Multi-Morphing-Overdrive
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Es gibt wohl kaum jemanden unter uns, der keinen Verzerrer oder Overdrive auf irgendeine Art und Weise nutzt oder zumindest nicht schon mal benutzt hat. Manch einer erzeugt seine Overdrive-Sounds komplett mit einem solchen Pedal, der andere wiederum nutzt einen Verzerrer etwa zum „Anfetten“ der Röhrenvorstufe des Amps oder schickt das Signal über den Speaker-Emulator direkt in den Computer. Man munkelt sogar, dass es Musiker gibt, die gleich mehrere dieser Kistchen auf ihrem Pedalboard fixiert haben. Die Flut der auf dem Markt angebotenen Verzerrer ist riesengroß und kaum überschaubar, es gibt sie in digitaler und analoger Bauweise, mit oder ohne EQ und Speicherplätzen und das dazu aus aller Herren Länder und in Preisbereichen, die von den Kosten einer leicht gefüllten Einkaufstüte aus dem Discounter bis hin zum Wochenendtarif im 4-Sterne-Hotel reichen. Und nicht jedes Pedal klingt automatisch mit jedem Set-up gut, was auch den regen Gebrauchtmarkt speziell in diesem Bereich erklärt.
Um also einen neues Verzerrer-, Distortion- oder Overdrive-Pedal erfolgreich am Markt einzuführen und zu platzieren, gehören heutzutage schon besondere Features, um sich von der übermächtigen Konkurrenz bzw. den ewigen Platzhirschen abzusetzen. Das Kernom Ridge bietet solche besonderen Features, erzeugt es doch seine Sounds mit einem neuen, vom Hersteller als Analog Morphing Core Technology bezeichneten Verfahren. Damit soll es möglich sein, die Schaltkreise von zahlreichen Booster-, Verzerrer- und Overdrive-Pedalen in Windeseile nachzubilden und im Speicher zu konservieren. Ob und wie das funktioniert, werden wir im folgenden Test herausfinden!
Kernom Ridge: Die Hardware
Auf den ersten Blick wirkt das Kernom Ridge eher wie ein Hipster-Tool für den nächsten Instagram-Live-Stream oder ein neues Apple Produkt im typischen Clean-Look. Beim Zugreifen entpuppt sich das Pedal jedoch als ein echter Klotz aus Metall mit einem stolzen Gewicht von rund 800 g, einer mattweißen Lackierung und ebenso weißen Bedienknöpfen auf der Oberseite. Sieht im Neuzustand zweifellos sehr edel aus, allerdings kommt da schon die Frage auf, was von dem strahlenden Weiß nach ein paar Jahren Einsatz zwischen Proberaum und Bühne noch übrig bleibt. Bevor wir uns mit dem Bedienpanel beschäftigen, werfen wir zunächst einen Blick auf die Außenseiten des Gehäuses, genauer gesagt auf die Stirnseite, denn dort befinden sich alle Anschlüsse gemeinsam versammelt. Das ist schon mal sehr positiv, spart es doch Platz bei einer eventuellen Unterbringung des Ridge auf einem Pedalboard.
Zunächst befindet sich hier der Anschluss für ein 9 V Netzteil, ein solches wird allerdings nicht mitgeliefert. Sollte man also in Betracht ziehen, das Kernom Ridge nicht an die zentrale Stromversorgung des Pedalboards anzuschließen, gehört ein entsprechendes Netzteil zum Pflichtprogramm, um dem Gerät überhaupt einen Ton zu entlocken. Denn mit Batterien ist hier definitiv nichts zu holen.
Weiter geht’s mit der MIDI-Schnittstelle (In und Out), die eine flexible Steuerung zahlreicher Parameter des Ridge ermöglicht. Hervorzuheben ist an dieser Stelle die Möglichkeit, auf diesem Weg bis zu 128 erstellte Settings abzurufen – sei es mit einem herkömmlichen MIDI-Pedal oder als Control-Change-Befehl von jedem anderen MIDI-Equipment aus gesendet. Voraussetzung dafür ist ein TRS-Adapter, der optional erhältlich ist. Im Vergleich dazu erscheint der Zugriff auf lediglich zwei Presets beim „normalen“ Betrieb des Pedals als sehr spartanisch. Hier hätten es ruhig drei oder vier Sounds mehr sein dürfen, die man per Fußtritt hätte abrufen können.
Zum Anschluss eines Expression-Pedals steht die EXP-Buchse bereit, damit kann man mit der Fußwippe durch die zwei unterschiedlichen Zerr-Sounds „morphen“. Rein und raus in das Kernon Ridge geht’s mit den Audio-In/Out-Buchsen im Klinkenformat zu Anschließen der Gitarre oder auch eines jeden weiteren Instruments mit Line-Signal. Die Anpassung des Eingangssignals ist flexibel regelbar.
