Zeitgeschichte: Wie entstand ein Fernsehshow Playback in den 70ern?
Auf meinem Streifzug durch die Tiefen des Internets bin ich mal wieder auf ein Video gestoßen, das mich sofort in seinen Bann gezogen hat. Dabei handelte sich um die Sendung Telekritik mit dem Thema: „Warum singt im Fernsehen niemand falsch? Über die Perfektion von Schlagersendungen“ aus dem Jahr 1974. Die Antwort ist natürlich sehr einfach: Playback. Am Beispiel der Show „Musik ist Trumpf“ wird ausführlich beschrieben, wie diese entstanden ist.
Doch was war „Musik ist Trumpf“ für eine Sendung? Dabei handelte es sich um eine Schlagersendung mit Sketcheinlagen, die von 1975 bis 1981 ausgestrahlt wurde und von Peter Frankenfeld moderiert wurde. Er war einer der ganz großen Showmaster des deutschen Fernsehens und hatte einen Bekanntheitsgrad, wie ihn heutzutage nur noch Thomas Gottschalk und Günther Jauch haben.
Los ging die Produktion von „Musik ist Trumpf“ im Tonstudio. Heutzutage bringen die Musiker und Musikerinnen ihre Playbacks mit, damals gab es TV-Orchester, welche die Künstler und Künstlerinnen musikalisch unterstützen. Dem damaligen Zuschauer wird erklärt, wie eine Multitrack-Aufnahme entsteht. Mitte der 1970er-Jahre wurde mit 16 Spuren gearbeitet.Zuerst wurde die Musik produziert und danach haben die Schlagerstars dazu gesungen.
Der Sänger Peter Kraus wird z. B. beim Einsingen gezeigt und ist übrigens auch 2023 auf Tournee. Nichts wurde dem Zufall überlassen, selbst anscheinend improvisierte Parts sind einstudiert und wurden perfektioniert. Der musikalische Regisseur Heinz Gietz war einer der erfolgreichsten Schlagerproduzenten der Nachkriegszeit. Er erhielt 3o Goldene Schallplatten und komponierte Musik für über 40 Filme. Dirk Matten hat seine Begegnung mit Heinz Gietz in seinem Text „Synthesizer mit Hit-Garantie im Schlagerbereich“ für AMAZONA.de aufgeschrieben.
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Nach der Musik begann die Produktion der eigentlichen Fernsehsendung. Das Bild wurde zur Musik synchronisiert. Auch hier wurde nichts dem Zufall überlassen, der Auftritt der Sänger wurde geprobt und der Bewegungsablauf einstudiert. Die Aufgabe des anwesenden Orchesters Hugo Strasser bestand darin, die Partitur mitzulesen und so zu tun, als würden sie auf ihren Instrumenten spielen.
Nach mehreren Proben mit und ohne Publikum wurden zwei Shows aufgezeichnet und die besten Parts zu einer Show zusammengeschnitten, um eine perfekte Inszenierung entstehen zu lassen.
Ein Mitarbeiter hatte die Aufgabe, nach Anweisung des Regisseurs Applaus ein- und auszublenden. Ein toller Job! Doch obwohl alles minutiös geplant wurde, hatte ein Element der Show mehr Freiheit genossen und das war Peter Frankenfeld. Er hat zu viel geredet, weswegen die Show zu lang ist. Die Regie kürzte daraufhin nicht seine Beiträge, sondern beschnitt die Musik.
Es handelt sich bei dieser Sendung um ein Zeitdokument und es kommt uns sicherlich ungewöhnlich vor, dass so viel geraucht und in den Besprechungen Bier getrunken wurde. Auch heute wünschenswert empfand ich die detaillierte Kostenaufstellung der Sendung „Musik ist Trumpf“.
Interessant ist, dass dieses Format bis in das letzte Detail durchchoreografiert war. Damals wurden alle technischen Tricks benutzt, die heute auch noch Anwendung finden. Die Digitaltechnik hat manchen Arbeitsschritt vereinfacht, doch da Moden und Protagonisten austauschbar sind, hat sich an der grundsätzlichen Inszenierung einer Schlagershow scheinbar nicht viel geändert.
Nachfolgend findet ihr neben der Dokumentation Telekritik auch die dazugehörige Folge von Musik ist Trumpf. So könnt ihr euch ein Bild von der Planung bis zur fertigen Fernsehshow machen.
https://youtu.be/U_W-ApqJzJ8
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Das ist ja spannend! 😎
An »Musik ist Trumpf« kann ich mich sogar noch dunkel erinnern (wodurch mein eigenes Alter einigermaßen ersichtlich wird, *schluck*). Und dass dort nicht »live« gesungen wurde, dass habe ich mir als Kind auch irgendwann schon mal gedacht.
Ich habe aber geschätzt, dass die Musiker da ihr Band mitbringen, und dann – professionell, wie sie sind – einfach so tun, als würden sie singen. Mit anderen Worten: Wenn der Musiker dran ist, dann wird halt das Band gestartet und gut ist. Dass das aber so komplett minutiös durchgetaktet wurde … das hätte ich so nicht gedacht. Respekt! 🙂
Dass auch das damals obligatorische Showorchester nur markierte, ist mir jetzt auch neu. Allerdings war bei diesen Big Bands auch nie ein Mikrofon zu sehen.
