Zwei Single-Cuts im Duell
Inhaltsverzeichnis
Ein E-Gitarre Vergleichstest ist ja immer eine spannende Sache. Vor allem dann, wenn die Kontrahenten im Preis meilenweit auseinanderliegen, so wie in unserem heutigen Fall. Meine Damen und Herren, es gehen für Sie an den Start: die Harley Benton SC-Custom II im Arctic-White-Finish und die Epiphone Jerry Cantrell Prophecy LP Cus, die ebenfalls von einer schneeweißen Lackierung überzogen wird. Letztere der beiden dürften dem aufmerksamen Leser sicher bekannt vorkommen, denn mein geschätzter Kollege Axel Ritt hatte sich das Signature-Modell des Alice in Chains Gitarristen Jerry Cantrell bereits genauer für uns betrachtet. Den Artikel findet man mit einem Klick HIER.
Neben der nahezu identischen Farbe besitzen beide Gitarren noch mehr Gemeinsamkeiten, beides sind Singlecut-Modelle, beide besitzen zwei Humbucker und mit ToM-Steg und Tailpiece eine fast identische Hardware. Dennoch trennen beide Instrumente in Sachen Preis faktisch Welten, denn während die Harley Benton zu einem typischen Kampfpreis von deutlich unter 300,- Euro angeboten wird, muss man für die Epiphone Signature-Paula mehr als das Vierfache hinlegen, um sie mitnehmen zu können. Das macht die Sache natürlich noch spannender und lässt die Frage aufkommen, wie weit die kontinuierlich besser werdenden Instrumente der noch recht jungen Firma Harley Benton gegen eine deutlich teurere Gitarre eines Traditionsherstellers mit jahrzehntelanger Erfahrung im Bau elektrischer Gitarren bestehen können.
E-Gitarre Vergleichstest: Hölzer, Hardware und Aufbau
Beide Modelle besitzen einen Korpus aus Mahagoni, was für diesen Typ von E-Gitarre sicherlich eine gute wie bewährte Wahl ist. Im Gegensatz zur Harley Benton wurde bei der Epiphone jedoch zusätzlich eine Ahorndecke aufgeleimt, auch wenn man das unter der hochdeckenden Lackschicht nicht erkennen kann. Beim Hals geht man ebenfalls gemeinsame Wege, so verfügen beide Probanden über einen Mahagonihals mit 24 spielbaren Jumbo-Bünden, die bei der Harley Benton auf einem Griffbrett aus geröstetem Jatoba sitzen, während bei der Epiphone an dieser Stelle Ebenholz verwendet wurde. Bei beiden Instrumenten ist die Verarbeitung der Bundierung makellos gelungen, nichts ragt hervor, piekst oder fällt auf andere Weise unangenehm auf. Die Bespielbarkeit beider Instrumente geht in Ordnung, wobei die Saitenlage bei der SC-Custom II etwas zu hoch und bei der Epiphone fast schon zu flach mit entsprechender Neigung zum Schnarren ausgefallen ist.
Aber so etwas ist bei der verbauten Hardware recht schnell in den Griff zu bekommen, denn bei beiden Gitarren sorgt eine auf zwei Bolzen gelagerte und somit höhenverstellbare ToM-Bridge für die Führung bzw. die Aufnahme der Saiten. Während die Harley Benton mit mattschwarzer Hardware erscheint, blitzt und blinkt es bei der Epiphone nahezu an jeder Stelle. Aber das nicht in Chrom, sondern mit gebürsteten Oberflächen ihrer Nickel-Hardware, was auch für die Knöpfe der Regler und die Kappen der Tonabnehmer gilt und dem Instrument schon irgendwie einen charmanten Look verleiht. Einen weiteren Vorteil gegenüber der SC-Custom II genießt die Jerry-Cantrell-Paula durch ihre Grover-Klemmmechaniken an der Kopfplatte, die für eine zuverlässige Stimmung sorgen und zudem eine präzise wie butterweiche Bedienung bieten.
E-Gitarre Vergleichstest: Die Elektronik
Bei der elektrischen Schaltung und vor allem deren Möglichkeiten trennen sich die Wege der beiden Single-Cuts dann doch deutlich. Gemeinsamkeiten gibt es lediglich in der Art der Befeuerung, denn beide Schaltungen arbeiten mit aktiven Tonabnehmern, was das Unterbringen einer Batterie unverzichtbar macht. Beide Gitarren besitzen dazu ein entsprechendes Batteriefach auf der Rückseite, in das ein 9-Volt-Block eingesetzt wird. Das ist zwingend notwendig, denn ansonsten herrscht bei beiden Systemen Funkstille. Die Harley Benton wurde mit zwei aktiven Humbuckern von Roswell ausgerüstet, die sich getrennt in der Lautstärke und mit einem gemeinsamen Tone-Poti steuern lassen.
Die Auswahl der möglichen Konfigurationen ist weder überragend noch überraschend: So hat der Spieler die Auswahl zwischen dem Neck-Pickup, den gemeinsamen Einsatz beider Tonabnehmer oder dem Bridge-Humbucker im Solobetrieb, ausgewählt über einen soliden Dreiwegeschalter. Dagegen erscheint die Tonabnehmerbestückung der Epiphone fast schon futuristisch, zwei Fishman Fluence Humbucker mit Schaltungsmöglichkeiten für Coil-Split und Voice-Extension bieten hier eine enorm hohe Klangvielfalt. Für genauere Infos zu den verbauten Fishmans verweise ich an dieser Stelle erneut auf den Artikel meines Kollegen Axel Ritt.
