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Interview Classics: Allan Holdsworth 1994

Allan Holdsworth: Der E-Gitarren Klangzauberer des Jazz

6. Mai 2023

©Lothar Trampert

Allan Holdsworth gehört bis heute zu den originellsten E-Gitarristen des Jazz. Seine Spieltechnik und seine Musik sind einzigartig, seine Virtuosität als Solist absolut umwerfend, ganz gleich ob er mit eigenen Bands oder in Formationen wie Lifetime, UK, Gong, Tempest, Level 42 und Soft Machine spielte.

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Ganz sicher eine meiner beeindruckendsten Interview-Begegnungen war die mit dem britischen Gitarristen Allan Holdsworth. Sein Gitarrenspiel und sein Ton hatten mich fasziniert, seit ich ihn zum ersten Mal als Gastsolisten auf einem Album des französischen Jazz-Violinisten Jean-Luc Ponty gehört hatte: ,Enigmatic Ocean‘ (1977). Dieser geschmeidige Legato Sound und die bis dato unbekannten melodischen wie harmonischen Möglichkeiten seiner Musik hatten sich schnell eingebrannt – Allan Holdsworth erkannte man immer. Er war einzigartig.

Allan Holdsworth Biografie

Holdsworth wurde am 6. August 1946 in Yorkshire, England, geboren und wuchs in Bradford, einer Industriestadt des Nordens, bei seinen Großeltern auf. Sein Großvater Sam war Pianist, verdiente sein Geld jedoch überwiegend als Verkäufer in einem Warenhaus. Allan selbst hatte nie eine formale musikalische Ausbildung, seine spätere Entwicklung wurde vor allem durch die Musik geprägt, die er in seiner Kindheit hörte: BigBand-Jazz von Benny Goodman und Artie Shaw, aber auch Platten des Trompeters Bix Beiderbecke oder des Saxophonisten und BeBop-Giganten Charlie Parker gehörten zur Sammlung seines Großvaters. Neben weiteren Bläsern – u. a. John Coltrane und Julian „Cannonball“ Adderley – war es anfangs nur ein Gitarrist, der Allan interessierte: Charlie Christian. Aufgrund seiner Vorliebe für Saxophonisten griff Allan dann auch erst relativ spät, im Alter von 17 Jahren, zur Gitarre. Ende der 1960er-Jahre zog er nach London und hier begann auch seine Karriere als Profimusiker.

Holdsworth war als Live-Gitarrist in verschiedenen Bands und auch Sideman auf Aufnahmen von Donovan, Igginbottom’s Wrench, Ian Carr’s Nucleus, Tempest und Soft Machine zu hören, später dann auch bei Tony Williams Lifetime und Pierre Moerlen’s Gong. Ende der 70er trat er mit den Progressive- und Jazz-Rock-Formationen UK und Bruford auf. In den frühen 80ern übersiedelte er – nach einer kurzen Zeit in Paris – in die USA. Nach seinem Solo-Debüt ,Velvet Darkness‘ (1976) entstanden hier dann noch zwölf weitere Alben unter eigenem Namen, darunter Klassiker wie ,I.O.U‘ (1982), ,Metal Fatigue‘ (1985), ,Atavachron‘ (1986), ,Sand‘ (1987), ,Secrets‘ (1989), ,Wardenclyffe Tower‘ (1992), ,Hard Hat Area‘ (1993), ,None Too Soon‘ (1996), ,The Sixteen Men Of Tain‘ (2000), ,Flat Tire: Music For A Non-Existent Movie‘ (2001) und ,Tales From The Vault‘ (2016).

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Allan Holdsworth Musik

Interessant ist Holdsworths gitarristische Entwicklung in seinen 50 aktiven Jahren, in denen ja auch Quantensprünge in punkto Gitarrenelektronik stattfanden, die Allan bekanntlich ausgiebig nutzte. Der lineare, boppende Jazzer hatte sich eine parallele Identität als Soundscaper erarbeitet, die beide perfekt harmonieren, aber  auch mal in ganz verschiedene Richtungen laufen konnten. Obwohl sich Holdsworth daher später im Trio (mit begleitenden Bass und Drums) am wohlsten fühlte, waren seine Interaktionen mit anderen Solisten für mich immer spannender.

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Zu den o.g. kommen noch mal so viele Live-Mitschnitte von eigenen Bands und diversen anderen Besetzungen, u.a. mit dem Pianisten Gordon Beck, mit dem Holdsworth auch einige Duo-Aufnahmen eingespielt hat, die ich jedem Gitarristen und jeder Gitarristin empfehle, die diesen Musiker und seine Kunst studieren möchte: ,The Things You See‘ (1980) und ,With A Heart in My Song‘ (1988).

Interview Classics Allan Holdsworth 1994

Allan Holdsworth starb am 15. April 2017, kurz vor seinem 70. Geburtstag in Vista, Kalifornien, zwischen Los Angeles und San Diego. Dort hatte ich ihn im März 1994 zum ersten Mal getroffen und wir hatten an diesem Tag ein sehr langes Interview.

©Lothar Trampert

Allan Holdsworth im Interview

„Ruf’ mich an, bevor du in L.A. losfährst“, meinte er am Telefon, „Ich hole dich dann vom Bahnhof ab.“ Gesagt getan – und zwei Stunden später saßen wir in seinem Studio, in einer großen Garage neben dem Wohnhaus seiner Familie,  zwischen Gitarren, Amps und Effektgeräten. Das Studio befand sich nach seinen eigenen Angaben seit Jahren immer noch im Aufbau – gutes Equipment kostet bekanntermassen einiges, und Allan hat trotz seines hohen Ansehens in Musikerkreisen nie zu denen gehört, die mehr verdienten als sie zum Leben brauchten. Ich lernte ihn als einen zurückhaltenden, fast scheuen Menschen kennen, der aber während des Gesprächs aufblühte, seine Begeisterung rausliess und irgendwie Vertrauen entwickelte.

Die folgenden Auszüge stammen aus meinem 1998 erschienen Buch „Electric Guitar: Interviews mit Gitarristen, Musikern & Menschen“ (Sonnentanz Verlag) .

Lothar Trampert:

Allan, wie kam es dazu, dass du in die USA ausgewandert bist?

Allan Holdsworth:

Nachdem ich mit Bill Bruford gearbeitet hatte, das war ungefähr Ende der 70er Jahre, wollte ich endlich mal eine eigene Formation zusammenstellen. Ich war immer nur Mitglied von Bands anderer Musiker und plante nun mal meine Ideen zu verwirklichen, denn ich hatte auch schon eine Reihe Kompositionen in der Schublade. Damals traf ich den Schlagzeuger Gary Husband, und wir verstanden uns hervorragend. Wir suchten längere Zeit nach einem Bassisten und fanden schliesslich Paul Carmichael. Dann hatten wir das Problem, keine richtigen Gigs zu bekommen und spielten meist nur in irgendwelchen Londoner Pubs, vor fünfzehn Leuten.

Ein Freund von mir, der Sänger Paul Williams, lebte damals in Kalifornien, und er hatte uns über Mike Varney (dem Chef des Gitarristen-Labels Shrapnel Records) drei Gigs besorgt. Mike war so eine Art Fan von uns, und er hatte einen Club-Besitzer in San Francisco überredet uns zu buchen. Für mich und die Band war das eine unglaubliche Sache, denn der Laden war voll! Jeden Abend kamen über 500 Leute dahin, und in London waren es vorher wirklich nur 15 gewesen. Ich verstand das zuerst überhaupt nicht, allerdings wurde mir klar, dass es wohl trotz allem ein Publikum für unsere Musik gab. Und da ich damals meinen Namen auch gelegentlich in amerikanischen Magazinen gelesen hatte, beschloss ich in den USA zu bleiben. In England sah ich keine Möglichkeit mehr, als Musiker zu überleben; wenn ich dageblieben wäre, hätte ich diesen Job sicherlich aufgegeben. Klar, ich hätte auch weiterhin Gitarre gespielt, aber eben nicht als Profi. Das war also der Grund für meinen Umzug.

Lothar:

Du hast in den letzten Jahren kaum Studio-Jobs neben deinen eigenen Produktionen angenommen.

Allan:

Nein, auch zur Zeit mache ich überhaupt nichts in dieser Richtung.

Lothar:

Liegt dir das grundsätzlich nicht oder mangelt es an Angeboten?

