Ein Klangpurist für höchste Ansprüche
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Der Great River ME-1NV ist ein 1-Kanal Mikrofonvorverstärker aus Minnesota, U.S.A. und ich möchte gleich mal mit einer Menge Vorschusslorbeeren anfangen: In meinen Recherchen zum Hersteller und zum Gerät waren ausnahmslos alle Anwender von dem unscheinbaren Kistchen restlos begeistert. Da ist die Rede von „Best Mic Preamp you can buy“, „Leider geil“ oder „Möchte ihn nicht mehr missen“. Es gibt da draußen zuhauf gute Vorverstärker und der Great River soll der heilige Gral sein? Ich bin da mal sehr neugierig.
Die Ausstattung des Great River ME-1 NV
Das 19“ Zoll Gerät mit halber Baubreite (9,5“) ist zweckmäßig, aber nicht opulent ausgestattet. Auf der Frontplatte findet man von links nach rechts einen HI-Z-Input für den Anschluss von elektrischen Gitarren, der über ca. 1,2 Megaohm Impedanz verfügt und den internen Übertrager mit einem FET/Bipolar-Bufferamplifier versorgt. Durch den Impedanz-Schalter kann dieser HI-Z-Buffer von 1.200 Ohm auf 300 Ohm umgeschaltet werden.
Daneben findet man einen griffigen Gain-Regler und einen kleineren Outputlevel-Drehregler. Der Gain kann in 5 dB Schritten bis 60 dB aufgedreht werden, während der Volume-Regler keine Rasterung besitzt. Insgesamt haben wir beim Great River maximale 70 dB Gain, die in drei Stages erreicht werden.
In einer Vertiefung in der Frontplatte befinden sich neben dem 6-teiligen Peakmeter für Input und Output vier gummierte Taster:
- Polarity: für die Polaritätsumkehr der XLR-Buchsen
- Phantom: 48 V Versorgungsspannung, z. B. für Kondensatormikrofone
- Impedance: Schaltet HI-Z und den Mikrofon-Buffer zwischen 1.200 Ohm (Schalter draußen) und 300 Ohm (Schalter gedrückt) um
- Loading: Diese Taste steuert das Ausgangsabschlussrelais. In der Stellung out ist der Ausgangstransformator unbelastet. Wenn er hineingedrückt wird, wird ein 600-Ohm-Widerstand über die Sekundärseite geschaltet.
Zur Erläuterung: Der Ausgangstransformator hat eine Resonanzspitze, die den Frequenzgang bei hohen Frequenzen beeinflusst. Diese Spitze liegt bei +6 dB bei ca. 50 kHz und ist kabel- und lastabhängig. Der Verstärker ist so ausgelegt, dass er mit 600 Ohm korrekt belastet wird, um einen möglichst flachen Frequenz- und Phasengang zu erzielen, aber es treten einige interessante Effekte auf, wenn er unterminiert wird. Wenn der Ladeknopf nicht gedrückt ist, dann bekommt man eine sanfte Anhebung der hohen Frequenzen (wie bei einem „Air-Band“-EQ) und ein etwas groberer Mitteltonbereich.
Ein Power-Schalter und eine blaue LED auf der rechten Seite runden die frontseitige Bedienung ab. Die Rückseite überrascht mit einer Kaltgerätebuchse, die auf ein innenliegendes Netzteil schließen lässt. Sehr erfreulich, wenn man nicht noch eine Steckernnetzteil auf seiner Steckdosenleiste haben möchte.
Die „Patch“ genannte Klinkenbuchse ist praktisch ein Effektsend und ermöglicht beispielsweise die Einbindung eines Kompressors. Auch Gitarrenpedale lassen sich hier gut anschließen. Allerdings muss man auf das korrekte Kabel achten: TIP ist Send und der RING ist der Return. Daneben die Klinkenbuchse für den Output (-10 dBv, unsymmetrisch).
Es folgen die XLR-Buchsen für den symmetrischen Ausgang (male) und den Mikrofoneingang (female). Zum Lieferumfang gehören die englischsprachige Bedienungsanleitung und das Euro-Stromkabel.
Die Verarbeitungsqualität des Great River ME-1 NV ist top: Alle Buchsen sind verschraubt und das Gehäuse ist sehr robust und mit 3 kg auch recht schwer. Auch die Regler und Taster zeugen von sehr guter Qualität.
Es ist klar, dass man es mit einem sehr hochwertigen Gerät zu tun hat, auch wenn jegliches „Eye Candy“ fehlt. Great River hat keine optischen Sperenzchen eingebaut und – offen gesagt – auch keinen besonderen Wert auf eine attraktive Farbgebung gelegt. Das schwarze Gehäuse hat eine weiße Beschriftung, ein gelbes „ME-1 NV“ Logo im Western Saloon Design, grüne, orange und rote LEDs sowie eine blaue LED für die Betriebsanzeige. Das Great River Logo zeigt den stilisierten Mississippi, der der Namensgeber für den US-Hersteller ist. Ich weiß, echte Studiofreaks legen keinen Wert auf Optik, sondern nur auf das, was rauskommt, aber für einen Preis von 1.399,- Euro könnte man schon etwas mehr erwarten. Die Bewertung des Geräts mindert dieser Umstand hier in meinem Test allerdings nicht.
Great River ME-1 NV: In der Tonstudiopraxis
Dann darf der unscheinbare Kasten mal in meinem Studio zeigen, was in ihm steckt. Ich habe ihn mit elektrischen Gitarren mit Humbuckern (Gibson Les Paul Standard) und Singlecoil-Tonabnehmern (Fender Telecaster Thinline) bespielt. Ich habe ein dynamisches Mikrofon (Shure SM58) und ein Kondensatormikrofon (Sennheiser e865s) angeschlossen und das Ganze mit meinem SSL SiX Analogmixer verglichen. Bei diesem waren die klangverändernden Effekte (EQ, Kompressor) natürlich deaktiviert. Der Ausgang ist mit meinem UA Apollo X6 verbunden und abgehört wurde über die KSD C88 Reference Aktivmonitore.
