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Interview Classics: Pat Martino 2000

Zwei Leben, zwei Karrieren & tausend Töne: Pat Martino

3. Juni 2023

Interview Classics Pat Martino 2000

Der Jazz-Gitarrist Pat Martino war eine Legende und einer der größten Virtuosen seines Instruments. Lothar Trampert traf Pat Martino im September 2000 in einem Osnabrücker Tonstudio, wo er gemeinsam mit Michael Sagmeister das Album ,Conversation‘ einspielte.

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Er gehörte zu den ganz Großen der modernen Jazz-Gitarre: Der Amerikaner Pat Martino, geboren am 25. August 1944 in Philadelphia als Patrick Carmen Azzara, verstorben am 1. November 2021 mit 77 Jahren, war ganz sicher auch einer der einflussreichsten Musiker seines Genres, dessen virtuoses Spiel und vor allem seine nicht enden wollende Improvisations-Linien unzählige Gitarristinnen und Gitarristen inspiriert haben. Wobei seine Vorlieben für extrem dicke Saiten und Plektren schon sehr individuell waren.

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Die Karriere des Pat Martino

Zur Gitarre kam er sehr früh durch seinen Vater, ebenfalls Musiker, und mit 15 Jahren hatte Pat schon klare Profi-Ambitionen. Er begleitete Red Holloway, Benny Golson, James Moody, John Handy und Willis Jackson – mit Letzterem spielte er ab 1963 mehrere Alben ein. Engagements in den Bands der legendären Organisten Jimmy Smith, Jimmy McGriff, Don Patterson, Jack McDuff und Richard Holmes folgten und waren Inspiration für Martinos erste eigenen Aufnahmen. 1967 und ’68 erschienen gleich vier Solo-Alben von Pat Martino auf dem Prestige-Label: ,El Hombre‘, ,Strings!‘, ,East!‘ und ,Baiyina (The Clear Evidence)‘ (1968). Vom boppigen Orgel-Jazz ausgehend entwickelte Martino schnell interessante Crossover-Ausflüge, die ethnische Musikzutaten und den neuen Electric-Jazz verarbeiteten. Es folgten die großartigen Alben ,Desperado‘ (1970), ,The Visit‘ (1972), ,Live!‘ (1972), ,Consciousness‘ (1974) und ,Exit‘ (1976) – und dann mit
,We’ll Be Together Again‘ (1976) ein absolut beeindruckendes Duo-Album mit dem Pianisten Gil Goldstein, das Martino von der etwas ruhigeren Saite (!) her zeigt. Noch im selben Jahr erschienen dann beim etwas kommerzieller ausgerichteten Warner-Label die in Richtung Fusion-Jazz tendierenden Martino-Meisterwerke ,Starbright‘ (1976) und ,Joyous Lake‘ (1976), auf denen er u.a. auch mit Gitarren-Synthesizern zu hören ist.

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Interview Classics Pat Martino 2000

Ein tiefer Einschnitt

1980 dann der große Einschnitt: Ärzte entdeckten in seinem Gehirn eine lebensgefährlich erweiterte Arterie (Aneurysma) und operierten. In Folge dieser chirurgischen Eingriffe hatte Martino einen großen Teil seines Gedächtnisses verloren, erkannte Freunde und Familienangehörige nicht mehr und wusste auch nicht, dass er ein bekannter Jazz-Gitarrist war. Diese Erinnerungen kamen auch nicht zurück, was bedeutete, dass Pat praktisch wieder lernen musste, in seine Identität zu finden. Auch sein Gitarrenspiel erarbeitete sich Martino anschließend wieder neu, wobei er aber nicht (wie oft kolportiert wurde) bei Null anfangen musste. Erst drei Jahre später war Martino wieder in der Lage, als Musiker zu arbeiten; sein Comeback-Album ,The Return’ erschien erst 1987.