Allan:

Nein, ich will das nicht. Ich bin nicht gut darin, etwas zu tun, was mir andere Leute vorschreiben. Ich wäre auch kein guter Soldat. Mir liegt es mehr meine eigenen Sachen zu machen. Das ist natürlich nicht einfach, weil ich kein Geld damit verdienen kann, wenn ich nur an meiner Musik arbeite. Wenn wir eine Zeitlang auf Tour gehen können, dann ist das schon OK. Aber in den Monaten, die ich hier zu Hause verbringe, sieht es in finanzieller Hinsicht schon manchmal eher hart aus. Aber das ist in Ordnung… In diesen ganzen Jahren habe ich mir eine Menge Equipment zugelegt; vielleicht besitze ich ja in zehn Jahren genug Zeug, dass ich meine Musik komplett selbst produzieren kann und nicht mehr auf Plattenfirmen angewiesen bin. Dann sähe das alles schon ganz anders aus.

 

Lothar:

Michael Landau erzählte mir, für ihn bestehe eine ganz klare Trennung zwischen seiner eigenen Musik und den Studio-Jobs. Ein solch zwiespältiges Leben könntest du dir demnach nicht vorstellen.

Allan:

Ich glaube nicht. Oft, wenn ich mal für andere Leute spielte, haben sie meinen Beitrag dann gar nicht verwendet, sondern nachträglich jemand anderen rangezogen. Sie riefen immer an und sagten mir: „Wir mögen die Art in der du spielst und wollen, dass du zu diesem Song genau dein Ding beisteuerst. Mache genau das, was du dir vorstellst.“ Nachher stellten sie dann fest, dass sie es nicht mochten. Eigentlich wollen sie doch meistens, dass man etwas macht, zu dem man selbst nicht steht.

Ich bin auch aus einem anderen wichtigen Grund nicht an solcher Arbeit interessiert: Ich habe eine Menge Leute kennengelernt, großartige Musiker, die in diese Studio-Szene kamen, nachher aber nicht mehr den Weg raus fanden. Denn wenn man damit eine Menge Geld verdient, ist es nicht so einfach, wieder von diesem Lebensstil wegzukommen, wenn man seine eigene Musik verwirklichen möchte. Und da ich nie sehr viel Geld hatte, habe ich mich eben daran gewöhnt. Natürlich ist es mit der Zeit nach und nach besser geworden; und das gefällt mir auch mehr, als wenn ich plötzlich mit einer Sache, die ich nicht mag, reich werden würde und dann nicht mehr davon wegkäme.

Alles, was ich tun möchte, ist spielen; und solche Studio-Jobs sind nicht immer unbedingt Musik für mich. Klar, ich erledige auch gelegentlich Jobs, wenn ich für Leute bestimmte elektronische Geräte herstelle; das bringt mir immer etwas Geld ein, wenn wir, wie in den vergangenen Monaten, nicht auf Tour sind. Aber ich baue lieber für jemanden irgendein Gerät, als dass ich im Studio für andere Leute etwas spiele, zu dem ich nicht stehe.

©Lothar Trampert

Lothar:

Du warst auf dem 1991 erschienenen Album ,Guaranteed‘ von Level 42 mit ein paar Soli zu hören. Wie konntest du dich dazu durchringen?

Allan:

Das entstand vor einigen Jahren. Gary Husband war damals bei Level 42, und ihr Gitarrist Alan Murphy starb dann Ende 1989 plötzlich. Sie fragten mich daraufhin, ob ich nicht nach England kommen könnte, um ein paar Soli einzuspielen. Ich wusste, dass sie alle sehr nette Typen sind, und daher habe ich das dann gemacht. Ich habe ihnen ausgeholfen, während sie einen neuen Gitarristen suchten – das war eine Ausnahmesituation. Und da war auch wirklich keine typische Session-Atmosphäre, ich fühlte mich schon etwas in den Band-Zusammenhang integriert.

Lothar:

Tempest, Soft Machine, Tony Williams Lifetime, Jean-Luc Ponty, UK, Gong, Bill Bruford – das sind wohl die wichtigsten Formationen und Musiker, mit denen du zusammengearbeitet hast. Welche Phase war für dich rückblickend die bedeutendste?

Allan:

Sie waren alle wichtig, jede Band zu ihrer Zeit. Für mich war das alles von gleicher Bedeutung, und alle Formationen haben mir aus verschiedenen Gründen Spaß gemacht. UK vielleicht am wenigsten. Ich mochte es sehr, mit Bill (Bruford, dem Drummer von UK) zu arbeiten: Auf seinen Solo-Alben, besonders auf dem zweiten, ,One Of A Kind’, fühlte ich mich noch am ehesten in einer Band. Davor waren das immer eher Sessions.

Lothar:

Aber bei UK selbst lief die Zusammenarbeit weniger gut ab?

Allan:

Nein, das war nicht so toll. Sie sind zwar alle sehr nette Leute, ich mag sie immer noch und freue mich auch, wenn ich sie mal sehe. Aber das war so eine Art von musikalischer Inkompatibilität; wir wollten zusammen nie das tun, was jeder einzelne tun wollte. Es war eigentlich (Violinist/Keyboarder) Eddie Jobsons Band, und er und (Sänger/Bassist) John Wetton sahen die Dinge auf ihre eigene Art; Bill stand in der Mitte und ich am ganz anderen Ende. (Allan grinst) Ich war wirklich kein guter Typ für diese Band, denke ich heute. Ich konnte Sachen verändern, alles anders spielen, aber das hatte nie eine Wirkung auf die übrigen Musiker. Es war, als würde ich mit einer Maschine spielen, und das machte mich wahnsinnig. Wenn ich z. B. mit Gary Husband zusammenspiele, erhalte ich eine Reaktion auf jede Kleinigkeit, die ich mache. Ich mag diese organische Sache, aber in U.K. war in dieser Hinsicht kein Leben – das war tot, das war pasteurisierte Musik. Es gab keinen Raum für Improvisationen, und sie verlangten von mir live die gleichen Soli zu spielen wie auf der Platte. Das kann ich nicht, denn das widerspricht allem, woran ich glaube. Hahaha! Es ist kein Solo, wenn es nicht improvisiert ist!

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Lothar:

War das in der Band von Jean-Luc Ponty anders?

Allan:

Oh ja, da konnte ich meine Soli spielen wie ich wollte. Natürlich musste ich die Kompositionen lernen, aber ich hatte immer meine Freiheit.

Lothar:

Wahrscheinlich ist Jean-Luc Ponty mehr Jazz-Musiker, als es seine Fusion-Alben aus den Endsiebzigern vermuten lassen.

Allan:

Ich halte ihn für großartig, und er wird auch von vielen Leuten einfach unterschätzt. Ich habe ihn auf der Bühne erlebt, und das war faszinierend. Diese Zeit hat mir viel Spaß gemacht, auch, weil ich ihn als Menschen sehr mag.

Interview Classics Allan Holdsworth 1994

©Lothar Trampert

Allan Holdsworth und die Gitarristen

Lothar:

Hast du jemals mit Miles Davis oder Frank Zappa zusammengearbeitet? Die Kombination mit dir hätte ich mir interessant vorgestellt.

Allan:

Nein. Ich habe Frank mal durch Chad Wackerman kennengelernt, der mit ihm zusammenarbeitete. Frank war sehr gut zu mir, er hat mir sehr geholfen. Er hat mich immer sehr großzügig unterstützt, und ich vermisse ihn wirklich. Was ich an ihm liebte, war, dass er in vielerlei Hinsicht ein Mensch war zu dem man aufschaut, nicht nur als Musiker. Er war ein Organisator seines Lebens, er schlug sich mit Plattenfirmen herum und holte aus allem das bestmögliche heraus. Das fand ich großartig. Er war ein Typ wie Clint Eastwood, jemand, der alles auf seine eigene Art machte ohne direkt tief im Business zu stecken – und das mit Erfolg. Frank Zappa war erfolgreich mit dem was er tat, und das alles war nur sein eigener Verdienst. So etwas bewundere ich, obwohl mir das selbst nicht gelingt; ich denke anders. Aber ich würde sehr gerne an den Punkt kommen, auf diese Art in meiner eigenen Welt gut leben zu können, ohne jemals da heraus zu müssen. Mein eigenes kleines Disneyland, das wäre schon großartig, hahaha!

Lothar:

Ich erwähnte eben Miles Davis, weil er dich als Gitarristen ebenfalls sehr bewunderte…

Allan:

Ich wusste das damals nicht. Dann bekam ich irgendwann einen Anruf von seinem Manager oder einem seiner Musiker, und man fragte mich, ob ich mit ihm spielen wolle. Und natürlich wollte ich das! Aber genau zu diesem Zeitpunkt stand bereits eine Tour mit meiner eigenen Band, und ich war in einem totalen Konflikt. Diese Tour konnte ich unmöglich absagen, weil ich meine Musiker nicht im Stich lassen wollte. Ja, und ich glaube, er hat mich nicht wieder angerufen (Allan lacht). Aber das wäre schon eine großartige Sache gewesen.

Lothar:

Wer ist dein Favorit unter den Miles-Davis-Gitarristen?

Allan:

Oh, ich mag sie alle, ich denke, jeder von ihnen war großartig: John McLaughlin, Mike Stern, John Scofield – sie sind alle mehr als fantastisch.