Man könnte noch erwähnen, wie schwer sich das deutsche TV lange Zeit mit Konserven tat. Noch bis in die Achtziger Jahre wurde an Pop und Rock nur gezeigt, was auch persönlich anwesend war. Als man 83 oder 84 die Videoclip Hitparade „Formel Eins“ startete, gab es dazu geradezu entschuldigende Begründungen. (MTV in den USA gab es seit 1980.) Konserven abzuspielen wäre keine künstlerische Tätigkeit, dachte man wohl. Umso hybrider erscheint dann der meist offensichtliche Einsatz von Playback. (Drumkits ohne Mikrofonierung, E-Gitarren ohne Kabel …)
Immerhin, die ansonsten ziemlich spießige ZDF Hitparade nutzte erklärtermaßen Halbplayback mit Musik vom Band, das als Band auch zu sehen war. (Wie hieß der nerdige Typ an der Bandmaschine? Heinz? Ich weiß nicht mehr.) Und die Mikrofone der Interpreten waren auch tatsächlich eingeschaltet. Alles noch ganz ohne Autotune.
@MartinM. Reiner fahr ab. 😁
@TobyB Richtig! Reiner war’s! Die rechte Hand 👌 von DTH …
@MartinM. Ja,
in der ZDF Hitparade mussten sie live singen und Heck machte es öfters klar: Wer nicht live singt, darf bei ihm nicht auftreten. Allerdings war das auch nicht immer so, denn Trio haben während eines Playbacks ja mal 10 Sekunden nichts gemacht, was ja ein großer Skandal im Fernsehn war. Später war es entspannter. In der Harald Schmidt Show hat die Helmut Zerlett Band alles Live gespielt und musiklaische Gäste mussten beweisen, was sie live konnten. Playback war dort nicht erwünscht. In den 90ern gab es viel Shows, die auf Live setzten, vieles an dem z.B. Götz Alsmann beteiligt war. Allerdings habe ich grad einen Blick in die Sendung „immer wieder Sontags“ geworfen und da ist Vollplayback angesagt. Warscheinlich war es im Musikantenstadl nicht anders.
@Sven Rosswog Knatsch wg. Halbplayback gabs sogar schon früher, 1978, als Dieter Hallervorden und Helga Feddersen etwas unerwartet mit der Parodie „Du, die Wanne ist voll“ in den Top 10 landeten, in der Hitparade aber nicht live singen wollten. Statt eines Auftritts gabs dann nur einen bedauernden Kommentar von DTH. Irgendwie wurde das später aufgeweicht, wahrscheinlich auf Druck der Produzenten.
Was soll’s? Ob man nun einen Videoclip eines Songs oder den Fake einer Live Darbietung betrachtet, macht nicht wirklich einen Unterschied.
Sehr schön, danke und werde ich mir mal anschauen! Und natürlich kenn ich noch den grossen Peter Frankenfeld. Gehört zu meiner Erdnussflips-Chips-gerade-frisch-gebadet-Samstag-Abend Zeit… 😂
Ich fand es aber damals schon lustig wenn die Sänger noch nicht einmal ein Mikrofon in der Hand hatten.
Wenigstens bei der Hitparade wurde noch live gesungen —-MAZ ab!
Damals war noch Geld da für feinstgranulare Arbeitsteilung: Der Mixer fährt nicht selbst das Band ab, sondern sagt der Dame am Bandgerät im Nebenraum Bescheid.
@bluebell Ja, der Wahnsinn. Den Job gibt es nicht mehr !
@Sven Rosswog Dafür werden heute Typen wie der Böhmermann für ihre Müllabsonderungen bezahlt. Wo ist unser Fernsehen nur hingekommen….
@WOK Lieber Böhmermann als noch einmal Musikantenstadl, ZDF Fernsehgarten und immer wieder Sontags und alls diese Castingshows, dass ist meine Meinung zu dem Thema. Jedem nach seinem Geschmack.
Na das ist mal wieder ein cooles Feature! Vielen Dank, macht echt Spaß zu lesen (und sehen)! Was für ein Aufwand betrieben wurde! Irre! Nehmen die auch heute noch komplette TV Shows mehrmals auf, um sie dann zusammen zu schneiden?
@Tomtom Ja, mehr oder weniger, ich war mal Kabelhilfe bei einer Tony Marshall Show, es gab eine Aufzeichnung ohne Publikum und eine mit Publikum unter live Bedingungen, d.h. man hat versucht die Aufzeichnung so wenig wie möglich zu unterbrechen. Auf Sendung kam dann dann ein Zusammenschnitt beider Sendungen.
Am besten hat mir immer Dieter Bohlen gefallen, wie er neben Thomas Anders mit der E-Gitarre herum gewedelt hat, damit er auch auf die Bühne darf. Aber das waren dann ja schon die 80’er und Peter Frankenfeld war schon lange nicht mehr. Die letzten Jahre hat dann der Juhnke Musik ist Trumpf gemacht. Bis er zu betrunken dafür war, was ja neben Playback-Gesang der andere große Skandal in der alten BRD war.
Und dann gab es noch die Musiker, die darauf bestanden haben, live zu spielen. Z.B. Santana 1987 in Wetten dass:
https://www.youtube.com/watch?v=UxqzbeYvap4
Interessant ist auch was Holm Dressler zur Umsetzung und den Proben in der Videobeschreibung geschrieben hat.
Wenn man wollte, ging es also in Samstagabend Shows auch. Wo hingegen Keith Emerson 5 Jahre später seinen Yamaha GX1 bei Wetten das ohne Strom traktiert hat (oder musste?).
Die erste Musiksendung mit Livemusik dürfte Beat Club gewesen sein. Da kam der Switch von Vollplayback zu alles Live etwa 69/70. Aber ist ja auch kein Schlager
„Interessant ist, dass dieses Format bis in das letzte Detail durchchoreografiert war.“
Ist heute bei den Event-Livekonzerten der Schlager- und Popsternchen genauso, damit die Mega-Lightshow, Soundeffekte und das Autotune für die Sänger genau passt, müssen alle nach Click spielen. Da ist jeder Songablauf genau im Computer vorgegeben.