E-Gitarre Vergleichstest – ein Zwischenfazit
Klar, wenn man sich genau mit den Details beschäftigt, findet man sicherlich einige Unterschiede zwischen den beiden schneeweißen Single-Cuts. Das betrifft im Wesentlichen die Elektronik, die bei der Harley Benton SC-Custom II im Gegensatz zu den flexibel schaltbaren Fishmans der Epiphone geradezu spärlich ausfällt. Grundsätzlich aber hinterlässt die günstige Harley Benton in Sachen Verarbeitung und Bespielbarkeit einen fast ebenbürtigen Eindruck und zeigt damit erneut den verblüffend hohen Standard, mit dem die Instrumente der Thomann-Hausmarke mittlerweile vom Band rollen. Doch was am Ende zählt, ist der Klang und der Einsatz in der Praxis. Wie schlägt sie sich dort im Vergleich zur Epiphone-Paula?
HB SC-Custom II vs Jerry Cantrell LP – In der Praxis
Die Harley Benton SC-Custom II marschiert ja mal richtig gut los! Dafür sorgen ein resonanter Grundsound und die beiden Roswell-Humbucker mit dem erwartungsgemäß hohen Output, was diese Gitarre für den Einsatz im Metal-Bereich geradezu prädestiniert. Es gibt reichlich Mitten und einen druckvollen Bassbereich, der allerdings in manchen Bereichen nicht ganz frei von Matschen ist. Dennoch fühlt sich die Harley Benton SC-Custom II im High-Gain-Bereich pudelwohl und garniert ihren druckvollen, aber auch etwas „schmutzig“ wirkenden Klang mit reichlich Obertönen, was im Übrigen auch den unverzerrten Sounds durchaus zugutekommt.
In der Praxis zeigt sich jedoch ein Manko bei der Bespielbarkeit, denn leider neigt die Lackierung der Halsrückseite zum gefürchteten Ankleben der Greifhand. Spieler von lackierten Hälsen wird das sicher kaum auffallen, ich als Nutzer von Gitarren mit unbehandelten bzw. nur satinierten Halsrückseiten hingegen fühle mich im wahrsten Sinne des Wortes „gebremst“. Und da war ja noch die Sache mit der Saitenlage. Aber gut, die kann ja mit wenig Aufwand ganz fix an den persönlichen Geschmack angepasst werden.
Das gleiche „klebrige“ Problem an der Halsrückseite zeigt übrigens auch die Epiphone in unserem E-Gitarre Vergleichstest, allerdings nicht ganz so ausgeprägt. Dafür spielt die Jerry Cantrell an der Strippe ihre kompletten Stärken mit den Fishmans aus und lässt die Harley Benton in Sachen Klangvielfalt und damit Flexibilität doch deutlich hinter sich zurück. Zusammen mit der Coil-Split- und der Voice-Funktion bieten die beiden Fluence-Humbucker ein beachtliches Arsenal an Sounds und dazu ein sehr klares und bis in die höchsten Verzerrungen transparentes Signal ohne jegliche Nebengeräusche. Dafür aber mit einer Menge Druck und einem sehr aufgeräumten Bassbereich. Für manche Fans der Sounds einer „echten“ Paula mag das Gebotene fast schon zu sauber und steril klingen, für präzise gespielten Metal hingegen funktionieren diese Tonabnehmer im Korpus der Epiphone Jerry Cantrell jedoch wunderbar.
Doch nicht nur das, auch im Bereich der Clean-Sounds überraschen die Fishman Fluence Tonabnehmer mit ihren zwei unterschiedlichen Voicing-Optionen und den daraus entstehenden Möglichkeiten. Die reichen fast schon bis hin zu einem Piezo-artigen Klang, mit dem man Akustikgitarren-Sounds erzeugen kann. Das macht dieses Setup unter anderem auch für flexibel einsetzbare Klänge im Studio sehr interessant.
Interessanter Artikel. Da könnte man fast überlegen in die Harley Benton einen Satz Fishman Pickups einzubauen. Sollte dann immer noch deutlich unter 1000 Euro sein.
Ich nehm ESP-LTD EC-401 mit EMGs aktiv: altbewährt, original, unschlagbar, hervorragend verarbeitet und preislich fast in der Mitte
@Joerg Was ist an einer ESP LTD LP Kopie original?
Übrigens gibt es auch die HBs mit EMGs! OMG. ;-)
Beim schnellen Durchhören der Soundbeispiele kann ich beim besten Willen keinen 842€-Unterschied feststellen. Ob einem der Name Jerry Cantrell und die Pickups diesen Aufpreis wert sind, muss natürlich jeder für sich selbst entscheiden.
DIY hat schon in vieln Beziehungen des Lebens funktioniert… Das probiere ich doch mal aus: Tonerider AC4…
Danke für den Vergleich und allenLG
Ein Sehr interessanter Test. Einen soundtechnischen Unterschied, der den Preis rechtfertigt, konnte ich hier nun nicht feststellen… Liegt dann wohl entweder in der Bespielbarkeit / Haptik oder er ist doch ein wenig übertrieben? ;-)