Vocals mit Autotune und Melodyne bearbeiten
Nach unserem ersten Teil des Workshops „Gesang bearbeiten“ gehen wir nun an die weitere Arbeit. Jetzt sind die Gesangsaufnahem geschnitten, bearbeitet und die Spuren „geputzt“. Bevor nun das Mischen mit Kompressor, EQ und anderen Effekten losgehen kann, ist da noch das leidige Thema der Intonation: Wie biege ich den schiefen Gesang gerade? Und woher kommt die zweite Stimme, wenn die Sängerin schon beim nächsten Job gebucht ist und keine Zeit mehr hat? Wie bekomme ich den Gesang rhythmisch ins Lot? Das alles klären wir in unserem zweiten Teil des Workshops.
Der Computer wird’s schon richten
Um es klar zu sagen: Kein Rechner dieser Erde macht aus einem krähenden Gockel einen Enrico Caruso oder einen Xavier Naidoo. Man kann einen falsch klingenden Ton korrigieren, aber eine nicht schön klingende Stimme wird nicht besser klingen und der deutsche Akzent ist nicht per Plug-in aus den englischen Vocals zu klicken. Genauso wenig wird der peinliche Rap mit einem Softwaretool zu Notorius BIG – schade eigentlich.
Vor der Ära Melodyne und Autotune konnte man höchstens mittels Pitching (und zwar Ton für Ton) am Rechner einen falschen Ton zurück in die Spur rücken. Das ist recht mühselig, aber bei professionellen Sängern nicht sehr oft notwendig.
Autotone – ein Paradigmenwechsel?
Mittlerweile ist Autotune auch bei Nicht-Produzenten und -Musikern ein Begriff. Oft ist jedoch unklar, was dieses Tool wirklich macht: Autotune analysiert (auf Basis der Obertöne) die einstimmige Gesangsspur und ermittelt die Tonhöhe. Weicht der Ton um einen bestimmten, einstellbaren Wert (Tolerance) ab, wird er automatisch auf den korrekten Wert gepitcht. Quasi automatisch auf den korrekten Ton getunet. In der Grundeinstellung wird Autotune zum nächsten der 12 Halbtöne aus denen unser westliches Tonsystem (Stichwort: Diatonik) besteht, korrigieren. Es ist aber auch möglich, Tonleitern vorzugeben oder sogar eigene Skalen zu realisieren. Somit kann man eine E-Dur-Aufnahme in eine E-Moll-Aufnahme verwandeln. Gedacht ist ein solches Hilfsmittel, um leichte Fehler in einer ansonsten tadellosen Performance zu korrigieren. Einige Sänger/-innen und Producer-Kollegen lehnen (mittlerweile) selbst das ab.
Um leichte Fehler zu korrigieren, kann man meistens mit Preset-Werten arbeiten. Im Wesentlichen gibt es hier zwei Parameter, die wichtig sind:
- Speed/Retune-Speed/…
- Tolerance/Humanize/…
Leider gibt es hier keine genormten Begrifflichkeiten oder gar Rasterungen/Einheiten. Der Parameter Speed (oder Retune Speed) ist mit der Attackzeit im Kompressor vergleichbar. Es wird vorgegeben, wie schnell ein falscher Ton korrigiert wird. Wenn hier kleine Werte (bis hin zu 0 ms) eingestellt werden, würden sogar Glissandi (Sweeps/Glides) in Tonleitern „verwandelt“, weil alle tonleiterfremden Töne korrigiert gepitcht werden. Das klingt dann aber sehr mechanisch und nicht mehr natürlich.
In diesem Beispiel wird ein Frequenz-Sweep zuerst unbearbeitet, dann zu einer C-Dur- sowie einer Fantasie-Tonleiter korrigiert gespielt:
Es gibt Plug-ins, die den Speed-Parameter sogar in Attack und Release aufteilen. Das hauseigene Werkzeug von Cubase (PitchCorrect) hat sogar die Werte der Parameter gedreht: Hohe Werte für Tolerance sorgen für eine geringe Toleranz und hohe Speed-Werte sorgen für eine besonders kurze Reaktionszeit. Ein Blick ins Handbuch ist an dieser Stelle immer eine gute Idee.
