Kemper Profiling Amp
Träume! Haben wir sie nicht alle mehr oder minder? Ich meine nun nicht die, die sich nach 23 Uhr von ganz alleine während der Nachtruhe einstellen, sondern vielmehr Wunschträume und der damit verbundene Drang zur Realisierung. Und dann passiert es. Alle Jubeljahre erscheint ein Produkt auf dem Markt, das mit einer dermaßen massiven Wucht in das Feuchtgebiet der Habenwollen-Abteilung des geneigten Musikers trifft, dass nahezu schlagartig alle Gazetten, Foren und Schulhöfe voll mit Vermutungen, Spekulationen und Fantastereien sind.
Was aber lässt einen Verstärker oder besser gesagt einen Profiler Amplifier aus dem Stand zu einem der Hauptthemen der letzten Frankfurter Musikmesse inklusive langer Aufmerksamkeitsschlangen werden und ihn unter die Top Ten der am meisten verkauften Produkte des Musikhauses Thomann schnellen? Wir erinnern uns an das erste Wort dieses Artikels: Träume.
Der Kemper Profiler Amplifier erhebt als erster seiner Art den Anspruch, nicht über die allseits bekannte Modeling-Technik alte und neue Legenden zu reproduzieren, sondern man soll über das bereits erwähnte Profiling eigene Abbildungen von Verstärkersounds erstellen und abrufen können, welches den gesamten Klangweg abzeichnet, vom Verstärker, der Box, dem Lautsprecher bis hin zum verwendeten Mikrofon. Oha , da wird es der Konkurrenz warm unter dem Hintern und dem Musiker warm ums Herz …
Konstruktion des Kemper AMP
Nach Auspacken des latent an einen Brotkasten mit Trageriemen erinnernden Topteils fühlt man sich schlagartig in den Physikunterricht in der Schule zurückversetzt. Vielleicht liegt es daran, dass Konstrukteur Christoph Kemper studierter Elektrotechniker ist und die Gitarre nur vom Sehen, nicht aber vom Spielen her kennt. Jedenfalls möchte man beim Betrachten des Gerätes eher an ein gepimptes Oszilloskop als an einen Gitarrenverstärker glauben. Vom Prinzip sollte man sich mental ohnehin eher in dem Bereich programmierbarer Preamps als im Vollverstärkerbereich bewegen, denn so erschließt sich einem die Funktionsweise des Profiler Amps leichter.
Hat man sich erst einmal an die Optik des Gerätes gewöhnt, erscheinen viele Bedienungselemente nicht mehr ungewohnt, vielmehr erkennt man auf den zweiten Blick einige Parallelen zu handelsüblichen Verstärkern. Generell unterteilt sich der Profiling Amplifier in drei Blöcke, welche die Bezeichnungen „Stomps“ (Pedale, die zwischen Gitarre und Verstärker geschaltet werden), Stack (Verstärker, Klangregelung und Lautsprecherkabinett) und „Effects“ (Effekte, die im FX-Loop des Verstärkers liegen) tragen. Die untere Reihe von Endlosregler werden zusätzlich zu den fest belegten Gain- und Volumeregler ohnehin zumeist mit den EQ-Bezeichnungen eines Gitarrenverstärkers in Form von Treble, Middle, Bass und Presence belegt. Zudem verfügt das Gerät über einen Tuner und ein programmierbares Noise-Gate.
Die Anschlüsse des Kemper AMP
Geht es bezüglich der Anschlüsse auf der Frontseite des Geräts in Form einer Input- und einer Kopfhörerbuchse noch sehr aufgeräumt zu, bietet sich auf der Rückseite eine ganze Armada von Steckverbindungen zur Benutzung an. Sämtliche Outputs wurde mit einem Ground Lift Switch versorgt, als da wären:
- Master Output links/rechts, sowohl als symmetrische XLR- als auch als Klinkenbuchsen (wird primär für Recordings oder Direktbeschickung des FOH genutzt)
- Monitor Output (Mono Out für die Bühne, bei dem über einen Softswitch die Speakersimulation deaktiviert werden kann, um das Signal über einen FX-Return direkt an seine Gitarrenbox anschließen zu können)
- Direct Output und Return/Alternative Input (dienen als FX-Loop oder werden für den Vorgang des „Profilings“ benutzt)
Über zwei Klinkenbuchsen können ebenso zwei Fußschalter angeschlossen werden, über die man die Effekte des KPA schalten kann. Zudem verfügt der KPA über eine komplette MIDI-Sektion (In, Out und Thru), zwei USB-Ports, Netzwerkanschluss, einem Kaltgerätestecker und einen S/PDIF Digitalanschluss. Die gesamte Verarbeitung des Gerätes ist echtes „Made in Germany“, will heißen: mechanisch und elektronisch komplett „State of the Art“!