Lothar:

Gibt es irgendeinen Gitarristen, von dem du dich beeinflusst fühlst?

Allan:

Ich denke, mich hat jeder beeinflusst. Es gibt viele Musiker, nicht nur Gitarristen, die mir gefallen. Auf eine gewisse Art beeinflusst mich überhaupt alles, was ich gut finde. Als ich John Scofield und John McLaughlin hörte, fand ich sie beide sehr inspirierend, auf unterschiedliche Art. Aber ich wollte da nie etwas analysieren oder tiefer gehen. Ich nehme das so an, wie es ist: als etwas, das ich höre und mag. Das ist auch mein Massstab für Qualität: Ich akzeptiere den hohen Standard dieser Musiker und versuche gleichermassen ein hohes Niveau zu erreichen, ohne etwas zu tun, was bereits andere Leute machen. Diese Art von Qualitäts-Level zu erreichen, versuche ich in meiner Musik. Ob ich damit an diese Leute heranreiche, an Musiker, die ich wirklich beeindruckend finde, weiss ich nicht. Das wird sich zeigen.

Lothar:

Du hast einmal in einem Interview gesagt, dass es eine Menge Aufnahmen gibt, an denen du beteiligt warst, für die du dich schämst. John Scofield hat mir vor kurzer Zeit das gleiche erzählt…

Allan:

Ja, das ist ein abscheuliches Gefühl, das schlimmste Gefühl der Welt. Unglücklicherweise gibt es eine Menge Leute, die es nicht interessiert, was der Künstler sagt und will – Bootlegger, Produzenten die einfach nur irgendeine miese Platte machen wollen. Ein gutes Beispiel dafür ist mein Album ,Velvet Darkness’, das ist und war schon immer grauenhaft: einfach wie es gemacht wurde, niemand hatte die faire Chance sich die Aufnahmen mal im Kontrollraum anzuhören usw. Ausserdem war es eine große finanzielle Abzockerei an allen beteiligten Musikern. Zuerst sagte man mir, das Album würde nicht erscheinen, und ich dachte nur: Toll, die Sorge bist du los. Dann kamen plötzlich verschiedene Bootlegger mit diesen Aufnahmen auf den Markt, und danach passierte das Schlimmste überhaupt: Eine große Major-Company, Epic Records, brachte ausgerechnet diese Aufnahmen wieder heraus, und das zu einer Zeit, als alle sieben Alben, die ich eingespielt hatte und auf die ich auch wirklich stolz war, gerade nicht mehr erhältlich waren! Ich ging in die Läden, und die einzige Platte, die ich da von mir fand, war ,Velvet Darkness’.

Weisst du, wenn solche Dinge passieren, sage ich mir nur, „Shit!“ und will alles hinschmeissen, mir einen Job suchen und ansonsten nur noch Fahrrad fahren. Dieser Aspekt des Musikgeschäfts ist so krank, da geht es nur um Geld, alles reduziert sich auf das Geld!

Lothar:

Und an dieser Platte hast du dann auch nichts verdient?

Allan:

Nein! Nie, keinen Pfennig. Mein Rechtsanwalt hat sie dann aber gejagt, und das Album wurde daraufhin aus dem Handel genommen. Und deshalb kann ich auch Leute wie John Scofield verstehen, wenn sie sich manche Aufnahmen einfach nicht mehr anhören wollen. Es gibt natürlich Dinge, die mir heute, nach langer Zeit, nicht mehr so gefallen, wie zu dem Zeitpunkt als ich sie aufnahm – das ist etwas anderes. Aber was ,Velvet Darkness’ angeht, ist es mir heute absolut unmöglich das anzuhören.

Lothar:

Kommen wir noch mal zu deinen Anfängen zurück: Bevor du ausschliesslich als Musiker dein Geld verdient hast, warst du ein ganz normaler Arbeiter…

Allan:

Ich habe eine Menge Jobs hinter mir, und auch nachdem ich mich auf die Musik konzentrierte, arbeitete ich oft noch nebenbei. (lacht laut) Diese großartigen Acht-Stunden-Jobs!

Lothar:

Kannst du dich noch erinnern, ab wann dein Gitarrenspiel diesen typischen fliessenden Charakter zeigte, der heute dein Markenzeichen ist?

Allan:

So ungefähr. Ich habe nicht allzu früh angefangen zu spielen. Die Musik liebte ich schon immer, ich wuchs auch in einer sehr musikalischen Umgebung auf, denn mein Großvater spielte ständig Platten von hervorragenden Musikern, die ich mir immer wieder anhörte. Ich liebe die Musik, seit ich drei oder vier Jahre alt bin, seitdem ich immer vor diesem alten Plattenspieler sass und die Sammlung meines Vaters erforschte.

Andererseits hatte ich nie großes Interesse, einmal Musiker zu werden, das kam eher durch Zufall zustande. Ich nudelte immer ein bisschen auf einer Gitarre herum, die wir zu Hause hatten. Eigentlich wollte ich damals aber gerne Saxophon spielen, meine Eltern konnten sich ein solches Instrument jedoch nicht leisten. Mit 17 griff ich dann endgültig zu der Gitarre, und als ich 19 oder 20 Jahre alt war, fragten mich dann Freunde, ob ich nicht in ihren Bands mitspielen wollte. Daraufhin fing ich dann auch an, mich intensiver mit dem Instrument zu befassen.

Ich habe dann ca. drei Jahre in England in einer Top-40-Band gespielt, das war meine erste Chance professionell zu arbeiten. Sie zahlten mir gutes Geld, ich glaube es waren 25 Pfund pro Woche, das war eine Menge. In der Fabrik verdiente ich damals nur 13 oder 14 Pfund wöchentlich, und durch den Job in der Band konnte ich jeden Tag üben und hatte trotzdem mehr Geld als vorher. Und eben in dieser Phase, 1969/70, kurz bevor ich mit Tempest spielte, hörte ich dann zum ersten Mal Dinge in meinem Spiel, die ich schon immer hören wollte. Davor klang ich immer genau anders als ich wollte, das war ein ständiger Kampf.

Interview Classics Allan Holdsworth 1994

Lothar:

Damals spieltest du noch auf einer Strat oder einer Gibson SG.

Allan:

Es war eine rote SG Standard, anschliessend hatte ich eine weisse SG Custom; die Strat kam später. Ausserdem besass ich einen Vox AC 30, danach spielte ich einen Marshall JCM 45, oder wie immer der hiess, über eine riesige 8x 10“-Box. Die habe ich aber dann umgebaut in eine ebenso große 4x 12“-Box, die sehr gut klang. Die SG und den Marshall habe ich sehr lange Zeit gespielt, auch noch bei Tony Williams. Kurz bevor ich dann mit Jean-Luc Ponty zusammenarbeitete, experimentierte ich mit Humbuckern auf einer Stratocaster herum – das funktionierte sehr gut, und heute macht das fast jeder. (Holdsworth grinst) Das ist schon tausend Jahre her, denke ich manchmal…

©Lothar Trampert

Der Allan Holdsworth Sound

Holdsworth spielte während des Gesprächs zeitweise auf einer seiner E-Gitarren, ohne sie an einen Verstärker angeschlossen zu haben. Und es war mehr als erstaunlich, wie authentisch sein Sound trotzdem rüberkam; man hatte das Gefühl, dass bereits diese Unplugged-Variante alles beinhaltet, was die Einzigartigkeit dieses Musikers ausmacht. Sein Geheimnis heisst ganz offensichtlich „solide Handarbeit“, mit einer perfekten Mischung aus angeschlagenen Noten, dezenten Hammerings und Slurs, wobei die rechte Hand mit ihrer perfekten Attack-Kontrolle ebenso wichtig ist, wie die rasanten Griffbrettläufe, die Gitarristen und Nichtmusiker gleichermaßen beeindrucken – und nebenbei auch noch musikalisch Sinn machen.

Interview Classics Allan Holdsworth 1994

©Lothar Trampert

Lothar:

Noch einmal zurück zu deinen „Markenzeichen“: Wann hast du zum ersten Mal bewusst einen sustainreichen, verzerrten Gitarrenton gehört?

Allan:

Das weiss ich nicht mehr genau. Natürlich habe ich damals Leute wie Jimi Hendrix oder Eric Clapton wahrgenommen, die mit dieser Art von Sound spielten; aber das war nicht exakt der Ton, der mir vorschwebte. Der Ansatz kam aber schon daher, denke ich: viel Sustain eben… Mich haben schon immer Verstärker interessiert; bereits damals, Ende ‘68 habe ich einige Geräte entwickelt, mit denen ich den Sound vor den Lautsprechern runterregeln konnte, und so bei gemässigter Lautstärke mit einem weit aufgedrehten, verzerrenden Amp spielte. Fender-Amps gefielen mir zu der Zeit übrigens weniger, eben weil sie nicht so stark verzerrten. Dieser Bereich interessierte mich sehr, ich wollte immer wissen, was dahintersteckt. Daher arbeitete ich auch mit einigen Leuten zusammen, die Verstärker modifizierten, schaute mir an, was sie machten, las Bücher über Röhren-Amps, lernte verschiedene Tricks und baute schliesslich selbst Preamps, die ich vor meine Verstärker schaltete, um etwas mehr Input und Verzerrung zu erzielen.

