Mit Netzwerkstecker und Vintage-Charme
Nur selten konnte ich beobachten, wie die Fachwelt ungeduldig auf die Veröffentlichung einer Pedalserie gewartet hat, in diesem Fall die ersten Effektpedale des deutschen Herstellers Engl. Natürlich ist die Erwartungshaltung groß, wenn einer der weltweit erfolgreichsten Verstärkerhersteller, noch dazu aus Deutschland, eine neue Serie von Effektpedalen unter eigenem Namen auf den Markt bringt, dass die Pedale aber ein dermaßen großes Interesse erzeugen sollten, wird den einen oder anderen schon verwundert haben.
Dabei widmet sich Engl in der ersten Auflage ausschließlich den Standards wie Distortion, Chorus, Delay und Kompressor, welche uns in exakt dieser Konstellation auch zum Test vorliegen, nichts wirklich Außergewöhnliches auf den ersten Blick. Dennoch muss den Produkten etwas Besonderes anheim sein, sonst wäre der Ansturm auf die in Russland gefertigten Pedale nicht so hoch gewesen, dass man Monate warten musste, um ein Testexemplar zu erhalten.
Schauen wir uns also einmal den „Rooky“ in Sachen Pedale etwas genauer an!
Facts und Features der Engl Effektpedale
Fallen wir doch mal direkt mit der Tür ins Haus, wenn es um echte Neuheiten geht. Schaut man sich die Pedale von der Unterseite aus an, so fällt einem die in diesem Segment völlig unerwartete RJ11-Buchse auf, welche man sonst allenthalben an seinem LAN-Hub oder vom heimischen Router her kennt. Pedale an den Router anschließen? Keine Sorge, hier gibt es keine Netzwerk-Schnittstelle, sondern vielmehr einen sinnvollen Verbindungsport, auf den wir gleich näher eingehen.
Von daher möchte ich mich auch zunächst mit dem passenden Engl PB-6 Pedalboard beschäftigen, durch das die Neuheit im Pedalsektorbereich erst richtig zur Geltung kommt. Das nur 1 kg schwere und mit den Maßen von 392 mm x 113 mm x 33 mm ausgestattete Board enthält eine 6-fache RJ45-Verkabelung, über die sowohl das Tonsignal als auch die Stromversorgung im Daisy-Chain-Verfahren gewährleistet wird. Patchkabel jeglicher Art entfallen bei der Verwendung selbiger Pedale.
In Zeiten, in denen Effektpedale aus Platzgründen immer mehr schrumpfen, durch die unvermeidbare Verwendung von Patchkabeln aber dennoch eine Mindestbreite nicht unterschreiten können, lässt der Hersteller seine Pedale in den handelsüblichen Abmessungen 59 mm x 110 mm x 34 mm, kann diese dann aber einem Multieffektpedal gleich unmittelbar nebeneinandersetzen. Somit bleibt die Übersichtlichkeit der Regler erhalten bei gleichzeitiger Minimierung der seitlichen Ausdehnung. Eine exzellente Detaillösung!
Die Pedale selber werden auf dem Board fest verschraubt, die Verkabelung des ebenfalls in Russland gefertigten Boards verschwindet hinter einer massiven Bodenplatte. Übrig bleibt ein bis zu sechs Pedale umfassendes Board, welches eine sehr kompakte und roadtaugliche Einheit abgibt. Mit dem Engl PB-4 gibt es das Board auch in einer Vierfachausführung.
Gemeinsamkeiten der Engl Effektpedale
Kommen wir nun zu den Pedalen an sich. Alle Pedale sitzen in den gleichen Gehäusen, lediglich die Anzahl der Regler und Schalter variiert. Alle Pedale besitzen einen True-Bypass, d.h. im Fall des Zusammenbruchs der Stromversorgung läuft das Signal dennoch weiter. In diesem Zusammenhang noch einmal kurz der Hinweis, ab mehr als 2x 3 Meter Kabellänge ist über einen separaten Buffer im Signalweg oder ein gebuffertes FX-Pedal nachzudenken, bei 2x 6 Meter ist dies unverzichtbar!
