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Interview: Julius Drescher von Groundlift, Stagesound mit vierter Dimension

Der Konzertraum als steuerbares Klangelement

18. November 2023

Vor Kurzem durfte ich Martin Kälberer interviewen, der ein faszinierendes Konzert in den Groundlift-Studios hatte, bei dem auch der gesamte Raum als akustisches Element inszeniert wurde. Wie das genau funktionierte, erfahrt ihr in diesem Interview mit Julius Drescher, technischer Leiter dieser einmaligen Location.

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Peter:
Hallo Julius – magst du uns zunächst mal kurz erklären, was man sich genau unter GROUNDLIFT vorstellen darf?

Julius:
Hallo Peter, vielen Dank für die Einladung zu diesem Interview!
Die Groundlift Media GmbH betreibt ein Audio- und Video/TV-Studio mit Konzertvenue, welches sich in der 1892 erbauten Alten Brauerei Stegen am Ammersee befindet. Neben Businessveranstaltungen, wie z. B. Tagungen und Jahreshauptversammlungen, die wir als Präsenz- wie auch Hybrid-Veranstaltung durchführen, sind wir auf Live-Videoproduktionen im Stil von MTV Unplugged oder TV-Talkshows spezialisiert, aber auch seit über 25 Jahren für hochwertigste Musikproduktionen bekannt. In unseren dazugehörigen zwei Kinos im Gewölbekeller der Brauerei kann man sich die fertigen Produkte dann direkt ansehen. Und wir lieben die Herausforderung. Wir machen gerne Sachen, die andere nicht machen. Man darf also sehr gerne mit einer ausgefallenen Idee zu uns kommen und wir kümmern uns um die Umsetzung.

Peter:
Martin Kälberer hat in eurer Live-Location nicht nur einige faszinierende Live-Konzerte durchgeführt, sondern dort entstanden auch die Aufnahmen für seine aktuelles Bluray- und CD-Projekt RAUM. Das faszinierende dabei war die Installation von Mikrofonen und Lautsprechern, die der Location einen schwer beschreibbaren, aber fantastisch klingenden Raumklang gegeben haben. Magst du uns mal versuchen zu beschreiben, was genau ihr da installiert habt und wie das technisch gesteuert wird.

Julius:
Da muss ich etwas ausholen. Ich kenne Daniel Betz, den Gründer und Geschäftsführer von Groundlift, schon seit vielen Jahren. Die neue Location in der Alten Brauerei Stegen wurde aber erst im Februar 2020 bezogen. Daniel zeigte mir die neue Location und ich war sehr begeistert. Ich hatte sofort sehr viele Ideen und schickte ihm eine ziemlich umfangreiche E-Mail. Und da stellte sich heraus, dass meine Einfälle zu nahezu mit denen von Daniels Konzept, das ich bis dato noch gar nicht kannte, deckungsgleich waren. Damit war der Weg unserer engen Zusammenarbeit quasi unausweichlich geworden. Und neben vielen anderen Dingen stand eben auch eine variable/aktive Raumakustik und ein 3-D Audiosystem im Zuschauerraum darauf.

Aufgrund der Pandemie konnten wir das nicht gleich umsetzen. Doch als die Planung mit Martin Kälberes Konzert RAUM anstand war klar: Das ist die perfekte Basis, um das System endlich zu installieren. Als Plattform kam für uns nur eine Abwandlung von Ambisonics in Frage, welches uns ermöglicht, Lautsprecher und Mikrofone so im Saal zu verteilen, wie es die Architektur erlaubt.  Das Pflichtenheft umfasste 3 Szenarien:

1) Veränderung der Raumakustik
Der Konzertsaal soll bei Konzerten und Aufnahmen für verschiedenste Genres genutzt werden können. Die akustische Grundcharakteristik würde ich als angenehm kurz, präzise und diffus bezeichnen (RT60 ca. 0,6 s). Bei voll besetztem Saal deutlich darunter, was für einen Großteil unserer Anwendungen perfekt geeignet ist. Gerade für E-Musik ist der Saal oft zu trocken. Natürlich könnte man auch bei E-Musik (oder anderen geeigneten Genres) Mikrofone direkt vor die Instrumente stellen und das Signal mit Hall über die PA wiedergeben, aber weder der Zuschauer, noch der Musiker wird das Gefühl haben, akustisch in diesem Raum zu sitzen.
Folglich wurde das Ziel dahingehend formuliert, dass man „per Knopfdruck“ diverse Nachhallzeiten, also Räume simulieren kann.

