High-End-Farbpalette für Soundfreaks
Es gibt solche Menschen! Solche, die anscheinend keinen Schlaf benötigen, ein unfassbares Arbeitspensum absolvieren können und dabei noch hochkreativ sind. Ein solcher Mensch scheint Audiolegende Dave Hill zu sein, der neben seiner Arbeit im eigenen Tonstudio noch Zeit gefunden hat, sämtliche Summit Audio Produkte bis in die frühen 1990er Jahre zu entwickeln. Heutzutage betreibt er neben seinen Tätigkeiten als Chefentwickler seiner im Anschluss gegründeten Firma Crane Song oder als Entwickler von Plugins (unter anderem für Avid) noch eine weitere Firma, namens „Dave Hill Designs“ deren Mono-Mikrofonvorverstärker Europa 1 hier zum Test vorliegt.
Lieferumfang und Verarbeitung
Eine Höheneinheit im klassischen 19″-Format beansprucht der kalifornische High-Tech Preamp im Studiorack und bringt bei einer Tiefe von 225 mm beachtliche 6,5 kg auf die Waage. Die Frontplatte besteht aus schwarz eloxiertem Aluminium, das übrige Gehäuse aus gebürstetem Stahlblech und ist seitlich und oben mit Durchbrüchen in Gitterform versehen, die die Luftzirkulation im lüfterlosen Gerät gewährleisten sollen. Die schlichte Optik mit den türkisfarbenen Potiknöpfen wirkt schlicht und versprüht ein gewisses Vintage-Flair.
Ein Blick ins Innere verrät den Grund für das ordentliche Gewicht: Neben der mit 91 Transistoren bestücken Hauptplatine fällt hier der Blick auf einen recht soliden Ringkerntrafo.
Neben dem Gerät selbst befinden sich ein Euronetzkabel, eine gedruckte Anleitung in englischer Sprache und eine CD, die ebenfalls die Anleitung enthält, im Lieferumfang.
Die Verarbeitung ist als hervorragend zu bezeichnen, alles wirkt sehr wertig, es macht Spaß, die Regler zu bedienen und die Schalter zu betätigen.
Konzept, Anschlüsse & Bedienelemente
Bei dem Testkandidaten handelt es sich um einen übertragerlosen Mikrofonvorverstärker mit Class-A-Schaltung. Darüber hinaus kann mit diversen Zusatzschaltungen, den sogenannten „Harmonic Controls“ Einfluss auf das Klangverhalten genommen werden.
Die Frontplatte enthält 5 robuste Kippschalter, ein zweistelliges Display und 5 Potiknöpfe, der Aussteuerungskontrolle dient ein 41-teiliges, vierfarbiges LED-Segment wobei die letzte, rote LED eine Übersteuerung anzeigt.
Neben dem Power-Schalter gibt es Schalter für die Phantomspeisung, Phase, Source (hier wählt man zwischen dem im Klinkenformat in der Front sitzenden Instrumenteneingang und dem rückseitigen Mikrofonanschluss) und Impedanz. Letzterer wirkt nur auf den Mikrofoneingang, der Instrumenteneingang ist mit einer fixen Impedanz von 1,2 Megaohm versehen. Wählbar ist zwischen „Hi-Z“ mit einem Wert von 200 Kiloohm, „Mid“ mit 2,2 Kiloohm und „Low“ mit 300 Ohm. Der Widerstand des „Low“-Modus ist zu niedrig für eine technisch saubere Anpassung von Mikrofonen, sodass diese Position schon zur Formung des Sounds gedacht sein dürfte. Normalerweise verlieren Mikrofone bei zu niedrigen Impedanzwerten an Höhen und Definition.
Der gerasterte Endlos-Drehregler dient der Einstellung des Verstärkungsgrades von 0 bis 66 dB (Instrumenteneingang: bis 30 dB) in Ein-Dezibel-Schritten. Unterstützend wirkt hierbei das zweistellige Display, das den Verstärkungsgrad anzeigt.
Die folgenden Regler sind ebenfalls gerastert und in 9 Stufen schaltbar. Da wäre zunächst das Hochpassfilter, das 8 (!) verschiedene Frequenzen als Einsatzpunkte anbietet.
Der „Speed“-Regler bestimmt die Anstiegs-und Abfallgeschwindigkeit der Verstärkerschaltung. Das Ganze nennt sich in Englisch „Slew Rate“. Vereinfacht ausgedrückt sind moderne Schaltungen tendenziell schnell, ältere Designs eher langsam. Laut Benutzerhandbuch ist die „Fast“-Einstellung die neutrale, je mehr der Regler Richtung „slow“ bewegt wird, umso mehr werden die lauteren Signalspitzen beeinflusst und die Transienten „verschliffen“.