Der Präzision der Bohrungen nach zu urteilen, scheint noch recht viel Handarbeit bei der Fertigung in Russland zum Einsatz zu kommen. Die Flucht der Bohrung ist gelegentlich „etwas aus der Wasserwaage“, was aber bei entsprechender Einstellung zum Produkt nicht weiter ins Gewicht fällt. Ein Roboter weniger in der Wertschöpfungskette!
Der klangliche Grundcharakter aller Effekte darf schon mit dem Attribut „Vintage“ versehen werden. Alle Effekte klingen vergleichsweise warm und weich, wenngleich der Overdrive Retro und der Distortion Reaper mächtig beißen und kratzen können. Hier bleibt nur der Probeeinsatz im persönlichen Setup, um den Sound endgültig zu beurteilen.
Alle Klangbeispiele wurden mit einer Fame Forum IV, einem 73er Marshall Superlead, einer 260 Watt Marshall Box (65 Watt Celestion) und einem Fame MS 57 Mikrofon aufgezeichnet. Ein Setup, das durch seinen kantigen Grundsound den Vintagecharme der Pedale unterstützt. Das Signal ging durch eine Mackie 32-8-8 Konsole ohne jegliche Klangregelung.
Engl Compressor
Der Effekt ist im Prinzip selbsterklärend, für alle interessierten Neueinsteiger, ein Kompressor reduziert die Dynamik im Gitarrenspiel, indem er die dynamischen Spitzen absenkt und die Grundlautstärke anhebt. Dadurch klingt der Sound verdichteter und kompakter. Ein Gitarrenkompressor lässt sich nur bei einem cleanen Sound sinnvoll verwenden, da bei zunehmender Verzerrung der gleiche Effekt eintritt.
Der Compressor verfügt über die Regelmöglichkeiten Level (Lautstärke), Tone (Klang), Attack (Ansprechgeschwindigkeit) und Sustain (Lautstärkenverhältnisregler). Das Gerät macht, was es soll. Insbesondere bei cleanen Pickingparts verdichtet der Kompressor angenehm gleichmäßig und gleicht die unterschiedlichen Anschlagslautstärken des Musikers aus. Bei der Einstellung ist besonders auf den Attackregler zu achten. Spricht dieser zu spät an, schlägt die erste Note unangenehm laut durch, spricht er sofort an, klingt das Klangbild unangenehm künstlich.
Engl Chorus
Der Engl Chorus besitzt nur drei Regler (Speed, Depth, Detune) und zeichnet sich dadurch aus, dass man mittels eines kleinen Schiebereglers zwischen den Funktionen Chorus oder Vibrato wählen kann.
Klanglich überzeugt der Engl Chorus mit einem sehr dichten Sound, welcher gerade bei Instrumenten mit Singlecoil-Bestückung seinen tonalen Sweetspot erfährt. Der Klang ist sehr warm mit einem hohen Vintage-Anteil und kann in der Vibrato-Funktion zudem einen herrlich „eiernden“ Sound generieren, der einen großen Sixties-Seventies-Charme versprüht.
Engl Delay
Bei dem Engl Delay handelt es sich im Prinzip um ein erweitertes Slapback-Delay, das nach dem Eimerkettenprinzip arbeitet, sprich mit jeder Wiederholung nimmt der Höhenanteil des erzeugten Klangs ab. Der Effekt ist an die ersten analogen Delays angelehnt, welche vor knapp 40 Jahren auf den Markt kamen. Wir haben es also hier mit einem digitalen Delay zu tun, das den Klang einer BBD-Schaltung nachbildet.
Baugleich zum Chorus besitzt auch das Engl Delay nur drei Regler (Level, Repeat, Delay Time) und einen Schiebeschalter, welcher zwischen der Delay-Zeit 20 – 320 ms oder 40 – 640 ms wählen lässt. Der Klang ist erneut als warm und dennoch als sehr neutral zu bezeichnen.
