Zwei U 87 auf einen Streich?
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Das UT Twin 87 von United Studio Technologies möchte in die Fußstapfen des weitverbreiteten Studiomikrofons Neumann U 87 treten. Es bietet gleich zwei verschiedene elektronische Schaltungen zur Auswahl, nämlich sowohl die des alten U 87 (i) als auch jene des neueren U 87 ai. Das hat es so noch nicht gegeben.
Der Werbetext des Anbieters verspricht, es müsse den „Vergleich mit seinem historischen Vorbild nicht scheuen“. Wir haben das Twin87 einem ausgiebigen Test unterzogen und mit dem 3-4-mal so teuren Original von Neumann verglichen. Zunächst aber etwas Geschichte:
Vorbilder des United Studio Technologies Twin87
Das Kondensatormikrofon Neumann U 87 wurde zu Hochzeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Jahr 1967 eingeführt und fand seitdem enorme Verbreitung in Aufnahme-, Radio- und Fernsehstudios sowie Konzertsälen. Bis heute hat es den Ruf, das Standard-Mikrofon für gehobene Recording-Ansprüche zu sein.
Das U 87 gilt als universell einsetzbarer Allrounder, als „Arbeitspferd“, findet aber insbesondere bei Sprach- und Gesangsaufnahmen vielfach Verwendung. Regelmäßigen Unkenrufen, es liefere zwar in allen Situationen brauchbare Signale, sei aber nie das bestklingende Mikrofon für eine Anwendung zum Trotz, wurde es bei einer Vielzahl von Hits für die Stimmen von diversen Musiklegenden, wie bspw. Bob Marley, John Lennon, Jeff Buckley, Marvin Gaye oder Caren Carpenter verwendet.
Im Laufe der Zeit brachte Neumann verschiedene Modellvarianten auf den Markt und nahm Detailveränderungen an den Modellen vor. Die größten Unterschiede bestehen zwischen den bis 1986 gebauten älteren U 87 bzw. U 87 i Versionen sowie dem Nachfolgemodell U 87 ai. Einerseits wurde hier die Konstruktion der Kapsel überarbeitet, was sich laut Neumann jedoch nicht auf die akustischen Eigenschaften auswirke. Andererseits wurde dem ai-Modell ein Spannungswandler spendiert, der die Polarisation der Kapsel auf 60 V anhob. Dies sowie begleitende Anpassungen an der Elektronik erhöhten den Ausgangspegel und verbesserten den Rauschabstand, allerdings auch auf Kosten des maximal verzerrungsfreien Schallpegels (Headroom).
Das neuere U 87 ai unterscheidet sich vom älteren U 87 (i) auch hinsichtlich des Frequenzgangs, der einerseits etwas höhenlastiger abgestimmt wurde und sich andererseits im Bassbereich etwas schlanker darstellt. Letzteres soll dem Nahbesprechungseffekt entgegenwirken.
Von der bekanntermaßen vintage-affinen Recordingzunft wird meist eine mehr oder weniger deutliche Präferenz für den Klang des älteren Modells geäußert. Persönlich empfinde auch ich den Sound des „ai“ gegenüber dem alten U 87 als weniger ausgewogen und tendenziell etwas anstrengend, weshalb ich die Elektronik meines brandneuen U 87 ai sogleich vom brandenburgischen Spezialisten Andreas Grosser dahingehend habe modifizieren lassen, dass die klanglichen Eigenschaften (abgesehen vom Rauschen) möglichst dem Vintage-U 87 entsprechen. Resultat: Ein für meine Ohren nahezu ideal natürlich und ausgewogen klingendes Mikrofon mit leichter Tendenz zum Schönfärben, gegen das das Twin87 nun antreten muss.
Das United Studio Technologies Twin87
Hinter dem etwas generisch klingenden Anbieternamen „United Studio Technologies“ steckt ein Unternehmen, dessen Chefentwickler Chad Kelly zuvor u. a. bereits für den Konkurrenten Warm Audio gearbeitet hat. Der Anleitung zufolge wurde das Twin87 über einen Zeitraum von mehreren Jahren in den USA entwickelt. Die eigentliche Fertigung erfolgt aber offenbar in Fernost (heute ist das in der Regel China).
Das Mikrofon wird in einer buntbedruckten Kartonverpackung mit Schaumstoffeinlagen geliefert, und verfügt als Zubehör über eine Mikrofonspinne (mit Ersatzgummis) und eine Kunstledertasche.
Rein optisch und haptisch unterscheidet es sich vom Vorbild Made in Germany:
Es ist etwas länger als das Original und statt des charakteristischen und designrechtlich geschützten gebogenen Drahtkorbs des Neumann-Mikrofons ist dieser beim Twin 87 vollständig zylindrisch und deutlich länger. Laut Entwickler erhalte es so einen „fresh new look“ bei gleichzeitiger Vermeidung rechtlicher Probleme. Zudem habe man das 3-lagige Drahtgewebe des Ur- U 87 aus den 60ern als Vorlage verwendet.