Also dann, der große Aufhänger des KPA ist das Nachbilden jedes Verstärkersounds, sofern man ihn zur Hand hat und wir uns in einer mehr oder minder normalen Aufnahmesituation inklusive eines verwendeten Mikrofons befinden. Wie macht der KPA dies? Nun, zunächst schließt man die Gitarre an den Input des KPA an. Über den Direct-Out geht es in den Input des zu vermessenden Amps, weiter zur Box/Lautsprecher. Mikrofon perfekt positionieren und dann das Mikrofonkabel wieder in den Return des KPA. Möchte man das Mikrofonsignal der Gitarre nun in der Regie hören, bedient man sich der Master-Outputs.
Der Profiling Prozess des Kemper AMP
Der eigentliche Profiling-Prozess wird nun über die Einstellung „Profiler“ eingeleitet. Zunächst noch den Soundbereich „Clean“ oder „Distorted“ wählen, woraufhin der KPA mit seiner Show beginnt. In drei unterschiedlichen Phasen generiert das Gerät über knapp eine Minute unterschiedliche Messtöne in Form von Rauschen und Brummen und sampelt so den gesamten Frequenzbereich der Verstärkerkonstruktion und seine Interaktion mit dem Lautsprecher und dem Mikrofon ab. Um das Endergebnis noch zu verfeinern, kann man über die Funktion „Refine Profile“ noch weitere zwanzig Sekunden Akkorde spielen, danach ist der eigentliche Prozess abgeschlossen.
Im Untermenü „Amplifier“ und „Cabinet“ kann man nun weiter am Klangergebnis schrauben, um seinen persönlichen Stil aus Anschlagsintensität oder Ansprache des nunmehr virtuellen Verstärkers zu bestimmen. Abmessungen von Boxen wie auch unterschiedliche Lautsprechertypen lassen sich hier ebenfalls frei wählen und bringen zusätzliche Möglichkeiten seinen eigenen Sound zu variieren.
In den Bereichen „Stomps“ und „Effects“ kann man sich dann seine persönliche Effektabteilung zusammenstellen, wobei man bei Stomps erwartungsgemäß die klassischen Tretminen findet, während die Effects-Abteilung die Modulations- und Raumeffektabteilung bedient. Man findet eigentlich alle Effekte, die man als Gitarrist gerne bedienen möchte, allesamt in sehr guter Qualität. Ob Distortion, Booster, Modulation, EQ, Reverb oder Delay, alle gängigen Sektionen, bei Bedarf auch in stereo, stehen zur Verfügung.
Der Kemper AMP in der Praxis
Um direkt loszulegen, ist der KPA von Haus aus mit einer Werksbibliothek ausgerüstet, die eine illustrere Zahl von Big Names ihr Eigen nennt, seien es VOX, Marshall, Fender oder Soldano. Wie immer in der Musik, variieren hier die Meinungen, was der ultimative Sound und was nur ein laues Lüftchen ist. Meines Erachtens handelt es sich hier um eine sehr gute Grundauswahl an Arbeitssounds, mit denen man bereits sehr viel anfangen kann. Es handelt sich hierbei natürlich auch um spezielle, von einem Künstler generierte Sounds, welches wie immer dem persönlichen Geschmack unterliegt, womit eine persönliche Meinung eher von sekundärem Wert ist.
Wichtiger ist dagegen schon die Frage, ob der KPA tatsächlich bzgl. des Profiling-Konzeptes hält, was er verspricht. Um es vorwegzunehmen, er hält Wort und das dank seiner bisher einzigartigen Konzeption in „State of the Art-Qualität“. Dank seiner Editiermöglichkeiten kann man das Ergebnis nachträglich immer etwas mehr in die eine oder andere Richtung verschieben, aber der Grundcharakter des gesampelten Amp/Speaker/Mikrofon-Setups bleibt erhalten. Es ist wirklich erstaunlich, ja schon unglaublich, wie fein der KPA auflöst und die Interaktion des Künstlers mit seinem Setup in die digitale Welt transferiert.
Schwer vorstellbar, was dieses Konzept für Auswirkungen auf den Studio- aber auch Live-Betrieb haben wird. Aufwendige Sounds, die bei Plattenproduktionen verwendet wurden, lassen sich eintüten und live nahezu 1:1 reproduzieren. Speicherplatz ist mit über eintausend Speicherplätzen im Überfluss vorhanden, abrufbar über eine handelsübliche MIDI-Leiste. Bibliotheken können vom Künstler erstellt und per Download verkauft werden. „Kauf dir die Rammstein Collection: mit drei Powerchords und Protools im Gepäck zum Weltstar. Inklusive aller KPA-Sounds des letzten Albums“!