Zwei weitere Regler bestimmen den Anteil an zusätzlichen Obertönen, unterschieden wird zwischen geradzahligen (Even Harmonics) und ungeraden (Odd Harmonics). Letztlich handelt es sich mutmaßlich um Verzerrerschaltungen, wobei nach allgemeiner Auffassung geradzahlige Obertöne als angenehm empfunden werden, etwa bei „sanften“ Übersteuerungen von Röhrenschaltungen, Bandsättigung und ähnlichem, während ungerade Obertöne als eher harsch und unschön gelten. Allerdings verspricht der Hersteller beim Einregeln der „Odd Harmonics“ eine Art Exiter/Kompressionseffekt.
Auf der Rückseite befinden sich neben dem Anschluss für das Netzkabel lediglich der XLR-Eingang für das Mikrofon sowie die ebenfalls im XLR-Format ausgeführte Ausgangsbuchse.
Sound & Praxis
Die ersten Klangbeispiele bestehen auch hier wieder aus einer Sprachaufnahme mit dem Neumann TLM 103, per Mikrofonsplitter gleichzeitig mit dem Testkandidaten und dem Metric Halo ULN-2 als Referenz in Logic aufgezeichnet. Um einen möglichst neutralen, transparenten Sound zu erhalten, sind beim Europa die Impedanz auf „Hi-Z“, die Slew Rate auf „Fast“ und alle sonstigen Optionen auf „Off“ geschaltet.
Es kommt nicht häufig vor, aber hier bekommt mein bewährtes Metric Halo ULN-2 im Vergleich doch klar die Grenzen aufgezeigt. Trotz seinem wirklich sehr klaren und transparenten Klangcharakter wirkt der Europa 1 keineswegs steril oder „kalt“, sondern vollmundig, geschmeidig und angenehm. Der Referenz-Preamp klingt vergleichsweise spröde und irgendwie etwas „kantig“, die souveräne Eleganz des Testkandidaten kann er nicht bieten.
Die folgenden Beispiele, ebenfalls mit dem TLM 103 erstellt, beschäftigen sich mit den verschiedenen Möglichkeiten zur Gestaltung des Eingangssignals. Zunächst der (in diesem Kontext eher subtile) Unterschied zwischen der höchsten und niedrigsten Eingangsimpedanz:
Hier wird die Slew-Rate, bis hierhin immer in der schnellsten Einstellung zu hören, auf maximal langsam gestellt. Das dadurch bedingte Verschmieren der Transienten tritt als Verzerrung deutlich zutage:
Jeweils in maximaler Einstellung ist hier die Wirkung der geraden („even“) und ungeraden („odd“) Obertöne zu hören:
Auch hier ist die Wirkung eher subtil – die geraden Obertöne sorgen für eine leichte Rauheit im Signal, die ungeraden fügen einen Schuss Brillanzen hinzu.
Auch beim legendären Shure SM-58 zeigt der High-End-Preamp, was er drauf hat. Im Vergleich: Beispiele mit zuerst mittlerer und dann hoher Eingangsimpedanz, jeweils mit der schnellsten Slew-Rate, im Anschluss mit hoher Impedanz und der langsamsten Slew-Rate.
Der Vergleich zwischen den beiden Impedanzen ist hier etwas deutlicher als beim TLM-103. Die hohe Impedanz verhilft dem Signal zu mehr Präsenz und Klarheit. Hier nun die beiden Obertonvarianten, jeweils maximal aufgedreht, im Vergleich:
Kommen wir zur nächsten Mikrofonlegende, dem Shure SM-57. Zunächst vor einem verzerrten Eng Straight 100 Röhrencombo mit 12″ Celestion Speaker. Das Riff ist über einen Looper eingespielt, also ist das Quellsignal immer identisch. Zu hören sind höchste und niedrigste Impedanz sowie beide Obertonvarianten.
Speziell bei den beiden Impedanzen sind die Unterschiede wieder eher gering, ich nehme eine minimale Höhendämpfung bei der „Lo Z“-Variante wahr. Ich finde, zu dem harschen Signal passt diese Einstellung etwas besser.
Ebenso beliebt wie klassisch ist der Einsatz eines SM-57 an der Snare. Das erste Klangbeispiel ist „neutral“, also mit hoher Impedanz und schnellster Slew Rate, bei dem zweiten ist die Slew-Rate auf „5“ gestellt und die ungeraden Harmonischen voll reingedreht, wodurch der Sound leicht komprimiert und etwas „dreckiger“ klingt.
Das Kleinmembranmikrofon KM 184 von Neumann wird unter anderem gerne für Akustik-Gitarren verwendet. Hier einige Beispiele dazu. Das Mikro ist mit einem Abstand von etwa 40 cm auf den Hals-Korpus-Übergang gerichtet, während der Preamp nacheinander mit mittlerer und hoher Impedanz sowie beiden Obertonarten auf das Klanggeschehen Einfluss nimmt.
Bei diesem Signal sind die Bearbeitungsmöglichkeiten und ihre Wirkung meines Erachtens recht gut nachvollziehbar. Hier kann man hören, wie durch die höhere Impedanz ein „Vorhang weggezogen wird“, der Gitarrensound durch die geraden Obertöne angereichert und etwas angedickt wird, während die ungeraden Obertöne eine Art Exiter-Effekt bewirken.