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2) 3-D Live Mixing
Dolby Atmos und ähnliche objektbasierte 3-D-Audioformate sind heutzutage in aller Munde. Aber Mischpulte, welche 3-D Audio live verarbeiten können bzw. auch die Bedienoberfläche bieten, mehrere Quellen simultan im 3-D Raum zu bewegen und kreativ zu verändern, gibt es tatsächlich nicht. Zumindest nicht nativ. Denn neben der Veränderung der Raumakustik war eines unserer Ziele, dass Veranstaltungen auch immersiv stattfinden können. Das heißt, dass Signale so spontan, wie sie auf der Bühne entstehen, live im Raum bewegt werden und in Richtung, Entfernung, Größe und Klangcharakter geändert werden können sollen.

3) Wiedergabe von vorproduziertem Material
Natürlich muss auch die Wiedergabe von vorproduziertem Material möglich sein. Man stelle sich z.B. ein Hörspiel o.ä. vor, während dessen das Publikum akustisch mit in der Szene sitzt. Z.B. ein Gespräch am Tisch eines Cafés auf einem belebten Marktplatz oder ein schauriger Spaziergang im Wald bei Vollmond und das leise Knacken von Zweigen und Rascheln von Laub an Positionen, wo man es am wenigsten erwartet.

Umgesetzt wurden diese 3 Ansätze im Groundlift Studio wie folgt:
Um die Raumakustik verändern zu können, muss der Schall, welcher sich im Raum befindet, zuerst von Mikrofonen aufgenommen werden. 12 Mikrofone (Neumann KM183/4, Rode NT5) mit Kugel bzw. Nierencharakteristik sind zu diesem Zweck im Saal verteilt. Die Mikrofone mit Nierencharakteristik befinden sich (von der Bühne gesehen) außerhalb des Hallradius, was dazu führt, dass sich diese im Abstand kleiner des Hallradius zu einem Lautsprecher befinden. Denn das durch Lautsprecher wiedergegebene Signal soll natürlich nicht gleich wieder in den Prozessor geleitet werden. An anderen Positionen befinden sich Kugelmikrofone, welche sowohl außerhalb des Hallradius z.B. eines Instruments als auch eines Lautsprechers befinden.

Im Zuschauerraum wurden 46 Aktiv-Lautsprecher LD-Systems Sat62 G2 installiert, welche sich bei einem Shootout gegen diverse Mitbewerber höherer und niedrigerer Preisklassen als am besten passend für den Saal herausgestellt haben – angeordnet jeweils als Ring um den Zuschauerraum in zwei Ebenen (Parkett, Galerie) sowie eine Matrix an der Decke. Der Abstand des Publikums zu den Lautsprechern wird so gewählt, dass man an den äußeren Plätzen keinen Lautsprecher dominant hört.

Die Lautsprecher werden über MOTU-Wandler (828mk2, 24ao, 16a) vom Server angesteuert, die Mikrofone über Mikrofonvorverstärker von Focusrite (RedNet) ins System gespeist und die direkten Eingänge sind über eine Dante-AVB-Bridge verbunden. Über die Dante- und AVB-Integration haben wir also die Möglichkeit, beliebige Audiosignale in das System einzuspeisen und frei im Raum zu bewegen.