Unter anderem aufgrund der deutlich dickeren Außenwände des massiven Metallkörpers liegt das Twin87 wesentlich schwerer in der Hand als das U 87 ai. Die Fertigungsqualität ist gut, allerdings bewegt sich die mechanische Konstruktion im Vergleich zu den hochpräzise gearbeiteten und passgenau ineinandergleitenden gummibedämpften Teilen des Neumann auf einem einfacheren Niveau. Vergleichbares gilt auch für die Mikrofonspinne.
Beim Blick ins Innere zeigen sich neben dem mit dem hauseigenen in den USA gefertigten Übertrager jede Menge hochwertige und anscheinend sorgfältig ausgewählte Bauteile. Der Einsatz von Tantalkondensatoren ist interessant, diese haben nach meiner Erfahrung einen „Sound“ und fanden im U 87 ab der „ai“-Serie keine Verwendung mehr. Die Stirn runzeln musste ich wegen der in meinen Augen exzessiven Verwendung von Heißkleber auf den hitzeempfindlichen Styroflexkondensatoren (hier wohl zur Bedämpfung mikrofonischer Eigenschaften der Bauteile).
Die unten in blau erkennbare Mikroschaltereinheit („Mäuserklavier“) ermöglicht es übrigens, das in späteren U 87 Versionen vorhandenen RF – (Hochfrequenz-) Filter zu deaktivieren.
Außen befinden sich neben den auch beim U 87 vorhandenen Schaltern zur Absenkung der gesamten Lautstärke sowie des Bassbereichs auch noch jener zur Wahl zwischen „Vintage“ oder „Modern“, also an das alte U 87 i bzw. neue U 87 ai angelehntem Sound. Die Schalter sind anderes als bei Neumann aus Metall und der Kopf des Mikrofons ist nicht abnehmbar.
Die Kapsel wurde laut Hersteller nach dessen Anforderungen im Auftrag gefertigt. Hier kommen eigentlich nur wenige, bekannte chinesische Firmen in Frage, auf die es aber keine Auskunft gab. Die zur Verbindung der Kapsel verwendete Litze ist laut Anleitung dann aber von audiophiler Qualität: Feinstes silberbeschichtetes Teflonkabel.
Tonstudio-Einsatz des Twin87
Da bei der Umschaltung zwischen den beiden Modi laut Hersteller tatsächlich sogar auch die Polarisationsspannung an der Kapsel angepasst wird, dauert es einige Sekunden, bis diese korrekt aufgebaut ist, vorher kann es zu Aussetzern kommen. Wie beim Original ist die Amplitude der „Modern“-Schaltung um einige Dezibel lauter.
Für die Aufnahme der Klangbeispiele wurden beide Mikrofone direkt nebeneinander aufgestellt und möglichst aus der Mitte beschallt. Vergleiche zwischen den beiden Modi Vintage und Modern konnten naturgemäß nur mittels separater Aufnahmen erstellt werden. Alle Klangbeispiele weisen die praxisrelevante Nierencharakteristik auf, wurden ohne Popfilter erstellt und sind – außer bei Kennzeichnung mit „EQ“ – bis auf die wechselseitige Anpassung der Lautstärke gänzlich unbearbeitet
Der Frequenzgang des Twin87 im Vintage-Modus kommt dem des modifizierten U87 ai bis in die Höhen (ca. bis 3,5 khz) verblüffend nah, solange man bei Letzterem das Hochpassfilter aktiviert. Darüber finden sich deutlichere Unterschiede, wobei selbst bei den vergleichsweise eng tolerierten Neumann-Kapseln herstellerseitig +/-2 dB Abweichung akzeptiert wird. Viel mehr (also zwischen beiden Mikrofonen etwas über maximal 4 dB Abweichung) war auch nicht festzustellen.
Der ausgewogene Frequenzgang bestätigt sich auch im Hörtest: Der Klang des Twin87 ist frei von den gefürchteten überzeichneten Höhen fernöstlicher Billigprodukte. Die klangliche Anmutung kommt den jeweiligen U 87 Varianten beim erstes Anhören dann auch nah.
Vergleich mit dem Neumann Original
Im direkten Vergleich mit dem modifizierten U 87 ai zeigt sich (auch noch unter Zuhilfenahme eines nach Messung den Frequenzgang angleichenden EQs) – zumindest für meine Ohren und bei Verwendung einer hochwertigen Abhörkette – aber doch ein Klassenunterschied: Das Neumann löst feiner auf, klingt offener in den Höhen, bildet Transienten sauberer ab und bringt die Dynamik des Klangs aus dem Raum insgesamt natürlicher und unangestrengter in die Aufnahme.