Nicht zu vergessen, das Ganze wird eventuell auch markenschutzrechtliche Konsequenzen haben. Ich kann mir ehrlich gesagt kaum vorstellen, dass die Patentklage-freundliche amerikanische Juristenvereinigung es tatenlos hinnimmt, dass man nun „Sounds“ mit eindeutig Trademark-basiertem Ansatz kopiert und in welcher Art auch immer weitergehend verwertet. Ich hoffe, es bleibt Christoph Kemper erspart, aber ich würde mir an seiner Stelle sicherheitshalber schon mal ein paar gute internationale Patentanwälte sichern. Geschmacksmuster-Patentstreit wie zwischen Apple und Samsung im klanglichen Bereich? Man weiß ja nie.
das Teil klingt ja sehr gut — ABER: zum Vergleich habe ich auf meinem PodX3 einen JCM Sound in gleicher Weise ( trocken + verzerrt ) eingestellt und mir über die gleichen HS80 Boxen angehört – tut mir leid – ich höre kaum einen Unterschied – vor allem keinen der eine Investition von mehr als 1000,- Euro über einem Line6 Pod begründen würde. Meine schon lang gehegte Vermutung in der endlosen Diskussion über Modeling und dem Sound echter Amps scheint sich weiter zu bestätigen: Soundunterschiede entstehen vor allem durch das hochwertige! Einfangen des Klanges von Raum und Boxen in einem Studio – wer zB den Sound eines PodX3 mit einem hochwertigen Hallgerät von Lexicon oder TC beglückt, wird schnell merken welche erheblich klangformenden Effekte dabei entstehen können – Mein Tipp: TC Programme, die einen mit holzverkleideten Raum simulieren, erzeugen einen erdigen, drückenden und sustainreichen Sound, der besonders den typischen Marshall Rocksound unterstützt. Freue mich andere Meinungen zu hören…
ah, Dein Line6 Modeller kann Profiles erstellen ;-)
ich glaube, Du hast nicht ganz verstanden, um was es geht.
Erstellug von Profiles ist doch kein Selbstzwelc, oder? Natürlich ergeben sich durch Profiling eigener Amps, Boxen etc. noch zusätzliche Soundmöglichkeiten. Aber wer braucht so etwas?Der normale Musiker ist aber allein schon mit den zahlreichen Modelingvarianten von zB Line6 mehr als genug bedient. Sinn des Profilings ist doch nicht nur ein noch mehr an Soundvariationen zu schaffen, sondern diese auf einem qualitativ neuen, realistischerem Level anzubieten. Dies möchte uns der Hersteller glauben machen. Dazu passt mein Test.
Interessant! Das TC Hallgerät kostet dann wohl nichts. Und zum Gig muss es auch nicht getragen werden? Dazu scheint auch die Aussage „zusätzlichen Soundmöglichkeiten, aber wer braucht so etwas“ zu passen.
Anscheinend ist der Sinn und Inhalt des Testberichtes am grossen Kritiker komplett verbeigezogen.
Wer ist denn übrigens bitte der „normale Musiker“? Da mir das Line6 Modelling nicht zusagt bin ich jetzt ein Übermusiker? Oder Vollfreakmukker? Oder was genau?
Jungs, immer geschmeidig bleiben und nicht die alte besser/schlechter Diskussion in den Raum werfen, das ist am Thema vorbei.
Beim Line6 handelt es sich um einen Modeler, der bekannten Klang-Konstellationen emuliert. Beim Kemper handelt es sich um einen Sampler, welcher persönliche Soundkonstellationen oder aber Setups anderer Künstler aufnimmt und weiter verarbeitet.
Die Konzeptionen sind grundverschieden und können überhaupt nicht miteinander verglichen werden. Was gut und was schlecht ist definiert jeder Musiker für sich selber und ist unabhängig vom Preis zu betrachten. Fakt ist dass der KPA aufgrund seiner Konstruktion den bis dato besten Klang im Bezug auf die Wiedergabe eines „fremden“ Sounds hat, Fakt! Was nicht heisst dass andere Geräte schlechter sind, einfach nur anders.
Ein Formel 1 Wagen fährt bestimmt sehr schnell zum Bäcker und zurück, dennoch kann ich mit einem Golf Variant viel mehr Brot auf dem Rückweg einladen. Wer ist jetzt der „bessere“ Wagen? Eben, auf den Einsatzzweck kommt es an!