Sehr früh erkannte ich aber, dass der Distortion-Sound, den ich mochte, vom ganzen Amp, also auch von der Endstufe, herkam. Ausschliesslich mit dem Preamp erzeugte Verzerrung war nur 50 % von dem, was ich haben wollte. Preamps klingen sehr gut für cleane Sounds, aber für andere Sachen – ich weiss nicht. Natürlich kenne ich andere Leute, die hervorragende Dinge nur mit Preamps anstellen, aber ich werde nur mit einem kompletten Amp glücklich.

Lothar:

Das Zusammenspiel von Kopf und Fingern ist dir wohl um einiges wichtiger als eine bestimmte Gitarre oder ein Verstärker.

Allan:

Einigen Leuten bedeutet das Equipment viel zu viel, ich sehe das nur als mein Werkzeug an. Der Sound beginnt wirklich im Kopf eines Musikers, und vielleicht kommt man dann auch noch so weit, dass er in der Praxis funktioniert. Natürlich helfen einem die richtigen Werkzeuge dabei, aber sie sind nicht das Wichtigste.

Lothar:

Kommen wir trotzdem noch zu den Gitarren, die du heute spielst.

Allan:

Sie stammen von einem Kalifornier namens Bill Delap, er hat sie für mich gebaut. Bill lebt in Monterey. Ich besitze zwei Gitarren von ihm, die sich nur sehr geringfügig voneinander unterscheiden. Das Design seiner Instrumente basiert auf dem von Steinberger. Alle Gitarren, die ich spiele, haben übrigens passive Systeme und Custom-Pickups von Seymour Duncan. Die Hardware stammt grösstenteils von Steinberger: Trans-Trem, Nut usw. Mit dem Vibrato stelle ich allerdings wenig an. Ich mag besonders den Sound von Erle-Bodys, Maple-Necks und Ebenholz-Griffbrettern.

Lothar:

Wie sieht es mit der Baritone Guitar aus; benutzt du sie noch?

Allan:

Ich besaß zwei dieser Instrumente, habe sie aber verkauft, bzw. eingetauscht. Dafür bekam ich dann eine Synthaxe; die hatte ich nämlich vor einigen Jahren verkauft, bis ich sie dann vermisste. Die Baritone-Guitar hatte ich auch nur auf einigen Tracks eingesetzt, zuletzt bei ,Wardenclyffe Tower’ Sie hat eine 38“-Mensur und war sehr schwierig zu spielen; dafür klang sie allerdings außergewöhnlich gut.

Interview Classics Allan Holdsworth 1994

Lothar:

Welche Plektren verwendest du?

Allan:

Große Jim-Dunlop-Picks, 1mm stark. Ich halte das Plektrum relativ weit hinten, und durch die Dicke und das Material sind sie trotzdem sehr ruhig. Sie erzeugen keine unerwünschten Nebengeräusche beim Anschlag.

Lothar:

Wie hast du die Saitenlage bei deinen Gitarren eingestellt?

Allan:

Sehr niedrig. Ich muss daher mit einer relativ leichten, vorsichtigen Anschlagtechnik arbeiten.

Lothar:

Wechselst du oft zwischen Plektrum-Spiel und Fingerpicking?

Allan:

Nur gelegentlich. Die Akkorde spiele ich meistens mit den Fingern. Was ich nie mache, ist die Kombination von Pick und Fingern…

Lothar:

Und an welcher Position schlägst du die Saiten beim Plektrumspiel an?

Allan:

Ich versuche ziemlich genau zwischen den beiden Tonabnehmern anzuschlagen; ich setze hauptsächlich den Steg-Tonabnehmer ein. Den Hals-Pickup benutze ich nur für Akkorde… Mit den vielen Tonabnehmern ist das überhaupt so eine Sache: Je mehr Pickups auf einer Gitarre sind, um so stärker verhindern die Magnetfelder ein unbeeinflusstes Schwingen der Saiten.

Interview Classics Allan Holdsworth 1994

Allan Holdsworths Live-Setup bei einem Konzert in München, im März 1997 ©Lothar Trampert

Lothar:

Erzeugst du die Fade-ins von Akkorden mit dem Regler an der Gitarre?

Allan:

Nein, das beherrsche ich nicht. Dafür benutze ich ein Volumen-Pedal. Meine Hand brauche ich an den Saiten.

Lothar:

Welche Saiten verwendest du?

Allan:

LaBella-Strings, .008er Sätze. Aber das hängt auch etwas vom jeweiligen Instrument ab. Ich habe auch schon .009er und .010er Saiten gespielt, z. B. auf der Charvel, die ich vor einiger Zeit hatte. Mit den dünnen .008ern konnte ich mich erst anfreunden, als ich zum Steinberger-Design wechselte. Diese Gitarren haben 25,5“-Mensuren, Short-Scales kann ich nicht spielen; eine Gibson fühlt sich für mich wie ein Spielzeug an.

Lothar:

Deine Hände sehen auch relativ groß aus…

Allan:

Sie sind gar nicht so groß. Woher dieses Gerücht kommt, weiss ich auch nicht. (Er grinst) Deine Finger sind doch doppelt so lang wie meine. Ich habe sehr dünne Handgelenke, vielleicht sehen die Hände deshalb grösser aus als sie sind. Meine Handfläche ist groß, aber die Finger sind wirklich nicht sehr lang. Ich habe allerdings gelernt, sie sehr weit zu strecken.

Als ich zu spielen anfing, kannte ich eine Klassik-Gitarristin, die ihr Instrument stimmte, indem sie auf allen Saiten den Ton „E“ spielte: Sie griff also gleichzeitig ein E auf der A-Saite, der D-Saite und der H-Saite, das mit sehr kleinen Händen. Damals wurde mir klar, dass die Grösse der Hände keine große Rolle spielt. Es geht eher um die Flexibilität.

Lothar:

Gibt es ein spezielles Training, das du absolvierst, um deine Hände beweglich zu halten; Dehnungsübungen etc.?

Allan:

Nein, ich spiele einfach nur jeden Tag.

Lothar:

Und beschäftigst du dich dabei dann nur mit deiner Musik, oder spielst du auch rein technische Übungen?

Allan:

Ich übe eigentlich mehr. Meine Kompositionen spiele ich nur, wenn ich mich auf eine Tour vorbereite, und dann muss ich alles immer wieder neu lernen. Zu Hause übe und improvisiere ich. Und immer, wenn ich an den Punkt komme, ständig die gleichen Dinge zu spielen, beschäftige ich mich mit Skalen oder ähnlichem. Wenn ich mich allerdings wohlfühle mit dem was ich tue, dann spiele ich einfach nur drauf los.

Über Konzepte und Interaktion

Lothar:

Wie sieht es aus, wenn du live ein Solo beginnst: Ist das eine Sache, die im Kopf anfängt, also klar durchdacht ist?

Allan:

Nein, ich weiss nie genau was passiert. Natürlich kenne ich die Akkorde, die Arrangements, weiss aber nie vorher, was ich tun werde. (Allan lacht) Ich denke natürlich dabei über Akkorde und Skalen nach, versuche aber immer, mit dem was ich spiele, so innovativ wie möglich zu sein. Ich denke über andere, neue melodische Linien nach; vielleicht wie ich auf einem neuen Weg von einem Akkord zu einem anderen kommen kann.

Lothar:

Kommt es dabei auch vor, dass du dich selbst überraschst; dass du z. B. durch „Fehler“ neue Wege entdeckst?

Allan:

Eigentlich nicht. Weisst du, ob ein Ton nun falsch oder richtig ist, das hängt doch nur davon ab, ob man diesen Ton in diesem Moment auch spielen will. Ich denke, es ist sogar egal, ob eine bestimmte Note in einen harmonischen Zusammenhang passt oder nicht – sie ist nur dann richtig, wenn man sie auch bewusst einsetzen will. Natürlich passiert es bei Improvisationen oder bei dem Versuch, eine bestimmte Idee umzusetzen, dass ich total daneben liege. Aber das ist eben so, wenn man improvisiert, das macht Spaß.

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(80)

Lothar:

Überraschende Dinge passieren also eher in der Interaktion, im Zusammenspiel der Musiker, in der Reibung zwischen Solist und Begleitern?

Allan:

Genau, das ist es. Ich bekomme sehr viel von den anderen Musikern.