Engl Retro
Der Name ist Programm. Der Engl Retro ist ein sehr flexibler Distortion, der einen leicht in die Sättigung gefahrenen Vollröhrenamp ordentlich anschieben kann. Auch wenn der Name es vermuten lässt, es handelt sich meines Erachtens nicht um einen Overdrive, dafür beißt das Pedal zu stark in den Höhen und die Kompression ist eher dezent.
Die Regler Volume, Dist, Treble und Bass sind selbsterklärend und können entsprechend dem persönlichen Geschmack und Equipment verwendet werden. Eine Besonderheit stellt der Low Cut dar, welcher zu starken Basshub und damit einhergehendes Resonanzpumpen mindern kann.
Klanglich geht der Retro in die „alte AC/DC Angus Young Ecke“, in der ein Non-Master-Marshall mit einem Booster oder Ähnlichem angeblasen wurde, um mehr Gain aus der Vorstufe zu kitzeln. Das Ergebnis ist ein beißender, kantiger Sound mit sehr hohem Durchsetzungsvermögen, der jedoch weit vom High-Gain heutiger Tage entfernt ist.
Engl Reaper
Der Sensenmann von Engl ist ein klassischer Distortion, klanglich an die Hochzeit des Hard ’n’ Heavy Sektors, sprich den Achtzigern, angelehnt. Mit seiner Dreiband-Klangregelung kann man die Frequenzkurve zwar ordentlich verbiegen, der Grundcharakter hingegen bleibt bestehen. Nichts ist müßiger, als über die Vor- und Nachteile einer klanglichen Dekade zu diskutieren, Fakt hingegen bleibt, dass man in Zeiten von Poser-, Hair- und Schwanzrock den stets nasalen Mittenton mit vergleichsweise wenig Kompression auch bei hohem Gain unbedingt sein Eigen nennen musste.
Wer ein Kind der Achtziger ist, es einmal war oder es gerne gewesen wäre, liegt mit diesem Verzerrer ganz weit vorne. Spandexhose gleich mit bestellen!
…wäre es nicht richtiger, wenn man in den Tracks „off:on“ statt „on:off“ schreiben würde?
@mort76 Vielleicht war es ein Gewinnspiel und derjenige, der sich zuerst meldet, hat den Hauptpreis gewonnen.
@mort76 eigentlich sind beide Bezeichnung indiskutabel, da man ja nur mit seinem Gehör erraten kann, wann das Effektpedal aktiviert wird und wann nicht. Wäre dies eine korrekte Benennung, muss das MP3 in „die-Gitarre-wird-bis-zu-dem-Zeitpunkt-von-_:__-mit-deaktiviertem-Effektpedal-gespielt-dann-wird-das-Effektpedal-bei-_:__-eingeschaltet-dann-bei-_:__-wieder-ausgeschaltet-und-zum-Schluss-bei-_:__-wieder-eingeschaltet-und-bleibt-bis-Ende-des-Soundfiles-eingeschaltet.mp3 umbenannt werden…
Interessanter Ansatz von Engl die Pedalboards kleiner zu machen. Allerdings ist das kein RJ 45 Anschluss sondern ein RJ 11. Da passt allemale ein Telefonhörer dran. RJ 45 = 8pol, Rj 11-4pol
@Monoteur stimmt, sorry, ist ein RJ 11, mein Fehler, danke für den Hinweis.
Toller Artikel Axel. Schwanzrock kannte ich noch nicht aber ich vermute es hängt mit der Spandexhose zusammen.
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So ist des ne tolle Idee mit RJ 11 aber
Schade auf dem Bild sind auch nur 4 kontake belgt. (also GND – Mono IN – Mono Out und V+)
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Mit 8 kontakten wäre Stereo IN und OUT möglich. Ggf. noch 2 Kontake für MIDI IN und OUT.
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Da wäre der Weg zu einer Standard-Bodentreter-Schnittestelle nicht mehr weit ;)
@Emmbot https://www.youtube.com/watch?v=-7pFDPMs4EU