Praktisch jede Sängerin/Sänger hat ein Vibrato in der Stimme. Manche kaum hörbar, andere sehr deutlich. Wenn man den Tolerance-Wert nun klein/eng einstellt, ist von einem Vibrato nichts mehr zu hören. Diesen Sound kennt man aus Dance-Klassikern der 90er (und 2000er): Eiffel 65 ist hier nur ein Beispiel. Soll das Ergebnis genau diesen Sound haben, sind also extreme Werte für Speed und Tolerance sinnvoll. Soll das Ergebnis jedoch möglichst natürlich klingen, sind moderate Werte für Tolerance und Retune-Speed angesagt. Leider können hier keine konkreten Werte als Geheimtipp genannt werden, da diese sehr vom Ausgangsmaterial abhängig sind. Es hat sich in der Praxis jedoch bewährt, die Retune Speed vom Songtempo anhängig zu machen und Tolerance eher auf dem Ausgangswert zu belassen bzw. diesen nur auf ein Drittel/bis zur Hälfte zu setzen, je nachdem, welches Tool genutzt wird.
Erst wenn die Qualität des Gesangs – in puncto Intonation – besonders fraglich ist, sollte mit geringeren Tolerance-Werten (ein Drittel und deutlich weniger) gearbeitet werden.
In diesen Beispielen ist jeweils erst der unbearbeitete Ton, dann der moderat korrigierte und dann eine übertriebene Bearbeitung zu hören.
Übrigens: Autotune wurde zuerst als Hardware auf den Markt gebracht, dann als Software!
Melodyne geht einen Schritt weiter
Während Autotune für die Echtzeitanwendung konzipiert ist, ist Celemony Melodyne für die Nachbearbeitung ausgelegt. Mit diesem Werkzeug (und den Alternativen, die es mittlerweile auch gibt) lassen sich einzelne Töne einer Aufnahme bearbeiten. Gerade eine gute Performance mit einem oder zwei Ausrutschern in den Vocals sind damit gezielter editierbar. Hier lassen sich die Parameter pro Ton einzeln einstellen. Wenn es nur um das Retten einer Gesangsspur geht, ist das Vorgehen zu Autotune nahezu identisch.
Bei meiner eigenen Arbeit bekomme ich oft Aufnahmen auf den Tisch, bei dem der Sänger/Sängerin fast einen Halbton daneben liegt. Es gibt Sänger, die beispielsweise auf dem Weg nach oben in der Tonleiter zu zaghaft sind und dann letztendlich fast einen Halbton zu tief liegen. Natürlich gibt es aber auch die Vokalisten, die immer zu weit gehen und beim Tonwechsel nach oben zu hoch ankommen. Nach meiner Erfahrung ist ersteres jedoch häufiger der Fall. Gerade solche Aufnahmen sind mit Autotune meist nicht befriedigend zu bearbeiten, da der betreffende Ton zu oft in die falsche Richtung korrigiert wird.
Der aufmerksame Leser wird sofort bemerken, dass die Wahl der richtigen Tonleiter dieses Problem in den meisten Fällen vermeiden wird. Das ist soweit auch richtig. In der Praxis zeigt sich aber, dass es oft schneller geht, die entsprechenden Fehler händisch zu korrigieren und es manchmal – je nach Musik – nicht möglich ist, eine Tonleiter sinnvoll vorzuwählen, weil beispielsweise aufgrund von Zwischendominanten einige leiterfremde Töne auftauchen. Gerade in solchen Fällen habe ich selbst zu oft danebengelegen, so dass ich mir eine Arbeitsweise mit Melodyne angewöhnt habe. Ein weiterer Vorteil hierbei ist, dass die Tolerance-Werte (so wie alle Settings) immer auf den konkreten Ton angepasst werden können, was letztlich zu natürlicheren Resultaten führt.
In diesem Beispiel wird der Gesang mittels VariAudio (einem Melodyne-ähnlichen Tool aus Cubase) korrigiert. Zuerst ist das unbearbeitete, danach das bearbeitete Signal zu hören:
Eine Besonderheit, die bei dieser Bearbeitung auftreten kann ist, dass die Software einen Ton als zwei einzelne Töne erkennt.
Wenn hier nicht exakt gearbeitet wird, scheint es ein „Holpern“ im Gesang zu geben.
