereoauslegung bei jeweils paralleler Steuerung beider Kanäle zu Werke geht. Die Rückseite des Gyraf Audio G23-S könnte spartanischer nicht sein, je 2x In/Out als XLR, Kaltgerätebuchse – fertig! Neben der sehr klar strukturierten, fast schon spartanisch anmutenden Auslegung ist die Hauptbesonderheit in dem wahlweise Solid State- oder Röhrenbetrieb zu suchen. Über einen Drehregler rechts außen können die Betriebsmodi Solid State (S), Röhre (IN) oder eine komplette Umgehung der Elektronik mittels Kurzschluss von Eingangs- und Ausgangsbuchsen angewählt werden. Für den Röhrenbetrieb stehen 2 Stück ECC88 zur Verfügung, das Gerät läuft im Class-A-Betrieb.
Eingebettet ist die Elektronik des Gyraf Audio G23-S in ein 2 HE Chassis aus massivem Blech, das mit einer amtlichen Einbautiefe von knapp 31 cm daher kommt. Ausgestattet mit zwei kräftigen Griffen aus gebürstetem Aluminium an den Außenseiten, lässt sich das immerhin 6 kg schwere Gerät gut von vorne oder auch von oben in ein 19 Zoll Rack manövrieren. Für den Standalone-Betrieb wurden allerdings auch noch 4 Kunststofffüße unter dem Gehäuse angebracht, die für etwas mehr Standsicherheit sorgen.
Geliefert wird der Gyraf Audio G23-S mit einer Bedienungsanleitung, die wirklich nur ganz eigenen Maßstäben genügt. Ich weiß nicht, ob der Hersteller mit dem Layout eine trendmäßig angesagte Optik erreichen will, aber vier schlecht kopierte, per Hand zusammengeheftete Blättchen stehen meines Erachtens in einem diametralen Verhältnis zum aufgerufenen Ladenpreis. Vielleicht sollten die Gyraf Verantwortlichen einmal spaßeshalber bei SPL und Konsorten vorbeischauen, was die Konkurrenz dem Käufer in dieser Preisliga teilweise alles beilegt.
Das Frontpanel des Gyraf Audio G23-S
Dominiert wird das optische Erscheinungsbild des Frontpanels von einem stattlichen Drehregler namens „Linear Tilting“ auf der linken Seite des Panels. Der butterweich laufende Regler mit 12 Uhr Mittenrasterung bietet eine stufenlose Kombinationsregelung aus „Bässe rein, Höhen raus“ (gegen den Uhrzeigersinn) und „Bässe raus, Höhen rein“ (im Uhrzeigersinn). Weiter rechts befinden sich drei Filter (Bässe, Mitten, Höhen), ebenfalls mit sehr hochwertigen Reglern ausgestattet, wobei jedes Filter über drei verschiedene Einsatzfrequenzen verfügt. Damit man erst gar nicht in Versuchung geführt wird, die genaue Frequenz zu erfahren, wird weder auf dem Frontpanel, noch im Handbuch die jeweilige Frequenz erwähnt. Wer sehen möchte, welche Frequenz er nun genau editiert, muss tatsächlich seinen Analyzer anwerfen, anders wird er die genauen Frequenzen nicht erfahren. Da sich der Hersteller aber bestimmt etwas dabei gedacht hat, werde ich dies mit Absicht nicht tun und mich ausschließlich auf mein Gehör verlassen.
Nach längerer Recherche ist es mir gelungen, zumindest den dB-Grad der jeweiligen Bänder herauszufinden. Hierbei fällt auf, dass die Dänen mit einem sehr dezenten Regelbereich arbeiten. So arbeitet der Tilting- bzw. Höhenregler mit +/-4 dB, der Mittenbereich mit +/-2 dB und die Bässe mit +/-6,5 dB.
Bevor sich nun jemand über den vergleichsweise geringen Regelweg echauffiert: Wann habt ihr das letzte Mal ein Masteringband einen Bereich mit +/- 5 dB gefahren? Wenn überhaupt, dann doch wahrscheinlich nur in einer akustischen Restaurierungsabteilung oder im FX-Bereich, aber doch nicht in einer offiziellen, ausgewogenen Studioproduktion.
Der Abschluss des rechten Gehäuserandes wird von einem Gain-Regler und einem On/Off-Schalter umgesetzt, der stilistisch passend ebenfalls als Drehregler verbaut wurde und zusammen mit einer kleinen LED über den Betriebszustand informiert. Sehr geschmackvoll!
Mastering-Equalizer in der Praxis
Die Arbeitsweise des Linear Tilting Reglers ist, wenngleich auch nicht ganz neu, zumindest eine ungewöhnliche, wenngleich hochinteressante Herangehensweise an den finalen Mix. Insbesondere wenn es sich um unausgewogenes Audiomaterial wie zum Beispiel ein leicht missratener Live-Mix, oder aber einer Über- oder Unterbetonung einzelner Frequenzgruppen handelt, kann der Linear Tilting Regler als erste Bearbeitungsstufe eine leichte Vorauswahl bzgl. der Linearität treffen. Gerade bei dröhnendem Material, das zum Beispiel in einer zu kleinen Regie gemischt wurde und man dadurch wieder einmal zu viel Sub-Bässe verwendet hat, bringt der Regler mit wenigen Griffen eine gute Offenheit in das Ausgangsmaterial, so dass die eigentliche Dreiband-Regelung für weitere Bearbeitungsschritte verwendet werden kann, ohne dass sie zunächst die Mischfehler in den Griff bekommen muss.