Kernom Ridge – Bedienpanel
Zunächst einmal gilt es, die Qualität der verwendeten Potis hervorzuheben. Schon nach einem kurzen Kontakt mit den Reglern hat man das Gefühl, sein Geld doch irgendwie gut angelegt zu haben, dermaßen fein und geschmeidig wandern die Regler über ihre Achsen. Neben den typischen und selbst erklärenden Parametern eines Overdrive/Verzerrer-Pedals wie „Drive“ und „Volume“ sorgt „Mid“ für den Zugriff auf das so wichtige Mittenspektrum im Gitarren-Sound. Und während „Post Tone“ den Klang hinter der Clipping-Stufe bearbeitet, sorgt „Pre Tone“ für die Anpassung des angeschlossenen Instruments, bevor es in die Zerrstufe geht. Zentrales Herzstück des Kernom Ridge ist jedoch der Mood-Regler, der ein stufenlos Überblenden vom Soft-Clipping über Overdrive- und Distortion-Sounds bis hin zum Klang eines Fuzz ermöglichen soll.
Bleiben noch die beiden Metallschalter zu erwähnen, die als Softklick-Typen ausgeführt wurden und somit ein fast geräuschloses Bedienen ermöglichen. Der rechte der beiden aktiviert den Effekt, mit dem linken lässt sich zwischen einem Preset und dem aktuellen Stand der Potis auf der Oberfläche wählen. So hat man etwa die Möglichkeit, zwischen einem Crunch- und einem Leadsound zu wechseln – ein traditioneller Einsatz sozusagen. Das dauerhafte Absichern einer Eigenkreation geschieht über ein längeres Drücken des Preset-Schalters, informiert wird der Benutzer durch zwei nicht zu hell strahlende LEDs über den Betriebszustand. Nach so viel trockener Theorie aber nun zum eigentlichen Kern der Sache, nämlich dem Sound und den Möglichkeiten, die das Kernom Ridge zu bieten hat.
Das Ridge in der Praxis
Für den Praxis-Check habe ich das Kernom Ridge mit unterschiedlichen Amps und Gitarren getestet. Mal wurde das Pedal ganz traditionell zwischen Gitarre und Röhren-Amp(s) verkabelt, mal in die Returns der Amps gesetzt und auch mein betagter Hughes & Kettner „Thirty“ Transistorverstärker durfte seinen Senf dazu abgeben. Die Ergebnisse sind mehr als verblüffend, um es kurz und knapp auf den Punkt zu bringen. Zunächst einmal gilt es, die hohe Signalqualität und das extrem geringe Rauschen zu erwähnen, selbst bei extrem hoher Verzerrung ist das Rauschspektrum kaum der Rede wert.
Das Morphen mit dem Mood-Regler durch die verschiedenen Clipping-Stufen macht einen Heidenspaß, auch wenn die Übergänge zwischen den einzelnen Clipping-Stufen nicht immer ganz sauber verlaufen. Neben für mich persönlich vollkommen neuen Sounds, erscheinen unter den zahlreichen Typen auch immer mal wieder Klänge, die an alte Bekannte wie etwa den Ibanez Tubescreamer, den unvergesslichen EHX Big Muff oder an die Boss Overdrive-Pedale aus verschiedenen Dekaden erinnern, inklusive deren charakteristischen Merkmalen bzw. Schwächen wie etwa ein „Brutzeln“ hier und dort oder ein etwas zu fett aufgetragenes Bassspektrum. Das lässt sich aber mit den beiden Tone-Reglern und dem kraftvoll zupackenden Mid-Poti schnell korrigieren und auf das verwendete Set-up bzw. den persönlichen Geschmack anpassen.
Die Nachbildung von klassischen Overdrive- und Distortion-Sounds in vielen Facetten gelingt dem analog aufgebauten Kernom Ridge ausgesprochen gut. Die Metal-Fraktion dürfte allerdings mit den Sounds der weißen Schmuckschatulle nicht zufriedenzustellen sein. Nicht, dass nicht etwa genügend Verzerrung vorhanden wäre, ganz im Gegenteil, das Teil kann ganz sicher so manchem Amp den Leim aus den Fugen pressen. Der Klang insgesamt ist aber eher als Vintage-lastig zu bezeichnen, für die Metaller unter uns gibt es da bessere Lösungen auf dem Markt.
Kernom Ridge – Klangbeispiele
In den folgenden Klangbeispielen hört man das Kernom Ridge verkabelt zwischen einer Music Man Silhouette Special und dem Eingang eines Mesa/Boogie Studio 22+ Amps, dessen Clean-Channel ausgewählt wurde. Für die Abnahme wurde ein AKG C3000 Mikrofon verwendet.
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