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Lothar:

Ich habe dich vor einigen Jahren einmal in Deutschland auf einem Festival gesehen, bei dem auch „Marc Johnson Bass Desires“ auftraten, mit den beiden Gitarristen John Scofield und Bill Frisell. Damals stellte ich mir die Frage, mit welchem Gitarristen du in einer Band zusammenarbeiten könntest. Hast du dir schon einmal ähnliche Gedanken gemacht?

Allan:

Ich habe bereits mehrmals darüber nachgedacht, aber was mich immer wieder von der Idee einer Zwei-Gitarren-Band abbrachte, war, dass ich nicht wusste, wer der zweite Mann sein sollte… Und dann passiert es ja auch oft, dass ein Krieg ausbricht, wenn zwei Gitarristen zusammenspielen sollen, (grinst) und das mag ich nicht, denn das führt von der Musik weg. Ich möchte auch nicht an „Krieg“ oder ähnliches denken, wenn ich Musik mache, verstehst du? Klar, mit dem richtigen Gitarristen zusammen wäre das eine exzellente Sache. Es ist schon sehr lange her, dass ich überhaupt einmal mit einem anderen Gitarristen in einer Band spielte.

Lothar:

War das Ollie Halsall bei Tempest?

Allan:

Nein, ihn meinte ich jetzt nicht. Mit Ollie habe ich auch nur ein paarmal zusammengespielt; ich war gerade davor die Band zu verlassen, er war neu dabei. Das war also nur eine kurze Phase, bevor ich dann zu Soft Machine wechselte.

(Tempest-Drummer) John Hiseman mag ich sehr, ein großartiger Mensch und Schlagzeuger, aber damals wollte ich nicht den musikalischen Weg gehen, der ihm vorschwebte. John tendierte mehr zum Rock, mehr zu dem hin, wie alle anderen klangen. Ich fand, dass Tempest eine wirklich gute Band war, die sich auch entwickeln konnte. (Allan grinst) John sagte mir auch immer, ich sollte nicht so viel spielen. Gut, vielleicht habe ich auch damals zu viel gespielt. Aber das ist überhaupt so ein lustiges Thema, denn im Vergleich zu heute habe ich in dieser Phase absolut gar nichts gespielt, hahaha! Heute ist es doch so, dass man überhaupt nicht mehr Noten in einen Takt quetschen kann, als die meisten Gitarristen es tun. Das ist verrückt… (nachdenklich) Ja, also mit Ollie, das war nur eine kurze Phase. Neulich habe ich gelesen, dass er gestorben ist. Traurig.

Lothar:

Ollie Halsall habe ich vor zwei Jahren in der Band von Kevin Ayers gesehen. Er gehörte ebenfalls zu den Gitarristen, die sehr fliessende Linien bevorzugen. Etwas „Verwandtschaft“ zu deiner Art zu spielen bestand da schon…

Allan:

Das erstaunliche daran ist Folgendes: Als ich damals im Norden von England in dieser Top-40-Band spielte, trat freitags ein special guest aus London in dem grösseren Saal unter unserem Club auf. Wenn sie dann zu uns raufkamen, um uns abzuchecken, haben wir immer irgend welche Instrumentals gespielt, um gut dazustehen. Damals kam dann auch irgendein Keyboarder aus London zu mir und meinte: „Letzte Nacht haben wir in einem Londoner Club mit einer Band zusammengespielt, deren Gitarrist hörte sich genau so an wie du; und er hatte die gleiche Gitarre.“ Das war das erste Mal, dass ich von Ollie Halsall hörte; er spielte damals auch schon mit dieser Legato-Technik. Und das ist auch eine sehr viel normalere Sache, als die Leute denken, wenn es solche Übereinstimmungen gibt. Für mich gab es so etwas z. B. auch zwischen Ollie und Eddie Van Halen; da konnte ich auf einem bestimmten Level immer eine Art von Verwandtschaft heraushören, auch wenn die musikalischen Stile sicherlich sehr unterschiedlich sind. Und ich glaube nicht, dass Eddie in der Anfangszeit von Van Halen überhaupt etwas von Ollie Halsall gehört hatte. Er hatte nur einfach die gleiche Art von Einstellung, von Geisteshaltung: er spielte einfach so, weil er es mochte, ohne bewusst darüber nachzudenken.

Irgendwie haben diese Jungs wahrscheinlich auch mehr Spaß dabei als ich. Ich hänge immer an jeder Note, denke immer ängstlich darüber nach, wohin sich alles bewegt. Und bei einigen dieser anderen Leute scheint einfach mehr Spaß im Spiel zu sein. Der Sound beeinflusst sie dann auch weniger. Gut, Eddie hat einen tollen Sound, aber andere Gitarristen, die ich nicht nennen möchte, spielen so fantastisch und klingen dabei manchmal so schlecht, oaarhhh! Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sie damit gut spielen können. Das würde bei mir nicht funktionieren. Wenn ich nicht bei allem ein gutes Gefühl habe, wird es für mich sehr schwierig.

Allan Holdsworth und das Glück

Lothar:

Bei welchem Album, das du dir angehört hast, hattest du denn zuletzt ein gutes Gefühl?

Allan:

Ein Album von jemand anderem meinst du? Meine Platten höre ich mir nämlich gewöhnlich nicht an. Ja… – ich mag diese Japan-CD von Claus Ogerman und Michael Brecker, ,City Scapes’, das ist ein großartiges Album. Aber ich höre mir wirklich nicht viele Sachen an. Die Leute aus meiner Band – z. B. unser Bassist Skuli Sverrisson, ein großartiger junger Musiker – sind da anders. Skuli hat den ganzen Tag einen Kopfhörer auf und ist 24 Stunden täglich am Üben – so wie ich das auch tun sollte. Hahaha! Er übt, während ich einen trinken gehe. Das ist auch eigentlich alles, was du über mich wissen solltest: Ich bin so faul!

Skuli hat jedenfalls immer tonnenweise CDs anderer Musiker dabei, von Leuten, die ich überhaupt nicht kenne. (Drummer) Gary Husband hört ebenfalls sehr viel. Ich werde eher dadurch beeinflusst, dass ich für mich selbst über Musik nachdenke, dafür muss ich nicht unbedingt hören.

Das ist ein verrücktes Gefühl, ich kann es nicht beschreiben. Manchmal denke ich, dass so viel Musik einfach in der Luft liegt. Ich muss nur einen Weg finden, etwas daraus zu machen. Also versteh’ mich nicht falsch, ich höre mir sehr gerne an, wenn andere Leute Musik machen. Aber ich beschäftige mich eben mehr als viele andere Musiker damit, einfach meine Sachen zu spielen, zu schreiben, zu lernen – und dabei entdecke ich auch immer wieder neue Dinge. Mir wird jedes Mal bewusst dabei, dass die nächste Sache, an der ich arbeiten werde, schwieriger sein wird, als das, was ich momentan tue. Jedes Jahr lerne ich neue Dinge, und dabei verstärkt sich gleichzeitig das Gefühl, immer weniger zu wissen, zu beherrschen, von dem was wirklich möglich ist. Und dieser Prozess endet auch nicht: Selbst nach 25 Leben wüsste ich noch so gut wie gar nichts. Und genau das hält mich am Leben. Aber ich kann mir in den tiefsten Tiefen meines Kopfes nicht vorstellen, wie es ist, mit dem, was man gerade macht, absolut glücklich und zufrieden zu sein. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen.

Lothar:

Aber du hast doch Grund genug, auch gelegentlich mal glücklich zu sein?

Allan:

Ich bin froh darüber, mit Musik zu tun zu haben, Musik zu spielen, mit großartigen Musikern zusammenzuarbeiten, ich freue mich auch darauf zu spielen, immer nur zu spielen. Aber das geht ja eben nicht immer, und dann bin ich enttäuscht, dann freue ich mich wieder auf die nächste Chance, nehme sie wahr, hasse das, was ich mache, freue mich auf den nächsten Versuch usw. Ich versuche einfach meinen Weg zu gehen. Vielleicht komme ich auch irgendwann mal an den Punkt, an dem ich meine Sachen erträglich finde – ich muss sie gar nicht wirklich mögen. Ich möchte nur zu mir sagen können: OK, so schlecht war das nicht, was du gemacht hast. Und dann werde ich mich gut fühlen.

Lothar:

Andererseits musst du doch auch erkannt haben, dass du mit deiner Musik anderen Menschen etwas Positives gibst?