Interview Classics Pat Martino 2000

Das Comeback von Pat Martino

Aber erst nachdem ihm 1994 ein Gehirntumor entfernt worden war, veröffentlichte Pat Martino wieder regelmäßig neue Musik, darunter so großartige Alben wie ,Interchange‘ (1994), ,All Sides Now‘ (1997), ,Live At Yoshi’s‘ (2001), ,Remember: A Tribute To Wes Montgomery (2006) und ,We Are Together Again‘ (2013), ein weiteres beeindruckendes Duo-Album mit Pianist Gil Goldstein. Während seiner zweiten Karriere tourte Pat Martino regelmäßig und weltweit – und er rückte sich und sein frühes Werk eigentlich erst in seinem letzten Lebensdrittel ins Bewusstsein vieler junger Musik-Studentinnen und Studenten, für die dieses spannende Kapitel der Jazz-Gitarre neu war. „Pat war einfach immer der Gitarrist für die Gitarristen-Szene“, erzählte der Frankfurter Gitarrist Michael Sagmeister mal in einem Gespräch. „Und selbst da habe ich eine Menge professioneller Musiker erlebt, denen ich seine Musik vorspielte und die es einfach nicht glauben wollten: Sie hatten tatsächlich bis dahin noch nichts von ihm gehört!“

Interview Classics Pat Martino 2000

© Lothar Trampert

Mit Pat Martino im Studio

Am 14. September 2000 hatte ich das Glück, auf Einladung von Michael Sagmeister im Osnabrücker Ideal-Studio bei den Aufnahmen zum Album ,Conversation‘ dabei zu sein. Sagmeister, Jahrgang 1959, der sein erstes Album ,Sagmeister Trio‘ mit 17 Jahren veröffentlichte, war schon sehr früh Fan von Pat Martino, von dessen virtuosem Post-Bop-Stil er stark beeinflusst war. 1997 spielten die Beiden zum ersten Mal zusammen beim Frankfurter Jazz Festival, drei Jahre später ging’s also ins Studio. Acht Tracks wurden an vier Tagen produziert. Zur Band gehörten neben Martino und Sagmeister Bassist Thomas Heidepriem und Drummer Michael Küttner.

Interview Classics Pat Martino 2000

© Lothar Trampert

Pat Martino im Interview

Hier mein Interview mit Jazz-Legende und Ausnahmegitarrist Pat Martino, das im Rahmen der Produktion von ,Conversation‘ stattfand – einem wirklich großartigen Gitarren-Album, bei dem sich zwei Jazz-Virtuosen auf höchstem Niveau begegnen.

Lothar Trampert:

Das erste Pat-Martino-Stück, das ich hörte, war ,Masquerade’ vom Album ,Starbright’. In dieser Zeit verschmolzen Jazz und Rock allmählich zu einer soften Fusion-Variante. Du hast dich aber bereits damals auch der Musik verschiedener Kulturen und der Elektronik geöffnet, hast Gitarren-Synthesizer eingesetzt. Wie siehst du diese Aufnahmen heute, nachdem du wieder zum eher BeBop-inspirierten Spiel zurückgekehrt bist?

Pat Martino:

Eine Aufnahme ist für mich nichts anderes als eine Fotografie und das war schon immer so. Da stecken alle Bedingungen drin, unter denen die Musik entstand, die Instrumente die ich damals spielte, die Musiker und die Umstände, unter denen wir anschließend tourten. Aber gerade dieses Album, ,Starbright’, hatte solch eine musikalische Offenheit und Vielseitigkeit: Hör dir mal die Wayne-Shorter-Komposition ,Nefertiti’ darauf an, das ist absolut laid-back gespielter Modern Jazz – ganz im Gegensatz zum Rest der Platte. Damals wollten die Leute von Warner Records dann auch von mir wissen, in welche musikalische Richtung ich mich da überhaupt orientiere und in welche Richtung von vielen möglichen sie ihr Marketing starten sollten? Na ja, sie wollten sicher gehen, dass diese Abteilung weiterhin eine Jazz-Abteilung sei, sagte man mir. Es war jedenfalls damals auch etwas schwer zu verstehen für mich, welche Art von Jazz sie überhaupt haben wollten. Meine Interessen gingen jedenfalls in alle möglichen Richtungen.