In diesen beiden Beispielen wird dies illustriert:
Übrigens haben die meisten Autotune-Tools mittlerweile sehr ähnliche Bearbeitungsmöglichkeiten wie Melodyne.
Gesangsspuren doppeln oder im Chor
Die klassische Situation: Eine Spur soll gedoppelt werden, aber die Sängerin oder der Instrumentalist sind bereits über alle Berge. Was tun?
Der traditionelle Weg ist, die betreffende Spur zu kopieren und mit einem Modulations-Delay zu bearbeiten. Dabei wird die Delay-Zeit mittels LFO minimal moduliert (selbstverständlich muss Feedback auf Null stehen und das Direktsignal muss ausgeblendet werden). Der Effekt ist einem leiernden Tonband ähnlich. Mischt man die so generierte Spur der Originalspur zu, dann klingt das Ergebnis (fast) wie eine zweite Aufnahme. Dieser Eindruck entsteht, weil die bearbeitete Spur nicht einfach 1:1 kopiert wird (was nur einen Pegelanstieg von 6 dB zur Folge hätte), sondern mit kleinen Timing und auch Tonhöhenschwankungen hinzugemischt wird, ähnlich einer neuen Aufnahme. Ähnlich arbeiten auch die vielen Dopplungs-Tools, die es in der virtuellen Werkzeugkiste gibt.
In diesem Beispiel wurde der Gesang mit Hilfe eines Delays gedoppelt:
Selbstverständlich lässt sich dieser Effekt auch mit Autotune und Melodyne erzeugen, indem die zweite Spur mit leicht anderen Parametern bearbeitet wird, wie das Original. Revoice Pro bietet diese Funktion fertig als Preset/Lösung an.
Dieses Beispiel zeigt, wie Dopplungen/Angleichung mit Autotune/Melodyne erzeugt werden können.
Soll es mal mehrstimmig werden, wird man um Melodyne (oder ein artverwandtes Tool) nicht herum kommen. Dank des Editors lässt sich eine Gesangsstimme in der Tonfolge bearbeiten (und mit aktuellen Versionen und dem Feature DNA auch mehrstimmige Aufnahmen) und so auch Satzgesang konstruieren. Leider ist das Ergebnis klanglich oft einer eingesungenen zweiten Stimme hoffnungslos unterlegen. Wird die Originalspur stärker als um eine Terz verschoben, sind die klanglichen Defizite meist überdeutlich hörbar. Man kann diese Technik aber auch nutzen, um die zweite (dritte, vierte …) Stimme zu erarbeiten und diese dann – orientiert am Editing – einsingen (lassen).
Das auf Mehrstimmigkeit spezialisierte Tool Vielklang erzielt sehr ansprechende Ergebnisse. Bequem ist an dieser Lösung, dass Vielklang auch den Satz übernimmt und man recht schnell erste Ergebnisse bekommt.
Die Sache mit dem Rhythmus
Sängerinnen und Sänger, die mit der Intonation auf Kriegsfuß stehen, sind oft auch rhythmisch nicht so sattelfest, wie wir uns das auf der anderen Seite der Glasscheibe wünschen. Auch dafür gibt es spezielle Hilfsmittel. In Melodyne ist eine solche Lösung bereits integriert.
Jeder moderne Sequencer bietet die Funktion der Audio-Quantisierung. Ein sehr nützliches Werkzeug, das mich aber bei Vocals selten so richtig überzeugt hat. Zunächst sind Gesangsspuren, die in diesem Punkt stark korrigiert werden müssen, oft schwach in der rhythmischen Akzentuierung, dass es kaum eine brauchbare Hitpoint-Erkennung gibt. Diese dann von Hand zu setzen, ist oft so zeitintensiv, dass das komplette Editieren von Hand den bessern Output generiert.
Sehr gute Ergebnisse habe ich mit RevoicePro erzielen können. Hier wird eine Master-Spur bestimmt und alle anderen Gesangsspuren orientieren sich rhythmisch an dieser.
Das folgende Beispiel stammt aus dem letzten RevoicePro Test und zeigt sehr deutlich, dass auch scheinbar hoffnungslose Fälle rhythmisch noch in den Griff zu bekommen sind. Für die Kollegen aus der ADR-Abteilung (Synchronisation) ist diese Art von Arbeitsmittel eine echte Hilfe.