Allan:

Das weiß ich auch, und es bewegt mich sehr, wenn Leute mir so was sagen. Das ist das Größte, was ein Musiker sich wünschen kann, jemanden mit seiner Musik gefühlsmässig zu berühren… Obwohl ich dann auch nie weiss, wie das funktioniert; denn das ist eine sehr eigene Sprache mit einem unbegrenzten Vokabular. Die Menschen hören bestimmte Noten, aber jede Note, wie sie gespielt wird usw., bedeutet etwas bestimmtes für einen bestimmten Menschen. Das kann eine Grunge-Gitarre sein oder ein intensives Solo von Michael Brecker oder Keith Jarrett – und andererseits: obwohl das musikalische Vokabular eines Musikers Lichtjahre von dem eines anderen Musikers entfernt sein kann, ist es möglich, dass beide die Leute gleichermassen berühren.

Weißt du, ich mag es, wenn Musiker so verrückte, lächerliche Dinge spielen können, dass ich lachen muss. Vinnie Colaiuta kann das; er spielt manche unglaublichen Sachen auf seinem Schlagzeug, bei denen ich dann nichts anderes tun kann als zu lachen. Und das ist großartig.

Lothar:

Dieser etwas unsichere Wesenszug wird auch im Vorspann eines „Lehrvideos“ von dir deutlich. Da betonst du, dich nicht als Lehrer zu verstehen, weil du nicht sicher bist, ob das, was du machst auch wirklich richtig ist.

Allan:

Um diese Sache zu klären: Ich sehe manche Leute Musik unterrichten, die meiner Meinung nach kein Recht dazu haben. Sie wissen nichts und sollten auch nichts lehren. Manchmal bringen sie ihren Schülern auch Sachen bei, die ich für falsch halte. Andererseits gibt es Leute wie Peter Erskine, ein fantastischer Schlagzeuger und Lehrer, bei dem für mich alles Sinn macht, was er sagt.

Was ich mache hat einen so starken Selbstbezug, es ist sehr spezifisch, eben weil ich mich mit meiner eigenen Musik selbst weiterentwickeln möchte. Daher habe ich auch kein Recht, zu sagen, das wäre für andere Leute wichtig und richtig. Musik zu machen und zu unterrichten sind zwei sehr verschiedene Dinge. Manche Leute können das, aber die meisten eben nicht.

Und noch etwas zu meinem Video: In einer Stunde kann man nicht das zusammenfassen, was man in einem ganzen Leben gelernt hat; zu diesem Video gab es ja damals auch noch ein Buch, das einiges klären sollte. Aber als ich später dann das fertige Tape sah, merkte ich doch, dass einiges missverständlich rüberkam…

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Ich kann mir auch einfach nicht vorstellen, ein Lehrer zu sein; dieser Gedanke gefällt mir schon grundsätzlich nicht. Gerade, weil ich davon überzeugt bin, nur so wenig zu wissen, wenig von dem was wissenswert und möglich ist – wie kann ich das jemandem nahebringen? Ich kann nur versuchen zu zeigen, wie ich die Sache angehe, wie ich Akkorde und Skalen sehe und warum Modi für mich überhaupt keinen Sinn machen. Wie gesagt, das ist nur mein persönlicher Standpunkt. Die Beziehungen zwischen Akkorden und Skalen sind auch nicht die, die man in den Schulen lehrt. Ich denke aber nur, dass dies falsch ist, weil es für mich nach dieser Lehrmeinung nicht immer funktioniert.

Vielleicht kommt das alles aus dieser frühen Zeit der Musiktheorie, als man sagte, dieser Akkord ist mit jenem verwandt und der Akkord sollte nur nach diesem kommen. Aber als sich die ganze Harmonik in eine kompliziertere Richtung entwickelte, funktionierte das alles nicht mehr so einfach. Das ist wie bei einer mathematischen Formel, die man verändern möchte, wenn sie aufgrund bestimmter Erkenntnisse oder Gegebenheiten nicht mehr funktioniert. Irgendwann merkt man, dass es so nicht funktionieren kann. Und dann geht man eben ganz zum Anfang zurück und entwickelt eine komplett neue Formel. Genau das wollte ich tun, und das habe ich für mich selbst auch getan.

Mein Vater (Allan nannte seinen Großvater Vater) hatte eine sehr traditionelle Ausbildung als Pianist, und so hat er mich auch gelegentlich unterrichtet. Aber nachdem ich einige Jahre gespielt hatte, merkte ich, dass diese Sachen für mich keinen Sinn mehr machten… Und als ich dann ganz zum Anfang zurückging, stellte ich fest, dass ich keine der Regeln, die ich gelernt hatte, die der allgemeinen Musiklehre entsprachen, benutzen konnte; sie machten für mich keinen Sinn mehr. Wenn man z. B. über Modes nachdenkt: Eine konventionelle Tonleiter hat soundso viele Töne und entsprechend viele Modi. Was macht man aber, wenn man eine Skala hat, die über zwei Oktaven geht – was ist da der zweite Modus, wie geht man damit um, wie benennt man diese Modi? Bei den herkömmlichen Skalen und Modi gibt es außerdem viele Überschneidungen – warum ist das so? Das ist Unsinn! Es ist doch egal, ob zwei Skalen mit verschiedenen Tönen beginnen, wenn sie gleich strukturiert sind. Auf der Gitarre kann man doch sehr gut sehen, wie sich Skalen voneinander unterscheiden, das geschieht vor den Augen auf dem Griffbrett. Anfangs spielte ich wie jeder Andere auch immer nur in Patterns und kleinen Gruppen von Tönen, aber jetzt denke ich anders darüber, und dadurch zeigen sich sehr viele Möglichkeiten. Ich bin noch nicht sehr gut darin und fühle mich ganz am Anfang – aber das ist ein Weg. Wenn ich z. B. einen Cmaj7 vor mir habe, denke ich nie über ein bestimmtes Voicing oder eine spezielle Umkehrung nach. Ich denke darüber nach, welche Noten zu diesem Klang passen könnten, womit ich ihn überlagern könnte; das in Abhängigkeit davon, welcher Akkord davor kam und welcher darauf folgt. Ich versuche also einfach, melodisch zu denken…

Aber was ich sagen wollte ist nur: Ich kann niemandem vorschreiben, was richtig und was falsch ist, denn mir geht es nur darum, wie ich selbst es sehe. (Allan lacht) So, das war jetzt ein zweistündiger Vortrag.

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Allan Holdsworth & Hard Hat Area

Lothar:
Kommen wir zur Praxis zurück: Als ich dein Album ,Hard Hat Area’ hörte, fand ich, dass es immer noch sehr europäisch klingt, obwohl du ja schon längere Zeit an der amerikanischen Westküste lebst.

Allan:
Daran wird sich auch nichts ändern. Musik ist eine sehr geografisch bedingte Angelegenheit und kommt aus der Tiefe deiner Existenz, deiner Herkunft. Joe Zawinul von Weather Report ist z. B. in Europa aufgewachsen, und ich denke nicht, dass die Übersiedlung nach Amerika seine Musik wirklich verändert hat. Drei Leute aus meiner Band sind schliesslich auch Europäer. (Allan grinst) Und das letzte, was ich machen wollte, war eine Westcoast-Platte. Aber ich mag Kalifornien.

Lothar:
Notierst du deine Kompositionen genau aus?

Allan:
Nein, das mache ich nie. Was mir wichtig ist, sind aber manche Titel, die eine Anspielung auf die Bilder sind, die der Musik zugrunde liegen.

Lothar:
Von der Stimmung her erinnerte mich einiges vom neuen Album an die Tristesse und Einsamkeit, die der norwegische Gitarrist Terje Rypdal in seiner Musik ausdrückt. Ich höre ein Nebeneinander von „Organisation“ bzw. „Struktur“ und „Einsamkeit“.

Allan:
Das stimmt vielleicht. Es ist doch eigentlich ganz egal, wieviele Menschen und Freunde man trifft, wen man liebt und um wen man sich sorgt: „Man kommt alleine und man geht alleine“ – das ist ein altes Sprichwort, das aber auch etwas sehr beängstigendes ausdrückt. Und vielleicht kommt auch davon etwas in meiner Musik zum Ausdruck.

Lothar:
Für mich hat deine Musik teilweise auch Soundtrack-Atmosphäre, dies in dem Sinne, dass sie Bilder im Kopf anregt.

Allan:
Ich denke, das ist gut so. Wenn ich Musik höre, dann ist das so, als sähe ich ein Bild. Manchmal werde ich dabei eben auch vom Titel der Komposition inspiriert, aber im wesentlichen erzeugt die Musik wirklich Bilder im Kopf.

Lothar:
Und was bedeutet z. B. der Titel ,Ruhkukah’ von deinem aktuellen Album?

Allan:
Hahaha! Das ist eine lustige Sache. Ein guter Freund von mir, der vor einigen Jahren an Krebs starb, war so ein richtiger Frauentyp – er war wirklich sehr populär bei den Ladies. Und „Rukukah“ war eine seiner persönlichen Umschreibungen für „making love“, wobei er auf den Sound, die Aussprache, sehr viel Wert legte. Er war ein lustiger Kerl, und ich habe an ihn gedacht, als ich das Stück schrieb.