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Lothar:

Aber heute stehst du doch offensichtlich deinen BeBop-Wurzeln näher als dieser Crossover-Phase mit all ihren Einflüssen?

Pat:

Ich bin so ein Mensch, der sich fast wie die Jahreszeiten immer wieder verändert; meine musikalischen Interessen entwickeln sich jedenfalls nicht immer geradeaus in eine Richtung. Die Vielseitigkeit der Musik überhaupt und auch die meiner eigenen Musik interessiert mich. Mein letztes Album für Blue Note war ja eine Wiederbelebung der ,Joyous-Lake‘-Band-Phase und im Dezember werde ich in Los Angeles mit einem Orgel-Trio mit Joey De Francesco aufnehmen – live! Das habe ich zuletzt 1965 getan, also noch bevor meine Solo-Karriere begann. Und die Tatsache, dass diese Phasen und Richtungen mal wieder auftauchen, erinnert mich an Jahreszeiten, an Monate meines Lebens als Musiker. Es ist trotzdem immer wieder überraschend, denn ich plane das alles ja nicht. Was ich jetzt hier gemeinsam mit Michael Sagmeister spiele, ist natürlich HardBop – und das ist eben auch so eine saisonale Erscheinung in meinem musikalischen Leben.

Lothar:

Erinnerst du dich denn noch an den Moment, als du gemerkt hast, dass dein Gitarrenspiel etwas Besonderes hat? Dass du einfach anders klingst als andere Gitarristen?

Pat:

(überlegt) Das ist eine gute Frage. Ich habe mich eigentlich immer mehr für Menschen als Persönlichkeiten interessiert, weniger für die Musiker. Und so hat mich auch das Ziel, immer besser zu werden, nie besonders gereizt; ich wollte lieber viel Spaß am Leben haben und an der Arbeit. Mir ging es aber trotzdem dabei auch immer um Reinheit und Präzision und daher gibt es natürlich einige Aufnahmen, mit denen ich nie zufrieden war oder die ich wirklich lieber vergessen möchte. Aber ich konzentriere mich heute wirklich am liebsten auf die Zusammenarbeit, die musikalische Interaktion, ich will die Dinge positiv sehen und sie gut machen.

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(2)

Lothar:

Wie empfindest du junge Gitarristen, die von dir gelernt haben, aber noch in der Frühphase des reinen Kopierens stecken?

Pat:

Manchmal bin ich sehr erstaunt, welche Fertigkeiten diese jungen Musiker haben, welchen Zugang sie haben und welche analytischen Fähigkeiten. Wenn ihre eigene Identität davon etwas überdeckt wird, fühle ich mich ein wenig schuldig, eben weil sie einfach mit diesem Einfluss ihr eigenes Potenzial unterdrücken. Und jeder hat Potenzial, jeder hat etwas Eigenes, etwas Besonderes … Weißt du, die Gitarre ist für mich wie ein Ticket oder ein Fahrzeug: Sie bringt mich in soziale Zusammenhänge, in Interaktion und sie hat sich als reines Musikinstrument, nachdem ich jetzt vierzig Jahre spiele, irgendwie schon neutralisiert. Ich liebe mehr den Moment und die Menschen, mit denen ich zu tun habe.

Lothar:

Stimmt es, dass du in den 60er Jahren eine Gibson Les Paul gespielt hast?

Pat:

Das stimmt: Die schwarze Les Paul Custom war meine Lieblingsgitarre.

Lothar:

Eine Solidbody-E-Gitarre war aber damals in der Jazz-Szene ein eher unübliches Instrument.

Pat:

Allerdings. Ich würde diese Gitarre sicher heute noch spielen, doch sie wurde mir gestohlen. Es war übrigens das Instrument, das ich in der Band von Organist Jack McDuff einsetzte. Von da an spielte ich Gibson-Hollowbody-Gitarren: die L5, eine Johnny Smith, eine ES-175, viele verschiedene.