Live-Gesang aufnehmen
Auch diesmal durfte ich auf die Gesangsaufnahmen aus dem Live-Gesangsmikrofon Special von Armin Bauer zurückgreifen, vielen Dank dafür! Die beiden Sänger/innen Akina Ingold und Patrick Heck haben extra Aufnahmen produziert, die stark zu bearbeiten sind. Das ist gar nicht so einfach, denn absichtlich falsch singen ist mindestens so schwer wie absichtlich richtig singen. Herzlichen Dank an Akina, Patrick und natürlich Armin.
Vielen Dank, Florian. Der Artikel hat mir gut gefallen. Sehr eindrücklich und einfach erklärt, sodass jeder was damit anfangen kann. Sehr schön.
„Sehr gute Ergebnisse habe ich mit RevoicePro erzielen können. Hier wird eine Master-Spur bestimmt und alle anderen Gesangsspuren orientieren sich rhythmisch an dieser.“
–> ich würde dazu ergänzen (da wir uns sowieso grad in Cubase befinden…), dass diese DAW das Alignment-Tool hat. Das funktioniert ganz wunderbar, hab ich festgestellt. Eine Zusatzsoftware braucht man als Cubase-Nutzer damit jedenfalls nicht.
Viele Grüße
@Marco Korda Hey Marco,
danke für die Blumen :-)
Cubase hat das Align-Tool, das ist wohl wahr, aber RevoicePro ist deutlich besser! Liefert noch akkuratere Ergebnisse, auch bei „schwierigem“ Material…
LG
Florian
@Florian Scholz Hey Florian,
ja, das mag sein. Aber wie genau braucht man es? Also, nach meiner Auffassung hat das Alignment-Tool das ohne Artefakte sehr gut gelöst. Ich behaupte, wenn es noch perfekter ist, merkt das kein Mensch….
praxisnaher leitfaden, interessant geschrieben. gerne mehr davon.
Auch für mich waren diese beiden Workshops gut verständlich und nachvollziehbar. Vielen Dank dafür.
Es bleibt die Erkenntnis, dass auch Profis nicht um ein gewisses Maß an Handarbeit herumkommen.
Wo gerade über Cubase gesprochen wurde, fällt mir ein Tipp aus einem Youtube Tutorial ein, der mir bei der Bearbeitung von Atem- und sonstigen Störgeräuschen sehr geholfen hat. Man kann mit dem Stiftwerkzeug Lautstärkeverläufe in Audioclips einzeichnen und so, wie ich finde, sehr elegant Zischlaute und ähnliches auf die Schnelle leiser machen.
Auch das ist natürlich Arbeit, aber dass ich nach kaum 15 Jahren mit Cubase kürzlich auf diese Funktion gestoßen bin freut mich natürlich ;-)
@0gravity Dann haben wir bestimmt dasselbe Video gesehen: Dom Sigalas macht aber auch wirklich nette und schöne YT-Vids zu Cubase :-)))). Sehr sympathisch und gut erklärt. Auch ich bin als jahrelanger Cubase-User erst vor wenigen Monaten über diese Möglichkeit gestoßen. Und du hast recht: viel Arbeit, aber die lohnt sich.
@Marco Korda Hallo Marco, ist ja lustig. Das war tatsächlich ein Video von Dom Sigalas, also dann sicherlich das selbe, das Du auch gesehen hast. Und vor ein paar Monaten, das kommt hin. Ich schätze seine Videos auch sehr.
Dass, was man heute über den Weichzeichner der 70er denkt, wird man in späteren Zeiten über das Autotune von heute denken.
Das Tool von Cubase zur Zeitkorrektur liefert wirklich gute Ergebnisse!💪 Da ich mit CB und Melodyne schon sehr positive Erfahrungen gemacht habe, würde ich die Geldbörse für andere Werkzeuge vorerst in meiner Tasche lassen.🤑 Was nicht bedeutet, dass die spezialisierte Arbeit von RV-Pro schlecht sei. Dieses Programm hat auf jeden Fall eine Berechtigung auch mit dem Kostenaufwand.😅
Danke für diesen Beitrag.😀 Es ist angenehm, zu lesen, was für Hindernisse im Gesangs-Alltag auf einen stoßen können und RV-Pro hat so auch noch mein Interesse erhalten.😇