Als haptische Interfaces stehen sowohl zwei Touchscreens, als auch ein eigens entwickelter 3D-Controller mit fünf 4-achs Joysticks und frei belegbaren Fadern (z.B. Volume, maximale Geschwindigkeit der Bewegung, Tiefe etc.) zur Verfügung. Nachdem wir ein erstes Konzert nur mit Touchscreens gemeistert hatten, war klar, dass eine professionelle reaktionsschnelle Mischung eines Immersive Audiokonzerts nur mit einem speziellen haptischen Controller möglich ist. Einen solchen Controller gibt es bisher aber weltweit noch nicht. Daher haben wir einen eigenen Controller explizit hierfür entwickelt und gebaut, der voll funktionsfähig ist und die intuitive Kontrolle der Soundsignale in Echtzeit ermöglicht.

Bei Martin nutzen wir als FOH-Konsole eine Yamaha CL5. Diese spielt im 5.1 Modus, wobei zusätzlich der Stereo-Bus für die klassische Frontbeschallung verwendet wird. Im reinen 5.1. Modus ist es nämlich nicht möglich, das gleiche Signal sowohl vorne als auch hinten zu platzieren, was in diesem Kontext oft für kurze Zeit nötig ist.
Einzelne Kanäle, welche eine genaue Ortung erfordern, werden als Direct-out Postfader direkt in das System geschickt.

Peter:
Der Raum wurde durch die Mikrofone selbst zum Klangkörper, was aber den kleinen Nachteil hatte, dass Geräusche aus dem Auditorium unweigerlich in die Klangcollagen eingebettet wurden. Egal ob jemand leise gehustet hat oder eine Flasche hat fallen lassen … was bei meinem Besuch tatsächlich passiert war … plötzlich wandert das Geräusch im rhythmischen Kontext durch den ganzen Raum.

Julius:
Hier müssen wir die Performance von Martin genauer unter die Lupe nehmen. Looping bedeutet ja, dass Signale aufgenommen und danach in Schleife wiedergegeben werden.  Ich erinnere mich noch sehr gut an umgefallene Gläser und Flaschen während seines Konzerts. Martin spielt seine Instrumente mit einer Dynamik, wie ich es bisher nur sehr selten erleben durfte. Das heißt, dass man auch mal sprichwörtlich die Stecknadel fallen hören kann. Wir mussten sogar so weit gehen, für alle PCs im Raum „leise“ Mäuse zu kaufen, da bereits das Klicken einer normalen Maus in manchen Passagen zu laut war. Ein umfallendes Glas ist deutlich lauter. Wir wussten dies vorher und haben für die Bluray-Produktion auch untersagt, Gläser und Flaschen mit in den Saal zu nehmen. In diesem Fall ist es natürlich eine Besonderheit, dass die Ausgänge des Loopers direkt auf unserem Ambisonic-System aufliegen. Bei einem normalen Konzert wären die Geräusche vorne auf der Stereo-PA geblieben, diesmal sind sie gewandert.
Was wir allerdings schon bemerkt haben ist, dass dem Publikum erst bei solchen Ereignissen bewusst wurde, dass es selbst auch akustisch in den Raum eingebunden ist. Grinsend erinnere ich mich an eine Dame, welche viel zu früh zu klatschen begonnen hat und die Hallfahne des Klatschers rein gar nichts mehr mit dem durch die Optik erwarteten Raum zu tun hatte, denn Martin hatte bereits die „Kathedrale“ angekündigt. Somit haben wir hier alles richtig gemacht, ein Kälberer-Konzert erfordert eben nicht nur von Martin, sondern auch vom Publikum Konzentration und Disziplin.

Peter:
Der Soundengineer hat also während des Projekts alle Hände voll zu tun, um den Klang unter Kontrolle zu halten, richtig? Wie habt ihr das Feedback-Problem gelöst?