Lothar:

Dein Vorgänger bei Jack McDuff war George Benson …

Pat:

Ja und zeitweise haben wir uns sogar abgewechselt. Wer gerade da war oder Zeit hatte, sprang ein, wenn Jack McDuff anrief.

Lothar:

Ihr habt beide bekanntlich dieselbe gitarristische Herkunft, denn euer Idol hieß Wes Montgomery – was auch heute noch deutlich zu hören ist. Interessant ist aber, wie unterschiedlich ihr euch dann entwickelt habt: George Benson hat die weichere Pop-Seite von Montgomery in die Gegenwart gerettet, du die etwas dunkleren, fast raueren Jazz-Aspekte …

Pat:

Und das eine ist eigentlich so wichtig wie das andere, denn es sind beides Teile des Ganzen: Dur und Moll, Tag und Nacht …

Interview Classics Pat Martino 2000

© Lothar Trampert

Lothar:

Welches Equipment verwendest du heute?

Pat:

Ich spiele eine Gibson-Gitarre und zwar mein Pat-Martino-Signature-Modell. Dazu habe ich bei Gigs einen TriAxis-Preamp von Mesa/Boogie, plus eine 600-WattEndstufe und zwei 2×12″-Boxen, ebenfalls von Mesa. Und ich habe einen Lexicon-Prozessor (MPX-1) für Effekte, den ich allerdings kaum benutze. Wenn ich mit in kleineren Clubs spiele, verwende ich auch ganz gerne mal meinen Roland JC120, den bekannten Jazz-Chorus-Combo also. Eigentlich habe ich auch immer Fender Twin Reverbs sehr gemocht. Sie haben diesen tiefen Röhren-Sound und zwei 12″-Speaker, das fand ich gut. Bei den Aufnahmen habe ich jetzt einen Yamaha-Combo mit einem 12″-Lautsprecher gespielt.

Lothar:

Wie sieht die Klangeinstellung bei deinem Amps aus?

Pat:

Ich habe am Amp meist die Mitten stark angehoben, etwa auf 11-Uhr-Stellung, die Höhen relativ knapp eingestellt, etwa auf 7 Uhr und auch nicht zu viel Bass im Sound – der Regler steht ungefähr in 8 oder 9 Uhr Position. An der Gitarre nutze ich ja den Halstonabnehmer und wenn man dann die Bässe zu weit aufdreht, dröhnt es.

Lothar:

Effektgeräte oder übersteuerte Amps spielen momentan keine Rolle in deinem Spiel.

Pat:

Ich bevorzuge cleane Sounds. Effekte setze ich als Gitarrist eigentlich nicht mehr ein, das habe ich in den 70er-Jahren ausgiebig getan. Aber wenn ich mal zu Hause bin und Zeit habe, beschäftige ich mich mit meinem Apple-Computer und dem Keyboard und in diesem Zusammenhang tauchen dann auch wieder eine Menge Effekte und Sounds auf. Ich versuche da auf eine sehr sinfonische Art zu komponieren …
Mit der Gitarre ist das aber eine andere Sache. Vielleicht liegt es ja daran, dass ich mal für ein paar Jahre vergessen hatte, wie man überhaupt spielt … Und als ich dann wieder lernte, mit diesem Instrument umzugehen, zu lernen, worauf es mir ankommt, was die Essenz meiner Beziehung zur Gitarre ist, da habe ich es dann vermieden, mit zu vielen Effekten zu spielen. Aber wie bereits gesagt: Das kann sich auch alles wieder ändern.

Lothar:

Ich habe gelesen, du würdest Saitensätze mit .015er-E-Saite verwenden – stimmt das wirklich?