Als erstes fiel mir bei meinen Tests die viel zu grobe Rasterung des Gain-Reglers auf. Insbesondere bei den Gitarren am Hi-Z-Eingang neigte der Great River bei 30 dB am Main zum Clipping, während 25 dB wiederum zu obertonarm war. Will man das heiße Anfahren durch einen niedrigen Output kompensieren, dann derselbe Effekt: Die strahlenden Höhen meiner Paula waren dahin.
Hier die Erfahrungen im Einzelnen:
Gibson Les Paul Standard
Die Humbucker der Gibson klingen voll und obertonreich. Jede Saite wird klar und mit der exakten Abbildung der Transienten wiedergegeben. Der SSL SiX klingt im Vergleich nicht ganz so transparent, aber dafür etwas dynamischer. Durch die Verwendung der Load-Funktion bekommt das Ganze sogar noch einen Vintage-Touch.
Fender Telecaster Thinline
Der Great River ME-1 NV arbeitet den Resonanzraum der Telecaster gut heraus. Sehr hell, aber mit dem leicht hohlen Nachklang ist der Amerikaner eine echte Klanglupe. Diese Transparenz kann der SiX so nicht bieten. Außerdem scheint der die Pegelrasterung mit den Singlecoils der Tele besser zurechtzukommen. Der Unterschied ist hier am größten.
Shure SM58, dynamisches Mikrofon
Die Stimme ist detailreich und harmonisch. Der Unterscheid, ob mit oder ohne Poppfilter gearbeitet wird, kann der ME-1 NV gut klarstellen. Allerdings klingt dies an den Super Analogue Channels des SSL SiX ebenso gut.
Sennheiser e865s, Kondensatormikrofon
Auch das durch 48 V versorgte Signal meistert der Great River souverän. Die Dynamik und die Details stimmen. Auch hier ist der Unterschied zum SSL Six sehr gering, wenn auch nachvollziehbar.
Klang, Zusammenfassung
Es ist eine Freude, mit dem Great River ME-1 NV aufzunehmen. Die einfache Bedienung und das sehr überzeugende Resultat macht einfach Spaß. Kein EQ, Kompressor etc. stört das pure Recording-Erlebnis. Allerdings muss dafür auch der Rest stimmen: Raumakustik, Mikrofonaufstellung und Sprechabstand müssen passen. Man kann zwar durch den Effekt-Loop einiges korrigieren, was aber eine spezielle Verkabelung und natürlich weitere (teure) Hardware verlangt.
Great River ME-1 NV: Was fehlt?
Nun, das kommt darauf an. Ich habe bei Preamps immer gerne eine Pad-Funktion zur Pegelabsenkung oder zumindest ein Highpass-Filter, um niedrige Frequenzen herauszunehmen. Man sollte auch nicht verschweigen, dass andere Hersteller in dieser Preisklasse oftmals zwei Kanäle bieten, einen Mute-Schalter oder sogar einen Kopfhörerausgang im Angebot haben. Der Great River ist klanglich an den Neve 1073 angelehnt. Interessanterweise ist dieses „Original“ im Listenpreis günstiger (aber nicht im Ladenpreis) und verfügt dabei sogar noch über einen sehr schönen Equalizer.
Als echtes Manko sehe ich die grobe Rasterung des Gains, die mit 5 dB Schritten deutlich zu groß ist. Bei meiner Les Paul hatte ich echte Schwierigkeiten, eine gute Balance zwischen Gitarrenpegel, Ein- und Ausgangspegel zu finden.
Meine Conclusio zum Great River ME-1 NV
Ein sehr, sehr gutes, aber auch sehr puristisches und somit auch teures Gerät. Klanglich macht der Great River ME-1 NV viel Spaß. Der helle und offene Klang, die hohe Dynamik und der volle Grundton überzeugen auf der ganzen Linie. Man darf sich aber fragen, ob es das nicht bei den etablierten Mitbewerbern günstiger oder besser ausgestattet gibt. Ein Blick in die Preamp Liste bei Thomann.de zeigt das deutlich: Im Preisbereich von 1.000,- bis 1.800,- Euro finden sich 31 Ein- oder Zwei-Kanal Vorverstärker, die bis auf wenige Exoten deutlich besser ausgestattet sind. Nicht selten finden sich Kompressoren oder Equalizer auf der Frontplatte. Wenn Sie aber auf der Suche nach ganz klassischer, einfacher Verstärkung auf höchsten qualitativem Niveau sind, dann ist der Great River ME-1 NV ganz sicher einen Blick wert.
Hab das Teil im API 500 Format….seit 12 oder 14 Jahren schon.
Fantastischer Preamp. Mojo, ohne zuviel zu färben.
Leicht einzustellen, dank der 5db Rasterung auch schnell wieder zu recallen.
Zusammen mit dem Audio Technica 4060 eine grandiose Kombo. Warm, weich, bigger than live aber trotzdem genau und detailliert.
(Leider ist mir das 4060 eingegangen, das Austrian Audio 818 ist zwar auch sehr gut, aber hat nicht ganz die Magie des 4060)
Schwere Empfehlung auf jeden Fall und für mich mein Go To Preamp und der für die einsame Insel.
Ach ja: und mit diesem Preamp klingt dann auch das Shure SM7B richtig, richtig gut. Das hab ich in DEM Ausmaß bei den anderen Preamps zu meiner Verfügung nicht erlebt. (RME, DAV, Midas Pro, Prism Orpheus, Millenia)