Ganz'n'weiß ...
Wie sich die Zeiten doch ändern. Waren die früheren Signature-Instrumente etablierter Künstler meist die hochpreisigsten Instrumente im Portfolio des jeweiligen Herstellers und wurden nicht selten von den handwerklich begabtesten Luthiern im Firmenverbund hergestellt, so hat sich die Denk- und Herstellungsweise in den letzten Jahren diesbzglich nahezu umgekehrt. So werden nunmehr zumeist die Klassiker im Portfolio häufig im jeweiligen Heimatland des Herstellers gefertigt, während die Signature-Modelle häufig in Fernost zu günstigeren Konditionen hergestellt werden. Ähnlich wie zum Beispiel auch die Konstellation ESP/LTD, verfügt der große Name Gibson über die Tochterfirma Epiphone, die einst selber einen der großen Namen im Jazzbereich darstellte, jetzt aber als das Standbein in der Budget-Klasse für Gibson etabliert wurde. Als Testinstrument liegt uns das in China gefertigte Signature Modell des in den USA sehr erfolgreichen „Alice In Chains“ Gitarristen Jerry Cantrell mit der Bezeichnung Epiphone Jerry Cantrell Prophecy LP Cus vor.
Inhaltsverzeichnis
Das Konzept der Epiphone Jerry Cantrell Prophecy LP Cus
Als Tochterfirma von Gibson darf die Marke Epiphone erwartungsgemäß alle optisch geschützten Elemente der Mutterfirma verwenden, so dass sich die Les Paul Ausführung in ihrer Kurvenführung optisch bis auf die eigenständige Kopfplatte zum Original kaum unterscheidet. Lediglich einige kleine Details wurden zu Gunsten der leicht geänderten Signature-Ausführung geändert, die aber nur einen marginalen Unterschied vorweisen.
Das bis auch das Binding durchgehend in „Bone White“ gehaltene Instrument kommt optisch sehr markant daher und besitzt wie jedes andere weisse Instrument den Vorteil, dass jede farbige Einstrahlung von Bühnenscheinwerfern 1:1 übernommen wird. Inwieweit einem die Farbgebung gefällt, muss man letztendlich selber entscheiden, aber dem Instrument kommt zumindest die Binsenweisheit „If You Wear Black, You Have To Play White“ zugute. Ich persönlich finde die Diskrepanz zwischen dem „altweißen“ Binding und dem sehr hellen „Knochen-Weiß“ etwas zu stark, da so das Binding immer etwas „dreckig“ aussieht, aber wie gesagt, alles Geschmacksache.
Die Grundkonstruktion der Epiphone Jerry Cantrell Prophecy LP Cus wurde erwartungsgemäß zu einem Großteil von der originalen Les Paul übernommen, so sind die Abmessungen des Korpus nebst Mensur etc. identisch. Was jedoch unmittelbar auffällt, ist das vergleichsweise geringe Gewicht der Gitarre, die mit ca. 3,4 kg deutlich unter dem Gewicht einer klassischen LP liegt. Im Infoblatt zur Gitarre wird das negativ besetzte Wort „Chambered“ vermieden, stattdessen wird bei „Weight Relief“ die Bezeichnung „Ultra Modern“ verwendet, was meines Erachtens wahrscheinlich auf eine Korpusaushöhlung schließen lässt. Sofern das Schwingungsverhalten wie bei den Chambered-Ausführungen der ersten Generationen nicht leidet, ist gegen eine Gewichtsreduzierung nichts einzuwenden, ansonsten auch hier, jedem so, wie es ihm gefällt.