Pat:

Normalerweise spielte ich Saiten in den Stärken .016, .018, .026, .036, .048, .058. Vor zwei Jahren arbeitete ich mal mit dem Gitarrenhersteller Ken Parker zusammen und er baute zwei spezielle Fly Modelle für mich. Sie hatten übrigens zwei Trussrods im Hals, um den Zug dieser dicken Saiten auszuhalten – aber die Parker-Gitarre funktionierte letztendlich doch nur mit einem Satz von .015, .017, .024, .032, .042 und .052. Dann baute Gibson mir mein eigenes Modell und ich übernahm dann erst mal die .015er-Saitenstärke, obwohl diese Gitarre auch den .016er-Satz aushält.

Lothar:

Eine Frage zu deinem Attack: Wo genau schlägst du die Saiten mit dem Plektrum an?

Pat:

Ich würde sagen, in etwa zwischen den beiden Tonabnehmern … (Anmerkung: wobei Martinos Anschlag-Position auf Fotos eher etwas in Richtung Halstonabnehmer hin tendiert). Ich setze generell nur den Hals-Pickup ein; ganz selten habe ich mal den hinteren eingeschaltet, wenn ich einen Ton mit etwas Acoustic-Timbre brauchte.

Lothar:

Hast du eigentlich schon immer mit sehr dicken Plektren gespielt?

Pat:

Seit den 60ern spiele ich Gibson-Plektren, früher nur die schwersten und dicksten, die zu kriegen waren. Ich habe aber auch mit Picks aus Ebenholz und anderen Holzarten experimentiert, auch mit Elfenbein.

Interview Classics Pat Martino 2000

© Lothar Trampert

Pat Martino & Michael Sagmeister: Conversation

Lothar:

Pat, kannst du dich daran erinnern, wann du Michael Sagmeisters Musik zum ersten Mal gehört hast?

Pat:

Das war, als wir damals in Frankfurt beim Jazz-Festival gemeinsam auftraten – ich war sehr beeindruckt. Eigentlich habe ich ja nie regelmäßig mit einem anderen Gitarristen zusammengespielt – zuletzt war das mal in den 70ern, mit Bobby Rose. Wir spielten damals einige Duette, also ohne Rhythm-Section. Daher waren das in Frankfurt natürlich ganz andere Bedingungen. Aber es war einfach exzellent, ich war wirklich extrem beeindruckt.

Lothar:

Und du hattest dir vorher auch keine Aufnahmen von Michael angehört?

Pat:

Ich hatte mir vorher seine Sachen gar nicht angehört. Und so war das eine ganz wunderbare, natürliche Art in Kontakt zu kommen.

Lothar:

Und wie war das bei dir, Michael: Wann hast du Pat Martino entdeckt?

Michael Sagmeister:

Das ist schon lange her: Ich erinnere mich gar nicht mehr genau daran, wie alt ich war, fünfzehn oder sechzehn; es war ungefähr zwei Jahre, bevor ich mein erstes Album eingespielt habe. Damals war ich oft in Peter Couras Gitarrenladen in Frankfurt und eines Tages kam ein griechischer Musiker da herein und meinte, er habe etwas für mich. Er spielte mir Pats Album ,Consciousness’ vor – und ich war absolut geschockt. Aber dabei hatte ich sofort das Bedürfnis, ganz genau so spielen zu wollen: mit diesem Ton, mit diesem Timing, mit diesen Spannungsbögen. Seitdem habe ich mir viele andere Gitarristen angehört, aber Pat Martino ist mein wichtigster Einfluss geblieben. Ich habe eigentlich auch nicht versucht, ihn genau zu kopieren – das ist unmöglich. So eine starke musikalische Persönlichkeit zu kopieren, läuft oft auf Schauspielerei heraus, denn jeder Zuhörer würde merken, wen bzw. dass man jemanden darstellen will. Aber Pats Timing, sein Ton und diese großartigen musikalischen Ideen haben mich gereizt und darauf habe ich mich konzentriert. Das ist bis heute so geblieben.

Lothar:

Und hat es dich gelegentlich getroffen, damals immer nur als Schnellspieler und Epigone gesehen zu werden?