Lothar:
Den Rahmen der Album-Tracks bilden ein ,Prelude’ und ein ,Postlude’. Was hat es damit auf sich?

Allan:
Beides sind spontane Improvisationen, ohne vorgefertigte Idee oder Konzept. Daher gab es dafür auch keine Titel.

Lothar:
Du hast auch die übrigen Tracks überwiegend live im Studio aufgenommen. Wie bedeutend war der Anteil der Overdubs?

Allan:
Es waren nicht viele, aber ein paar Overdubs spiele ich immer ein. Was wir bei diesem Album versuchten, war, einen großen Teil des Materials live zu spielen, bevor wir überhaupt ins Studio gingen, und das machte einen großen Unterschied. Früher kamen wir mit neuer Musik zu den Aufnahmeterminen und hatten noch nichts davon gemeinsam gespielt. Daher haben wir jetzt auch immer sofort alles mitgeschnitten, und nur wenn jemand von uns mit seinem Part nicht zufrieden war, konnte er ihn neu einspielen.

Mir liegt vor allem immer viel daran, dass der Bassist und der Drummer mit ihren Parts zufrieden sind. Unser Keyboarder Steve (Hunt) und ich können immer noch etwas rumbasteln, aber mit der Rhythmusgruppe ist das anders. Wenn ich ein gutes Solo gespielt habe und ihnen gefällt ihr Part nicht, dann müssen wir eben alles noch mal aufnehmen; im umgekehrten Fall kann man das ausbügeln.

Die Basic-Tracks haben wir schon immer sehr schnell eingespielt, in drei oder vier Tagen. Dann fange ich an, mich damit herumzuschlagen und mische die Aufnahmen ab – das kann Ewigkeiten dauern, denn das mache ich zu Hause, was sehr kostengünstig ist. Ich besitze selbst keine Bandmaschine, miete mir also ein Gerät und komme damit sehr viel billiger weg, als wenn ich auch noch fürs Mischen in ein Studio ginge. Und wenn dann nachträglich noch ein Keyboard- oder Bass-Solo eingespielt werden muss, machen wir das auch hier.

Lothar:
Welche deiner Platten kannst du jungen Musikern empfehlen, die deine Musik kennenlernen möchten?

Allan:
Empfehlen? (Allan lacht) Ja, ich mag natürlich die neue CD sehr, weil sie wieder sehr organisch klingt und etwas von dem Geist des älteren ,I.O.U.’-Albums hat. Das gefällt mir. Einige andere Alben empfinde ich als weniger geschlossen, daran waren verschiedene Bands beteiligt, wir arbeiteten in verschiedenen Studios usw. Auf ,Wardenclyffe Tower’ ist einige Musik, die ich mochte, aber mir gefällt nicht das ganze Album. Meine Favoriten wären dann vielleicht ,Hard Hat Area’ und ,Secrets’.

Lothar:
Und wie sieht es mit Platten aus, die du als Gastmusiker aufgenommen hast? Ich denke da an ,Believe It’ von Lifetime…

Allan:
Genau in dieses Album habe ich vor kurzem noch mal reingehört. Ein Freund kam mit einer CD an, auf der ,Believe It’ und ,Million Dollar Legs’ zusammengefasst waren. Und ich konnte mir das nicht anhören, die Gitarre klang so lahm, unglaublich. Aber man muss ja auch überlegen, wann das war. Und daher kann ich auch keinem Menschen von heute eine Platte empfehlen, die zehn Jahre alt ist. Diese Musik hätte man eben damals erleben müssen, um irgend etwas da rauszuholen … Ich bin nicht gut darin, etwas zu tun, was mir andere Leute vorschreiben. Ich wäre auch kein guter Soldat.

Lothar:
Das ist übrigens schon 18 Jahre her…

Allan:
Ja? Vielleicht. Klar! Wahnsinn, das ist eine lange Zeit. Time flies!

Lothar:
Joe Satriani hat mir gegenüber in einem Gespräch mal erwähnt, wie wichtig du für seine musikalische Entwicklung warst.

Allan:
Oh, wirklich?

Lothar:
Er erzählte u. a., wie entscheidend ,Believe It’ von der Tony Williams Lifetime, mit dir als Gitarristen, ihn beeinflusst hat. Eine Kernaussage war, dass er in deiner Art zu spielen, das Modell für die Ausarbeitung und Verwirklichung seiner eigenen Ideen fand.

Allan:
Oh, das ist großartig. Es freut mich sehr, das zu hören. Wir haben uns nur einige Male ganz kurz getroffen…

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(8)

Lothar:
Was interessiert dich außer der Musik?

Allan:
Fahrrad fahren, das liebe ich. Und Bier! Ich trinke sehr gerne Bier.

Lothar:
Es kursiert ja das Gerücht, du seist Besitzer einer Brauerei…

Allan:
(Allan grinst) Nein, das stimmt nicht. Früher, in England, habe ich zwar mal versucht, selbst Bier zu brauen, aber es gibt so viele tolle Biersorten, an deren Qualität man als Laie nicht herankommt. Diese Braumeister haben eine Tradition, die hunderte von Jahren alt ist, und wenn ich da ein paar Dinge zusammenschütte, wird daraus nie ein gutes Bier werden (lacht). Das ist, wie wenn man sich eine Gitarre kauft und in zwei Tagen so klingen möchte wie John McLaughlin. Das funktioniert einfach nicht. Ich besitze allerdings einige englische Vakuum-Handpumpen zum Bierzapfen, die habe ich selbst importiert. Ich mag nämlich kein Bier, das mit Kohlensäure versetzt ist, was die Amerikaner sehr stark tun. Mit der Handpumpe gezapft verschwindet dann die Kohlensäure, und das Bier schmeckt… Diese Gerüchte kommen wahrscheinlich daher, dass ich mein Studio „The Brewery“ nenne. Aber hier wird wirklich kein Bier produziert!

Interview Classics Allan Holdsworth 1994

Allan Holdsworths Brewery

Nach dem Interview wollte Allan dann doch noch näher auf sein Hobby eingehen. Also fuhren wir in eine Kneipe in der Nähe seines Hauses, wo man durch eine Glasscheibe zuschauen konnte, wie der hauseigene Gerstensaft gebraut wurde. Und obwohl Allan diese Lokalität kannte, war beim Anblick der glänzenden Braukessel auch in seinen Augen ein Strahlen zu sehen.

Holdsworth ist ein Fanatiker im besten Sinne, jemand, der mit Liebe bei der Sache ist, ganz egal, ob es nun um die Musik oder um Hopfen und Malz geht. Denn auch zum Thema „Bier“ hatte er eine Menge zu erzählen, und liess es sich dann auch nicht nehmen, ein paar volle Kannen nach Hause mitzunehmen, wo er mir dann die bereits erwähnten englischen Ale-Zapfpumpen in Aktion vorstellte. Und es schmeckte sagenhaft. Cheers! Holdsworth hat diese speziellen Zapfanlagen Ende der 90er-Jahre dann auch weiterentwickelt und für sein System sogar ein Patent angemeldet.

©Lothar Trampert

Genau so begeistert Holdsworth über seine Vorlieben erzählen kann, so bescheiden und zurückhaltend war er, was seine eigene Person angeht. Bis auf ganz wenige Freunde, die ihn näher kannten, war eigentlich niemandem aus seinem Umfeld an seinem Wohnort Vista bekannt, dass er zu den wichtigsten, stilistisch einzigartigen Gitarristen der Musikszene gehört. Seine Nachbarn hielten ihn für einen Gelegenheits-Musiker und Bastler, in der Brauerei-Kneipe war er gern gesehener Gast – mehr nicht. Andererseits ist sein Name bei so gut wie jedem bekannten Gitarristen dieser Welt bis heute ein Zauberwort, dessen Wirkung stärker ist, als die eines teuren Face-Liftings: Carlos Santana, John McLaughlin, Joe Satriani, Steve Vai, Steve Lukather, Michael Landau u. v. a. strahlten wie die Honigkuchenpferde und sahen sofort zehn Jahre jünger aus, wenn ich den Name „Holdsworth“ im Verlauf eines Interviews nannte.

Er war eine Ausnahmeerscheinung. Und ein Genie mit Zweifeln.

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Forum
  1. Profilbild
    Archivicious

    Hatte mich noch nie mit dem Menschen hinter der (einzigartigen) Musik befasst. Allan Holdsworth scheint ein sehr angenehmer Mensch gewesen zu sein. Sehr berührend… Vielen Dank für das Interview und den Blick hinter die Kulissen.