Die jeweiligen Les Paul Konfigurationen hier jetzt noch einmal im Detail aufzuzählen, würde bedeuten Eulen nach Athen zu tragen, da wohl jeder Musiker einmal eine Paula in den Händen gehalten hat bzw. einmal halten sollte, um sich die Tragweite des vor nunmehr knapp 70 Jahren ins Leben gerufenen bekanntesten Signature-Modells aller Zeiten (Ja, die Les Paul ist ein Signature Modell!) zu vergegenwärtigen. Holzauswahl, Mensur, Konstruktion und Haptik entsprechen zu einem Großteil einer weißen Les Paul Custom aus den Achtzigern, die jedoch seiner Zeit ohne jede Gewichtsreduktion daher kam und auch gerne schon einmal an der 5 kg Marke und mehr knabberte.
Die Unterschiede zur Original Les Paul
Was aber genau sind denn nun neben dem Gewicht die Unterschiede zur originalen Les Paul, auf dass die Sonderwünsche des AIC Gitarristen erfüllt wurden. Fangen wir mit einem Detail in Form von Grover Locking Rotomatic Mechaniken an, die im Zusammenspiel mit dem Graph-Tech-Sattel ein leichtgängiges und sauberes Stimmen ermöglichen. Ebenso individuell sind die „Circle in Diamond Custom Inlays“ und die, nun sagen wir einmal sehr „feminin“ in einer Art Signed-Roundhand gehaltene Bezeichnung der Gitarre auf der Trussrod-Abdeckung.
Der größte Unterschied dürfte sich jedoch im Bereich der Tonabnehmer befinden, bei dem bei der Epiphone Jerry Cantrell Prophecy LP Cus konsequent auf eine aktive Ausrichtung Wert gelegt wurde. Einmal mehr kamen die Fishman Fluence Tonabnehmer zum Einsatz, die mittlerweile insbesondere im Hard’n’Heavy-Bereich sehr häufig zum Einsatz kommen und zum Teil kräftig am Stuhlbein des bisherigen Platzhirsches EMG sägen. Welche Pickups einem letztendlich besser gefallen, ist wieder einmal Geschmacksache, allerdings werden von vielen häufig die Möglichkeit der zwei unterschiedlichen Voicings innerhalb des Pickup-Verbundes als angenehmes Feature genannt.
Um die umfrangreiche Klangregelung der Pickups nutzen zu können, ohne dass die klassische Klangregelung der Les Paul in Form von 2x Tone und 2x Volume verloren geht, hat man sich für „2 Volume with Push/Pull Coil Splitting, 2 Tone with Push/Pull Pickup-Voice-Switching“ entschieden, bei dem zusätzlich zur Voicing-Wahl der einzelnen Pickups auch noch über eine individuelle Spulenzapfung die Pickups auf Singlecoil-Betrieb geschaltet werden können. Leider zeigen drei der vier Potis eine vergleichsweise indirekte Regelführung, sprich es vergeht immer ein kleiner Moment, bis die Potentiometerachse nach Drehung im Gehäuse greift. Nicht wirklich ein großes Problem, aber für Gitarristen, die gerne mit dem Volume-Regler die Interaktion mit ihrem Verstärker kontrollieren wollen, ein gewöhnungsbedürftiges Verhalten.
Um die Vorverstärker der aktiven Pickups betreiben zu können, bedarf es auch bei der Epiphone Jerry Cantrell Prophecy LP Cus eines 9 V Blocks, bei dem es gilt, diesen möglichst wartungsfreundlich zu platzieren. Um die „Batterie in Schaumstoff gewickelt ins Elektrikfach gestopft“ Lösung früherer Tage zu vermeiden, verwendet Epiphone einen Schnappverschluss innerhalb der Elektrofachabdeckung, der mich leider in mehrerlei Hinsicht nicht überzeugt. Zum einen kommt die Konstruktion vergleichsweise „plastikeresk“ daher, zum anderen ist die Lösung „mit Batterie festzuklemmendes Zugband zzgl. eines frei baumelnden 9 V Batterieclips“ eine Lösung, die meines Erachtens eines Signature-Modells nicht würdig ist, es sei, diese Lösung geschah auf ausdrücklichen Wunsch des Gitarristen, was ich natürlich nicht beurteilen kann.