Mit Bravour meistert der Testkandidat die Aufgabe, eine Konzertgitarre mit einem preiswerten Bändchenmikrofon, hier dem RB-100 von the t.bone, aufzuzeichnen. Hierzu musste der volle Gain-Bereich des Preamps ausgenutzt werden, wobei Rauschen weitestgehend außen vor bleibt, was erneut die hohe Qualität des Preamp-Designs beweist. In einem weiteren Klangbeispiel ist der Lowcut bei 150 Hz aktiviert und der Odd-Regler voll aufgedreht, was dem etwas bedeckten Sound einige, nach meinem Geschmack wünschenswerte, Brillanzen entlockt.
Auch der Instrumenteneingang darf sich im Test beweisen und beeindruckt mit mindestens ebenbürtiger Qualität wie der Mikrofoneingang. Die Impedanz ist hier gleichbleibend bei 1,5 Megaohm und kann nicht geändert werden, ansonsten stehen die gleichen Einstellmöglichkeiten wie beim Mikrofoneingang zur Verfügung. Die Klangbeispiele sind mit einem P-Bass mit Flatwounds sowie einer Jazzmaster von Squier direkt in den Preamp eingespielt.
Der Dave Hill Designs Europa 1 beeindruckt zunächst mit seinem puren Grundsound, der transparent, spritzig, detailliert und dabei gleichzeitig angenehm rund und warm klingt.
Die Möglichkeiten zur Klangformung sind alle sinnvoll und stellen eine breite Palette an sinnvollen Optionen zur Verfügung, der moderne Grundsound ist problemlos in die Vintage-Richtung zu verbiegen, auch wenn Preamp-Designs mit Übertragern noch mal etwas anders klingen. Hier ist experimentieren angesagt, nicht jede Möglichkeit passt zu jedem Signal und Mikrofon, vieles ist natürlich auch Geschmacksache und manche Einstellungen machen auf manchen Quellen schlicht keinen nennenswerten hörbaren Unterschied. Dennoch kann man hier schon viele klangliche Vorstellungen bereits beim Aufnahmeprozess umsetzen und ich sehe nicht, dass man all diese Möglichkeiten noch nachträglich per Software realisieren kann.
Auch die Bedienung weiß zu überzeugen, durch die konsequente Bestückung mit Rasterpotis lassen sich alle Einstellungen nachträglich wieder herstellen und auch eine Stereoaufnahme mit zwei identisch eingestellten Preamps ist so problemlos möglich.
Obwohl der aufgerufene Preis für einen Mono-Vorverstärker nicht gerade ohne ist, erhält man einen realistischen Gegenwert, nicht zuletzt durch die einzigartige klangliche Flexibilität. Gut vorstellbar, dass der Europa 1 als erster und vielleicht einziger „richtiger“ Preamp in viele gehobene Projektstudios Einzug erhält.
Hi,
Bandsättigung ist überwiegend ungeradzahlig, und klingt auf vielen Signalen, – vor allem perkussiven -, richtig gut. Die Gerüchte mit der Geradzahligkeit stammen aus der HiFi-Presse der Achtziger und sind seitdem nicht tot zu kriegen.
Schlecht klingende Transistorverstärker aus dieser Zeit hatten zwar oft auch viel ungeradzahligen Klirr, die Gründe für den miesen Klang lagen aber in komplexen dynamischen Verzerrungen, die die HiFi-Redakteure mit ihren simplen statischen Messignalen weder messen noch interpretieren konnten.
Bei vielen Hardware-Excitern (Behringer!) und manchem PlugIn kann man die Wirkung unterschiedlicher Obertöne schön ausprobieren, indem man zwischen GERADE und UNGERADE überblendet oder mit einem Schieberegler dem Signal nur ungerade Obertöne hinzufügt.
Kennt jemand noch die erste Version von Steinberg Magneto?
Vielen Dank für den Testbericht.
Ich möchte allerdings unterstreichen, dass man Harmonische und Obertöne nicht durcheinanderwürfeln sollte. Deswegen ist es wichtig zu fragen: geradzahlige Was?
Denn es gilt die Beziehung: X-ter Oberton = X-te+1 Harmonische.
Also konkret: 1.Oberton = 2. Harmonische; 2.Oberton = 3.Harmonische; etc.
Der Grund: die 1. Harmonische ist als der eigentliche G r u n d t o n defniert.
Geradzahlige harmonische (und ungeradzahlige Obertöne) sind also „die Guten“, weil es eine Oktavbeziehung zum Grundton gibt.
Ungeradzahlige harmonische (und geradzahlige Obertöne) sind dann „die Bösen“. Obwohl, wie Falconi schriebt, das alles mit Vorsicht zu genießen ist.
Hallo Falconi und T.Goldschmitz,
danke für Eure Erläuterungen. Ich weiß zwar nicht, ob ich jemals eine Anwendung dafür haben werde aber es ist nie schlecht etwas interessantes zu lernen. Daraus solltet Ihr einen Artikel machen. Oder gibt es den schon?