Nach der Anpassung des Frequenzgangs sind beim Twin87 zwar die typischen, etwas steif und papierartig klingenden Neumann-Mitten einigermaßen vorhanden, aber es klingt resonanter, nicht so trocken und ausgewogen wie beim U 87. Dies hört man bei der Sprachaufnahme recht gut, ebenso wie die bessere Verarbeitung der Ess-Laute durch das Neumann-Mikrofon:
Für diese Unterschiede gibt es mehrere denkbare Ursachen, die insbesondere bei der Kapsel sowie der mechanischen Konstruktion zu suchen sind. Bei der elektronischen Schaltung scheint der Entwickler ja sehr detailliert gearbeitet zu haben.
Beim Kapselbau ist Neumann bis heute die Referenz. Viel wird über die Gründe spekuliert, es könnte u. a. die Zusammensetzung der Beschichtung eine Rolle spielen, aber letztlich weiß man es nur in Berlin. Der Hersteller hat kürzlich sogar den freien Verkauf von Ersatzteilen eingestellt, weil immer mehr Selbstbauer und schließlich sogar ein Konkurrent die begehrten Kapseln in eigene Mikrofone einbauten …
Bleibt noch die mechanische Konstruktion: Der Drahtkorb über der Kapsel ist natürlich für den Schall nicht völlig durchlässig, d. h. im Inneren entstehen Reflexionen. Auch die Beschaffenheit und Anzahl der Lagen des Gewebes spielt eine Rolle, wobei hier ja laut Entwickler das Original genau kopiert wurde.
Meine Vermutung ist einerseits, dass das Design der besonders geformten und designrechtlich geschützten Neumann-Körbe nicht nur der Vermeidung stehender Wellen (ausgelöst durch parallele Reflexionsflächen), sondern darüber hinaus einer klanglich besonders günstigen Verteilung dieser Reflexionen dient. Dies könnte mitverantwortlich für die charakteristischen Neumann-Mitten sein.
Eine Expertin im Mikrofonbau (Forenname „solioqueen“), der ich die Aufnahmen beider Mikrofone geschickt hatte, wies mich dann auf in der Spektralanalyse sichtbare kurze Auslöschungen und Nachschwingen im Bereich um 4,5 khz beim Twin87 hin.
Beispiel:
Mögliche Ursache? Eine Schallwelle hat bei Zimmertemperatur bei dieser Frequenz in etwa eine Länge von 8 cm. Das ist ziemlich genau der Abstand zwischen dem schallharten Metallboden und der flachen Decke des Drahtkorbs des Twin87, den zudem noch ein flacher und recht breiter Metallring umgibt. Zudem ist die Kapsel exakt mittig zwischen den parallelen Flächen, d. h. im Schalldruckmaximum der Resonanz angebracht.
Schaut man sich Mikrofone etablierter Hersteller, z. B. Brauner, Neumann, Audio Technica oder Microtech Gefell an, so wird die Kapsel dort stets verschoben in Richtung der oberen Hälfte des Innenkorbs angebracht und/oder verfügt über einen gewölbten Sockel, Schaumstoff unter der Kapsel bzw. einen sich nach oben verengenden Drahtkorb.
Vielen Dank für den auch technisch versierten Test, der sich auch gut lesen lässt. Das Mikrophon möchte zwar mit Neumann mithalten, schafft es aber (erwartbar) nicht. Vor allem nicht zu dem aufgerufenen Preis. Die Messlatte ist hoch und UST springt nicht drüber, so viel ist klar. Die Beispiele unterstreichen das.
Danke fuer den sehr fundierten Test. Da hat sich der Autor viel Muehe gemacht und auch viel Sachverstaendnis an den Tag gelegt.
Ich muss zugeben vom Ergebnis etwas ueberrascht zu sein. U87-clone gibt es ja wie sand am Meer und in der Regel werden die meisten davon ja recht wohlwollend beschrieben.
Zudem hat ja United’s Erstlingswerk, der U47FET-clon ueberall tolle Testberichte bekommen. Also hatte ich erwartet die U87 kriegen sie dann auch super hin. Nun, hoch interessant das alles…
Bleibe ich halt mal bei meinen Originalen (TLM49, TLM67) die ich ja auch wirklich sehr mag.
Beste Gruesse,
Hallo G. Scherer,
Herzlichen Dank für dein ausführlichen und sehr interessanten Artikel! Ich finde dein Artikel gibt ein guten Vergleich zwischen das Original und der Twin87.
Viele Grüße, Garfield.
Sehr guter Artikel der zeigt, dass Klonen nicht so einfach ist solange man die Physik dahinter nicht gänzlich versteht. Neumann hat da einfach Jahrzehnte an Erfahrung die man hören kann.