Was meines Erachtens auch ein wenig merkwürdig anmutet, ist die Tatsache, dass das Instrument ohne eine 9 V Batterie ausgeliefert wurde. Vielleicht wurde sie nur vergessen, vielleicht haben die Verantwortlichen Sorge um eine auslaufende Batterie, aber zumindest das Beilegen eines 9 V Blocks sollte zur Standardausrüstung des Instruments gehören. Platz dafür gibt es zumindest jede Menge, da die Epiphone Jerry Cantrell Prophecy LP Cus in einem hochwertigen, schwarzen Hardshell-Koffer geliefert wird.
Die Epiphone Jerry Cantrell Prophecy LP Cus in der Praxis
Bereits in unverstärktem Zustand angespielt erkennt man, dass die Gewichtsreduzierung keinen negativen Einfluß auf das Schwingungsverhalten des Instruments mit sich bringt. Die Gitarre hat zwar einen dezent hohlen Klangcharakter, was aber nicht wertend zu sehen ist. Allerdings ist das Instrument vom Werk aus nicht optimal eingestellt, was sich in einer schnarrenden E1-Saiten oberhalb des 10. Bundes bemerkbar macht. Nichts, was man nicht selber mit ein paar Handgriffen beseitigen könnte, aber wenn man schon einen Aufkleber mit dem Aufdruck „Handcrafted in China“ auf die Halsrückseite klebt, muss man meines Erachtens in Sachen Handwerk entsprechend auch liefern.
Haptisch liegt der kräftige Hals angenehm in der Hand und bietet einen sehr guten Spielkomfort, insbesondere wenn es einmal etwas deftiger zur Sache gehen soll. Das Ein- und Ausschwingverhalten des Instruments ist gut, die Ansprache schnell. Aufgrund des geringen Gewichts lässt sich die Gitarre leicht handhaben und wird allen, die eine möglichst bequeme Bühnenhaptik suchen, viel Freude machen.
Klanglich bietet die Epiphone Jerry Cantrell Prophecy LP Cus aufgrund der Pickup-Konstruktion für eine LP-Abwandlung ein übermäßiges Soundangebot, was deutlich über die 3-Wege-Möglichkeiten einer typischen LP Standard oder Custom hinaus geht. Zwar sind mit zunehmendem Verzerrungsgrade nur noch Nuancen im Klangspektrum wahrnehmbar, im cleanen und Crunch-Bereich hingegen lassen sich mit den beiden Voicings und der Singlecoil-Schaltung vergleichsweise viele klangliche Variationen erstellen, wenngleich die Singlecoil-Schaltung wie bei allen Spulenanzapfungen im Humbucker-Bereich nicht den gleiche Charakter bieten kann wie ein reiner Singlecoil-Pickup, was aber bei jedem Humbucker dieser Bauart der Fall ist.
Wer das typische Tiefmittenbrett einer klassischen Les Paul, eventuell mit EMG Pickups angedickt, sucht, sollte bei der Epiphone Jerry Cantrell Prophecy LP Cus noch mal im Vorfeld anchecken, ob sie seinen Klangvorstellungen entspricht. Die Gitarre klingt zweifelsohne sehr gut, liegt klanglich allerdings in etwas anderen Regionen, als man es von einer Paula gewohnt ist. Dies kann Vor- oder Nachteile bieten, je nachdem was man sucht.
Die Klangbeispiele wurden mit einem Hughes&Kettner Triamp MKIII, einem Marshall 412 Cabinet mit Celestion G75 T und 2 Stck. SM57 aufgenommen.
Hi Axel,
Danke für den Bericht!
Ich habe mir die Klangbeispiele angehört. Top- die haben mich angesprochen!
Habe mich dann rückwärts durch den Bericht gelesen 😉
Nur 3,4 kg hört sich gut an! Meine letzte Paula war eine FGN Classic, die wurde mir selbst im Sitzen auf dem Schenkel zu schwer!
@casterTele Gerne doch ☺️!