Michael:

Das war eine Sache, die die Technik betraf und ich denke heute über solche Dinge recht wenig nach. Aber es ist so, dass die Leute eben immer versuchen, dich einzuordnen: „Er klingt etwas nach dem oder dem!“ „Er phrasiert etwas wie der und der!“ Andererseits gehöre ich zu den ganz, ganz wenigen deutschen Gitarristen, die überhaupt einen eigenen Stil haben – und das ist schwer zu akzeptieren für manche Leute. Wenn sie dann noch wissen, dass du ein Pat-Martino-Fan bist, behaupten sie eben, dass du auch nur so klingst. Oder: Als ich auf dieser Szene auftauchte, war Pat Metheny mit ,Bright Size Life’ (1976) gerade im Gespräch und zu meinem Trio-Album sagte dann jeder, das sei die europäische Antwort auf Pat Metheny – den hatte ich aber bis dahin überhaupt noch nicht gehört! (lacht)

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(28)

Pat:

Solche Vergleiche machen vielleicht einen Sinn, wenn deine Musik verkauft werden soll – also im Marketing-Bereich oder bei der Promotion. Allerdings sind sie meiner Meinung nach eine sehr kindische Angelegenheit, wenn man sich wirklich intensiver mit einem Künstler, seinem Werk, seiner Persönlichkeit etc. befassen möchte. Die Musiker sollten in der Hinsicht auch mehr Selbstbewusstsein beweisen und Selbstvertrauen haben, sofern sie wirklich ihr Bestes geben. Denn schließlich kann man gute Kunst nicht nur anhand von Vergleichen und Maßstäben beschreiben. Wirkliche Persönlichkeiten sind einzigartig … Und Musik geht ja als Phänomen noch über all das hinaus, über den Menschen und das Instrument.

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Lothar:

Michael, was ist denn die größte Herausforderung für dich an dieser Zusammenarbeit?

Michael:

Heute morgen bin ich nach dem Frühstück noch mal in mein Hotelzimmer gegangen und habe geübt – dabei fragte ich mich dann: Wie klingt das überhaupt wirklich, was wir hier machen? Es ist eine schwierige Sache für mich: Es geht nicht darum, mich hinzusetzen und mit meinem Idol zusammenzuspielen. Vielmehr geht es um das Resultat an sich: Ist es musikalisch OK? Gibt es ein gemeinsames Level?
Vor acht Jahren habe ich mal George Benson kennengelernt und erzählte ihm beim Abendessen, dass ich Pat Martino sehr bewundere. Er meinte daraufhin nur: „Mit Pat würde ich als Gitarrist niemals in den Ring steigen!“ Und wenn dir ein Musiker von seinem Kaliber so etwas sagt, bedeutet das schon eine Menge. Ich wollte es aber trotzdem, es war mein Traum, mein Ziel seit ich Martinos Musik kenne. Und daher ist es eine sehr emotionale und atmosphärische Sache: Wenn wir spielen, denke ich nicht unbedingt an die Gitarre, an die Technik. Mir geht es nur darum, ob es musikalisch insgesamt funktioniert, wenn ich mit dieser starken Künstlerpersönlichkeit zusammenspiele. Ich denke nicht daran, ob ich jetzt so gut klingen kann, wie er oder wie ich neben ihm aussehe. Ich spiele und ich freue mich, wenn ich den Kopfhörer anhabe und Pat höre. Das ist großartig, das macht mich sehr glücklich. Ich wollte mit diesem Album überhaupt nichts klären. Das ist einfach ein Traum, den ich habe, seit ich ein kleiner Junge war. Ich wollte ein Meeting, so als würden wir uns in einem Club treffen und zusammen Musik machen. Ich wollte die Sache von Anfang an so relaxt wie möglich durchziehen, das hatten wir vorher geklärt, als wir per E-Mail in Kontakt standen. Und Pat kam dann wirklich vorbereitet hierher, er hat sich ein Buch angelegt mit Notationen meiner Stücke – er nimmt das sehr ernst. Er ist nicht der Typ, der sagt: So, ich bin Pat Martino, das große Idol und Feierabend! Und so gesehen passt das alles hier sehr schön zusammen.