  2. Profilbild
    Lewis

    Sehr schöne Story! Witzigerweise habe ich mir erst letzte Woche was von ihm bzw. seiner Formation „UK“ runter geladen, das Stück „Nevermore“. Selten ein Stück gehört, auf dem so schlecht gesungen wird – da müßte man echt die „7“ als neue Schulnote erfinden (wenn es die alten Noten noch gäbe). Aber der schnelle Mittelteil, in dem sich Holdsworth an der Gitarre und Eddie Jobson mit einem coolen Sound am Yamaha CS80 gegenseitig die Soli liefern – absolute Sptze!

    • Profilbild
      LOTHAR TRAMPERT AHU

      @Lewis Interessant, dass du das schreibst. UK haben mich immer nur so semibegeistert – bei allem Respekt für die großartigen Instrumentalisten. Auf den Gesang muss ich noch mal achten … ;-)

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        Archivicious

        @LOTHAR TRAMPERT Der Sänger war John Wetton, der war in den früheren 70ern Sänger/Bassist bei King Crimson (daher der Kontakt zu Bruford) und nach UK bei Asia – hat also durchaus Referenzen… aber ehrlich gesagt halte ich ihn auch nicht für einen guten Sänger. Klingt häufig sehr gepresst und gequält.

  3. Profilbild
    jmax

    Danke für die Story, Lothar.
    Hatte im Juli 1973 in Hannover TEMPEST im Eilenriedestadion gehört, weit nach Mitternacht.
    Bei TEMPEST waren im Gegensatz zu COLOSSEUM keine Blueseinflüsse zu bemerken.
    Es war pulsierender purer Jazzrock. Allan Holdsworths Spiel ließ mich besonders aufhorchen. Mclaughlin lugte vorbei, Allan spielte aber noch anders.
    Allerdings konnte ich es damals wg. juveniler musikalischer Unreife nicht entsprechend würdigen.
    Das wurde mir klar, als ich mir heute noch einmal diesen Mitschnitt anhörte.
    https://www.youtube.com/watch?v=euvJmtIPyEE

    • Profilbild
      LOTHAR TRAMPERT AHU

      @jmax Hallo jmax,

      darum beneide ich dich. Im Juli 1973 war ich gerade mal 12 und gerade nicht in Hannover. Bei mir ging es ab 1976 mit Konzerten los, und von diesen ersten großen Festivals zehre ich bis heute – die haben mich geprägt. Kann man nur jedem Menschen unter 20 immer wieder erzählen: Nimm alles mit! Und allen über 20 auch …😁.

      … jetzt habe ich aus Versehen meinen eigenen Beitrag geliked und kriege den Daumen hoch nicht mehr weg.

      • Profilbild
        jmax

        @LOTHAR TRAMPERT Auf IAN CARRs – Belladonna (1972) brilliert Allan im Track „Remadione“.
        Mein unübertroffenes „all time “ highlight dieses Albums (ohne Allan) ist jedoch:
        „Summer Rain“. Laid back und auf Wiederholung schalten. Zumindest war es damals so.

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          LOTHAR TRAMPERT AHU

          @jmax Danke jmax, guter Tipp. Da muss ich noch mal reinhören.
          Ian Carrs ,Belladonna‘ gibt es sogar wieder auf Vinyl, sehe ich gerade.

        • Profilbild
          LOTHAR TRAMPERT AHU

          @jmax Ich habe IAN CARRs ,Belladonna‘ (1972) noch mal angehört und finde, dass man Allan Holdsworth über weite Strecken kaum erkennt. In ,Hector’s House‘, dem letzten Track noch am ehesten, finde ich. In ,Remadione‘ klingt er wie eine Mischung aus Vernon Reid, John McLaughlin und Allan Holdsworth, finde ich.

          Und sein Verzerrer klingt wie mein altes Schaller-Hammerschlag-Pedal. ;-)

  4. Profilbild
    MidiDino AHU

    Ich schaue zufällig bei amazona_de vorbei, da bietet der Lothar eine fantastische Story über Allan Holdsworth, dem seine Musik (Jazz, Jazz-Rock) im Zentrum stand, auch ohne Chart-Ambition. Herzlichen Dank! Ich mag Allens sympathische Art sehr.

  5. Profilbild
    OscSync AHU

    Lothar wie immer ein sehr toller Beitrag! Ich bin ja durchaus hier und da mal kritisch bei Amazona unterwegs, aber solche fantastischen Artikel hier lesen zu können, ist wirklich ein Geschenk!
    Und wenn dieses ausführliche Interview tatsächlich nur ein Auszug ist, wird es wohl Zeit, Dein Buch zu lesen. :-)

    • Profilbild
      LOTHAR TRAMPERT AHU

      @OscSync Vielen Dank, OscSync!

      In meinem Buch findest du auch keine längere Fassung des Holdsworth- Interviews – dafür aber noch einige andere ausführliche Gespräche mit Gitarristen und einer Gitarristin. Das Buch gibt’s nur noch gebraucht, bei Amazon.de ab 1,90 Euro, habe ich gerade gesehen. ;-)

      Bei Allan Holdsworth habe ich damals praktisch einen ganzen Tag verbracht, und wir haben über extrem viele Dinge geredet, was aber wirklich nicht alles in eine Story passte, teilweise auch nichts mit Musik zu tun hatte. Das war auch bei meinen anderen Gesprächen mit ihm so. Musikalisch wirkte er zwar wie von einem anderen Stern, andererseits war er ein ganz bodenständiger, suchender Mensch.

      Einmal erzählte er mir, er sei mal aufgewacht und hatte dieses Gefühl, endlich die Antwort auf alle seine Fragen bekommen zu haben – nachts, im Traum. Und er wachte also extrem glücklich auf … und dann bröckelte alles weg, seine Erinnerungen an den Traum, die Antworten und auch die konkreten Fragen, die ihn sein Leben lang begleiteten … womit er wohl die klare Ausformulierung seiner diversen Zweifel und Unsicherheiten meinte.

      Ich hab ihn sehr gemocht. Ein eigenwilliger Mensch.

      Liebe Grüße,
      Lothar

      • Profilbild
        OscSync AHU

        @LOTHAR TRAMPERT Danke Lothar. Einen ganzen Tag mit AH verbringen, das muss ein tolles Erlebnis gewesen sein. Das Gebrauchtangebot bei Amazon habe ich auch gesehen und bestellt. Freue mich schon auf die Lektüre!
        Viele Grüße
        Kenny

  6. Profilbild
    OscSync AHU

    ….und sehr schön auch die Bildbespiele als Beleg, dass Rectifier auch für feinere Töne taugen. :-)

  7. Profilbild
    harrymudd AHU

    Danke für das schöne Interview!
    Ich hätte ihn beinahe 1987 live gesehen. Aber leider fiel das Konzert aus:(
    Das Cover von ‚Velvet Darkness‘ als Titel hätte Allan sicher nicht gefallen:) Er mochte dieses ohne sein Wissen veröffentlichte Album nie.

    • Profilbild
      LOTHAR TRAMPERT AHU

      @harrymudd Danke, harrymudd!
      Mit dem Cover hast du Recht … es ist wirklich nicht sein stärkstes Album. Ich habe es ausgewählt, weil er darauf so verloren aussieht, was irgendwie passte.
      Allerdings glaube ich die Geschichte zu ,Velvet Darkness‘ einfach nicht. Immerhin war das Label CTI Records, und Produzent Creed Taylor und Mixer Rudy Van Gelder waren ja bekannte Leute. Es gab für ,Velvet Darkness‘ bestimmt einen Vertrag, und an den Aufnahmen hat Holdsworth ganz sicher nicht gegen seinen Willen teilgenommen. Das Endresultat inkl. Mix entsprach nur einfach nicht seinen Erwartungen, tippe ich mal – was ich verstehen kann.

      Und warum haben die außer Holdsworth beteiligten Musiker – Alan Pasqua – piano, Alphonso Johnson – bass und Narada Michael Walden – drums – nie dagegen geklagt?

      Schräge Geschichte!

  8. Profilbild
    ricorose

    Danke für diesen schönen Beitrag. Als ich Allan zum ersten Mal hörte (das war noch in seiner Zeit als Gitarrist bei Softmaschine), war ich sofort von seinem Sound und seinen endlosen, legato Linien begeistert.
    Ich hab ihn einmal kurz bei einem Leverkusener Jazzfestival getroffen. Er stand da, mit einem Bier in der Hand und hat sich Mike Stern angehört :) Ein großartiger Musiker und ein super Typ.
    Und ich mag die Art, wie er über Scales denkt: https://youtu.be/wts2Mw6Nb5s

  9. Profilbild
    TakeshiM

    Alan Holdsworth war ein großartiger Gitarrist. Die Scheibe „Metal Fatique“ hat mich damals echt umgehauen. Der Einsatz der Synthaxe und des Harmonizers hatten was bahnbrechendes, hat mich als Gitarrist unglaublich inspiriert. Schade dass ich ihn nie Live erleben konnte

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