Julius:
Da hast du völlig Recht. Dadurch, dass das System absolut live-tauglich ist, hat der Soundengineer wirklich einiges zu tun. Er ist nicht nur verantwortlich, dass es „gut klingt“, sondern sogar immanenter kreativer Teil des Konzerts. In Martins Fall hatten wir im Voraus natürlich abgesprochen, wie er sich Bewegungen und Flächen vorstellt, jedoch hat sich während der Probe schnell herausgestellt, dass wir sehr ähnliche Vorstellungen vom Ergebnis haben, sodass er mir sehr viel Freiraum gelassen hat – vielen Dank an dieser Stelle für sein Vertrauen!
Dies bedeutet auch, dass ich mich auf das System verlassen können muss und nicht an Feedback-Probleme o.ä. denken darf.
Tief kann ich hier nicht ins Detail gehen, denn das ist zum großen Teil Betriebsgeheimnis. So viel kann ich allerdings verraten: Ein Feedback baut sich nur auf, sofern durch die Phasenlage einer Frequenz zwischen Lautsprecher und Mikrofon eine Mitkopplung entsteht. Es ist eine Kombination aus sinnvoll gesetzten IIR/FIR-Filtern und der Aufstellung und Richtcharakteristika von Mikrofonen und der Abstrahlcharakteristik von Lautsprechern. Unser System arbeitet hierbei immer in der SOA (Safe operating area) und kann im Normalfall keine Feedbacks erzeugen.

Peter:
Eigentlich spielen Bands ja ungern in verhallter Umgebung. Die Konzerthalle im Münchner Olympiapark wäre dafür ein Beispiel. Der Horror eines jedes Audio-Engineers. Ihr hingegen habt Hall und Echos zusätzlich künstlich erzeugt. Wie kamt ihr darauf?

Julius:
Es geht uns um die Flexibilität unserer Location. Sie ist im Grundsatz eher auf der akustisch trockenen Seite, was wir bei Pop-/ Rockkonzerten, Liederabenden oder ähnlichem sehr schätzen. Mit diesem System können wir nun aber auch Genres abdecken, welche sich sonst in halligen Räumen oder Kirchen wohl fühlen. So passen wir den Raum dem Genre an und behalten stets die Kontrolle über die Akustik. Außerdem geht es nicht nur um typischen Hall, sondern um die Ortung von Signalen. In einem reinen Stereosystem ist der Sweet Spot nur in einem engen Bereich in der Mitte vor der Bühne. In einem immersiven System ist der Klangeindruck für alle Zuschauer nahezu identisch. Das wird einem erst bewusst, wenn man es einmal live erlebt hat.

Peter:
Die Installation ist wahrscheinlich in Deutschland einzigartig. Bands, die auf eurer Bühne diese Technik einsetzen wollen, müssen sich speziell darauf vorbereiten, oder? Gab es schon Bands die die Schwierigkeiten, die dabei auftreten können, unterschätzt haben?

Julius:
Das ist richtig, wir kennen derzeit kein anderes System dieser Art und Größe in Deutschland. – Derzeit sind wir damit sogar in den Top-5 des THE AVard in der Kategorie „Best visitor integration“. Dieses Alleinstellungsmerkmal macht es für Kollegen, die das System einsetzen wollen, natürlich etwas komplexer. Allerdings ist die Bedienung des Systems stark skalierbar. Die variable Raumakustik ist im einfachsten Fall 1 Fader, der direkte Mix auf das System kann ab einer klassischen 5.1 Matrix bis zu 64 diskreten Ausgangskanälen erfolgen. Wir begleiten solche Projekte auch gerne und geben unsere Erfahrung weiter. Ein großer Aha-Effekt stellt sich bei Kollegen schon ein, wenn man die FX/Effekte der FOH-Konsole nicht auf der Stereosumme, sondern ambisonisch wiedergibt. Das führt zu einer unerreichten Transparenz. Man sollte sich aber im Klaren darüber sein, dass einer Produktion wie mit Martin Kälberer eine ausführliche Probenphase vorausgehen muss.

Peter:
Wer wird denn in den nächsten Monaten bei euch auftreten und die die Technik einsetzen?

Julius:
Neben Martin Kälberer bereiten wir für nächstes Jahr Produktionen aus verschiedenen Stilrichtungen, darunter Immersives Hörspiel, Klassik-Crossover, avantgardistische Pianomusik sowie immersive Rock- und Popkonzerte vor. Die Termine werden dann auf  unserer Website bekanntgegeben.

Peter:
Ich bedanke mich vielmals für das interessante Gespräch, Julius

Julius:
Lieber Peter, auch von mir ein herzliches Dankeschön!

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