Lothar:

Welche Kompositionen habt ihr eingespielt?

Michael:

Jeder von uns hat vier Stücke mitgebracht; Pats Kompositionen sind etwas älter …

Pat:

… und es sind Stücke, die Michael gerne spielen wollte. Es ist schließlich sein Album. Mich hat das schon berührt, dass er meine Musik spielen will. Ganz grundsätzlich ist mir bei einem Projekt wie diesem, neben der musikalischen und menschlichen Interaktion, vor allem eines wichtig: Der Spaß an der Sache. All der Druck und der Stress kommen doch von der Industrie, die eben an Zahlen denken muss. Wenn du aber nun eine Gruppe von Menschen zusammenbringst, einen Prozess initiierst und dabei Freude an der Sache entsteht, dann hast du etwas Unglaubliches geleistet. Wenn dabei dann ein Verantwortungsgefühl der Beteiligten untereinander besteht, eine Nähe, dann kann das schon eine sehr kraftvolle Sache sein – ein wirkliches gemeinsames Projekt also. Das hat dann natürlich eine Identität, eine Ausstrahlung, die auch erfolgreich sein kann. Wenn man so etwas nach außen tragen kann, dann wird man bei vielen Menschen den Wunsch wecken, irgendwann daran teilhaben zu können oder selbst etwas Ähnliches erleben zu dürfen.

Lothar:

Das war also jetzt dein Appell an Musiker und gleichzeitig auch an Anfänger, mit etwas mehr Spaß an die Sache ranzugehen, dabei aber trotzdem konzentriert zu arbeiten?

Pat:

Ja, in gewisser Weise schon. Man darf natürlich von keiner Sache immer nur Spaß erwarten, das wäre naiv. Man muss immer auch die Wichtigkeit und die Herausforderung sehen, wenn man wirklich weiterkommen will. Es ist nicht immer Spaß, manchmal ist es sogar sehr schwierig, diesen Weg zu gehen. Es erfordert eine Menge an Disziplin, wenn man wirklich wachsen will als Musiker: Selbst das Beste, was man leisten kann, ist natürlich erst einmal das Beste, was man in diesem speziellen Moment leisten kann. Genau diese Leistung aber in jeder noch so schwierigen Situation zustande zu bringen, sollte das Ziel jedes Musikers sein. Nur so erarbeitet man sich ein hohes und konstantes Niveau. Das ist für junge Musiker sehr wichtig

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Lothar:

Das sind aber auch sehr grundsätzliche Erkenntnisse, die sich nicht nur auf die Musik beziehen lassen.

Pat:

Klar und das alles lernt man ja auch nicht nur von Musikern, sondern von allen möglichen Menschen, mit denen man in Kontakt tritt.

Lothar:

Was kannst du denn den Menschen sagen, die einfach nur Musik spielen wollen, ohne den Druck zu verspüren, damit auch ihren Lebensunterhalt bestreiten zu wollen?

Pat:

Das ist eine ganz fantastische Situation, und eigentlich ist die auch als Basis sehr wichtig, um alles weitere erreichen zu können. Das betrifft überhaupt die Erkenntnis, dass die Musik sehr viel unwichtiger ist, als alle menschlichen Erfahrungen, wie z. B. Leidenschaft und Freude.
Natürlich ist das alles, worüber wir hier reden, wichtig für junge Musiker und sie sollen auch lernen, was sie lernen können, natürlich auch von erfahreneren Mitmusikern. So kann jeder ein höheres Level erreichen, was beispielsweise präzises Spiel angeht. Je stärker diese Fähigkeiten aber ausgebildet sind, um so wahrscheinlicher werden sie sich nach zwei oder drei Jahrzehnten wieder neutralisieren und zu einer Grundbedingung deines Lebens werden. Eben zu einer Art von ganz allgemeiner, allgemeingültiger Erkenntnis.

Lothar:

Es ist also wichtiger, Musik zu lieben, als sie zu benutzen?