Die eigentliche Dreiband-Klangregelung lässt sich bzgl. ihrer Wirkungsweise am besten mit dem Adjektiv „dezent“ umschreiben, im Bereich des Mittenbandes sogar mit „sehr dezent“. Selbst Anschlagsregelwege verbiegen das Ausgangsmaterial vergleichsweise subtil, was den Vorteil hat, dass man im Fall einer Fehlbedienung einen vergleichsweise geringen Schaden anrichtet. Jim Marshall, seines Zeichens der berühmteste Vollröhrenverstärkerhersteller im Gitarrensektor, antwortete einst auf den Vorwurf, warum die Klangregelung seiner Verstärker vergleichsweise uneffektiv sei mit den Worten: „Damit der Musiker an einem Marshall Verstärker keinen schlechten Sound einstellen kann.“ Eine ähnliche Sichtweise kam mir bereits in den Sinn, als ich von dem +/-2 dB Mittenband hörte.
Wer also ordentlich im Mastering-Frequenzen verbiegen möchte, wird an dem Gyraf Audio G23-S nicht wirklich seine Freude haben, liegen seine Stärken doch in ganz anderen Sphären. Wo wir gerade bei Stärken sind, die subtile Signalbearbeitung, gekoppelt mit einer sehr feinen Auflösung, bietet insbesondere bei „subtilen“ Musikrichtungen eine deutliche frequenzmäßige Verbesserung. Der Einsatzpunkt der Filter ist sehr geschmackvoll gewählt und ermöglicht bei der entsprechend feinen Sicherung im Gehör die entscheidenden 5- 10 %, welche im High-End-Bereich einen Mix in die höchste Stufe schieben können.
Ebenso wie der allgemeine klangliche Ansatz des Gyraf Audio G23-S sehr fein gehalten ist, ist der klangliche Unterschied zwischen der Solid State und der Röhrenschaltung deutlich dezenter, als es bei vielen Konkurrenzprodukten der Fall sein dürfte. Während andere Hersteller gerne die allseits beliebte Sättigung im Röhrensegment etwas stärker ausreizen, übt sich Gyraf auch hier in einer sehr moderaten Abgrenzung der Schaltungen untereinander, so dass der klangliche Unterschied mehr im Bereich der Kompression und der Ansprache zu suchen ist als im Frequenzbereich.
Ähnlich eines Vari-Mu-Kompressors „verklebt“ die Röhrenschaltung das Audiomaterial deutlich mehr miteinander als die Solid State Variante, während diese mit einem durchsichtigeren Klang und schnelleren Attack punktet. Je nach Ausgangsmaterial können diese Feinheiten große finale Unterschiede mit sich bringen. Alles in allem muss man dem Gyraf Audio G23-S einen sehr guten Klang attestieren, der speziell im Mastering-Bereich eine ganz spezielle Nische sehr gelungen abdeckt. Die Fixierung auf das persönliche Gehör eröffnet eine sehr individuelle Arbeitsweise, die dort ansetzt, wo man in den vergangenen Dekaden aufgrund mangelnder DAW-Plug-ins gearbeitet hat. Nebenbei, es ist wirklich interessant, die subjektiven Klangeindrücke wieder einmal nur über das Gehör zu mischen, was je nach Abhängigkeit von optischer Hilfestellung zu einer echten Herausforderung avancieren kann.
Inwieweit dieser High-End-Bereich sich in einer Welt der abnehmenden Qualität im Musikproduktionsbereich wirtschaftlich rechnet, muss jeder für sich selber herausfinden. Wer jedoch im High-End-Bereich arbeitet, sollte den Gyraf Audio G23-S allerdings auf jeden Fall einmal antesten. Es lohnt sich.
Moin.
Danke für diesen subtilen Beitrag… Also, wenn ich meinen Audiofrosch in einen Topf setzen würde, dann in den von dir beschriebenen! Was dann folgen würde, darf ja jeder so machen, wie er kann…. ;-)
Für so viel Subtilität braucht man im Vorfeld viel Scharfsinnigkeit. – Diese kann man dem Hersteller dieser Kraftmaschine und dir mit deinem Bericht förmlich heraushören.
Danke!
@CDRowell Was willst Du mit dem Kommentar bitte genau sagen?
_______
@Axel Ritt: Danke für den Test!
Hallo, so wie es steht meine ich es. Wie soll ich deine Frage verstehen? Was genau muss erklärt werden? Und: Danke für Deine Nachfrage. Leider konnte ich nicht schneller reagieren. LG
@CDRowell lol, der frosch im topf… wer weiß, was da noch drin ist .
Ich weiß, die Frage klingt etwas dämlich, aber warum sieht die Rückseite des Geräts auf den Fotos höher aus, als die Front?? Die Rückseite sieht eher nach 3HE aus…
@TheTick123 Ich befürchte, der Fehler liegt bei mir. Das Foto ist von einem anderen Gyraf Produkt mit 3HE, die Rückseite des G23 sieht allerdings genauso aus, nur eben mit 2 HE.
Sorry!
@Axel Ritt Ah, ok, das erklärt es. Danke! Ich hatte schon gedacht, dass das vielleicht eine ganz abgefahrene Konstruktion ist, wo hinten das Gerät dicker wird 😂
„Linear Tilting“ gab es auch früher schon bei Musiktruhen und -schränken fürs Wohnzimmer der späten Wirtschaftswunder-Jahre und hieß „Klangwaage“ 🙂
Warum man auf eine Beschriftung mit Zahlen verzichtet hat kann ich nicht nachvollziehen. So wird der Recall der Settings zum Geduldsspiel anhand eines Handyfotos. Design unfollows function…🤔
@Fadermaster Die Potis haben maximal 11 Positionen, das erkennt man auf einen Blick. Es sind auch alle gleich ausgerichtet.
Wer damit überfordert ist,……………..sollte Handyfotos machen.
Wie würdest du dir denn sonst die Einstellung merken?