Pat:

Ganz genau!

Lothar:

Danke für das Gespräch!

Pat:

Es war mir ein Vergnügen.

 

Plattentipps für Einsteiger

Interview Classics Pat Martino 2000

Interview Classics Pat Martino 2000

Pat Martino: El Hombre (1967)
Pat Martino: East (1968)
Pat Martino: Live (1972)
Pat Martino: The Visit (1972)
Pat Martino: Consciousness (1974)
Pat Martino: We’ll Be Together Again (1976)
Pat Martino: Starbright (1976)
Pat Martino: Joyous Lake (1977)
Pat Martino: The Return (1987)
Pat Martino: Live at Yoshi’s (2001)
Pat Martino: Remember: A Tribute To Wes Montgomery (2006)

Interview Classics Pat Martino 2000

Michael Sagmeister & Pat Martino: Conversation (2000)
Sagmeister Trio: Sagmeister Trio (1978)
Sagmeister Trio: Ganshy (1980)
Christoph Spendel & Michael Sagmeister: Limousine (1980)
Michael Sagmeister: The Silent Spectacle (1982)
Michael Sagmeister: Waiting For Better Days (1983)
Michael Sagmeister: A Certain Gift/Live (1990)
Michael Sagmeister & Dave Samuels: Dualism (2002)
Sagmeister Trio: Bouncing Around (2009)
Michael Sagmeister: Story Board ‎(2021)

Interview Classics Pat Martino 2000

Interview Classics Pat Martino 2000

 

 

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Forum
  1. Profilbild
    MidiDino AHU

    Danke für den Überblick. Ein BeBop-inspiriertes Spiel bezeichnete ich allerdings stets als ‚Alt-Herren-Jazz‘. Noch einen angenehmen Abend.

    • Profilbild
      LOTHAR TRAMPERT AHU

      @MidiDino BeBop-inspiriertes Spiel = ‚Alt-Herren-Jazz‘? Charlie Parker, Bud Powell, Clifford Brown, Art Tatum u.a. sind doch jung gestorben?

      Hör dir mal John Scofields Version von ,Softly As In A Morning Sunrise‘ von seinem ersten ,Live‘-Album von 1977 an. Da zeigt sich das Modernitäts-Potenzial von BeBop-inspiriertem Spiel.

      https://youtu.be/CUbK6lZdaWY

      Eines seiner letzten Alben heißt übrigens ,Country For Old Men‘ 😄

      Schönen Tag noch!
      Lothar

      • Profilbild
        MidiDino AHU

        @LOTHAR TRAMPERT Ein ‚BeBop-inspiriertes Spiel‘ bleibt primär in der Vergangenheit gefangen, insbesondere harmonisch. Allan Holdsworth ging z.B. darüber hinaus, wie du selbst geschieben hast.

  2. Profilbild
    Tomtom AHU 1

    Vielen Dank für das schöne Interview. Leider hat Pat Martino nie den kommerziellen Erfolg gehabt, wie ich ihm gewünscht hätte. Sein Werdegang und Leidensweg sind auf jeden Fall bemerkenswert und seine unfassbare Musikalität kann gar nicht genug gewürdigt werden.

    „Ich bin so ein Mensch, der sich fast wie die Jahreszeiten immer wieder verändert; meine musikalischen Interessen entwickeln sich jedenfalls nicht immer geradeaus in eine Richtung.“

    Allein durch diese Aussage wird deutlich, was für ein Kaliber dahinter steckt. Ich höre gerade nach langer Zeit mal wieder sein „Starbright“ Album. Schlicht genial.

    • Profilbild
      LOTHAR TRAMPERT AHU

      @Tomtom Vielen Dank, Tomtom! Ich habe auch während der Arbeit an dem Artikel noch mal in einige Alben reingehört und mir auch einige Videos angesehen. Pat Martinos Arbeit ist ein Planet – da gibt’s viel zu entdecken!

      Schönen Tag noch!
      Lothar

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